Die Walküre - Schauspiel Köln

Im Keller der Tradition

von Max Florian Kühlem

Köln, 22. Oktober 2020. Mitten im Wirrwarr der visuellen und akustischen Reize, der Symbole, Einrichtungsdetails, Kostüme, Requisiten und Stimmen der Performer*innen lohnt es sich, einmal kurz Luft zu holen und zu reflektieren, was das hier eigentlich für ein Ort ist: Das Gebäude am Offenbachplatz ist das eigentliche Kölner Schauspiel. Während einer Pause der noch bis 2023 währenden Sanierung kann darin aktuell gespielt werden. Intendant Stefan Bachmann, der Erfolg und große Freiheit gefunden hat in der Interimsspielstätte Depot im Stadtteil Mülheim, nennt es jetzt "Außenspielstätte". Das Duo T.B. Nilsson und Julian Wolf Eicke hat den Innenraum nun umgebaut zur abgeranzten Kneipenbühne "Heidi's am Offenbach" und fragt darin nach unserem Verhältnis zur Tradition.

Marlow - Westfälisches Landestheater Castrop-Rauxel

Keine Spur von Babylon

von Sascha Westphal

Castrop-Rauxel, 17. Oktober 2020. Es ist wie ein Rausch, der Gereon Rath erfasst. Er, der den deutschen Gruß ablehnt und ihn meist nicht einmal andeutet, kann gar nicht mehr aufhören, "Heil" zu brüllen. Den rechten Arm stramm nach oben gestreckt steht der von Maximilian von Ulardt gespielte Berliner Kriminaloberkommissar allein im Zentrum der Bühne und gibt sich der Inszenierung der Macht hin. Es hat ihn im September 1935 nach Nürnberg auf den Reichsparteitag der Nationalsozialisten verschlagen. Aus einem Lautsprecher dröhnte eben noch eine Rede Adolf Hitlers, und nun kann auch Rath nicht mehr an sich halten. Er fällt ein in die "Sieg Heil"-Rufe, bis er sich gänzlich verausgabt hat. Dann verstummt er, und es ist, als wache er aus einem finsteren Traum auf. Plötzlich beginnt er, wie verrückt zu würgen. Etwas muss wieder aus ihm raus und lässt sich doch nicht einfach so ausspeien.

Deutsche feiern - Theater Münster

Wo Unheil gedeiht

von Sascha Westphal

Münster, 10. Oktober 2020. Nichts als Grauzonen. So war es schon vor über hundert Jahren, als dem Chemiker Fritz Haber zusammen mit Carl Bosch die Ammoniaksynthese gelang. Damit war der entscheidende Schritt auf dem Weg zur Produktion von Kunstdünger gemacht. Die Ammoniaksynthese ermöglichte aber auch die Produktion von Giftgas und dessen Einsatz als Massenvernichtungswaffe im Ersten Weltkrieg. Habers Ehefrau, die Chemikerin Clara Immerwahr, protestierte als überzeugte Pazifistin vergeblich gegen seine Bestrebungen für einen Gaskrieg und erschoss sich schließlich im Garten der gemeinsamen Villa nach einer Party, mit der Haber den ersten erfolgreichen Einsatz von Giftgas gegen die französischen Soldaten gefeiert hatte.

Herkunft - Theater Oberhausen

Widerstreitende Identitäten

von Max Florian Kühlem

Oberhausen, 9. Oktober 2020. Saša Stanišić. Wer den Namen des Schriftstellers in einem mit deutscher Tastatur geschriebenen Text korrekt darstellen will, muss ihn von irgendwo hinein kopieren – und wird so gleich mit dem Problem konfrontiert, das ihn zu seinem vielfach (unter anderem mit dem Deutschen Buchpreis) ausgezeichneten Werk "Herkunft" inspirierte: Mit diesem Namen bekommt man in nicht wenigen deutschen Vierteln keine Wohnung. Mit diesem Namen muss man ständig dieselben Frage beantworten: Woher stammt der? Woher kommen Sie denn eigentlich?

Mutter Courage - Düsseldorfer Schauspielhaus

Keine Kapaune, aber mit Alles

von Martin Krumbholz

Düsseldorf, 8. Oktober 2020. Voltaire befand, in allen Kriegen gehe es nur darum, zu stehlen. Das sieht der Dramatiker Brecht anders. Im Krieg – in jedem Krieg – gehe es darum, Geschäfte zu machen, getreu der These, der Krieg sei nur die logische Fortsetzung des Kapitalismus. Der Dreißigjährige Krieg (1618 – 1648), der vor allem Deutschland irreparablen Schaden zugefügt hat und die größte Katastrophe vor dem Ersten Weltkrieg war, ist in dieser Perspektive kein singuläres Ereignis, sondern ein modellhaftes: Der Zuschauer lernt daraus nichts, was er nicht aus jedem anderen Krieg lernen könnte.

Die Weber - Schauspiel Wuppertal

Friedrich Engels war auch nur ein Hipster

von Georg Kasch

Wuppertal, 2. Oktober 2020. Wer eine Imagekampagne braucht, hat meist Dreck am Stecken. Das Unternehmen XXX zum Beispiel: Der an Amazon angelehnte Konzern hat im Wuppertaler Opernhaus ein Logistikzentrum errichtet und ist offenbar der größte Arbeitgeber vor Ort. Wenn der einen Trailer voranschickt, in der zur penetrant fröhlichen Musik Angestellte und Bürger*innen versichern, dass XXX ein toller Arbeitgeber ist und Wuppertal – anders als erwartet – besser macht als erwartet, ist Skepsis angebracht. Wie sich auf der Bühne mit ihren Paketstapeln, Sackkarren und Transportregalen schnell zeigt: Das Unternehmen lebt von der Ausbeutung seiner Mitarbeitenden, überwacht sie per Kamera, schikaniert sie, und entlohnt sie mies. Ein weiteres Video zeigt, wie Thomas Braus' alter Baumert mit den Paketen durch die Stadt hetzt und auf dem Heimweg wehmütig John Lennons "Working Class Hero" mitsingt.

Homecoming – Forum Freies Theater Düsseldorf und andere | Online – machina eX zeigen eine neue Folge Pandemie-Reflexion im Gameformat
Homecoming
machina eX
Regie: machina eX
Düsseldorf - 01. Oktober 2020
2170: Was wird die Stadt gewesen sein, in der wir leben werden? – Schauspiel Dortmund – Julia Wissert geht zum Start ihrer Intendanz am Schauspiel Dortmund auf Tuchfühlung mit der Stadt
2170: Was wird die Stadt gewesen sein, in der wir leben werden?
Regie: Julia Wissert
Dortmund - 25. September 2020
Wut – Schauspiel Köln – Ersan Mondtag verdichtet Elfriede Jelinek Text über die Pariser Attentate 2015 zur formidablen Sprechoper der ungefilterten Affekte
Wut
Elfriede Jelinek
Regie: Ersan Mondtag
Köln - 25. September 2020
Romeo und Julia – Schauspiel Wuppertal – Nicolas Charaux schließt Shakespeares Liebestragödie mit antiker Geschlechterphilosophie auf
Romeo und Julia
William Shakespeare
Regie: Nicolas Charaux
Wuppertal - 19. September 2020
Schwarzwasser – Schauspiel Köln – Stefan Bachmann geht mit Elfriede Jelineks Ibiza-Stück zur deutschen Erstaufführung auf Theaterrundgang
Schwarzwasser
Elfriede Jelinek
Regie: Stefan Bachmann
Köln - 12. September 2020
Volksfeind for Future – Düsseldorfer Schauspielhaus – Lothar Kittstein überschreibt für das Düsseldorfer Schauspielhaus Ibsen und Volker Lösch ruft die Verkehrswende aus
Volksfeind for Future
Lothar Kittstein nach Henrik Ibsen
Regie: Volker Lösch
Düsseldorf - 11. September 2020
King Lear – Schauspielhaus Bochum – Johan Simons hungert Shakespeares Tragödie radikal auf ihren Glutkern herunter
King Lear
William Shakespeare
Regie: Johan Simons
Bochum - 10. September 2020
Gott – Düsseldorfer Schauspielhaus – Robert Gerloffs Uraufführung verlebendigt die Erkenntnisse und Zweifel in Ferdinand von Schirachs Sterbehilfe-Stück
Gott
Ferdinand von Schirach
Regie: Robert Gerloff
Düsseldorf - 10. September 2020
Die Hermannsschlacht – Schauspiel Köln – Oliver Frljić verwandelt Kleists wildes Historiendrama in ein kühles Lehrstück
Die Hermannsschlacht
Heinrich von Kleist
Regie: Oliver Frljic
Köln - 05. September 2020
Blackbird – Theater Bielefeld – Christian Schlüter adaptiert Matthias Brandts Romanstoff
Blackbird
nach Matthias Brandt
Regie: Christian Schlüter
Bielefeld - 05. September 2020
Warten auf Godot – Schauspiel Köln – Jan Bosse inszeniert Samuel Beckett ohne Pandemie-Anspielungen
Warten auf Godot
Samuel Beckett
Regie: Jan Bosse
Köln - 04. September 2020
Hyperreal – Düsseldorfer Schauspielhaus – Constanza Macras bearbeitet komödiantisch die kollektive Corona-Depression
Hyperreal
Constanza Macras
Regie: Constanza Macras
Düsseldorf - 03. September 2020
Pe3r Gynt _im Park – Park Schloß Strünkede Herne – Drei freie Theater schicken das Publikum mit Ibsens Klassiker auf Weltreise
Pe3r Gynt _im Park
Herne - 15. August 2020
Aktion: Aktion! – Asphaltfestival Düsseldorf – Das Kollektiv Pièrre.Vers erinnert auf dem Düsseldorfer Jürgensplatz an einen Putsch aus dem letzten Kriegsmonat 1945
Aktion: Aktion!
vom Theaterkollektiv Pièrre.Vers
Regie: Christof Seeger-Zurmühlen
Düsseldorf - 13. Juli 2020
Bericht über eine unbekannte Raumstation – Westfälische Kammerspiele Paderborn – Mit J.G. Ballards Kurzgeschichte schickt Katharina Kreuzhage das Publikum auf Entdeckungsreise durch das coronare Theateruniversum
Bericht über eine unbekannte Raumstation
J. G. Ballard
Regie: Katharina Kreuzhage
Paderborn - 29. Juni 2020
GAIA-Projekt – Ruhrfestspiele – Das kainkollektiv spielt multimedial mit Frauenbildern und Frauenklischees
GAIA-Projekt
kainkollektiv
Regie: kainkollektiv
Nordrhein-Westfalen - 27. Juni 2020
Benefiz. Jeder rettet einen Afrikaner – Schauspiel Wuppertal – Anna-Elisabeth Frick inszeniert Ingrid Lausunds Wohltätigkeits-Satire
Benefiz. Jeder rettet einen Afrikaner
Ingrid Lausund
Regie: Anna-Elisabeth Frick
Wuppertal - 14. Juni 2020
Die Befristeten – Schauspielhaus Bochum – Johan Simons inszeniert Elias Canettis Gedankenspiel zur Überwachungsgesellschaft als Kommentar auf unsere Gegenwart
Die Befristeten
Elias Canetti
Regie: Johan Simons
Bochum - 11. Juni 2020
Bochumer Short Cuts – Schauspielhaus Bochum – Johan Simons inszeniert eine Youtube-Serie
Bochumer Short Cuts
diverse
Regie: Johan Simons
Bochum - 20. Mai 2020
Corona zu Zweit – Das Theater Gütersloh wagt sich an die erste Uraufführung in Zeiten der Pandemie
Corona zu Zweit
Joachim Zelter
Regie: Christian Schäfer
Gütersloh - 09. April 2020
(save me) not – Theater Oberhausen – Frauen und Fiktion schenkt dem Theater zum Weltfrauentag eine beeindruckende Kampfansage im Jump‘n‘Run-Videospiel-Stil
(save me) not
Frauen und Fiktion
Regie: Frauen und Fiktion
Oberhausen - 06. März 2020
Verhaftung in Granada – Schauspiel Köln – Das autobiografische Buch von Doğan Akhanlı von Nuran David Calis für die Bühne adaptiert
Verhaftung in Granada
Doğan Akhanlı
Regie: Nuran David Calis
Köln - 28. Februar 2020
König Lear – Theater Bonn – Luise Voigt verdoppelt den Körper des Königs und übersetzt Shakespeares pessimistischste Tragödie in eine Abfolge stilisierter Vorgänge
König Lear
William Shakespeare
Regie: Luise Voigt
Bonn - 28. Februar 2020
Mein Vater und seine Schatten – Theater Münster – Martins Heckmanns' Requiem für alle dementen Väter der Nachkriegsgeneration hat Frank Behnke uraufgeführt
Mein Vater und seine Schatten
Martin Heckmanns
Regie: Frank Behnke
Münster - 21. Februar 2020
Parade 24/7 – Schlosstheater Moers – Ulrich Greb und sein Ensemble wagen sich an eine theatrale Aufarbeitung der Love-Parade-Katastrophe von Duisburg
Parade 24/7
Ulrich Greb & Mitwirkende
Regie: Ulrich Greb
Moers - 19. Februar 2020
Lolita (R)evolution (Rufschädigendst) - Ihr Alle seid die Lolita Eurer selbst! – Theater Dortmund – Jonathan Meese zeigt allerlei Besessenheiten
Lolita (R)evolution (Rufschädigendst) - Ihr Alle seid die Lolita Eurer selbst!
Jonathan Meese
Regie: Jonathan Meese
Dortmund - 15. Februar 2020
Lulu – Düsseldorfer Schauspielhaus – Bernadette Sonnenbichler reichert Wedekinds Klassiker mit Texten zur neuen Weiblichkeit und Biopolitik an
Lulu
Frank Wedekind
Regie: Bernadette Sonnenbichler
Düsseldorf - 15. Februar 2020
letztes Licht. Territorium – Düsseldorfer Schauspielhaus – Jan Gehler bringt Thomas Freyers neues Stück zur Uraufführung
letztes Licht. Territorium
Thomas Freyer
Regie: Jan Gehler
Düsseldorf - 13. Februar 2020
Bomb – Schauspiel Köln – Lily Sykes inszeniert die Uraufführung von Maya Arad Yasurs Antikriegsstück
Bomb
Maya Arad Yasur
Regie: Lily Sykes
Köln - 08. Februar 2020
Die Räuber – Theater Bonn – Simon Solberg inszeniert Friedrich Schillers Frühwerk mit Gangster-Rap, Videospiel-Anleihen und viel jugendlichem Pathos
Die Räuber
Friedrich Schiller
Regie: Simon Solberg
Bonn - 31. Januar 2020
Iwanow – Schauspielhaus Bochum – Johan Simons inszeniert Tschechows Stück mit Jens Harzer in der Titelrolle
Iwanow
Anton Tschechow
Regie: Johan Simons
Bochum - 18. Januar 2020
Die Farbe des Morgens an der Front – Theater Paderborn – Milena Fischer inszeniert die deutschsprachige Erstaufführung des auf einer Reportage basierenden Stücks von Mustafa Can
Die Farbe des Morgens an der Front
Mustafa Can
Regie: Milena Fischer-Hartmann
Paderborn - 18. Januar 2020
Aus dem bürgerlichen Heldenleben – Schauspiel Köln – Frank Castorf schnürt ein großes Carl-Sternheim-Paket und übergibt es dem Verein freier Menschen
Aus dem bürgerlichen Heldenleben
nach Carl Sternheim
Regie: Frank Castorf
Köln - 17. Januar 2020

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