Zauberdings - Stadttheater Gießen
Vorsicht bissig!
29. September 2024. Die Gruppe Showcase Beat Le Mot bringt Mozarts "Zauberflöte" in die Gießener Fußgängerzone. Als gigantische Schlangen verkleidet machen sich hier Erwachsene und Kinder gemeinsam auf, das Fürchten zu lehren – und die Liebe zu finden.
Von Martin Schäfer
29. September 2024. Theater und hier insbesondere Musiktheater unters Volk zu bringen und dann auch noch für die Allerkleinsten, Kinder ab acht Jahren, das müssen wohl die beiden Grundanliegen der Performancegruppe Showcase Beat Le Mot für ihre Adaption von Mozarts "Zauberflöte" gewesen sein.
Und so zuckeln am Nachmittag etwa 100 Zuschauer*innen – rund ein Drittel davon Kinder, der Rest die betreuenden Eltern und Bezugspersonen – ihrem Tamino und Pagageno durch die dichte Gießener Fußgängerzone hinterher. Die Premiere von "Zauberdings. Eine Wanderoper von Showcase Beat Le Mot" ist gewissermaßen ein Heimspiel für die Performancegruppe, die sich 1997 im hiesigen Studiengang Angewandte Theaterwissenschaft gründete.
Auftritt der Schlange
Die Protagonisten Tamino (Tomi Wendt) und Papageno (Levent Kelleli) haben schnell Interesse und Begeisterung der Kinder wie auch der Passanten in Gießen auf sich gezogen – zu ungewöhnlich und vielleicht auch irritierend sind die Opernklänge und -gesänge in der Innenstadt. Hauptrolle aber spielt ein Detail, das in Mozarts Oper nur am Rande vorkommt, von Showcase Beat le Mot aber in den Mittelpunkt gerückt und erweitert wird: die Schlange. Am Startpunkt der Wanderoper wird Tamino noch konform zum Mozart-Original von einer Riesenschlange (gebildet aus den Männern des Opernchors) bedroht. Später taucht unvermittelt eine Baby-Schlange auf (gebildet aus den Mitgliedern des Kinder- und Jugendchors).
Die Baby-Schlange sucht später genauso ihre Mutter, wie Tamino seine Pamina (Annika Gerhards) und Papageno eine Papagena (Izabella Radić). Alle werden fündig. Und alle und alles schlängelt sich durchs Zentrum der mittelhessischen Stadt, die überregional eher durch den Brutalismus seines "Elefantenklos" (mit eigenem Wikipedia-Eintrag) und eines spektakulär gescheiterten Verkehrsversuchs bekannt geworden ist.
Papageno als Batman
Der Schlangenbau erfolgte in Kooperation mit Studierenden der Hochschule für Bildende Künste Dresden. Sie entwarfen Kopfteil, Körperschuppen und Schwanz der Schlange, die von den einzelnen Chormitgliedern dann in Reihe getragen wurden. Für die Kostüme war Knut Klaßen verantwortlich. Streng genommen gilt überall der Dresscode 'casual' – Sänger*innen und Publikum wie Passanten waren äußerlich nicht zu unterscheiden, gewissermaßen eine analoge Immersion der Performance. Nur Papageno trug im Batman-Stil Augenmaske und Umhang.
Über etwas mehr als einen halben Kilometer bewegt sich die Performance mit acht bis zehn Erzähl-/Gesangs-/ Spielstationen Richtung Stadttheater. Alles startete im Botanischen Garten der Universität, wo zunächst auf abenteuerliche Art ein mächtiger Schilfwald im Gänsemarsch durchschritten werden musste. In einem Geschäfts/Wohnhaus raucht die Königin der Nacht (Verena Seyboldt) im Fenster des 2. Stocks einen Joint und schmettert ihre Arie in den Stadtraum.
Schön und mit viel Spaß verbunden, ist auch das Such- und Findespiel von Tamino und Pamina sowie Papageno und Papagena über die Ränge im Stadttheater, die Kinder werden schließlich zum Mitsuchen auf die Bühne gebeten, was darin endet, dass diese staunend über die Reling des Orchestergrabens gebeugt dem Finale des Singspiels zuhören konnten. Showcase Beat Le Mot zieht dazu noch manche Register: Theaternebel kommt auf, die Gestänge der Bühnenbildmechnik gehen auf und nieder, farbig illuminiert noch dazu (Lichtdesign: Karin Gebert).
Wechsel der Perspektive
Den Musiker*innen hat die Performance einiges abverlangt: Wenn die Schlange weiter zog, mussten sie sich sputen und zur nächsten Station vorauseilen. Anfangs bestand die Musiktruppe nur aus Blechbläsern plus Klarinette, weitere Instrumente kamen von Station zu Station hinzu, bis die Gäste im Foyer des Stadttheaters von den Streichern empfangen wurden (Musikalische Leitung: Moritz Laurer). Unterstützt wurde das Philharmonische Orchester Gießen an den verschiedenen Stationen noch durch ein Baglama-Ensemble, das Saza Yoldaş Olanlar-Ensemble unter Attila Günaydin. Die Baglama ist eine Langhalslaute und steht für die Musik des Nahen und Mittleren Ostens.
Fazit: Die Kinder waren mittendrin statt in Zuschauerperspektive nur dabei. Das Theaterspektakel kam in die Stadt, Mozarts Volksoper wieder unters Volk. Die Königin der Nacht spielte am Tag. Die Theatermaschine wurde begreifbar. Jede und jeder trug schöne Bilder und so manchen Ohrwurm mit in den Alltag.
Zauberdings
nach Wolfgang Amadeus Mozarts "Die Zauberflöte"
Eine Wanderoper von Showcase Beat Le Mot
Musikalische Leitung: Moritz Laure, Regie: Showcase Beat Le Mot, Künstlerische Mitarbeit: Christopher Hahn, Schlangenbau: Marieke Chinow, Paul Fenk, Kostüme: Knut Klaßen, Lichtdesign: Karin Gebert, Leitung des Saza Yoldaş Olanlar Ensemble: Attila Günaydin, Dramaturgie: Ann-Christine Mecke.
Mit: Levent Kelleli, Izabella Radić, Verena Seyboldt, Tomi Wendt, Annika Gerhards; Opernchor des Stadttheaters Gießen; Kinder- und Jugendchor; Philharmonisches Orchester Gießen; Saza Yoldaş Olanlar-Ensemble.
Premiere am 28. September 2024
Dauer: 2 Stunden, keine Pause
www.stadttheater-giessen.de
Kritikenrundschau
"Zwei Stunden voller lohnender Überraschungen und gewitzter Wendungen", so Björn Gauges im Gießener Anzeiger (30.9.2024). Das beginne schon mit der "prächtigen, meterlange Schlange, die vom Opernchor des Stadttheaters an langen Stöcken durch den Park geführt wird". Wunderbar, wie sich die Opernszenerie mit den zahlreichen vorbeischlendernden Passanten mische und zwei Welten miteinander in Verbindung setzen. Fazit: Diese locker und witzig erzählte, voller wunderbarer Stimmen und klassischer Ohrwürmer steckende "Wanderoper zeige, dass die "Zauberflöte" nichts von ihrem magischen Reiz verloren hat.
Der Plan gehe auf, das Theater in den Stadtraum zu bringen. "Die vielen erstaunten Gesichter unterwegs machen Spaß", schreibt Manfred Merz in der Gießener Allgemeinen (30.9.2024). "Das Finale im Theater wird familiär." Schauspieler und Opernsänger zu mixen, das funktioniere halbwegs funktioniert. "Die Orchestermitglieder im Herbst ins Freie zu schicken, damit sie mit klammen Fingern musizieren - da allerdings muss man erst mal drauf kommen."
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