Eine nicht umerziehbare Frau - Felicitas Brauns deutschsprachige Erstaufführung von Stefano Massinis Anna-Politkowskaja-Memorandum am Staatstheater Oldenburg
Zwischen allen Stühlen
von Andreas Schnell
Oldenburg, den 12. Oktober 2015. Der Mord an der russischen Journalistin Anna Politkowskaja im Oktober 2006, ausgerechnet am Geburtstag Wladimir Putins, sorgte international für Empörung, vor allem im Westen, wo der Fall als symptomatisch für den postsowjetischen russischen Staat gedeutet wurde, der – so der kaum zu überlesende Subtext – so postsowjetisch eben doch noch nicht ist.
Schlaglichter auf ein beeindruckendes Leben
In Russland kursierten eher Theorien, die die Mörder auf tschetschenischer Seite vermuteten. Womit gleichsam die Stühle bereitstehen, zwischen denen Politkowskaja saß, die als eine von wenigen, wenn nicht als einzige Stimme aus dem Krieg zwischen Russland und Tschetschenien berichtete, ohne sich von einer Seite vereinnahmen zu lassen. Der italenische Dramatiker Stefano Massini, von der Courage der Journalistin beeindruckt, widmete ihr sein Stück "Eine nicht umerziehbare Frau“.
Felicitas Braun hat Massinis Würdigung Politkowskajas nun in deutschsprachiger Erstaufführung für das Oldenburger Staatstheater in der Exerzierhalle eingerichtet, wo Caroline Nagel, Diana Ebert und die Musikerin Solène Garnier vor, auf und hinter einem rohen Verhau aus Paletten für Massinis Textcollage zuständig sind. Die erzählt in Politkowskajas eigenen Worten, genauer: anhand von oft schlaglichtartig verdichteten Auszügen aus Reportagen, Interviews, Tagebucheinträgen und derlei mehr die Geschichte der Journalistin.
Was dabei vielleicht naheläge, vermeidet Braun konsequent: gefühlige Identifikationsangebote, Kitsch, Betroffenheitsgesten, Pathos. Auch wenn es gegen Ende durchaus laut wird. Es dauert allerdings bis dahin eine ganze Weile, in der in verschiedenen Konstellationen der Text mehr referiert wird, wobei nicht klar zu erkennen ist, wieviel von dieser Distanz Konzept ist und inwieweit es eher die durchaus zu wünschen lassende Einstudierung mit etlichen Verhasplern ist, die die Intensität des Bühnengeschehens mindert.
Kein Entrinnen vor den Schrecken der Gegenwart
Dabei sind die Geschehnisse, von denen Politkowskaja erzählt, die Gräueltaten im Tschetschenienkrieg auf beiden Seiten, aber auch die Konsequenzen für das Leben der zweifachen Mutter noch in dieser distanzierten Form durchaus schwerer Stoff, der oft den Atem stocken lässt, bevor die Spannung sich in lauthalsen Tanz und Lauferei entlädt – nicht befreiend allerdings, sondern eher wahnhaft. Die Verhältnisse, sie sind ja auch kaum auszuhalten.
Die anfängliche Sprödigkeit weicht im Verlauf des Abends, in die sparsam ausgeleuchtete Tristesse setzt es gar einen echt wunderschönen Moment, als Caroline Nagel inmitten wie Schneeflocken herabfallender weißer Federn trügerisch sentimentale Kindheitserinnerungen reminisziert, von Tante Wera, die zu Sowjetzeiten einem Huhn die Federkiele über der Flamme des Gasherds abfackelt und dabei auch das Fleisch schon angart – wobei ein Geruch entsteht, den die erwachsene Anna auf den tschetschenischen Schlachtfeldern wieder in der Nase hat. Ein Entrinnen vor den Schrecken der Gegenwart gibt es nicht.
Nüchterner Duktus, martialische Beats
Schlimmer noch: Politkowskaja macht sich mitschuldig, die Veröffentlichung eines Interviews führt zur Hinrichtung ihrer Gesprächspartner, ihr Streben nach Wahrheit schafft Wirklichkeit, ihre Versuche, im Moskauer Geiseldrama zu vermitteln, scheitern – und die Textmaschine gerät ins Stocken, Sätze legen sich in Schleifen, die inneren Widersprüche drängen unwirsch hinaus, Garnier lässt ein schroffes Riff repetieren, schlägt martialische Beats auf dem Schlagzeug, während Nagel und Ebert mit regelrechtem Punk-Furor wüten. Zum Ende findet die Inszenierung wieder zu einem nüchterneren Duktus zurück, die bösen Vorahnungen, das Attentat auf Politkowskaja, ihr Tod sind das Ende des Irrsinns. Zumindest im vorliegenden Fall. Im Foyer wartet ein Infotisch von Amnesty International mit Broschüren zum gegenwärtigen Stand in Sachen Pressefreiheit.
Klar ist: So richtig wohlfühlen soll man sich hier nicht. Was in Ordnung ist. Allerdings bleibt das Konzept dieser Inszenierung darüber hinaus eher unklar. Was natürlich schon deutlich weniger in Ordnung ist.
Eine nicht umerziehbare Frau
Theatermemorandum über Anna Politkowskaja
von Stefano Massini
Deutsch von Sabine Heymann
Deutschsprachige Erstaufführung
Regie: Felicitas Braun, Bühne und Kostüme: Sonja Böhm, Musik: Solène Garnier, Dramaturgie: Marc-Oliver Krampe.
Mit: Diana Ebert, Caroline Nagel, Solène Garnier
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, keine Pause
www.staatstheater.de
Ein "dichtes, differenziertes Bild ohne Schwarzweiß-Malerei und plakative Parolen" hat Ulrich Schönborn für die Nordwest-Zeitung (14.11.2015) in Oldenburg gesehen. Es handele sich um "politisches Theater in Reinkultur: unbequem, aufrüttelnd, textlastig". Die Aufteilung der Hauptfigur auf drei Spielerinnen sei "gewöhnungsbedürftig, bringt aber die Vielschichtigkeit der Protagonistin und ihres Schicksals wunderbar zur Geltung."
"Ein bewegendes Stück, das sicherlich von nun an auf deutschen Bühnen häufiger gespielt wird", so fasst Stefanie Riepe ihren Bericht für den NDR (13.11.2015) zusammen. "Für Gänsehaut sorgen in diesem Stück die Schauspielerinnen Diana Ebert, Solène Garnier und Caroline Nagel. Sie geben der Protagonistin, jede auf ihre Art, eine Stimme."
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