Romeo und Julia - Die große Liebe geht mit Shakespeare baden
Unter Gefühlsreptilien
von André Mumot
Hannover, 11. September 2010. Was braucht man, damit die Sache mit der Großen Liebe klappt? Einen Balkon schon mal nicht, das hat die Theaterpraxis längst gezeigt. An diesem Abend ist Julia, die keine "Capulette" mehr sein will, sowieso zu hip für solch altmodische Architektur-Schranken. In schwindelnder Höhe sitzt sie festgegurtet in einer Halbkugel aus Plexiglas, die vom Schnürboden herabbaumelt, und steigt hernieder, wenn es romantisch werden soll. Da gibt es einiges zu flüstern, zu bekennen, zu schmachten: Zweiter Akt, zweite Szene - mehr Liebe geht nicht.
Aber Veronika Avrahams Julia ist in Heike M. Götzes hannoverscher Shakespeare-Inszenierung kein ätherisches Seufzer-Elfchen, und wenn sie an der Reihe ist mit ihrer Verskunst, stößt sie Romeo ziemlich rustikal vom Mikrofon weg, das zwischen ihnen hängt. Sie ist der Typ bodenständige Rotzgöre, und der ganze emotionale Aufruhr ist ihr nicht geheuer.
Deshalb kloppt sie sich auch immer erst ein bisschen mit dem jungen Mann, der ihr Avancen macht, bevor sie sich aufs Küssen einlässt. Und dann zuckt sie ratlos mit den Schultern und sagt "Ach so" und "Na ja", und dann lacht sie kratzig und parodiert den hohen Ton und ist schließlich doch ganz hin und weg und steigt kokett in ihre Plexiglaskugel.
Und Romeo? Daniel Nerlich, dank Perücke ebenso platinblond wie die Angebetete, hetzt als ziemlich uninteressanter junger Mann im Kettenhemd hin und her und darf keinerlei Charisma entwickeln. Womit dann auch das erste Problem schon ziemlich offenkundig wäre: Zur Großen Liebe gehören mindestens Zwei.
Kunterbunte R & J-Show
Aber ohnehin geht es erst einmal nicht um innere, sondern um äußere Werte, um Verkleidungen, um mechanische Möglichkeiten der großen Bühne: Zu Beginn schon steckt das Ensemble in einem verdschungelten Terrarium fest, schaut uns an und lässt sich anschauen - selbstbezogene Gefühlsreptilien, die schließlich aufs mit Wasser gefüllte Planschbecken der Vorderbühne treten.
Die androgyn geschminkten Montagues und Capulets tragen hier Schottenröcke und Westen aus Haarzöpfen, Pluderhosen und mit schwarzen Federn besetzte Kappen - es sieht in diesem feucht-fröhlichen Verona also ein bisschen aus, als habe Vivienne Westwood ihren Kleiderschrank ausgemistet. Und dann flittert rotes Konfetti von oben herab und gigantische weiße Plastikvorhänge wehen, auf denen (kurz bevor die Lerche noch die Nachtigall sein soll) ein gedämpft kitschiges Video abläuft: das Paar unter Wasser, schwimmend, liebend, Unstern-bedroht. Dazu Musik.
Heike M. Götze inszeniert die kunterbunte Romeo-und-Julia-Show als eine Folge von effektbewussten Einzelmomenten. Keine Konflikte werden hier durchgespielt, sondern theatrale Umsetzungsvarianten, kein erzählender Bogen wird gefunden, dafür aber eine Art Star: Oscar Olivo darf sowohl den Prinzen von Verona, als auch den treusorgenden Bruder Lorenzo zu hemmungslosen Farcenfiguren machen. Der schmächtige Komiker mit dem amerikanischen Akzent trägt das kegelförmig abstehende Derwischkostüm eines Clowns, grimassiert, fuchtelt und hyperventiliert. Und wenn er die Streitparteien dröhnend zur Ordnung gerufen hat, tanzt er mit einer überaus grazilen Balletteinlage von links nach rechts und wieder zurück. Das ist vollkommen sinnlos, aber zum Schreien komisch.
Eingeschlossen und nicht erlöst
Umso erstaunlicher, dass sich gegen Ende der klamaukorientierten Nummernrevue geballter Tiefenernst verdichtet. Die auch im Leid sehr starke Veronika Avraham nimmt ihr Schlafgift, aber die Angst durchzuckt sie dabei in sehr beklemmenden Vorahnungs-Schauern. Deshalb gesellen sich die vorher ums Leben Gekommenen, Tybalt, Mercutio und Benvolio, als eingekalkte Geister zu ihr, streifen ihr Romeos Kettenhemd über und drücken sie zärtlich in den Todessee, während sie sich weiter und weiter wehrt.
Und als sie wieder zu sich kommt, liegt sie eingeschlossen im Terrarium, klopft gegen die Scheiben, sucht einen Ausweg und findet ihn nicht, während Romeo direkt über ihr hockt, nichts sieht, nichts hört, nur ihr Kleid an sich drückt und selber stirbt.
Die grausame Symmetrie dieser so oft gesehenen Liebes- und Suizidgeschichte ist hier nicht nur in klare, schlimme Bilder gebracht, sie führt auch zur bitteren Nicht-Erlösung: Julia darf sich nicht entleiben, muss nach ihrer Befreiung aus dem Glaskasten trostlos trauernd über dem leblosen Körper Romeos liegen, während die Todes-Geister unverrichteter Dinge von der Bühne abgehen. Das ist großartig aus- und aufgeführt und kann doch nicht wirken. Weil das Paar als Paar nie Funken schlagen durfte und die Terrarienbewohner nie zu Warmblütlern werden konnten im Witz- und Fecht- und Bilderflitter. Die Tragödie ist da, die Große Liebe aber war es nie.
Romeo und Julia
von William Shakespeare, deutsch von Thomas Brasch
Regie: Heike Marianne Götze, Bühne und Video: Isabel Robson, Kostüme: Inge Gill Klossner, Musik: Tomek Kolczynski, Dramaturgie: Judith Gerstenberg, Kämpfe: Klaus Figge.
Mit: Veronika Avraham, Daniel Nerlich, Oscar Olivo, Dominik Maringer, Raffaele Bonazza, Elisabeth Hoppe, Wiebke Frost, Thomas Melhorn, Esther-Maria Barth.
www.staatstheater-hannover.de
Die Geschichte von "Romeo und Julia" sei bekannt, man könne sie "ruhig einmal auf ungewöhnliche Weise erzählen", meint Stefan Arndt in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung (13.9.2010). Dies sei Heike Marianne Götze am Schauspiel Hannover "allerdings missglückt", auch wenn schnell deutlich sei, worauf sie hinaus will: in ihrer Inszenierung bleibe "die Liebe so blass, wie ihre Protagonisten es sind". Veronika Avrahams Julia sei erfüllt von einem "nicht selten nervigen kindlichen Trotz" und schwebe meist in einem Plastiksessel weit über der Bühne - "ein Planet für sich". Romeo hingegen "ein Prototyp des reinen Toren: ein Simplizissimus, ein Parsifal - aber kein großer Liebender". Montagues und Capulets seien bei Götze "keine sich abstoßenden Prinzipien", selbst ihre Oberhäupter "unsichere, disparate Figuren", zwischen denen "der Hass Behauptung" bleibe. Die Finalszene mit Oscar Olivo als Pater-Clown vorm Vorhang verleihe dem Ganzen überdies "einen Hauch von Improvisationstheater". Wie Arndt überhaupt den Eindruck hat, "dass man hier Zeuge eines eskalierten Experimentes geworden ist" - "die Tragödie als Versuchsaufbau". Der Abend wirke "oft nicht fertig ausgearbeitet, Klarheit und Konsequenz fehlen auch dort, wo es vermutlich gar nicht beabsichtigt war".
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Im Programmheft steht viel Kluges, aber nichts davon wurde konsequent umgesetzt. Um den Sprachtitanen Shakespeare "weiterzuschreiben" bedarf es einer anderen Regie. Viele Buh-Rufe beim Schlussapplaus.
1. Eine Julia die in ihre Plexiglaskugel spricht, so dass man es im Zuschauerraum nicht hören konnte;
2. eine Überbetonung obszöner Andeutungen;
3. Schauspieler, die die ganze Zeit mit ihren nassen Kostümen durchs Wasser robben.
Hannover hat bessere Aufführungen verdient als diese! Schade wie hier mit Steuergeldern (denn die Eintrittspreis werden bezuschusst) umgegangen wird.
Ganz schön dreist. Es lebe doch die Subjektivität. Ich fand die Aufführung interessant und erfrischend anders. Wenngleich der zweite Teil, wie ich finde, unverständliche Längen aufwies. Das aber muss nicht unbedingt die Regie "verbockt" haben.
Dass Romeo und Julia eine Art Facebookliebe bekleiden, fällt natürlich auf und passt doch sehr in unsere Zeit. Ich mochte an diesem Abend insbesondere die Fechtszenen, das Bühnenbild und (überraschenderweise) die Musik. Mit dem amerikanischen Komiker konnte ich leider überhaupt nichts anfangen-viel zu überdreht und außer Rand und Band, m.E.
Ich werde mir in jedem Falle noch eine spätere Aufführung ansehen. Das könnte sich doch sehr, sehr gut entwickeln.
Aus Berlin (wo es kaum noch gutes Theater gibt)
maternus
Ich fand das gar nicht schlimm, weil eben diese wunderbare Aesthetik da war.
Wenn ich hier schon ein zweites Mal schreibe: Ich vergaß, Amme (Esther-Maria Barth) und Graf Paris-Tybalt (Elisabeth Hoppe) zu loben. Dass ich mir die Hoppe mitunter auch als Julia wünschte, darf ich auch noch sagen. Und schade dass Mercutio nicht zu seiner Homosexualität stand.
Das wird vielleicht auch noch.
maternus
Shakespeare ist kein Zuckerschlecken. Bin ich zu "laissez-faire"? Schließlich ist es ihr Beruf?
Fechten, tanzen, laufen, schwimmen, Sprache verinnerlichen, zu sich finden(!): Hochleistungssport.
Ach, ich gehe im Oktober/Novermber nochmals und bin gespannt.
Vermutlich haben Sie Recht.
maternus
homosexuelle figuren müssen nicht zu sich stehen, Mercutio muss gar nix, mich ärgert wenn ich sowas lese: Romeo und Julia ist kein coming-out stück, es sei denn man würde regietheater-schöpfungsmäßig ein Romeo und Julio inszenieren - dann hätte das "zu sich stehen" eine bedeutung. junge menschen himmeln sich an und das heißt nicht, dass sie schwul sind - das heißt nur, dass sie sich anhimmeln, vielleicht sind sie bisexuell oder sogar hetero. als junger mensch verehrt man seine freude manchmal übertrieben. klar, als aufrechter schwuler will man immer, dass die schwulen figuren proudandout sind, aber das müssen sie nicht sein. auch bühnenfiguren dürfen private geheimnisse haben.
es ist ja grundsätzlich eine politische frage, ob privates privat ist oder nicht. wenn man sich außerdem noch fragt, ob sogar künstler wegen ihrer besonderen stellung in der gesellschaft die gesellschaftliche pflicht haben, sich zu outen - die schwule community sagt ja, ich sage als künstler NEIN.
wieder zu den figuren zurück: gerade in jugendstücken sollte man nicht radikal sein, its ok 2B gay, aber gerade junge menschen wollen nicht in schubladen gestopft werden und jugendliche aus traditionellen kulturen himmeln sich gleichgeschlechtlich an, aber sind aus ihrer eigenen sicht nicht schwul. Mercutio möchte einfach nur selbst so toll sein wie Romeo. egal was sie, maternus oder ich über dieses anhimmeln privat denken (wen man begehrt, sagt was über die eigenen defizite aus aber ebenso auch etwas über den eigenen narzissmus)- ob wir eine figur als schwul oder nicht schwul deuten, hängt nicht davon ab, was die figur über sich selbst denkt. deshalb sollte Mercutio nicht zu sich stehen, auch wenn sie maternus, das bedauern. technisch macht doch Mercutio Romeo groß, damit wir Julias liebe zu diesem tollen Romeo besser verstehen: lassen wir also die kirche im dorf. unter uns jungen gesagt, shakespeare bleibt immer ein kandiskristall von zucker.
Ja, Kristall, aber gelb.
Die Kirche im Dorf lassend
maternus
und sound. also ich würd Romeo adden ;-)
Nein, mich hat weder die Plexiglaskugel in der die schwindelfreie Julia fortwährend saß nicht gestört, auch nicht das Planschen der Darsteller auf der gefluteten Bühne oder die Gewächshausdialoge.
Meinetwegen... Was mich hat gehen lassen, war die langweilige Beziehungslosigkeit der Figuren zueinander. Mir war völlig unklar wieso sich die beiden Hauptprotagonisten ineinander verliebt haben; alle anderen spielen permanent aneinander vorbei, sagen mehr oder weniger brav ihre Texte auf oder stehen bedeutungsschwanger händeringend auf einem Turm. Spannungslos...
werde ich mir die mühe machen
den ganzen rest zu verstehen
romantik die nicht wirklich deutsch wurde
Warum leisten sich Menschen eine gute Theaterkarte im Blickfeld der Schauspieler beim Schlussapplaus, um dort dann demonstrativ angewiedert keine Handbewegung auszuführen?
Weniger als ein Mindestmaß an Höflichkeitsapplaus ist zeitlich weit abseits der Premierenvorstellung eine vorsätzliche Demütigung der Arbeitsleistung von Schauspielern, wie gut oder schlecht man diese Leistung auch immer beurteilt.
Warum das wankelmütige Verbleiben nach der Pause? War der Chauffeur erst auf 23 Uhr bestellt? Oder ist das eine neue Art von Katastrophentourismus, sich sozusagen persönlich überzeugen zu wollen, ob die Verisse stimmen?
BITTE MEIDET DIESES STÜCK!!! Das Geld ist besser im Kasino aufgehoben oder kauft euch dafür leiber einen guten Wein
Auch ich habe das Stück gesehen, brauchte ist Weile, wer aber das Buch kennt hat es verstanden und passte diese Aufführung nicht besser in unsere heutige Zeit? Julia war schließlich ein Teenager.