Das nackte gute Leben 2.0 - Kunstfest Weimar
Das hier ist keine Übung
28. August 2024. Wie geht’s, in Zeiten real existierender Multi-Krisen? Beim Kunstfest Weimar finden Lydia Ziemke und ihre zwei Schauspieler eine fühlbare Form für das latente Bedrohungsgefühl in einer "Zwischenwelt voll Panik und Euphorie". Und erinnern an Klassiker des Zauderns und Nichtgeschehens wie "Hamlet" oder "Warten auf Godot".
Von Sophia Zessnik
28. August 2024. Sind Optimismus und Hoffnung das gleiche? Bedingen sie einander? Und was passiert, wenn wir eines davon verlieren? Fragen, die so nicht gestellt und doch beantwortet werden von den zwei Männern auf der kargen Studiobühne des Nationaltheaters Weimar. In deren Mitte nur ein Stuhl, an den flankierenden Wänden zwei orangefarbene Rettungswesten. Letztere werden in der knapp einstündigen Inszenierung "Das nackte gute Leben 2.0" keine Verwendung finden. Vielleicht, weil ihre Funktion obsolet geworden ist, in einer Welt der permanenten Krisen und Katastrophen.
Teil Zwei eines Corona-Projekts
In so einer Welt leben die beiden Männer. Oder lebten, denn so recht scheinen sie nicht mehr in ihr verankert zu sein, obwohl sie noch "festen Boden unter den Füßen" haben und "gewachsene Strukturen" sie umgeben. Und überhaupt "geht es ja nicht schlecht", ist das Leben ja noch lebenswert, weil kein Hunger, kein Krieg, keine Seuchen einen direkt betreffen. Bequem ist der Alltag ja noch, man könne Urlaub machen, Pizza essen in Italien... So reden sie dahin.
Das Stück von Lydia Ziemke, das auf dem Kunstfest Weimar Premiere feiert, ist eine Art Fortsetzung: Ein Sequel für ein bereits erprobtes Projekt, das Ziemke mit ihrer Company suite42 und in Kooperation mit dem Zoukak Theater in Beirut sowie dem Deutschen Schauspielhaus Hamburg bereits 2019 inszenierte. 2020 aber unterbrach erst die Pandemie die Zusammenarbeit. Später erschwerten Bedingungen wie die Explosion im Beiruter Hafen, aber auch persönliche Lebensentwicklungen der einst fünf Darstellenden die Wiederaufnahme der internationalen Kooperation.
Kammerspiel als teilnehmende Krisen-Beobachtung
Auch in der damaligen Fassung bestimmte die Klimakrise als übergeordnetes Sujet die Handlung. Daran hat sich in der Fassung 2.0 nichts geändert. Überall brennt es, wenn noch nicht real, dann bereits in den Köpfen der beiden Männer, denen diese dystopische Lebensrealität sichtbar zusetzt. Immer wieder versuchen sie aus ihrem Zufluchtsort auszubrechen, der mal ein Bunker, dann aber doch wieder nur ein Ort im Hinterstübchen ihrer imaginierten Realität zu sein scheint. "Warum sind Sie hier?", fragt mal der eine, den anderen und vice versa. So wechseln sie sich ab, sind mal Befragter, mal Fragender, scheinen erst einander, dann auch sich selbst zu misstrauen.
In welcher Beziehung die beiden zueinander stehen, wird nie ganz klar. Ihre beckettähnlichen Dialoge gleichen mal einem Kreuzverhör, dann wieder wirken sie wie Therapeut und Patient. Immer wieder tauschen sie die Rollen, könnten auch ein und derselbe sein oder Leidensgenossen kurz vor der Apokalypse.
Nicht immer einfach ist es, dem fragmentierten Text voller philosophischer Fragen, den Ziemke und der Schauspieler Roland Bonjour entwickelt haben, zu folgen. Manches Mal würde man gerne den einen oder anderen Gedankengang zu Ende gehen, ihn sich in konkrete Ideen verwandeln sehen. Wie dringlich eine Antwort auf die Fragen unserer Zeit plötzlich erscheint, wie wenig aufschiebbar, liegt auch am Spiel der beiden Protagonisten. Bonjour, der am Theaterhaus Jena und in Hamburg zu sehen war, sowie Stefan Stern, ehemals im Berliner Schaubühnen-Ensemble und aktuell am Hamburger Thalia zu sehen, lassen dieses Kammerspiel zur teilnehmenden Beobachtung werden.
Konditionierung durch einen Klang
Besonders deutlich wird das, wenn ein wiederkehrender Ton erklingt (Sound Design: Nils Lauterbach): Dunkel und grollend kriecht er in die Körper der Spielenden, lässt sie sich winden und erzeugt schließlich einen Pawlow`schen Effekt, auch bei den Zusehenden. Ähnlich wie die Wirkung von sich häufenden Nachrichtenbildern zu Starkregen, Fluten oder Bränden erfasst einen hier, durch den Ton verursacht, ein Unbehagen: Eines, das die Wirbelsäule hochkriecht, die Knochen befällt und sich in ihnen einnistet. Ziemke und ihrem Zweierensemble gelingt es so, das diffuse (Angst-)Gefühl in eine fühlbare Form zu bringen. Automatisch möchte man sich irgendwann winden, wie es Bonjour und Stern tun, sobald der Ton erklingt.
Das hier ist keine Übung, wir stecken mittendrin in dieser seltsamen "Zwischenwelt voll Panik und Euphorie", wie es in der Ankündigung heißt. Das dort an zweiter Stelle genannte Hochgefühl bleibt zum Glück Grundton der Inszenierung, was auch den teilweise slapstickartigen Sequenzen zu verdanken ist, bei denen Bonjour und Stern etwa versuchen, das einzig benutzte Bühnenrequisit – den Stuhl – zeitgleich zu besetzen. Das Ergebnis ist ähnlich komisch wie die Fotoserie "Seeking comfort in an uncomfortable chair" von Bruno Munari.
Die wohl wichtigste Lehre in "Das nackte gute Leben 2.0" bleibt die: Optimismus und Hoffnung sind nicht das gleiche. Mit Optimismus geht auch eine gewisse Kontrolle einher, die Dinge beeinflussen zu können. Hoffnung verhält sich indes gegenteilig, sie braucht weder Grund noch Logik. Und ist vielleicht gerade deshalb das, was bleibt.
Das gute nackte Leben 2.0
von Lydia Ziemke
Regie: Lydia Ziemke, Text: Roland Bonjour, Lydia Ziemke & Ensemble, Bühne & Kostüm: Ensemble, Musik & Sound Design: Nils Lauterbach, Licht: Antonella Rizk
Mit: Roland Bonjour, Stefan Stern
Premiere am 27. August 2024
Dauer: 1 Stunde, keine Pause
www.kunstfest-weimar.de
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