Demut vor deinen Taten Baby - Babett Grube urinszeniert das Stück von Laura Naumann in Bielefeld in schlichtem Rahmen
Game over
von Kai Bremer
Bielefeld, 5. September 2012. Laura Naumanns Theatertexte haben bereits wiederholt für Aufsehen gesorgt, auf dem Stückemarkt des Theatertreffens etwa. Auch ist sie als Mitglied des Theaterkollektivs machina eX, das u.a. die Grenzen zwischen vermeintlicher Realität und Virtualität auslotet, keine Unbekannte. Und weil in ihren Texten nicht bloß ein Plot dramatisiert, sondern der Regie viel Spielraum angeboten wird, war es nur eine Frage der Zeit, bis ein Theater "Demut vor deinen Taten Baby" zur Uraufführung bringen würde. Gestern war es in Bielefeld so weit, weitere Theater folgen erfreulicherweise bald.
Das Stück scheint zunächst schlicht eine Geschichte zu erzählen. Lore (Christina Huckle), Mia (Ann Kathrin Doerig) und Bettie (Isabell Giebeler) sind auf einem Flughafenklo, wo ein herrenloser Koffer gefunden wird, der sie zum Verweilen nötigt. Die Security muss anrücken. Nachdem die Todesangst ausgestanden ist, schweißt sie ihr Erlebnis zusammen. Sie mutieren zu einer Art Girlgroup, die Anschläge androht – nicht um zu provozieren, sondern um Glücksgefühle freizusetzen, wenn die vermeintlichen Opfer erkennen, dass sie gar nicht in Lebensgefahr sind, sondern Teil einer Inszenierung.
Wer spricht hier eigentlich?
Die Pointe von Naumanns Stück ist, dass sich schließlich die Regierung ihrer bedient, um die Bevölkerung zu beglücken. Dadurch aber werden alle sorglos und kündigen die Versicherungen. Das Wirtschaftssystem droht zu kollabieren, die drei sollen durch einen erneuten "Terrorakt" die Leute wieder dazu bringen, Versicherungen abzuschließen. Aber die inzwischen erlangte Popularität hat ihren Preis: das Publikum kennt sie längst. Mit dem Verlust der Glaubwürdigkeit kollabiert die Eigenlogik ihres Vorhabens. Sie geraten in Streit, wie weit sie gehen sollen, um ihre Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen. Die eine will Kinder massakrieren, die andere zumindest die Kinder verschonen. Schließlich ballern sie sich Zorn verzehrt gegenseitig nieder.
Mit diesem zynischen Plot liefert Naumann neben Wortwitz in erster Linie eine Farce auf die Performance-Industrie wie die Dynamiken der vermeintlich systemrelevanten Kapital-Industrie ab. Doch wie gesagt, sie ist keine, die sich auf den Plot beschränkt. Ihre Darstellungspointe ist, dass Lore, Mia und Bettie ihre Geschichte erzählen, selbst als sie sich gegenseitig schon umgelegt haben. So bleibt die Frage, wer hier eigentlich spricht. Ein wenig erinnert das an die alltägliche Auferstehung am PC: Nach dem "Game over" geht's von vorne los. Man durfte also gespannt sein, wie sich Regisseurin Babett Grube in Bielefeld dieser Frage stellen würde.
Mit Körperspannung und Stimmbeherrschung
Der erste Eindruck ist: schlicht. Das Publikum sitzt im eckigen U um den schwarzen kleinen Bühneboden herum, in dessen Mitte sich zwei schwarze Säulen zur niedrigen Decke erheben; eine Tür links, zwei an der Bühnenwand. Die drei Frauen sind alltäglich gekleidet, die eine etwas schicker, die andere etwas bequemer, die dritte ein bisschen hipstermäßig. Schlicht ist auch die Umsetzung des Textes. Doerig, Giebeler und Huckle sprechen ihn genau, ihr Spiel ahmt das Geschilderte zuverlässig nach. Keine Mätzchen, aber auch kein Versuch, mit dem Spiel dem Text Widerstand zu leisten. Naturalistisch, brav. In den ersten Minuten des kurzen Abends (gerade einmal 50 Minuten dauert er) keimt die Frage, ob Babett Grube einfach nicht mehr eingefallen ist.
Doch dann kommt eine Ahnung auf, dass sie nicht mehr wollte – und zwar aus gutem Grund. Der eine ist der, dass so der Text voll zu Geltung kommt. Jede inszenierte Widerständigkeit hätte von ihm abgelenkt und seine vielfach nur eben angedeuteten ironischen Untiefen und sarkastischen Freilegungen in den Hintergrund treten lassen. Der andere ist, dass in dem Moment, da alles eskaliert, die drei nicht mehr ihre Geschichte erzählen, sondern sich direkt ansprechen. Schließlich bleibt ihnen angesichts ihres Scheiterns nur noch verzweifeltes Schreien: "FRESSE JETZT", "ICH SCHREI WIE ICH WILL", "DA SCHEIß ICH DRAUF". Dieser Showdown drückt sich auch in der Körperspannung aus, die die abgrundtiefe Aggression, ja den Hass aufeinander zeigt. Vor allem aber beeindruckt die Stimmbeherrschung. Jedes Wort wird gebrüllt und trifft dabei ganz die Gefühlswelt der Figuren. Das ist große Schauspielkunst. Nur eine Antwort auf die Frage, ob die drei letztlich etwa Figuren in einem Computerspiel sind oder doch Märtyrerinnen des Systems, die aus dem Jenseits berichten, gibt Grube nicht. Vielleicht wollte sie das schlicht nicht.
Demut vor deinen Taten Baby (UA)
von Laura Naumann
Regie: Babett Grube, Bühne und Kostüme: Doris Margarete Schmidt, Dramaturgie: Franziska Betz / Viktoria Göke.
Mit: Ann Kathrin Doerig, Isabell Giebeler, Christina Huckle.
www.theater-bielefeld.de
Mehr zur Autorin: 2009 erhielt Laura Naumann den Münchner Förderpreis für neue Dramatik für ihr Stück "süßer vogel undsoweiter", das im Sommer 2010 im Rahmen der "Langen Nacht der Autoren" am Deutschen Theater Berlin in einer Werkstattinszenierung von Alexander Riemenschneider vorgestellt wurde.
Die "gerade beginnende Theatersaison hat mit Laura Naumann ihre erste Entdeckung", freut sich Stefan Keim in der Sendung "Fazit" auf Deutschlandradio Kultur (5.9.2012). Mit ihrem "pointierten, tempogeladenen Text" bringe Naumann eine "frische, eigenständige Stimme in der jungen Dramatik" zu Gehör, wobei sich der Kritiker auch "ein bisschen an René Pollesch" und – was den Plot anbelangt – an Ridley Scotts Frauen-Roadmovie "Thelma & Louise" erinnert fühlt. Lob erhält auch Regisseurin Babett Grube, die die Uraufführung ohne "überflüssigen Schnickschnack", als "ein kraftvolles, explosives Textfeuerwerk" realisiert. Das Werk, das bereits für mehrere Nachinszenierungen u.a. am Wiener Burgtheater gebucht sei, "wird ein Studiohit", ist sich Keim sicher.
Von einer gelungenen Uraufführung berichtet auch Heike Sommerkamp in der Neuen Westfälischen (7.9.2012). Die "fesselnd-vitale Schilderung der eigenen Vergangenheit" der Aktivistinnen werde im "Parforceerzähltempo" vorgetragen und doch schafften es die Schauspielerinnen "die Zuschauer in jede einzelne Szene hineinzuziehen". In der Inszenierung "spielt der Text klar die Hauptrolle", heißt es. "Stringent" seien Naumanns Texte: "Mit wenigen Sätzen stellen sich die nachgiebig-feminine Bettie (Isabell Giebeler), die zurückhaltende, nur in ihren Tagträumen tatkräftige Mia (Ann Kathrin Doerig) und die vordergründig toughe, vor Kirche, Spießertum und Elternhaus fliehende Lore (Christina Huckle) den knapp 60, TAM-Zwei-typisch eng um die Bühne platzierten Zuschauern vor".
"Demut vor deinen Taten Baby" stehe mitten im Pussy-Riot-Trend, hier allerdings nur putzig, schreibt dagegen Till Briegleb in der Süddeutschen Zeitung (13.9.2012). Erzählt werde von einem Mädchen-Trio, das Terror-Anschläge fingiert, damit die Menschen ihr Leben wieder genießen lernen, alles aber eher im "Hanni-und-Nanni-Format". Fazit: "Von der Regisseurin Babett Grube wird dies auch noch ohne jede szenische Phantasie umgesetzt. Drei aufgedrehte Mädchen zappeln sich ohne Bühnenbild durch den kahlen Raum, und am Ende bleibt nur ein Satz hängen: 'Phantasie habe ich keine, nur Tagträume von Erfolg.'"
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