Zig Zig - Die ägyptische Regisseurin Laila Soliman lässt am Berliner Hebbel am Ufer fünf Frauen um ein historisches Ereignis mäandern
Wahrheit erspielen
von Simone Kaempf
Berlin, 27. April 2017. In den letzten Minuten versagt die Übertitelung aus dem Arabischen. Vielleicht hat Regisseurin Laila Soliman die Übersetzung auch bewusst abgeschaltet, und am Ende spricht nur noch die Musikerin, die ihre Geige zupft und mit dem Fuß immer langsamer aufstampft. Die Botschaft ist an dem Punkt eh' unmissverständlich: in ihrem Ringen um eine historische Wahrheit haben die Frauen auf der Bühne keine Chance. Was bleibt, sind melancholisch-atmosphärische Klänge und die bange Frage einer der Frauen, wie man allein auf sich zurückgeworfen mit den widersprüchlichen Erinnerungen denn nun umgehen wird.
"Zig Zig" heißt Solimans neuer Abend, der einen Gerichtsprozess aus dem Jahr 1919 als Material nutzt. Angeklagt waren britische Soldaten, die ein ägyptisches Bauerndorf überfallen hatten, die Häuser ausraubten und Frauen vergewaltigt haben sollen. 12 Frauen sagten damals als Zeuginnen gegen die Besatzungsmacht aus. Ein zutiefst mutiger Schritt – damals wie heute. Der Prozess endete trotzdem mit Freispruch.
Detailfragen wie Gewehrsalven
Als historisches Ereignis klingt dieser Handlungsrahmen im ersten Moment maximal weit weg etwa von der Dokumentartheaterarbeit "No Time for Art 0 & 1", in der Soliman vor fünf Jahren die ägyptische Revolution verarbeitete und damit auch in Deutschland bekannt wurde. In dem Stück saßen vier Frauen auf der Bühne, verwebten Augenzeugenberichte während im Hintergrund TV-Nachrichten vom Tahrir-Platz eine andere Version der Geschichte erzählten. Dieser Zugriff findet sich ähnlich in "Zig Zig".
Nur sind es jetzt Faksimile-Auszüge der originalen Gerichtsakten, die Soliman an die Wand projiziert und damit Prozess-Szenen illustriert, die die vier Performerinnen halbdokumentarisch erspielen. An kleinen Sitzpulten sitzen sie und nehmen sich gegenseitig ins Kreuzverhör. Die Aussagen der Angeklagten sind ausgespart. Nur die Zeuginnen sprechen, aber das mit Rechtfertigungszwang.
Von Anfang an werden sie hart in die Zange genommen. Hörte die Mutter die Schüsse, bevor die Soldaten das Haus betraten oder danach? Waren es fünf oder sechs Männer? Detailfragen, die sich wie Gewehrsalven wiederholen. Die Augenzeuginnen verheddern sich in Widersprüche, jeder Widerspruch geht auf Kosten ihrer Glaubwürdigkeit.
Militärisch-patriarchische Strukturen
In schlichter Dokumentartheaterästhetik inszeniert Soliman die zum Scheitern verurteilte Wahrheitssuche. Die PerfomerInnen treten in casual Alltagskleidung auf, sitzen an kleinen Pulten, ein schlichtes Spiel untermalt mit Musik und einer Tanzchoreographie, die einsetzt, wo ihre Sprache versagt. Kurz ist der Abend, fast bescheiden in seiner Ästhetik jenseits eines tagespolitischen Geschehens. Und doch mit erhöhtem Alarmpegel für die Willkür, der die Frauen ausgesetzt waren.
Soliman zielt mit den Kreuzverhör-Szenen schon sehr treffsicher auf die Machtgefälle solcher Situationen. Streckenweise denkt man, dass es sich eigentlich um Haft und Gefängnisverhöre handeln könnte. Und auch das schwierige Feld der Diskussion um sexuelle Übergriffe öffnet sich, viele Fragen offen lassend. Warum die Aussagen der Frauen angezweifelt werden, folgt hier keiner Erklärung. Es ist immer noch so, Punkt. "Zig Zig" wirkt selbstbewusst und klar in seiner Erzählung, wie patriarchisch-militärische Strukturen, ob islamisch oder nicht, den Frauen keinen Zentimeter zuviel schenken.
Pessimistische Einschätzung
Soliman lässt in den unerbittlichen Richterfragen die Zweifel an den Zeugenberichten der Frauen stets mitschwingen. Instrumentalisiert ihre Aussagen immer wieder gegen sie. So steht es vermutlich in den Gerichtsprotokollen – oder verstärkt der Abend die Wirkung? Beides vermutlich. Als große Gemeinschaftsproduktion war "Zig Zig" bereits auf etlichen Festivals zu sehen und lief auch in Kairo. Beim Gastspiel in Berlin wirkt am stärksten, wie pessimistisch und vergeblich die Regisseurin die Situation der Frauen einschätzt, die unbequeme Aussagen wagen; gerade, weil Soliman davon nicht fatalistisch, sondern schlicht und klar erzählt, auch wenn sie das Dokumentartheater nicht neu erfindet, aber als Form elegant für sich zu nutzen weiß.
Zig Zig
Regie: Laila Soliman, Produktionsleitung & Schauspiel-Coaching & Lichtdesign: Ruud Gielens, Kostüme: Lina Aly, Recherche: Katharine Halls.
Mit: Mona Hala, Reem Hegab, Sherin Hegazy, Zainab Magdy, Nancy Mounir.
Dauer: 1 Stunde 15 Minuten, keine Pause
www.hebbel-am-ufer.de
Mehr zu Laila Soliman: Julika Bickel traf die Regisseurin für nachtkritik.de.
Kritikenrundschau
in der Berliner Zeitung (3.5.2017) schreibt Doris Meierhenrich: Die "Wahrheit der konkreten Blicke" breche den "westlichen Machtdiskurs". Das Stück erzähle "wichtige Gegengeschichten" zur durch die britische Kolonialmacht vor Jahrzehnten "offiziell abgehefteten". Hochinteressant, "wenn auch performativ ausbaufähig".
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