Plug & Play - Staatstheater Mainz
Die Liebe endet im Lärchenwald
10. Mai 2024. "Plug & Play" heißt das viertägige Theaterfestival für junge Regie am Staatstheater Mainz. Am Eröffnungsabend standen zwei Stücke auf dem Spielplan, in denen Autorinnen und Regisseurinnen sich mit toxischen heterosexuellen Beziehungsmustern beschäftigen.
Von Leopold Lippert
10. Mai 2024. Die 2020 uraufgeführte Solo-Performance "Mustard" der irischen Schauspielerin und Dramatikerin Eva O'Connor ist eine knapp einstündige Beziehungs-Trauerarbeit, die mit Senf eine schmierige Metapher für die zunehmende psychische Instabilität der Protagonistin findet. In "Eine Zierde für den Verein", nach dem ursprünglich 1931 erschienenen Roman von Marieluise Fleißer, entwickelt Regisseurin Alina Fluck eine beinahe schon thesenhafte Studie über gewalttätige Männlichkeit in der Zwischenkriegszeit, auch wenn sie dabei – ein knappes Jahrhundert später – einen belustigt fetischisierenden Blick auf die sportlichen Jungmännerkörper wirft.
"Mustard": Kalendersprüche gegen die mentale Krise
Eva O'Connor kommt im ausgewaschenen Schlabberlook auf die leere Studiobühne und erzählt erstmal sehr lakonisch von sehr gutem Sex. Was anfängt wie die irische Version von "Fleabag", wird schnell abgründiger, denn: die Beziehung, wenn sie denn je eine war, ist vorbei, und die Trauer verselbständigt sich zu einer echten psychischen Krise. "My mind goes to mustard" ist das Bild, das O'Connor dafür findet, und Senf hat sie auch mitgebracht, um ihn erst auf ihrem Körper zu verschmieren und ihn dann mühsam wieder abzuwaschen.
Dazwischen verhandelt sie die Geschichte einer jungen Irin vom Land, die nach London kommt und sich unglücklich in einen reichen Profi-Radrennfahrer verliebt, nur um dann wieder zuhause bei ihrer religiösen Mutter zu landen, die ihr mit Häkeln und Kalendersprüchen aus der mentalen Krise helfen will.
Der sehr bildhafte Text von "Mustard" verhandelt neben toxischer Heterosexualität und psychischer Gesundheit auch Klassenzugehörigkeit und das englisch-irische Verhältnis; vor allem ist er aber deswegen interessant, weil immer ambivalent bleibt, wie sehr man der Perspektive der immer aggressiver werdenden Erzählerin tatsächlich trauen kann. Die Inszenierung (Regie: Hildegard Ryan) hingegen bleibt in ihrer bemühten Einfachheit recht mechanisch: Erstmal werden alle Requisiten ausgepackt, das Mini-Planschbecken aufgepumpt, dann: Senf rauf, Senf runter, Abblende. Und weil der Senf nur Theaterfarbe ist, riecht man nicht mal etwas.
"Eine Zierde für den Verein": Abgründige Männlichkeitsmythen
Auf einer simplen Holzbühnenkonstruktion, die ein Schwimmbad ohne Wasser darstellt, (Bühne: Marleen Johow) erzählt Alina Fluck die Liebesgeschichte von Gustl (Dennis Svensson) und Frieda (Laura Talenti), die spätestens dann problematisch wird, als Gustl Friedas Geld will, um seinen erfolglosen Tabakladen am Laufen zu halten. "Die Liebe endet im Lärchenwald" heißt es dann auf der Wandprojektion, und der zurückgewiesene Gustl winselt dort erst noch, droht dann Frieda aber ganz kalt: "Ich werde dich so zurichten, dass niemand was mit dir zu tun haben will!"
Die psychische und später auch körperliche Gewalt gegen Frieda wirkt umso bedrohlicher, weil wir bis dahin die Jungmännlichkeit von Gustl und seinen vier Schwimmerfreunden eher lächerlich gefunden haben. Fluck inszeniert die fünf Jungs aus der "entmilitarisierten Stadt mit 29.000 Einwohnern und 10 Prozent Arbeitslosen" als Haargel-Fetischobjekte in superkurzen Hosen und weißen Unterhemden, die mit ihrer verspielten Körperlichkeit und ihren einfältigen Gedankengängen erst mal recht harmlos wirken. Doch der Mythos von der "natürlichen Macht des Mannes" bricht bald unheimlich aus ihnen heraus, und der war in der Zwischenkriegszeit wohl genauso gefährlich wie heute.
Spaß nach Rezept
Flucks Inszenierung, die auch ihre Diplominszenierung an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch war, ist solide im Mitteleinsatz: Es gibt Trockeneisnebel, chorisches Sprechen, Erzählen mit verteilten Rollen, eine Beinahe-Live-Kamera ohne wirkliche dramaturgische Funktion, ein bisschen harmloses Agitieren ins Publikum, eine Italo-Disco-Einlage (Laura Talenti darf Raffaella Carràs "A far l’amore comincia tu" schmachten) und nicht zu vergessen: eine überdimensionierte Schwanenschaukel. Das klingt ein bisschen sehr nach Baukasten. Spaß macht es aber trotzdem.
Plug & Play Festival
Mustard
von Eva O'Connor
In englischer Sprache
Regie: Hildegard Ryan.
Mit: Eva O'Connor.
Dauer: 1 Stunde, keine Pause
Eine Zierde für den Verein
nach Marieluise Fleißer in einer Fassung von Alina Fluck und Kundry Reif.
Regie: Alina Fluck, Bühne und Kostüm: Marleen Johow, Dramaturgie: Kundry Reif, Mitarbeit Bühne und Video: Nils-Thore Grundke, Musik: Alexander Zwick.
Mit: Julius Gruner, Joshua Kliefert, Maurice Läbe, Philipp Lehfeldt, Dennis Svensson, Laura Talenti.
Dauer: 1 Stunde 15 Minuten, keine Pause
www.staatstheater-mainz.com
Kritikenrundschau
Einen "ungewöhnlichen Höhepunkt" des "Plug & Play"-Festivals stellt für Matthias Bischoff von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (10.5.2024) das Solo "Mustard“ mit "Schauspiel pur" dar: "Der Senf ist nicht echt, aber die Gefühle sind es, und man schwankt beim Zusehen im Mainzer U17 zwischen Mitleid, Ekel, Lachen und Schock." Marieluise Fleißers autobiographischer Roman "Eine Zierde für den Verein" in der Adaption von Alina Fluck wirkt auf den Rezensenten "besonders wegen des dargestellten Körper- und Muskelkults erstaunlich aktuell".
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