Sardanapal - Volksbühne Berlin
Du holde Kunst!
22. April 2023. Ein ziemlich vergessenes Drama des englischen Dichters Lord Byron aus dem Jahr 1820 dient dem Schauspieler und Regisseur Fabian Hinrichs als Vehikel für eine ziemlich spektakuläre Kunst-Anstrengung im besten Sinne des Wortes. Mit Orchester und Tanz-Ensemble, ohne Benny Claessens.
Von Esther Slevogt
22. April 2023. Das Gegenteil von Kunst ist Rewe. Also, da so hinter der Kasse zu sitzen und acht Stunden lang monoton die Waren der andern über den Scanner zu ziehen. Piep. Piep. Piep. Piep. Obwohl man die drohenden Abgründe und Ausbrüche natürlich schon ahnen kann, wenn die Kassiererin im roten Rewe-Kittel so ein somnambules Geschöpf mit melusinenhaft zerzauster Frisur wie die Schauspielerin Lilith Stangenberg ist.
Die Sehnsucht nach dem Inkommensurablen
In der Schlange steht auch der Schauspieler Fabian Hinrichs – im konfirmandenhaften Abendanzug und Lackschuhen letzte Anklänge an ein fast schon zur Unkenntlichkeit geschrumpftes, verdruckstes Dandytum ausstrahlend. Und als der die Kassiererin anspricht, was sie denn so denken und träumen würde, haben wir den Salat: Sie antwortet ehrlich, schert aus dem formatierten Leben hinter der Kasse aus, streut jede Menge Sand auf die Erde, wälzt sich darin, während sie von Strand, Meer und Freiheit fantasiert.
Hinrichs sind wir an diesem Abend zuvor schon begegnet: als ausschweifend zu Disco-Musik ("Let The Music Play" von Barry White) Tanzendem, als Sänger, der inbrünstig neben Sir Henry am Klavier stehend voller falscher Töne Franz Schuberts Lied "An die Musik" schmettert: jene biedermeierliche Hymne von der "holden Kunst", die die grauen Stunden des Lebens umstrickt und den dort Gefangenen in eine bessere Welt entrückt. Wenn sie denn noch irgendwo aufzufinden wäre, in unserer schnöden Welt, die Kunst.
Von der Sehnsucht nach Kunst, nach dem Inkommensurablen und Unformatierten, handelt dieser ganze Abend, den Fabian Hinrichs auf der Basis eines ziemlich vergessenen Dramas des englischen Dichters Lord Byron in der Berliner Volksbühne inszeniert hat: "Sardanapal", 1820 geschrieben und Johann Wolfgang von Goethe gewidmet.
Mit Orchester, ohne Benny Claessens
Byron, der selbst ein kurzes und ausschweifendes Leben lebte, zwischen aristokratischen Privilegien und dem Überdruss daran, nutzte die Figur des sagenhaften assyrischen Herrschers Sardanapal für eine Art idealistisches Selbstporträt: des Herrschens müde, predigt Sardanapal seinem Volk, dass es nur essen, trinken und lieben solle. Alles weitere sei keinen Cent wert. Als an ihn die nicht ganz unberechtigte Forderung herangetragen wird, er solle gefälligst regieren, tritt er nicht etwa zurück, um Willigeren das Feld zu überlassen, sondern besteht auf sein Privileg, das er für Naturgesetz hält. Es kommt zu Aufstand und Krieg. Am Ende verbrennt sich Sardanapal auf seinem Thron selbst, um den Feinden nicht in die Hände zu fallen. Seine Geliebte, die Sklavin Myrrha, folgt ihm in den Tod.
Wie genau sich das von Byron explizit nicht fürs Theater geschriebene Drama in die Niederungen unserer Gegenwart hineinschrauben könnte, ließ sich in der Volksbühne nur schemenhaft erleben. Denn der Schauspieler, der Sardanapal wohl eigentlich spielen sollte, Benny Claessens nämlich, war kurz vor der Premiere ausgestiegen und Hinrichs spielte (teilweise mit Textbuch) alles selbst. Es gehe Claessens sehr schlecht, informierte die Dramaturgin Anna Heesen vor der Vorstelllung sybillinisch das Publikum. Eine Berliner Zeitung hatte da schon von einem Zerwürfnis zwischen Hinrichs und Claessens gesprochen.
Hinrichs als verdruckster Wiedergänger von Lord Byron fantasiert sich nun als Sehnsuchtsfigur diesen lebensgierigen wie destruktiven archaischen Herrscher herbei. Dazu gibt es Kostproben dessen, was er als Kunst heute offenbar für ebenso rettend wie gleichzeitig verloren hält – und wo doch dieses bacchantische Gefühl, jene unserer grauen Zeit des Meckerns und Sparens abhanden gekommene "Jouissance" aus der Perspektive dieses Abends noch aufgehoben ist: Chopins 2. Klavierkonzert, von Sir Henry am Flügel und dem Jugendsinfonieorchester des Berliner-Händel-Gymnasiums zum Niederknien schön dargeboten. Das berühmte Adagio aus Gustav Mahlers 5. Sinfonie, "I am Blue" von Eifel 65, Gedichte von Celan, Texte von Byron.
Große Freiheit
Immer ist alles ein bisschen zu schrill verehrend vorgetragen und präsentiert, so dass nie wirklich klar wird: Ist diese Kunst- und Lebenssehnsucht echt oder wird sie nur karikiert? Ist Hinrichs freiwillig oder nur unfreiwillig komisch? Aber in diesem linkischen Strecken nach der Kunst und dem Unmöglichen gelingt es dem Abend auch immer wieder, seltsam zu ergreifen. Benny Claessens ist aber offenbar in der Sorge ausgestiegen, sich mit dem Abend zu blamieren, und postete auf Instagram Böses.
Erst noch ein Phantom, nimmt Sardanapal in dem Potpourri zunehmend Gestalt an. Die Bilder werden üppiger. Engel mit riesen Flügeln kommen aus dem Zuschauerraum auf die Bühne und flattern mit ihren weißen Gewändern vor enormen satt-roten Vorhängen, die irgendwann dann aus dem Bühnenhimmel stürzen und blutroter Grund für alles Weitere werden. Es gibt artistische Nummern am Seil, und wenn der Krieg kommt, treten bunt gewandete Tänzer*innen mit Schwertern in Formationen gegeneinander an: Bühnentanz versus Streetdance. Manchmal weht ein Hauch von chinesischem Staatszirkus durch das Haus am Rosa-Luxemburg-Platz. Am Ende fahren Bühnenpodeste Meter hoch, als wollten sie eine Aztekenpyramide bilden. "Große Freiheit" steht darauf geschrieben. Feuer lodert vor dem Rundhorizont und Sardanapal und Myrrha (alias Fabian Hinrichs und Lilith Stangenberg) stürzen sich ins Nichts. In die Freiheit?
Zum vom Jugendorchester live gespielten Abba-Hit "Dancing Queen" tauchen dann alle zum Applaus wieder auf. "Was suchen wir?", fragt Fabian Hinrichs im Laufe des Abends irgendwann einmal, und man kann seine Inszenierung auch als Giga-Etüde über den Widerspruch feiern, dass Kunst und Zivilisation eben immer auch Zeugnisse von Barbarei und Zerstörung sind. Dass wir anders wollen, als wir können.
Sardanapal
von Fabian Hinrichs nach Lord Byron
Regie und Musik: Fabian Hinrichs, Bühne: Ann-Christine Müller, Fabian Hinrichs (unter Verwendung eines Motivs von Pola Sieverding), Kostüme: Tabea Braun, Martha Lange, Licht: Frank Novak, Einstudierung und Musikalische Leitung Orchester: Knut Andreas, Heike Scharfenberg, Choreografie: Christine Bach und Jeff Jimenez, Stunttrainer: Pat Pertz, Dramaturgie: Anna Heesen.
Mit: Fabian Hinrichs, Lilith Stangenberg, Sir Henry, Tänzerinnen: Christine Bach, Marten Baum, Danielle Bezaire, Martin Buczko, Davide de Biasi, Dennis Dietrich, Madlen Engelskirchen, Pauline Funke, Nele Hermann, Bianca Hüchtebrock, Iga Kowalczyk, Roman Lukyanchenko, Christine Wunderlich und Tänzer*innen des Flying Steps Diploma Programms, Musiker*innen: Preda Bazga und das Jugendsinfonieorchester Berlin am Georg-Friedrich-Händel-Gymnasium.
Premiere am 21. April 2023
Dauer: 2 Stunden 15 Minuten, keine Pause
https://www.volksbuehne.berlin
In ihrer Kolumne "Aus dem bürgerlichen Heldenleben" reflektiert Esther Slevogt zwei Wochen nach der Premiere noch mal über das (mediale) Echo dieses Abends.
Kritikenrundschau
Ulrich Seidler nennt den Abend in der Berliner Zeitung (21.4.2023) "unverwüstlich": "Es ist ein Theaterbankett, das des letzten assyrischen Königs würdig ist." Dem Publikum wehe die Sehnsucht nach künstlerischer Freiheit entgegen. Dass Hinrichs Claessens Partien mit Textbuch in der Hand übernehme funktioniere dank dessen Unerschrockenheit gut.
Als "völlig gescheitert" empfindet dagegen Rüdiger Schaper die Inszenierung im Tagesspiegel (22.4.2023). Die Premiere sei ein Desaster gewesen, wobei das eigentliche Problem darin liege, "dass Hinrichs diese Unterrichtsstunde in Hedonismus ernst meint." Sein Fazit: "So viel trinken kann man nachher gar nicht, wie man sich in Sardanapal winden muss."
Auch Georg Kasch sieht Hinrichs Regie-Versuch in der Berliner Morgenpost (22.4.2023) als gescheitert an: Hinrichs habe schon öfter bewiesen, dass er riesige Säle alleine füllen könne. In eigener Regie gelinge dies jedoch nicht. Sogar die herausragende Lilith Stangenberg wirke an diesem Abend "so hilflos, dass ihre sonst so rührenden Deklamationsgesten an Schmierentheater erinnern."
Als ein "Spiel mit angezogener Handbremse" empfindet Barbara Behrendt Hinrichs kurzfristig übernommene Szenen mit Textbuch auf der Bühne im rbb24 Inforadio (22.4.2023) und fragt sich, ob die Inszenierung nicht tatsächlich die "exaltierte Rampensau Benny Claessens" gebraucht hätte, um zu gelingen.
Hinrichs springe "nur um den viel zu hohen Sockel herum, auf den er seine Vorbilder gehoben hat", meint Eberhard Spreng im Deutschlandfunk (22.4.2023). Alles wirke wie "zufällig in einer Byron-Revue versammelt, durch die Hinrichs wie ein Conferencier führt". Nur einmal gelinge ihm ein großes Theaterbild: wenn sich das Tanzensemble unter einem gewaltigen roten Tuch zu einer geballten Masse versammle und Lilith Stangenberg sich davon wie von einer großen Naturgewalt empor tragen ließe.
"Dass die Anleihen bei der guten, alten Genieästhetik ein wenig muffig riechen, ist noch das kleinste Problem des konfusen Abends", schreibt Peter Laudenbach in der Süddeutschen Zeitung (24.4.2023). "Auch dass dem Regisseur am Tag vor der Premiere sein Hauptdarsteller Benny Claessens abhandengekommen ist, lässt sich verschmerzen, schon weil Benny Claessens vor lauter Selbstfaszination ohnehin immer nur Benny Claessens spielt." Für eines der größten Theater des Landes sei "dieser Abend des nicht unsympathischen Rumprobierens " dann aber doch "entschieden zu unbeholfen und ein bisschen zu selbstverliebt".
Simon Strauß von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (24.4.2023) schreibt, Hinrichs könne "nicht nur geistreich Pointen setzen, er kann auch inbrünstig Schubert singen, ausdrucksstark Schlagzeug spielen, Jive tanzen und an einer Münchner Rewe-Kasse als kontaktsuchender Zugezogener auftreten." Den Rewe-Kassen-Moment lobt Strauß sehr: "Der Hunger nach mehr als ein bisschen Zigarettenrauch und ein paar Lachern im Publikum, die Sehnsucht nach einem höheren Gefühl, nach Verausgabung, nach einem Bruch mit dem Lebensvollzug: In diesem Moment liegt – ohne dass eine Zeile von Byron gesprochen worden wäre – all das, wozu sein Stück anstiften will, in der Luft", schreibt dann allerdings auch: "Hier hätte der Abend enden können." Denn der Rest sei mehr oder weniger Verrat an diesem einen, höheren Moment.
"Das große Thema des Abends, die Rolle der Kunst und das gute Leben, werden nur assoziativ umkreist", schreibt Erik Zielke im Neuen Deutschland (24.4.2023). "Dass das Glück nicht im Markt, auch dann nicht, wenn Lilith Stangenberg an der Kasse sitzt, zu finden ist, war klar. Alles Weitere bleibt hier allerdings im Dunkel."
Ein paar eindrückliche Bilder gelängen zwar, "doch letztlich stehen diese Szenen nur für eine Möglichkeit, diesen Stoff zu erzählen, als Geschichte, in der tatsächlich etwas auf dem Spiel steht", schreibt Michael Wolf in der taz (25.4.2023). "Diese Möglichkeit aber nimmt Hinrichs selbst nicht wahr. Sein Spiel und seine Sprache sind ironisch grundiert, wahre Entschlossenheit nimmt man ihm schlicht nicht ab." Es wirke, als wäre er bereit, seine ganze Inszenierung zu opfern, "damit er selbst als Künstler autonom bleiben kann, nicht verwechselt wird mit einer Figur, einer Botschaft".
"Ich sah die zweite Vorstellung, und es war etwas Erstaunliches zu erleben. Das Publikum solidarisierte sich vollständig mit Hinrichs und seinem Abend. Es herrschte im Saal das Prinzip, das man aus dem Film Ed Wood (mit Johnny Depp) kennt: Man sieht dort den schlechtesten Regisseur der Welt und kann nicht anders, als in ihm den aufrichtigen Künstler zu erkennen", schreibt Peter Kümmel in der Zeit (27.4.2023). "Sollte es wirklich Benny Claessens sein, der diesen Dampfer versenkt hat, so lenkt ihn Fabian Hinrichs mit Grandezza auf den Grund: ungerührt wie Buster Keaton. Am Schluss Jubel. Ein Hoch auf das Scheitern. Das Stück wird wohl Kult werden."
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So weit, so belanglos und leidlich amüsant. Mit Lord Byron und seinem Drama „Sardanapal“ hat dies nichts zu tun. In der zweiten Stunde stürzen sich Hinrichs und Stangenberg in pathostriefendem Overacting in Szenen aus dem fast vergessenen Drama, das Simon Strauß vor einigen Jahren für seine FAZ-Reihe „Spielplanänderung“ ausgrub. In diesem Feuilleton veröffentlichte Hinrichs auch einen langen, sehr lesenswerten Essay, warum ihn dieser Stoff so sehr fasziniert. Doch an diesem Abend ist wenig davon zu spüren: Die Tänzer*innen umkreisen dieses Star-Duo in elfenartigen Gewändern in merkwürdigen Ausdruckstanz-Choreographien, dazwischen gibt es etwas Akrobatik und ein paar Assoziationen zu den Byron-Bruchstücken.
Tiefpunkt dieser zweiten Hälfte ist, dass Hinrichs mit dem Textbuch durch den Abend stolpern muss. Benny Claessens war wenige Tage zuvor abgesprungen. Die Ansage der Dramaturgin Anna Heesen, bevor sich der Vorhang hob, klang nach bedauerlichem Krankheitsfall, Ulrich Seidlers wenige Stunden vor der Premiere in der Berliner Zeitung veröffentlichte Recherche berichtete von einem Eklat zwischen Claessens und Hinrichs. Viel spricht für den Wahrheitsgehalt dieser Version, denn dieser zweite Teil wirkt tatsächlich so unbeholfen und noch so weit von Premierenreife entfernt, dass es nicht verwunderlich wäre, wenn Claessens hier aus Verzweiflung die Notbremse gezogen hätte.
Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2023/04/21/sardanapal-volksbuehne-theater-kritik/
Dazu muss ich aber auch sagen:
All die inhaltlich unterirdischen Arbeiten von Montag wurden von Classens ergiebigst und gehyped gespielt- trotz der peinlichen Leere…
Meine Güte, was ein Kindergarten...
Classens Post ist kindisch aber vorallem hinterhältig! Hätte Hinrichs sich so etwas erlaubt, bekäme er prompt einen Shitstorm- SchauspielerInnem können sich das also einfachso das Recht rausnehmen oder was?
Weshalb wurde dann ALLES mit Textbuch gespielt?
Ja, damit war ja auch Claessens gemeint.
Weggang funktioniert ja gar nichts mehr....schliessen und auf ein Wunder warten oder wenigstens solange bis die tollen Vergleiche von früher vergessen sind..wäre vielleicht besser....so geht's doch nicht weiter!!! Geld Verschwendung im grossen Stil und natürlich wollen immer alle auf die grosse Bühne....sind ja alle genial irgendwie...
Der Abend verpufft in überfrachteten Bildern, langweilt mit Textbuchzetteln und ebbt ab in ängstlichem Spiel.
Benny Claessens hätte gut getan, denn so bleibt alles auf einem einzigen Seufzer, einem immer gleichen Ton. Allein Lilith Stangenberg vermag eine Sehnsucht, eine Verzweiflung auszudrücken, doch darf sie nur zwei Monologe sprechen und ansonsten Hinrichs mit großen Augen anschmachten (so wie alle anderen natürlich auch!) - man wird vom Bühnenzauber erschlagen. Langweilig. Unerträgliche 2:15 Stunden. Schade, eigentlich.
Denn was die Berliner Kritik mit „Radikalität“ verwechselt, ist einfach Unprofessionalität. Pollesch hat sein Ding auch entwickeln müssen, bis es auf der grossen Bühne funktionierte. Castorf war/ist ein handwerklicher Meister. Ganz zu schweigen von anderen die auf dieser Bühne arbeiteten. Die Volksbühne hat mehr verdient.
Hinzu muss ich noch folgendes loswerden: wie kann man eigentlich darauf kommen, einer Spielerin (Stangenberg in diesem Fall) zu unterstellen, ihr Spiel bestünde darin Hinrichs Figur anzuschmachten oder ähnlichen Quatsch?! Hätte man das auch so gesehen, wenn Hinrichs eine Frau wäre???
Ich kann solch Gebabbel echt nicht mehr ertragen- als Frau vor allem fremdschäme ich mich!
Dass Lilith Stangenberg so inszeniert wurde, versteht sich doch von selbst. Andersrum wäre es nie der Fall gewesen, da Hinrichs ohnehin nur um sich kreist, das hat die gestrige, peinliche Lästerei über Kollegen, der unverschämte Umgang mit den Gewerken (Mikro fehlt! Vorhang dauert zu lange, das kann so nicht sein!) und zu guter letzt die Beschimpfung eines Rentners, der es wagte auf die Toilette zu gehen, doch gezeigt. Der Ton macht die Musik, dieser ist in seinem Fall unfreundlich und arrogant.
Da ist nix mit Kunst um der Kunst Willen.
Bei mir wirkt diese zweite Vorstellung auch sehr nach, aber vor allem, weil Hinrichs 10 Minuten privat aus dem Nähkästchen plauderte und das auf eine skandalöse Art und Weise.
War wohl sauer, dass knapp die Hälfte der Kritiken schlecht waren, anders kann ich mir so einen Ausbruch nicht vorstellen. Unprofessionell. Größe hat er jedenfalls nicht gezeigt.
Ich fand es schon damals eher befremdlich, dass ein Künstler, der in seiner Karriere mit soviel Bewunderung und Applaus übeschüttet wurde, mit Kritik offenbar so gar nicht umgehen kann (zugleich aber kein Problem damit hat, in einer Ludatio eine ganze Generation von Schauspieler:innen zu desavourieren).
(Anm. Redaktion: Bitte beachten Sie die Kommentarregeln. https://nachtkritik.de/index.php?option=com_content&view=article&id=12&Itemid=41#kommentarkodex Herabsetzungen der Person werden nicht veröffentlicht.)
Man darf sich als Künstler durch Kritiken nie einschüchtern lassen. Gute Kunst überlebt immer!
man wirft den leuten da seit jeher selbstgefälligkeit vor. aber aus den falschen gründen. es kann nicht sein, dass man sich in eine richtung entwickelt, in welcher diese vorwürfe auf einmal berechtigt sind. (...) aber zu sagen, dass man das selbst im grunde weiß, und dennoch aufführt! wenn der spießbürger kotzt, weil er auf fünf stunden ununterbrochenes bombardement mit text nix versteht, ist das eine sache. wenn aber der theaterfanatiker kotzt, weil es auf zwei stunden nix zu verstehen gibt, außer tanznümmerchen und ein bissel herumgeliege zu abgelesenen textfetzen, ist das was völlig anderes.
(Dieser Kommentar wurde gekürzt, da einige Passagen nicht unserem Kommentarkodex entsprechen. Diesen finden Sie hier: https://www.nachtkritik.de/impressum-kontakt)
Und noch ein Programmhinweis für gelingende Abende, ejb: "Hochamt für Toni" und "Browser Ballett- Atomkrieg- der Talk"- Hinrichs als Talkmaster, https://www.sueddeutsche.de/medien/satire-browser-ballett-zdf-neo-parodie-markus-lanz-1.5892655?reduced=true. Und vorher berührendstes psychologisches Spiel. Und dann 'rein in "Sardanapal"- alles kaum unter einen ästhetischen Hut zu bekommen. Schwer zu ertragen, soviel Begabung, ich weiß, wie Sie fühlen.
wer nun nicht in der lage ist, ein echtes stück, mit echter leistung vom herrn hinrichs von dieser bankrotterklärung zu unterscheiden, hat möglicherweise schon früher nicht richtig hingeschaut. ist ja schön, wenn man manchen hier auch absoluten schrott präsentieren kann, dessen großteil man genau so auch in jedem varieté beschauen darf, der hier aber als kunst empfunden wird, weil volksbühne draufsteht. man muss sich mal vor augen führen, dass hier gegen die selbstoffenbarte, verbalisierte bankrotterklärung des stückes seitens des schöpfers noch ankolportiert wird, es handle sich trotz allem doch noch um theater. hier wird versucht, so zu tun, als wäre das, was zu sehen war, das, was zu sehen sein sollte. die heiligenvererhung geht so weit, dass die leute nicht mal akzeptieren, dass sie grütze sehen, wenn ihnen das so zugestanden wird. gibt's überhaupt irgendetwas, das der hinrichs machen könnte, was als inakzeptable vergrützung gilt? die antwort ist freilich ein klares nein, denn der iterationstunnel des sich immer weiter hochspiralisierenden metanihilismus ist eben infinit - es lässt sich immer dadaistisch und irgendwie meta prädikieren, wenn man nur gewillt genug ist. dass man dabei anspruchshaltung über bord wirft, und die klaren unterschiede zwischen den letzten 100 mal hinrichs und dem aktuellen nicht mehr zu greifen vermag, selbst wenn um verzeihung gebeten wird - das ist schon ein ganz besonderer abgrund der zuschauerlichen krummbucklerei.
Ich war ja wie erwähnt selbst in dem Abend. Und bis zu dieser Rede v Hinrichs, die Sie da zitieren, vergingen 60 Minuten, die ja einfach schon zauberhaft waren. Zauberhaft, weil Erlebnis. Erlebnis ist eben nicht Erklären von Erlebnis. Sinn durch Kunst entsteht nicht durch Hermeneutik, das ist eben NICHT die einzigartige Möglichkeit von Kunst. Nun, was sagen sie denn zur wunderbaren Musik? Zu Zum grossartigen Tanz von Hinrichs? Zur gigantischen Supermarktszene? Naaa? Schön abregen und nochmal nachlesen, was Kunst ist und wozu. Kleine weitere gratis Buchempfehlung: Georg Römpp, "Wozu die Kunst? Über den sinnlichen Sinn jenseits der Interpretation"- könnte Ihr Leben verändern. Aber ach, ich fürchte Sie sind da taub und blind und wünschen sich eher etwas, das man herleiten und erklären kann. Das aber finden Sie doch viel besser und eher und auch unaufwendiger ausserhalb der Kunst. Womit Sie unfreiwillig Recht haben: normalerweise kann man Kunst nicht entdecken im herkömmlichen Theater. Und bitte jetzt mal aufhören mit dieser unerträglichen Rhetorik, wirft kein gutes Licht auf Ihre "Argumente". Ciao, "geniessen" Sie den schönen Sommerabend voller Leichtigkeit. Er ist einfach da, ohne dass man ihn zu erklären braucht. Klickerts?