Die spanische Fliege - An der Berliner Volksbühne legt Herbert Fritsch den Boulevardklassiker flach
Adornos Trampolin
von Wolfgang Behrens
Berlin, 29. Juni 2011. "Geh außen herum, sagte der Krumme." Ja, zugegeben, das ist nicht aus der "Spanischen Fliege", es ist ein Zitat aus Ibsens "Peer Gynt". Vielleicht aber taugt der Satz dazu, den Weg von Herbert Fritsch zu charakterisieren. Denn als dieser vor ein paar Jahren nahezu unbemerkt die Berliner Volksbühne verließ, deren Profil er als Schauspieler über lange Zeit entscheidend mitgeprägt hatte, da war wohl niemandem klar, wohin die Reise gehen und ob sie je an die Volksbühne zurückführen würde.
Herbert Fritsch ging außen herum. Er mied die Metropolen und tingelte in neuer Funktion, als Komödienregisseur, durch die Provinz. In Halle, Oberhausen, Wiesbaden oder Schwerin trieb er eine Posse nach der anderen in den Zustand der Raserei, bis auch die Hauptstadt wieder auf ihn aufmerksam wurde: Zwei Einladungen zum diesjährigen Theatertreffen in Berlin waren die Folge. Doch erst gestern, als Fritsch zum geradezu hysterisierten Schlussapplaus seines neuesten Regiestreiches, der "Spanischen Fliege", von Schnüren gehalten wieder auf der Volksbühnen-Bühne einschwebte, stellte sich das Gefühl ein, das alles sei nur ein großer Umweg gewesen und Fritsch sei von Beginn an seinem angestammten Hause entgegengereist.
Mit Karacho vor die Wand
Am Ende also stand grenzenloser Jubel für den Heimkehrer. Dabei hatte der eigentlich nichts Anderes gemacht als in den Jahren zuvor in der Provinz auch: Er hat sich ein Stück hergenommen, das wohl den Scherz kennt, aber nicht die tiefere Bedeutung. Und das er nun zwei Stunden lang mit Karacho vor die Wand fahren lässt, bis nichts mehr übrig ist außer der nackten Komik. An der Volksbühne steht Fritsch für dieses jeden Sinn verabschiedende Beginnen immerhin ein Ensemble zur Verfügung, wie man es sich irrer nicht wünschen könnte – weshalb man den entfesselten Fritsch-Nonsens wahrscheinlich noch nirgendwo reiner erleben konnte als hier.
In dem 1913 uraufgeführten Schwank "Die spanische Fliege" von Franz Arnold und Ernst Bach hat Fritsch eine ideale Steilvorlage gefunden: Überaus honorige Bürger geraten hier genreüblich von einer grauenhaften Verlegenheit in die andere, weil sie stets die Situation verkennen und jedermann für jemanden halten, der er nicht ist – und weil all diese Hochanständigen mindestens eine Jugendsünde unter den Teppich gekehrt haben (in diesem Fall die Affäre mit einer spanischen Tänzerin, aus der vermeintlich ein Kind hervorgegangen ist, zu dessen Vaterschaft sich die Herren gleich reihenweise berufen bzw. gedrängt fühlen).
Wie Grobi aus der Sesamstraße
Eben dieser Teppich des bürgerlichen Salons aber – sozusagen der sozialkritische Minimalkern des Stücks – bildet, ins Gigantische vergrößert, das genial einfach ersonnene Bühnenbild der Inszenierung: Die riesigen Wellen, in denen der Teppich in der Tiefe der Bühne ausläuft, formen sich zur Berg- und Talbahn, die den Slapstick geradezu herausfordert. Zumal in einer Falte ein Trampolin verborgen ist, welches die Schwerkraft der Bühne gewissermaßen aufzuheben scheint.
Auf dieser Spielwiese also tollen, dotzen und hüpfen sie heran, die aberwitzigen Spieler des Abends. Wolfram Koch etwa, der den Mostrichfabrikanten Klinke gibt: Die ständige Angst vor der Entdeckung seines Fehltritts übersetzt Koch in so enervierende wie hochnotkomische Dauerbewegungen. Wie Grobi aus der Sesamstraße hechelt er auf und ab und hin und her, und sein bei Arnold und Bach bis zum Überdruss wiederholter Ausruf "Ich leg' mich lang" wird natürlich wörtlich genommen und – vom Trampolin noch beschleunigt – für virtuose Falletüden genutzt.
Slapstick-Fibel und Komik-Lexikon
Sophie Rois mimt seine sittenstrenge Gattin: In einem Traum von einem mostrichgelben Puffärmelkleid tippelt sie großartig wie ein auf Speed gesetzter Robert-Wilson-Scherenschnitt über den Teppich, während sie mit großem Aplomb Plattitüden krächzt. Würde es nicht jeden Rahmen sprengen, man müsste sie alle beschreiben: das begnadete Komiktalent Bastian Reiber als Heinrich, dem als vermeintlichem Bastard so übel mitgespielt wird; die als Alberich aus dem Münster-"Tatort" bekannte, kleingewachsene ChrisTine Urspruch, deren himmelhohe Marquise-de-Merteuil-Perücke einen enorm komischen Effekt macht, und und und …
Es ist eine Art Slapstick-Fibel, die Herbert Fritsch mit all diesen zum Furor des Chargierens befreiten Darstellern aufblättert, ein Lexikon der Komik: Da sind die Marx Brothers so präsent wie Laurel und Hardy, wie Chaplin, Harold Lloyd oder Buster Keaton. Und nicht zuletzt scheint sich Fritschs Ästhetik aus frühen Zeichentrickfilmen zu speisen. "Die Trickfilme waren einmal Exponenten der Phantasie gegen den Rationalismus", schrieb Adorno in der "Dialektik der Aufklärung" und begriff ihre Verfahrungsweisen als nur im Medium des Films mögliche Fortsetzung der slapstick comedy.
In einer wahnwitzigen Volte haben nun Herbert Fritsch und sein Trampolin die irrationale Phantasie der Trickfilme wieder zurück auf die Bühne gebracht: Als wären Tom und Jerry Fleisch geworden, so jagen, treten und prügeln sich auch Fritschs Figuren, und – noch einmal Adorno, gleiche Stelle – "unterm Hallo des Publikums wird die Hauptgestalt wie ein Lumpen herumgeschleudert". Das ist zum Totlachen. Nicht mehr und nicht weniger. Und wenn Fritsch ganz am Ende mit ansteckend guter Laune unter den Seinen steht und die Ovationen entgegennimmt, dann möchte man am liebsten eines: Mitspielen!
Die spanische Fliege
von Franz Arnold und Ernst Bach
Regie und Bühne: Herbert Fritsch, Kostüme: Victoria Behr, Licht: TorstenKönig, Musik: Ingo Günther, Dramaturgie: Sabrina Zwach.
Mit: Wolfram Koch, Sophie Rois, Mandy Rudski, Hans Schenker, Inka Löwendorf, Werner Eng, Christoph Letkowski, Harald Warmbrunn, Stefan Staudinger, ChrisTine Urspruch, Bastian Reiber, Betty Freudenberg.
www.volksbuehne-berlin.de
Diese Inszenierung wurde von den Lesern für das virtuelle nachtkritik-Theatertreffen 2012 ausgewählt.
"Bestes Boulevardtheater" heißt es in der Unterzeile von Irene Bazingers Rezension in der FAZ (1.7.2011). Fritsch halte sich im Vertrauen auf die bestens geölte Dramaturgie dieses Komödienklassikers eng an die Textvorlage und wenn die keine Pointe biete, werde einfach rasch eine erfunden. "Indem sie den groben Unfug des Stücks ernst nehmen, gelingen Herbert Fritsch und dem Ensemble eine mitreißend leichtfüßige Aufführung wie aus einem Guss, die so komisch wie absurd ist - und zum Lachen gut."
"Eins ist klar", beginnt Ulrich Seidlers Eloge in der Berliner Zeitung (1.7.2011), "mit Herbert Fritsch, dem einstigen Volksbühnen-Schauspieler, derzeitigen Volksbühnen-Regisseur und vielleicht ja sogar künftigen Volksbühnen-Retter, hat der Theaterbetrieb sein derzeit wirksamstes Wundermittel gefunden.". Noch triumphaler als beim Theatertreffen sei nun die Heimkunft an seine geliebt-gehasste Volksbühne geraten. Auf der Bühne sind "alle toll, aber Wolfram Koch ist hierin der Meister. Er macht den Gründgens, rennt gegen Scheinwerfer, brüllt in extra herbei geschaffte Mülleimer, hat was im Gesicht oder am Hacken zu kleben, stößt seine Verdutzungsaufschreie und Missfallensbekundungen mit prächtigen Koloraturen aus." Ein P.S. schickt Seidler seinem Text auch hinterher: "Der interpretatorische und hermeneutische Teil sowie Aussagen über die gesellschaftliche Relevanz dieses Theaterabends lassen wir für diesmal entfallen. Aber bitte, wenn die Sommerpause vorbei und das Zwerchfell halbwegs abtrainiert ist, machen wir genau an dieser Stelle weiter."
Eigentlich passiere nichts weiter, als dass jeder jeden so lange verwechselt, missversteht und unter den Teppich kehrt, bis der vermeintliche Sohn mindestens fünf Väter vorweisen kann und im honorigen Senffabrikanten-Haus völlig entfesselt um sich geschlagen, beleidigt und geslapstickt wird, bescheibt es Christine Wahl im Tagesspiegel (1.7.2011), die eine "komplett sinnfreie Angelegenheit" sah, die allerdings "handwerklich derart gut gemacht und perfekt getimed ist, dass man sich bereits bei der Lektüre totlacht: definitiv unter Niveau, aber mit immenser Lust." Der Großteil der Komik speise sich daraus, dass Fritsch ohne Scheu vor Brachialplattheiten den Text beim Wort nehme – und seine Akteure die Kunst der sinnfreien Klamotte zum Niederknien beherrschen.
Es sei die "Panik der sittenstrengen Lebenslügenbastler", die Fritsch "auf hysterische Höhen treibt", schreibt Anne Peter in der taz-Berlin (1.7.2011). Man müsse seine Volksbühnen-Heimkehr "einen Triumph nennen", lange sei in diesem Haus nicht mehr "so viel von Herzen gelacht und zwischenapplaudiert" worden. Momentweise sprenkele Fritsch "eine Prise Ernst in den Schabernack, wenn Hans Schenkers Reichstagsabgeordneter in Hitler-Sprech oder in ‚Allah’-Gebetsposen verfällt". Insgesamt dränge das Fritsch-Theater jedoch "gen pure Artistik, die den Diskurs mit Absicht verweigert". Fritsch übertünche dem "Boulevardkracher" mit noch mehr "Komödienschmiere", zeige dabei aber auch, "wie die brutale Bestie Mensch ausbricht, sobald die säuberlich gezimmerte Fassaden-Existenz oder Wunschtraumfantasie zusammenzubrechen droht".
"Der ganze Abend sieht aus wie ein Theaterpennäler-Streich, in dem die aschfahl wankenden (ihrerseits schon aus Stummfilmen wie 'Nosferatu' geklauten) Figuren einer durchschnittlichen Bob-Wilson-Inszenierung plötzlich unter Starkstrom gesetzt werden. Denn nach Herbert Fritschs Formel ist der Theaterfortschritt volle Clownspower plus Elektrifizierung", so Wolfgang Höbel in seiner Besprechung auf Spiegel online (30.6.2011). "Die spanische Fliege" erweise sich als genau der Komödienbrüller mit Kunstbeilage, auf den sehr viele Berliner Theaterfreunde lange, entbehrungsreiche Jahre gewartet haben.
Herbert Fritsch vollende mit seinem tollen Ensemble als Regisseur das, was er als Schauspieler in Castorf-Inszenierungen vor Jahren am selben Haus nur skizzieren konnte: Theater als puren Slapstick, so Eberhard Spreng in Fazit auf Deutschlandradio (29.6.2011). "Und weil er alle Register zieht und das ganze Repertoire des Genres beherrscht, ist das einen ganzen Theaterabend lang urkomisch. Bei der Premiere feierte das Publikum Herbert Fritschs Comeback an die Volksbühne."
Grandiose Szenerie, popkonzerthafte Begeisterung beim Schlußapplaus: nur Superlative vermeldet Michael Laages in der Sendung Kultur Heute vom Deutschlandfunk (30.6.2011). Das größte Verdienst von Herbert Fritsch sei jedoch, dass er die Volksbühnenschauspieler wieder in Wallung bringt, "dass er mit und in ihnen allen eine Art Feuer entfacht, dass sonst nicht immer leuchtet in und an und mit ihnen."
Fritsch widme sich dem Schwank, "in dem die Pointen mit dem Holzhammer niederkrachen", "liebevoll und textgetreu", schreibt Peter Laudenbach in der Süddeutschen Zeitung (4.7.2011). Die Doppelmoral sei bei Arnold und Bach "kein Grund, sich aufzuregen, sondern eine Selbstverständlichkeit, immer geeignet, dem Affen Zucker zu geben". Besonders angetan ist Laudenbach vom Ganzkörpereinsatz Kochs; eine Entdeckung sei der junge Bastian Reiber. "Die sehr lässig und perfekt absolvierten Slapsticknummern werden gerne mal überdreht und überdehnt ins völlig sinnfreie Spiel." So setzt Fritsch statt auf eine "wohl kalkulierte Ökonomie der Pointen" lieber auf Verschwendung und Übertreibung. Der Plot ist "lediglich der Vorwand, um ausgiebig Quatsch zu machen – das aber bei allem Übermut in Formvollendung". Übertrieben ist das ganze Spiel (...): Zugleich stilisiert und sehr frei, halb alte Oper, halb Vaudeville und immer die Parodie darauf." Fazit: ein "tolles Antidepressivum und Gute-Laune-Knallbonbon".
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Denn nun geht sie los unsere Polonäse,
Von Blankenese bs hinter Wuppertal
-Am Kamener Kreuz rechs ab-
Wir ziehen los mit ganz großen Schritten,
Und Erwin faßt die Heidi von hinten an die ..Schulter
Das hebt die Simmung, ja, da kommt Freude auf.
Aber je länger der Abend sich hinzieht, desto fahler werden die Scherze. Die Übertreibungen werden irgendwann vorhersehbar, running gags kommen schleppender und ich machte mir irgendwann nur noch Gedanken über blaue Flecke und Schürfwunden an den armen Schauspielerknien.
Doch, mir fällt gerade ein; bei der "Möwe" (Gosch) war dies ebenfalls so voll....
ps. Herronimus Gosch bitte Jott sei seiner Seele gnedig .. dit fällt meiner einer noch ein
und denne jueglich in de feerjennn
ps zwee und dit Bild det der haerbert als kleener theatergallier in nenn koksfass jefallen is find ick nich so aecht witzig wa, aber lachen tu ick mir och
Da wird wieder mal die Subversion des Lachtheaters unterschätzt.
Guckt Euch doch zum Beispiel Sophie Rois an: die Moraltante, die alles "weiß" und trotz ihrer Schnüffelei, die der einzige Lebensinhalt dieser leeren Existenz ist, hat sie selbst am Ende, wo alle verstehen, als einzige nichts durchschaut. Solche Moraltanten männlichen und weiblichen Geschlechts, die immer alles ganz genau wissen, laufen doch hordenweise durch unseren Alltag und sind eine Pest.
Na: und dann die Doppelmoral. Ich sage nur: Guttenberg, Schulze-Mehrin, Leopard, Syrien... Wenn das nicht aktuell ist.
Das Schöne am Lachtheater ist, dass es einen eigenen Kosmos als Symbol auf die Bühne stellt, das nach poetischen Regeln funktioniert (siehe Chaplins "The Great Dictator") und wo es dem Zuschauer überlassen bleibt, sich die Freude der Nutzanwendung selber zu machen. "Das Publikum möchte nicht bevormundet werden", hat Brecht als 1. Gebot über sein Theater geschrieben. Es ist schön, wenn uns ein Regisseur bei einem ausgeleierten oder schwerverständlichen Stück durch Regie auf die Sprünge hilft und eine kräftige Deutung inszeniert. Es ist aber auch schön, wenn ein Regisseur seinen Zeigefinger nicht auf die entscheidenden Stellen legt, sondern uns mehr oder weniger sichtbar dazu führt, sie selbst zu entdecken.
Und zum Publikum: Verachtet mir die Alten nicht. Hoffentlich kommen die jetzt, weil es ihnen so gut gefallen hat, auch in die Volksbühne, wenn "Nach Moskau" oder "Kameliendame" oder Pollesch gespielt wird.
3. Die wunderbaren Volksbühnen-Schauspieler haben (wieder mal!) gezeigt, dass sie das, was die Kudamm-Bühnen, Renaissance-Theater, Schlossparktheater e tutti quanti wollen, schon lange kann. Nur viel, viel, viel besser. Also: wenn die jetzt noch mal hämisch auf die Volksbühne zeigen, (...).
Auch (...) Peymann. Ich meine, "Der Parasit" am BE war nichts Anderes, nur eben nicht so gut.
Auch ich bin der Meinung, dass „Die (s)panische Fliege“ nicht nur sinnfreier Klamauk ist. Der Gedanke mit der Subversion des Lachens kam mir auch. Ich habe versucht Parallelen zu Castorfs „Pension Schöller“ aus dem Jahr 1994 zu ziehen. Damals war Herbert Fritsch ja noch als betörender Schlangen-Nackttänzer mit auf der Bühne. Wo Castorf dem deutschen Kleinbürger mit Hilfe von Kartoffelsalat und Heiner Müller zu Leibe rücken wollte, müht sich Fritsch nicht mit theorielastiger Sinnsuche ab, sondern nimmt ihn als gegeben hin und setzt auf die Subversion des befreiten Lachens. Alles erklärt sich aus den Figuren heraus, der moralische Zeigefinger bleibt stecken. Aber auch das ist ein Prinzip, das man nicht unendlich weiterführen kann, ich hoffe das Fritsch Fliege keine Eintagsfliege bleibt. Über die neue Spielzeit an der Volksbühne ist noch nicht viel bekannt, außer das Marthaler und Leander Haussmann zurückkehren. Wo bliebt da die notwendige Innovation?
Lachen ist utopisch. Es gibt nur zwei Alternativen: Wegschauen oder zynisch werden. Ersteres beschreibst Du. Letzteres führt zu Vereinsamung (Verzicht auf Handeln, Kommunikation) oder Terrorismus (kein Verzicht auf Handeln). Da es ohnehin schon zuviel Gewalt im Großen wie im Kleinen gibt, wäre es besser, wenn immer mehr Menschen immer gelassener würden und Finger auf Wunden legen (Dinge zur Sprache bringen) würden, ohne gleich die Sünde (und das heisst realiter: die Sünder) ausrotten zu wollen. Und damit sind wir bei der politischen Relevanz einer Tugendterroristin wie Madame Klinke, auch wenn sie nicht wie Baader-Meinhof mit Bomben agiert, sondern mit der Organisation von gesellschaftlicher Häme. Wir lachen, weil die Bomben fehlen. Sonst würden wir heulen. Und es ist gut so, dass wir uns nicht kleinkriegen lassen von solchen Typen, auch wenn die Lage immer wieder aussichtslos zu sein scheint.
So einen Gesinnungswandel durch Lachen und den Versuch, Haltung zu bewahren, eine friedliche Revolution, hielte ich für viel revolutionärer als die Mordbuben. Aber das ist natürlich das alte Marxsche, Büchnersche, Müllersche Dilemma: wird das Bewußtsein jemals stark genug sein, das Sein zu verändern? A la longue, natürlich. Das zeigt die Geschichte, die eine Folge von Mentalitätswandeln ist. Aber wo ist die Grenze, wo wird es in der Gegenwart zur Pflicht, Widerstand gegen Unrecht zu leisten? Wir feiern jeden Widerständler im Dritten Reich und tun so, als ob wir die Mehrheit nicht verstünden, die weggeschaut, arrangiert, ihren kleinen Profit gemach hat. Oder aktueller: Mit frommen Wünschen können sich die Libyer von einem Mordkapitalisten wie Ghadaffi nicht befreien. Aber die Kehrseite des Aktivismus ist eben der "Fatalismus der Geschichte", der zu nichts als einer unendlichen Kette von Gewalt und Gegengewalt führt.
Fazit: Lachen ist nicht DIE Lösung aller politischen Probleme, aber es ist EINE Lösung, die aus den genannten Gründen auf das Große Reinemachen verzichtet zugunsten des möglichst weit um sich greifenden Kehren vor der eigenen Haustür. Lachen ist politisch, aber es ist genauso wenig Patenrezept wie in die Hände spucken und mit dem Rasenmäher kaputt machen, was einen kaputt macht. Da rollen dann nämlich auch die Köpfe Unschuldiger...
Lacht lieber über die Klinkes, statt zu versuchen, sie auszurotten.
Komplette Kritik: http://stagescreen.wordpress.com/
Subversion des befreiten Lachens, Herr Stefan? Sie bleiben, wie alle anderen auch, den Nachweis schuldig, warum das Lachen an der Volksbühne subversiv sein soll, und das am Kudamm-Boulevard oder das bei Mario Barth nicht.
Bitte mich nicht falsch zu verstehen: Fritschs Fliege ist gewaltig komisch. Aber sie ist nicht mehr - deutelt nicht zuviel daran herum, das ist lächerlich.
das Schöne an Fritsch ist ja, dass man ihn in vielfältiger Weise goutieren kann, das war ja schon beim Biberpelz ssehen. Ich kann das als pure Unterhaltung auffassen und dann ist es wirklich gute Unterhaltung. Fritsch zieht aber immer noch die eine oder andere Ebene mehr ein und dann kann es schon passieren, dass einem das Lachen mal kurz im Halse stecken bleibt. Ob das so befreiend ist, bin ich mir allerdings nicht sicher. Hochintelligent ist das allemal.
Das ist im Übrigen meine Meinung, Sie dürfen eine andere haben. Ich würde mir jedoch wünschen, dass Sie diese nicht als Tatsache deklarieren und auch anderen Ansichten zumindest Respekt entgegenbringen.
Ach ja, und unterschätzen Sie mir mal nicht die Tiefgründigkeit von Donald Duck.
Also jetzt reicht es ! Tun sie doch nicht so als als könnten sie Lachen unterscheiden !
Mein Gott das ist so deutsch ! Nur Deutsche haben Zweifel am eigenen Vergnügen .
Ja, keine Angst , ich gehe. Wollte eigentlich öfter hier mal was schreiben aber nein . Nachdem was hier für Schwachsinn über eine anscheinend ganz gute Show geschrieben wird , kann ich nicht mehr . Gott ist das traurig ! Was ist los in diesem Land ? Es gibt doch nur gutes , also lustiges , und schlechtes Boulevard ! Warum sollte das an der Volksbühne anders sein ? Sie schämen sich für ihr Lachen ? Gott ist das traurig !
Bloß die rheinische Karnevalsgesellschaft, die ist eben nach wie vor nicht subversiv, weil sie staatlich "verordnet" ist und nicht überraschend und unerwartet in das repräsentative System einbricht.
bitte inszenieren Sie "Alt-Heidelberg"!
Herzliche Grüße
eine Komödie ist eine Komödie. Im besten Fall ist sie sehr unterhaltend, witzig, komisch und voller Überaschungen. Im besten Fall muss ich lachen und weinen und vergesse die Welt für die Zeit, die die Komödie dauert. Die spanische Fliege ist eine solche Komödie. Unpolitisch ist sie, wenn man erwartet, dass man Baudrillard oder Heiner Müller einbauen muss, damit etwas politisch wird.Versteht man "politisch" jedoch intelligenter, nämlich, so, dass erstens die Art, wie etwas entseht politisch ist und zweitens, dass das Individuum beobachtet werden kann, wie es sich zu und in einer Gruppe verhält und dies als politischer Akt gedeutet werden kann, dann ist die Inszenierung von Herrn Fritsch sehr viel POLITISCHER, als das ganze vermeintlich politische, das man landauf landab dem Publikum vorsetzt.
Fritsch hat einen sehr eigenen Regiestil und ein sehr eigenes Theaterverständnis. Dies sieht man an der Fliege. Entweder es gefällt oder eben nicht. Dass man die Inszenierung aber mit Privat-fernsehformaten der dümmsten Herkunft vergleicht, lässt tief blicken. Ich würde zu gerne die Parallenen von Hausmeister Krause und der spanischen Fliege erkennen können, dann hätte ich viel mehr Lust fernzusehen.
Ich stimme Ihnen zu, dass bei Fritsch etwas anderes passiert alt in den Comedy-Formaten im Fernsehen. Ich stimme Ihnen auch zu, dass Fritsch weder jedem gefallen kann noch muss (mir gefällt's).
Wo ich aber energisch widerspreche ist bei Ihrem Verständnis des Politischen. Was soll das heißen, dass die Art, wie Fritschs Theater entsteht, politisch ist? Das scheint mir eine Hülse zu sein, die für nichts steht. Und "dass das Individuum beobachtet werden kann, wie es sich zu und in einer Gruppe verhält und dies als politischer Akt gedeutet werden kann" - auch das ist völlig schwammig und kann im Grunde immer und auf alles angewandt werden, insbesondere auf jede Theateraufführung, auch auf eine von Peter Stein oder von Luc Bondy.
Diese dialektischen Bestimmungen des Politischen, die man hier auch anderswo findet, nerven: "Weil Fritsch auf so explizite Weise nicht politisch ist, ist er schon wieder politisch ..." Ja, ja, ja ... Schaut da doch bitte noch einmal genauer hin, diese Erklärungen hinterlassen nur Leerstellen.
Ääääääh? .... Ach soooo!......Ääääääh? .... Ach soooo!......Ääääääh? .... Ach soooo!......Ääääääh? ....
Die Spanische Fliege ist so ziemlich das Lustigste, Genialste, Volksaufklärerischste, was ich in vielen Jahren auf deutschen und internationalen Bühnen gesehen habe.
Volksaufklärerisch?
Ja, man kann sogar die Soziologie des Nachtkritik-Blogs damit dekonstruieren. Aber dazu müsste man eine ganze theaterwissenschaftliche Dissertation schreiben, um alles aufzudröseln, was in diesen 2 Stunden drinsteckt. Fröhliche Wissenschaft halt...
Mir blutet immer noch das Herz, dass Herbert Fritsch und Sabrina Zwack nicht Gorki-Theater-Intendanten geworden sind... Die hätten das Theater auf den Kopf gestellt, den permanenten Wahnsinn ausgerufen und die Verhältnisse zur Kenntlichkeit verulkt...
Liebes Fragezeichen: Sie sollten Emma Klinke heißen. Luuuuudwig! Ich weiss, wer der Vater ist... Äääääh?...
Nur in Sachen Gorki gebe ich Ihnen nicht recht. Ich denke Fritsch ist als freier Regisseur (derzeit noch) besser aufgehoben als im Intendanten-Korsett.
kann man es nicht auch so sehen?:
Im Moment hüpft Fritsch wie ein bunter Paradiesvogel von Stadt zu Stadt.
Mich würde interessieren, was herauskäme, wenn er - sagen wir - drei Jahre ein Haus kontinuierlich aufbauen müsste?
Welche Themen würde er setzen?
Wie würde sich sein Stil entwickeln?
Welche Schauspieler-Familie würde er engagieren?
Wie würden sie sich entwickeln?
Welche anderen Regisseure (Innen) würde er holen?
Würden sie einen Kontrapunkt zu seinem Stil setzen oder wären sie eher gleichgesinnt?
Wie würde er sich im ernsten Genre entwickeln?
(Denken Sie an seinen erschütternden Alex in "Clockwork Orange" vor 15 Jahren an der Volksbühne. Er kann auch ernst sein.)
All das sind Dinge, die sich nicht entwickeln, wenn er in jeder Produktion wieder bei Adam und Eva anfangen muss. Es wäre wirklich spannend, zu verfolgen, wie er etwas über einen längeren Zeitraum aufbaut.