Testament - She She Pop variiert Lear und holt drei ihrer Väter auf die Bühne
Kleine Kämpfchen im Generationenkonflikt
von Rudolf Mast
Berlin, 25. Februar 2010. Zu den befremdlichen Erscheinungen des zeitgenössischen Theaters gehört die Tendenz, private Befindlichkeiten auf die Bühne zu zerren und sie dort als gesellschaftliche und/oder künstlerische Fragestellungen auszugeben. Zu den offensiven Vertretern dieser "Schule" gehört She She Pop, das siebenköpfige, in der Hauptsache weibliche "Performance"-Kollektiv, das sich 1998 beim Studium der angewandten Theaterwissenschaft in Gießen bildete.
Für ihre neueste Arbeit spitzen sie die Thematisierung von Privatem noch einmal gehörig zu und schleppen ihre Väter mit auf die Bühne. Anlass bildet ein Versuch, der in der Papierform der Ankündigung durchaus spannend klingt: Der Abend greift auf Shakespeares Königsdrama "King Lear" zurück, dessen Versuch, sein Reich zu Lebzeiten unter den drei Töchtern aufzuteilen, in Mord und Totschlag endet. Dieser Stoff soll den Performern von She She Pop und ihren Vätern als entfernte Vorlage dienen, um daran "Vorbereitungen zum Generationswechsel", so der Untertitel des Unterfangens, durchzuspielen und auf unblutige Weise einen "Ausgleich zwischen den Generationen" zu finden. So weit die Papierform.
Lear im Wohnzimmer
Auf der Bühne des HAU 2 sieht das Ganze so aus: Von drei Sesseln zur Linken, Tisch und Stühlen zur Rechten eingerahmt, befindet sich ein "Wohnzimmer" als Spielfläche. Dahinter erhebt sich eine löchrige Rückwand, an der drei leere Bilderrahmen hängen. Die werden später als Videoleinwand dienen, während durch die Löcher Bonbon-Licht in verschiedenen Farben dringt. Am rechten Rand steht ein Flipchart, und alles, was dort notiert und entworfen wird, wird per Kamera auf eine Leinwand übertragen.
In dieses Setting treten vier Spieler, um die Hälse Krägen aus elisabethanischer Zeit, und beschreiben kurz ihre Väter. Die Kinder stammen demnach alle aus dem Bildungsbürgertum. Dem Abend ist das anzusehen. Eine Frau hat ihren Vater gar nicht erst gefragt. Es sind also drei Herren, die zu Trompetenstößen in Stiefeln aufmarschieren und links in den Sesseln Platz nehmen. Nachdem sie singend beteuert haben, wie sehr sie ihre Kinder lieben, beginnt das Spiel – und zwar mit einem Sprung in den ersten Akt von "König Lear", zugleich in die erste Probephase vor einem knappen Jahr. Und wie der Abend in der Folge auch die weiteren Probenabschnitte durchläuft, so arbeitet er sich durch die fünf Akte von "König Lear".
Zweifelhafte Tauschgeschäfte
Beider Anfang ist von Zweifeln und Konflikten geprägt, und nun wird gemeinsam überlegt, wie man sie rechtzeitig und damit anders als bei Lear ausräumen kann. Von "Tauschgeschäft" ist die Rede und von Punkten, die einem wunschgemäßen Generationswechsel im Wege stehen. Doch ein Vater meldet auch Bedenken gegen den Spielvorgang selbst an, dessen Konflikte letztlich nur gestellt seien. Was man in älteren Begriffen "Aussteigen" aus der Rolle nennen würde, zieht sich wie ein roter Faden durch den Abend, so dass die Funktion deutlich sichtbar wird: Dieses Theater hat das "alte" Theater hinter sich gelassen und will es dadurch erweisen, dass es sämtliche Einwände, die sich gegen die Mischung aus Trash und Intellektualität vorbringen lassen, selbst benennt.
Entkräftet sind sie dadurch jedoch nicht, wie sich auch hier sehr bald zeigt. Denn wie mit jeder Szene, jedem Akt die Nähe zu "König Lear" abnimmt, so aufgesetzt und (gelegentlich auch an den Haaren) herbeigezogen geraten die "Realszenen" zwischen den Generationen, die sich daraus entspinnen: Der Sturm, der Lear erwischt, endet auf der Bühne damit, dass die Kinder Krone, Sessel und Oberhemden von den Vätern übernehmen, und Lears Wiedersehen mit Cordelia mündet in eine schnulzige Kakophonie des gegenseitigen Verzeihens.
Vater sein ist Privatsache
Den "Stall, den es auszumisten gilt", betritt der Abend so nicht einmal, nicht als "Versuchsanordnung" und schon gar nicht hinsichtlich der privaten Beziehungen, wie sie auf der Bühne stehen. Aber wie hatte ein Vater gleich zu Beginn gesagt? "Das gehört nicht in die Öffentlichkeit." Recht hat er. Doch paradoxerweise hätte der Abend gerade in der Flucht nach vorn, die hier ein entschiedener Schritt zurück gewesen wäre, zu sich finden können: Dafür hätte der Konflikt zwischen den Generationen, von dem hier ständig die Rede ist, "nur" offen ausgetragen werden müssen. Proben hätte es dafür nicht bedurft, und der Premiere wären keine Vorstellungen gefolgt. Dafür hätte sich das, was großmundig ankündigt wurde, auch erfüllen können. So aber bleibt der Abend das, was der Name der Urheber erwarten ließ: Pop.
Testament – verspätete Vorbereitungen zum Generationswechsel nach Lear - She She Pop und Ihre Väter
von und mit: Sebastian und Joachim Bark, Fanni und Peter Halmburger, Mieke und Manfred Matzke, Lisa Lucassen, Ilia Theo Papatheodorou, Berit Stumpf, Johanna Freiburg, Bühne: She She Pop und Sandra Fox, Kostüme: Lea Søvsø, Musik: Christopher Uhe.
www.hebbel-am-ufer.de
www.kampnagel.de
www.forum-freies-theater.de
Mehr zu She She Pop im nachtkritik-Archiv: Besprochen wurde Die Welt, in der wir leben, das im März 2009 im Berliner HAU Premiere hatte. Ebendort kam im März 2008 Familienalbum heraus und im Juni 2007 die Relevanzshow.
{denvideo http://www.youtube.com/watch?v=mUnyfBUfsAQ}
Kritikenrundschau
Als "wache, offene Kunst" beschreibt Tobi Müller in der Frankfurter Rundschau (27.2.2010) diese Lear-Variation, für den sich schon nach der ersten Lear-Szene "das schöne Delirium auf die Bühne" schleicht, mit dem She She Pop so virtuos arbeiten könnten. "Die Frauen und der eine Mann von She She Pop haben ihre Väter zur Probe gebeten, mit ihnen Shakespeares "König Lear" gelesen und dann einen Abend entwickelt. Er heißt "Testament - Verspätete Vorbereitungen zum Generationswechsel nach Lear". Man spricht über die Liebe und das Unverständnis und die Abhängigkeit, man stellt die wichtigen Fragen sehr direkt", um sie dann wach in offene Kunst zu überführen. "Nur so kann man diese Fragen ernsthaft stellen: im Spiel".
"Einen so versöhnlichen 'Lear' sieht man selten", schreibt Katrin Bettina Müller in der Berliner tageszeitung (27.2.2010). Es sei ein behutsamer und für She She Pop auch leiser Abend, "sicher auch den Vätern zuliebe, denen das Performen der berühmten Töchter (und eines Sohns) oft als peinliche Entblößung aufstieß." Dass dennoch Themen über Themen geschichtet werden, liegt für die Kritikerin am analytischen Zugriff auf den Stoff: "Es geht um Macht und die Kompensation ihres Verlustes; um die 68er-Generation und das tendenziell schlechte Gewissen ihrer Kinder, deren Ansprüchen nie gerecht werden zu können; um den Umgang mit Text und die Repräsentation in Bildern." Am Ende habe man nebenbei viel über die bildungsbürgerliche Herkunft dieser Gruppe erfahren.
Ellinor Landmann hat für die Sendung Reflexe (DRS 2, 22.6.2011) mit Ilia Theo Papatheodorou und Johanna Freiburg gesprochen. "Die Väter-Generation tritt langsam, langsam ab", sagt Papatheodorou, das Gespräch zwischen den Generationen tritt spät, sehr spät ein, sagt Freiburg. Und dieses "Ringen um Anerkennung zwischen Töchtern und Vätern" werde auf der Bühne sichtbar gemacht, erklärt Landmann.
Schön, dass Sie diesen Text gelesen haben
Unsere Kritiken sind für alle kostenlos. Aber Theaterkritik kostet Geld. Unterstützen Sie uns mit Ihrem Beitrag, damit wir weiter für Sie schreiben können.
mehr nachtkritiken
meldungen >
- 05. Oktober 2024 Zürich: Klage gegen Theater Neumarkt wird nicht verfolgt
- 04. Oktober 2024 Interimsintendanz für Volksbühne Berlin gefunden
- 04. Oktober 2024 Internationale Auszeichnung für die Komische Oper Berlin
- 04. Oktober 2024 Kulturschaffende fordern Erhalt von 3sat
- 04. Oktober 2024 Deutscher Filmregisseur in russischer Haft
- 01. Oktober 2024 Bundesverdienstorden für Lutz Seiler
- 01. Oktober 2024 Neuer Schauspieldirektor ab 2025/26 für Neustrelitz
- 30. September 2024 Erste Tanztriennale: Künstlerische Leitung steht fest
neueste kommentare >
-
Neumarkt Zürich Klage Unpassend
-
Kultursender 3sat bedroht Augen öffnend
-
Kultursender 3sat bedroht Link zu Stellungnahme
-
Kultursender 3sat bedroht Beste Informationen
-
Neumarkt Zürich Klage Kommunikation von Besetzung
-
Onkel Werner, Magdeburg Mein Eindruck
-
Glaube, Geld, Krieg..., Berlin Großer Bogen, aber banal
-
Penthesilea, Berlin Mythos im Nebel
-
Neumark Zürich Klage Take it or leave it
-
Neumark Zürich Klage Schutz?
nachtkritikcharts
dertheaterpodcast
nachtkritikvorschau
kein Theater machen? Wer kann es dann?
Mit der Kritik der Väter, der Scham, der Entwürdigung, die auf der Bühne stattfindet, setzen sich die Damen und der Herr nicht auseinander.
Die FRage nach Ehrfurcht, Respekt, Achtung scheint für die junge Gerneration kein zu bearbeitendes Feld zu sein, grad die Darstellung der Raffgier fällt ihnen ein darzustellen.
Welcher Vater, der einst mit den 68er Studenten seine politischen Ziele formulierte, traut sich jetzt von seinem Kind Respekt und Ehrfurcht einzufordern? Welche Vater ist frei zu sagen "Nein", wenn ihn die Tochter, die sich sonst so selten meldet um gemeinsames Spiel bittet, wer traut sich Verabredungen platzen zu lassen zum Erhalt seiner Würde? Frei sind Eltern da bestimmt nicht. Ihre Sehnsüchte sind bei diesem Theaterstück allenfalls auf der Ebene "wir hätten uns von Dir wissenschaftliches Arbeiten über die Magisterarbeit hinaus gewünscht" angesprochen,- o.k.-schade- aber noch viel schlimmer wäre doch für jeden Vater (dieser Generation) die misslungene Beziehung zum Kind. Nein, es stimmt, "der Stall den es auszumisten gilt, ist nicht einmal betreten worden". In keiner Weise kann ich finden, dass der: "Ich verzeihe"-Chor von tiefster Ambivalenz gekennzeichnet ist." Oberflächliche Auseinandersetzung!, schade dass die eine Familie nur Mensch Ärgere Dich nicht mit 2 Figuren spielte, aber muss gutes Theater das wirklich erwähnen? Die Sehnsucht und Enttäuschung dahinter wäre ja vielleicht interessant. Ähnlich interssant wäre es, ins Gespräch zu kommen, warum dem Vater im Sarg dann wohl eine "Freudsche Fehlleistung" passiert und er die Pin Nummer plötzlich verändert angibt. Die Ambivalenz, die dahinter stehen könnte, könnte im gutem Theater abgebildet werden. Hier bleibt es bei oberflächlichem Schülertheater, vielleicht ist es aber nötig Lebens- und und Abschiedeserfahrungen selber zu machen, bevor man die Väter beschämt.
NB: Sollte man auf dem Weg der persönlichen Auseinandersetzung mit seiner Geschichte, seinen Wünschen und Sehnsüchten Hilfe brauchen, so stehen in Berlin viele gute Psychotherapeuten zur Verfügung. Dann bräuchte nicht mehr die Öffentlichkeit die missglückten Versuche aushalten.
bühnenmittel (kostüm mit historischen andeutungen; sesselthrone, projizierte ahnengalerie und gemeinsamer esstisch; musik für emotion und erinnerung und videoprojektion als ausschnitt=vergrößerung von details des bühnengeschehens) zum geringen teil annektiert (wooster group, nature theater of oklahoma) und als eigenes, geschicktes erzählmittel eingesetzt.
und ja, ich hatte nie darüber nachgedacht: es gibt kein ritual, das für den familiären generationenwechsel als hilfe dienen kann.
zugehört, gelacht, geweint und nachgedacht. eben theater at its best.
die sehnsüchte und enttäuschungen: sie sind in dem von ihnen genannten moment unbestreitbar zu spüren. respekt: wird auf der bühne verhandelt. ein vater fordert ihn ein. was haben sie jetzt erwartet, einen dialog dazu in versform?
das wäre dann vielleicht das "schülertheater", ein unwort der theaterkritik übrigens, das endgültig in die mottenkiste gehört.
@annahd: was war da denn annektiert vom nature theater of oklahoma? die gibts doch vermutlich nicht halb so lange wie she she pop?
@konny: der beginn der kritik ist eben nicht erfreulich, weil er das besprochene theaterformat an sich von vornerein in frage stellt, das legt die vermutung dann sehr nahe das der autor das theater bereits mit einem ressentiment betreten hat. für einen solchen abend, der alleine schon durch die tatsache das er überhaupt in dieser besetzung stattgefunden hat fernab von üblichen theaterkritikmustern steht, ist das ein sehr arroganter ansatz.
Ich fand es irre peinlich wie die alten Männer da standen. Ich finde das gar nicht mutig wie Herr Amsel. Wenn das alles echte Familiengeschichten sind, dann tuen mir die Mütter, Tanten Onkel, Brüder und vielleicht Kinder der Schauspieler sehr, sehr leid. Vielleicht ist es ein lustiges Kindergeburtstagsspiel, wenn man sich selber auf der Bühne spielt kann man sich ja über sich selber lustig machen, aber für die Familien ist das doch sehr peinlich. Dieses Format von Theater ist schlecht zu ertragen- da versteh ich auch dass jemand weiter oben von Psychologen spricht. Das ist glaube ich nicht beleidigend gemeint. Es gibt ja auch Psychodrama und Gruppentherapie( übrigens in den 70er Jahren sehr beliebt).
Bei aller berechtigten monetären Aufrechnung von Erbrechten und Fürsorgepflichten - am Ende bleibt eines hängen: Bedürftig sind beide, und das nicht nur im Hinblick auf Geld und/oder spezielle Fähigkeiten, sondern vor allem auf die bedingungslose Liebe. Aber auch dieses Tauschgeschäft ist ein problematisches. Ist die beinahe chorische Liturgie von Gnade und Verzeihung am Ende wirklich aufrichtig? Oder sind es nicht doch eher und nach wie vor die lapidaren Worte von Cordelia, gesprochen von Lisa Lucassen? "Ich lieb Eur Hoheit, wie's meiner Pflicht geziemt, nicht mehr, nicht minder." Mhmh.
Aber das ist ja eine der großartigen Wirkungen von "Testament", jemand anders sprach von "Relevanz": Ja, aber nicht eine allgemeine, sondern als eine Art Projektionsfolie für jede/jeden individuell, du wirst auf dich und deine Geschichte zurückgeworfen, aber die ist wiederum im besseren Sinne "austauschbar", also mit denen anderer (Familien) in Bezug zu setzen.
Und allgemein zu dieser Diskussion: Ob, Pop, Theater oder Performance, wahrscheinlich schreiben hier alle mit sehr unterschiedlichen Kategorien im Kopf. Interessant finde ich aber immer, wenn Kritik in solchen Fällen so richtig aggressiv wird ("Kindergeburtstag", "süß" etc.). Da vermute ich dann auch immer gewisse Verdrängungen, um sich auf so eine Ebene nicht einlassen zu müssen.
Bin jedenfall auch, wie einige meiner VorschreiberInnen, lange nicht mehr so aufgewühlt aus so einem Theater- oder Performanceabend rausgegangen. (gesehen in Bremen, 16.4.2011)
Mieke Matzke hat sich übrigens auch wunderbar ironisch für den von ihr so bezeichneten "Eisphallus" des Friedrich-Luft-Preises der "Berliner Morgenpost" bedankt, welcher nach der von mir gesehenen Aufführung verliehen wurde.
Es handelt sich hierbei um das deutsche Volkslied „Papst und Sultan“ aus dem 18. Jahrhundert. Der Text ist von dem Theologen und Lehrer Christian Ludwig Noack (1767-1821). Der Verfasser der Melodie ist unbekannt, sie dürfte aber auch typisch für Volkslieder aus dem 18. Jahrhundert sein. Noack hat den Text wohl ursprünglich in Latein verfasst. Es gibt daher verschiedenste Text- und Liedbearbeitungen, z.B. die der Band „Zupfgeigenhansel“. http://www.youtube.com/watch?v=wt_sE9S56PQ&feature=related
Die in der Berliner Aufführung vom 05.04. verwendete klassische Version kenne ich leider nicht.
Hier der Text:
Der Papst lebt herrlich in der Welt,
es fehlt ihm nie an Ablaßgeld;
er trinkt vom allerbesten Wein:
drum möcht ich auch der Papst wohl sein.
Doch nein, er ist ein armer Wicht,
ein holdes Mädchen küßt ihn nicht;
er schläft in seinem Bett allein:
drum möchte ich der Papst nicht sein.
Der Sultan lebt in Saus und Braus,
er wohnt in einem Freudenhaus
voll wunderschönen Mägdelein:
drum möcht ich wohl der Sultan sein.
Doch nein, er ist ein armer Mann,
denn folgt er seinem Alkoran,
so trinkt er keinen Tropfen Wein:
drum möcht ich auch nicht Sultan sein.
Geteilt veracht ich beider Glück
und kehr in meinen Stand zurück;
doch das geh ich mit Freuden ein:
halb Sultan und halb Papst zu sein.
Drum Mädchen, gib mir einen Kuß,
denn jetzt bin ich dein Sultanus!
Ihr trauten Brüder, schenket ein,
damit ich auch der Papst kann sein!
Mit dem Lied nimmt sich der Vater von Mieke durchaus selbstironisch auf die Schippe, steht aber auch stolz zu seiner von Mieke als nervig bezeichneten „Schwäche“ für „Wein, Weib und Gesang“. Herrlich, wie er da so auf seinem Thron sitzt. Ihr war das wohl eher peinlich und sie ließ es augenrollend über sich ergehen.
Zudem betrachte ich dieses Bild des typischen 68er-Vaters, welcher schon mittags nackt durch die Wohnung rennt und dazu ein Glas Rotwein trinkt, ebenso als ein Klischee, wie die angeblich nur noch nihilistische Nacktheit der Töchter-Performerinnen auf der Bühne ein Klischee ist. Hierin spiegeln sich meines Erachtens nur wieder die Scheindebatten um die "gute alte Werktreue" gegenüber dem "bösen Regietheater". So simpel dualistisch ist das aber vielleicht gar nicht. Denn hier geht es ja einerseits um Werk- oder besser Texttreue - der Text wird vollständig auf eine Bühnenleinwand projiziert, inklusive der Live-Streichungen. Und andererseits ziehen sich am Ende eben gerade nicht die Töchter, sondern diese ihre Väter aus, welche die Nacktheit früher mal als sexuelle Revolution bezeichneten. The times, they are a-changing.
Kritik: http://stage-and-screen.blogspot.com/
MEIN TESTAMENT
Drum schönes Mädchen, sag ich nüchtern jetzt
gib mir keinen Kuss,
denn ich war nie dein schöner Sultanuss, - -
ihr treulos falschen Brüder schenkt mir nichts mehr ein,
denn euer Narren-Papst will ich beim Trinken nimmer sein.
Ein so ein reicher Sultan lebt in Saus und Braus,
und wohnt in einem tollen Freudenhaus
voll wunderschöner Mägdelein,
wer möchte da nicht Sultan sein? -
auch trinkt er keinen Tropfen Wein -
gleich möchte ich auch ein solcher weiser Sultan sein.
Nicht jeder ist, so wie der Papst ein armer Wicht,
ein junges holdes Mädchen küsst den sicher nicht -
so mancher schläft in seinem harten Bett allein
drum möcht`ein solcher Mensch ich niemals sein.
Doch kommt das Alter später einmal dann,
lässt keine Junge, Schöne, den Alten
den Kranken-Siechen an sich heran -
das ist der Männer allgemeines Los,
was klagt ihr jetzt verfrüht ganz groß
um der schönen Maiden eingebüßten Schoss?
Vor treuer Mädchen Glut
(man hörte einst aus alter Zeit davon) -
da zieh ich meinen Hut...
Drum treulos altes Mädchen, gib mir keinen letzten Kuss,
denn ich bin jetzt alt und krank, kein junger Sultanuss - -
Ihr immer noch
unbrauchbaren falschen und unwahren Trinkbrüder -
schenkt mir jetzt nichts mehr ein -
denn euer fideler Trink-König
wollt`ich schon lange nicht mehr sein.
Weiß jemand, welches das Lied war, das Hr. Halmburger (Fanni's Vater) als sein Lieblingslied gespielt hat? Es war englisch & so schnell konnte ich mir den Text nicht merken. Toller Song! Tolle Inszenierung!
Da agieren ein paar weithin unbegabte Frauen mit ihren eigenen Vätern, ohne daß jedoch irgend eine Beziehungsintimität spürbar würde. Wirkliche Schauspieler würden so etwas einfach spielen.
Das an sich interessante Thema Alter, Erben, Pflege, Hinfälligkeit wurde nur minimal erhellt, eine Aussage hat sich nicht erschlossen.
Fazit: Peinlichstes Selbstverwirklichungstheater auf Kosten jeder ernsthaften Geistigkeit oder Gefühlsqualität.
(...)
Das Performance-Kollektiv She She Pop kehrt gemeinsam mit ihren Vätern zur letzten Berliner Wiederaufnahme von „Testament“ zurück, das 2010 hier Premiere feierte und ein Jahr später zum Theatertreffen eingeladen war.
Ausgehend von Shakespeares „Lear“ verhandeln die Töchter (Mieke Matzke und Ilia Papatheodorou) und der Sohn (Sebastian Bark) aus dem „She She Pop“-Kollektiv das schwierige Verhältnis zu ihren Vätern.
Immer wieder werden Ausschnitte aus den Proben im Sommer/Herbst 2009 dazwischengeschoben/nachgespielt: den Vätern ist das deutliche Unbehagen anzumerken, so persönliche, familiäre Angelegenheiten als Seelenstriptease auf offener Bühne zu verhandeln. Ihnen ist auch der gesamte Ansatz ihrer Kinder suspekt: Mit den Regisseuren Peter Stein, Giorgio Strehler oder Peter Brook können sie viel mehr anfangen als mit den Auftritten ihres Nachwuchses.
Obwohl sich „Testament“ mit sehr intimen Fragen auseinandersetzt, sie sogar frontal und mit offenem Visier angeht, lässt der Abend allen Beteiligten ihre Würde. Er hält die Balance, spart ernste Themen wie die Pflege der in einigen Jahren vielleicht bettlägerigen oder gar dementen Eltern nicht aus, zwingt zur Auseinandersetzung mit Fragen, die man im Alltag gerne wegschiebt, bietet aber immer wieder auch komische Momente. Ein Beispiel ist die minutiös mit Taschenrechner kalkulierte Aufstellung von „Enkelzeit“: die kinderlosen Performer rechnen nach, wie viel die 68-Eltern-Generation in ihre Enkel investiert: vom Baby-Sitting über gemeinsame Ausflüge in Zoo oder Kino bis zu kleinen Geschenken.
„Testament“ ist bis Sonntag noch drei Mal in Berlin zu erleben: ein nachdenklicher Abend, der in seinen vielen, ausufernden Facetten zwischen Zukunftsvisionen, Retrospektive, kleinen Slapstick-Nummern und Songs manchmal etwas zu beliebig zu werden droht, aber doch stets zu seinem Thema zurückfindet: dem Gespräch auf Augenhöhe zwischen zwei Generationen über das Älterwerden, über das Erben und über den Tod. Nicht zuletzt auch über die vielen kleinen Verletzungen, die sie sich in den vergangenen Jahrzehnten mal mehr, mal weniger bewusst zugefügt haben.
Kompletter Text: http://kulturblog.e-politik.de/archives/26838-blicke-zurueck-im-zorn-testament-von-she-she-pop-und-michael-eberths-theatertagebuecher-einheit.html