Was ihr wollt - Matthias Hartmann versammelt eine Schaupielerspitzenmanschaft für ein Shakespearespiel
Narrenspiel an der Küste Illyriens
von Thomas Askan Vierich
Wien, 22. Dezember 2010. Die Stars dieses Abends kurz vor Weihnachten sind die Narren. Und die, die in ihnen stecken. Also Michael Maertens als Sir Andrew Bleichenwang, Nicholas Ofczarek als Sir Toby Rülp, Sven-Eric Bechtolf als Narr Feste und Joachim Meyerhoff als Verwalter Malvolio, der mit einem gefälschten Brief zum Narren gemacht wird. Nicht zu vergessen Maria Happel, die aus der Zofe Olivias mit Stöckelschuhen und Staubsauger eine komödiantische Rolle ersten Grades macht.
Olivia selbst, die vom Herzog vergeblich umgarnte und in eine Frau in Männerkleidern verliebte Gräfin, wird von Dörte Lyssewski gespielt. Auch sie wird genarrt. Viola, die als Schiffbrüchige an der Küste Illyriens landet und ihren Zwillingsbruder tot in den Fluten glaubt, muss in diesem Narrenspiel ernste Miene machen – was das Spiel von Katharina Lorenz jedoch manchmal ziemlich angespannt wirken lässt. Der von Fabian Krüger gespielte Orsino dagegen, der vom Liebesleid geplagte Herzog, soll witziger sein, als er ist.
Sensationeller Tanz auf Messers Schneide
Die erste Hälfte des Abends ist brillant. Regisseur Matthias Hartmann sprudelt über vor Ideen. Selten waren Michael Maertens und Nicolas Ofczarek so witzig. Maertens interpretiert Bleichenwang gnadenlos als Ritter von der traurigen Gestalt – inklusive einer Rüstung aus Plastik, die ihm viel zu groß ist. Ofczarek stakst als ständig betrunkener Sir Toby mit einem halbgefüllten Glas, aus dem er nie trinkt, grotesk über die Bühne, lallt gerade noch verständlich seinen Text, wird aber trotzdem nie albern – was in dieser Rolle leicht möglich gewesen wäre. Und Meyerhoff agiert so heftig und brillant wie immer.
Sensationell seine Szene, als er einen Ring, den er zu übergeben hat, nicht vom Finger bekommt, deshalb am Finger lutscht, um den Ring schließlich zu verschlucken. Nach ausgiebigem Würgen spuckt er ihn Viola vor die Füße, die ihn angwidert mit einem Taschentuch aufhebt. Solche Slapstickeinlagen werden mit stürmischen Szeneapplaus bedankt. Ofczarek und Maertens schaffen es, auch aus dem simplesten Auftritt großes Theater zu machen: Das Publikum tobt. Hier steckt viel Detailarbeit drin, Lust am Spiel, Mut zum Slapstick. Atemberaubend wie Regisseur und Ensemble uralte Theatertricks entstauben wie den, sich unter oder hinter einem Vorhang zu verstecken. Dabei ringen sie mit dem Tuch, das ihnen ständig verrutscht. Schließlich stehen sie ganz ohne Vorhang da. Als der Blick des Belauschten auf sie fällt, schauen sie betont in die andere Richtung: "Was du nicht siehst..." So etwas kennt man aus dem Kasperltheater.
Was Hartmann hier auf die Burgbühne zaubert, ist allerdings Kasperltheater auf allerhöchstem Niveau. Absoluter Höhepunkt: Der gemeinsam von Maertens, Ofczarek und Bechtolf mit Inbrunst gesungene Kanon "Halt's Maul, du Sau". Der steht so auch bei Shakespeare, der bekanntlich vor keiner Zote zurückschreckte. Sehr unterhaltsam, das alles. Sie lassen es lange beherzt krachen, ohne ins Alberne abzugleiten.
Transgender ohne Folgen
Das ändert sich leider nach der Pause. Aus dem brillanten Kasperltheater wird schenkelklopfendes Boulevard. Der sich in gelben Strumpfhosen vor seiner angebeteten Gräfin winden müssende Meyerhoff ist einfach albern. Die Reaktion von Dörte Lyssewski als Gräfin, die immer wieder erstaunt ihren Mund aufreißt, nur noch schlechtes Boulevardtheater. Hubschraubergeknatter und Suchscheinwerfer bei einer simplen Verhaftung als Regieeinfall wirken reichlich überzogen. Dann stecken sie Meyerhoff in eine Kiste und filmen sein angsterfülltes Gesicht per Live-Videokamera. Viel zu lange. Auch die gelungene melancholische Musik von Karsten Riedel, zu der er Shakespeare-Sonette singt, kann den überhandnehmenden Klamauk nicht mehr besänftigen.
Im Original trägt das Stück den Zusatz "The twelth Night". Damit ist wahrscheinlich der Dreikönigstag, also der sechste Januar gemeint. Die zwölf Nächte davor gelten als "Rauhnächte", als eine Art Karneval, in denen die gesellschaftlichen Regeln außer Kraft gesetzt sind und die Menschen sich in allerlei erotische Abenteuer stürzen. Deshalb lieben bei Shakespeare Frauen in Männerkleidern Männer und Frauen Frauen in Männerkleidern. Bei Hartmann dürfen sich sogar zwei Männer in Männerkleidern lieben. Aber so richtig wird nicht klar, was aus all diesem Transgender-Spiel folgt. Am Ende kriegen dann doch die Männer die Frauen und umgekehrt. Die Bühne fährt nach hinten und fast scheint es so, als würden sich die Paare auf der Hinterbühne gegenseitig erwürgen.
War lustig, oder?
Hartmann hat vor der Premiere durchblicken lassen, dass die Proben sehr schwierig verlaufen seien, er kurz davor gestanden habe, erstmals in seiner Karriere ein Stück abzusagen. Shakespeare-Komödien sind diffizil zu inszenieren. Es ist nicht einfach, die Balance zwischen brüllender Komik und zarter Melancholie zu halten. Genau das ist Hartmann nach der Pause nicht mehr gelungen. Was angesichts der wunderbaren ersten Hälfte sehr schade ist. Sicherlich war auch die Arbeit mit seinem Ensemble schwierig. Es ist wie beim Fußball: Lauter Stars machen noch keine gute Mannschaft. Aber über weite Strecken war ihr Spiel hervorragend. Nur am Ende ist ihnen die Puste ausgegangen.
An der Garderobe sagt der eine Premierenbesucher zum anderen: "War lustig, oder?" "Mhm."
Was ihr wollt
von William Shakespeare
Deutsch von Elisabeth Plessen, Fassung des Burgtheaters
Regie: Matthias Hartmann Bühne: Stéphane Laimé Kostüme: Tina Kloempken Musik: Karsten Riedel Licht: Peter Bandl Dramaturgie: Plinio Bachmann.
Mit: Katharina Lorenz, Bernd Birkhahn, Simon Kirsch, Oliver Masucci, Fabian Krüger, Karsten Riedel, Michael Masula, Dörte Lyssewski, Maria Happel, Nicholas Ofczarek, Michael Maertens, Joachim Meyerhoff, Sven-Eric Bechtolf, André Meyer, Detlev Eckstein.
www.burgtheater.at
Mehr zu Matthias Hartmann gibt es nachtkritik-Archiv.
Es gehört zu den Eigenheiten des Wiener Theaters, dass Schauspieler traditionell weit höher geschätzt werden als Regisseure. Von "Burgregisseuren" sei in Wien nie die Rede, und das werden die vorweihnachtlichen Burgtheater-Premieren ("Was ihr wollt" und "Peggy Pickit") nicht ändern. "Sie waren große Komödianten-, Slapstick-, Herzensbrecher- und Heulsusenfeste. Regiefeste waren sie aber nicht", schreibt Stephan Hilpold in der Frankfurter Rundschau (24.12.2010). habe seine Inszenierung auf die komischen Nebenfiguren abgestimmt, "großes, virtuoses Schenkelklopfertheater". Den Rest des Stücks lege Hartmann in die Hände von Karsten Riedel, der am Klavier und an der Gitarre einige der schönsten Sonette Shakespeares anstimmt. "Die Zartheit und Melancholie dieser Songs erreicht die Inszenierung aber nie. Je länger der Abend, umso größer seine Schieflage. Wehe, wenn ein Witz des komischen Quartetts einmal nicht zündet: Dann gähnt die Leere einer Inszenierung, die von vollen Herzen und vollen Hosen handeln sollte."
"Ohne Rücksicht auf die vom Weihnachtsfrieden gebotene Zurückhaltung: Hartmanns Inszenierung ist komplett missglückt. Schlimmer noch: Sie wirkt plump, geistlos, ja abstoßend. Harte Worte, gewiss. Aber immerhin handelt es sich um eine der schönsten und reifsten Komödien Shakespeares", bilanziert Ulrich Weinzierl in der Welt (24.12.2010). "Bechtolf und Ofczarek, Maertens und Meyerhoff - schon dieses darstellerische Luxusquartett sollte eine gelungene Aufführung garantieren." Leider keine Rede davon, so Weinzierl. Die Herren vergeuden ihr Ausnahmetalent drei Stunden lang mit Klamauk. "Hartmanns Regie raubt den Charakteren jede Entwicklungsmöglichkeit, bringt nichts als Schießbudenfiguren auf die Bühne. Eine traurige Galerie des Scheiterns - lauter Pappkameraden, niedergestreckt von Lachsalven."
Matthias Hartmann setze ganz auf die Rüpelszenen und fahre dafür an Schauspielern auf, was das Haus zu bieten hat, "und das ist ja bekanntlich nicht so wenig", so Martin Lhotzky in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (24.12.2010). Alles sehe nach großem Spaß aus, "legt aber nur die Schwächen der Inszenierung offen. Schauspielerführung ist nicht erkennbar, jeder darf treiben, was er will." Der meiste Wortwitz ist mit der stolz als "Fassung des Burgtheaters" im Programmheft beworbenen Neuübersetzung auch perdu "- niemanden stört das, alle haben viel Freude und der Direktor die Lacher auf seiner Seite". Fazit: "So billig kann man sich's auch machen und passt dabei nahtlos in die Reihe der jüngsten, oft ähnlich vage und spaßgesellschaftlich angelegten Shakespeareaufführungen im Burgtheater."
Regisseur Matthias Hartmanns Blick ruhe zärtlich auf den Rüpeln, den Narren und Wortverdrehern, schreibt Ronald Pohl im Standard (24.12.2010) und findet, dass die Tragödie Malvolios es ist, die dieser staunenswerten Aufführung ihr Gütesiegel aufpräge. "Meyerhoff braucht keine Rosenhecken und keine vertonten Shakespeare-Sonette, um in der Gesellschaft lauter törichter Menschen den Lebensernst zu proklamieren. Er stellt seine berühmten gelben Strümpfe zur Schau. Er fällt in die Hölle einer vernagelten Kiste, in der er als zungenschlagender Zombie nach Vergeltung kräht. Und er bezichtigt zuletzt das Publikum: 'Das wird gemeldet!' Er werde die Zuschauer vor Gott anklagen." Ein Mann behält gegen jede Wahrscheinlichkeit recht, "und mit ihm Hartmanns lukullischer Shakespeare-Versuch".
Hartmann stelle Shakespeare in seiner Inszenierung "als Genie der Klamotte vor, packt ihn an der Oberfläche und pfeift auf Verluste", schreibt Helmut Schödel in der Süddeutschen Zeitung (27.12.2010). "Man sieht an diesem Abend die Shakespeare-Klamotte 'Was ihr wollt' und was großartigen Schauspielern dazu einfällt, wenn sie nur dürfen, während fern im Hintergrund Charleys Tante winkt. Es war einen Versuch wert." Ausführlich preist Schödel Maria Happel, Nicholas Ofczarek, Michael Maertens und Joachim Meyerhoff und freut sich über den Schluss: "Wenn der Narr am Ende an der Rampe sein Lied singt, fährt die Gerüstbühne nach hinten davon, und die Figuren, die Anfangs der Sturm ins Theater blies, werden jetzt vom Dunkel verschluckt. Dieser schöne Schluss und die von Karsten Riedel vertonten und vorgetragenen Shakespeare-Sonette gleichen den Mangel an Tiefe und das nicht gerade Musikalische dieser Inszenierung ein Stück weit aus."
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Sonst war alles ganz bezaubernd...
das bühnebild war schauerlich und die inszenierung hatte schultheater-charakter. kitsch und blumenmeer, brillen und barockes detail. die einzelfiguren haben zuviel individualität und darüber geht das ganze zugrunde. hape kerkeling und dieter krebs lassen grüßen!
danke
klaus
versteh nicht was es an dem sttück zu lachen gab
ein Mann hinter mir hat bei jedem satz gelacht
furchtbar
Mögen Sie das Stück generell nicht oder nur diese Inszenierung?
Ich fand nämlich an dieser Inszenierung gut, dass es das Stück nicht als eine "Heilige Kuh von Shakespeare" seriös nahm sondern als das, das es ja wahrscheinlich auch einst wirklich war. Eine absurde (nicht einmal die Geschwister erkennen sich, damit die Handlung ja nur weiter geht!!!) Verwechslungsgeschichte, die jede Menge Platz lässt für schauspielerische Outrage.
Ich habe zwar nicht bei jedem Satz gelacht, aber doch recht oft.
Da hat es dann doch noch geklappt, mit einem kurzen Wien-Besuch am Ende diesen Jahres. Es geht mit Flyniki in gut einer Stunde aus dem tief verschneiten Verkehrschaos Berlins ins ÖPNV-Paradies Wien, wo die Bahn mit an Wunder grenzender Selbstverständlichkeit alle 5 min. fährt und man immer wieder in nettem Dialekt gebeten wird, seinen Sitzplatz anderen Bedürftigen zu überlassen. Neben den größten Schnitzeln und den besten Mehlspeisen der Welt, gibt es in Wien auch die älteste Kaffeehauskultur und so bekommt man eben nicht einfach nur einen Kaffee, sondern so merkwürdige Dinge wie Einspänner, Verlängerte und kleine oder große Braune. Diese besondere Melange aus traditioneller k.u.k. Beschaulichkeit und ein liebenswerter weltmännischer Größenwahn machen den besonderen Charme von Wien aus. Das konsequente Ignorieren aller moderner Einflüsse in Kultur und Sprache sowie eine gewisse Hassliebe zur eigenen Geschichte zeichnen den Wiener (Lebens)Künstler aus. Allerdings ist die Zeit der Kaffeehausliteraten wie Karl Kraus, Arthur Schnitzler, Robert Musil, Franz Werfel oder Joseph Roth lange vorbei und man kann die meisten Protagonisten nur noch auf dem Zentralfriedhof besuchen.
Die Ruhe dieser morbiden Weihestätte hat Wien am Silvesterabend komplett abgelegt und gibt sich in der Innenstadt der Feierlaune der Touristen hin. Am Graben ist kaum noch ein Durchkommen und das Wiener Bildungsbürgertum hat sich in der Burg verschanzt. Der Burgdirektor Matthias Hartmann lädt zur traditionellen Silvesterpremiere. Ich lasse aber die Burg links liegen und begebe mich lieber zu einem köstlichen Silvestermenü und einer anschließenden Party in der roten Bar des Volkstheaters. So habe ich zwar den jährlichen Witz des Burgdirektors verpasst aber auch eine an einen solchen erinnernde Inszenierung. Dennoch siegt schließlich die Neugier und am Neujahrsabend habe ich mir doch noch ein Last-Minute-Ticket für den Parasiten geholt.
Tür auf Tür zu, Matthias Hartmann rutscht auf der Schleimspur des Schillerschen Parasiten aus
Der Burgdirektor hat zum Jahreswechsel alles aufgeboten was Rang und Namen am Burgtheater hat. Udo Samel als leicht beeinflussbarer Minister Narbonne, Kirsten Dene als dessen dominante Mutter und Johann Adam Oest als braver Beamter Firmin, aber natürlich darf einer nicht fehlen und so wanzt sich Michael Maertens als Selicour nicht nur mit aller Macht an alle die sein Fortkommen befördern können, sondern auch ans Wiener Publikum ran. Auf einer riesigen Schleimspur schliddert er in Schillers Komödienübersetzung des Franzosen Louis-Benoît Picard durch die Inszenierung von Matthias Hartmann.
Was Hartmann nach Inszenierung des Parasiten in Bochum und Zürich immer noch an dieser moralisierenden Parabel vom mediokren nach oben buckelnden und nach unten tretenden Emporkömmlings interessiert, kann er hier trotz seines Kniffs mit dem dreifachen Ende, in dem alle als Intriganten und Kriecher entlarvt werden, nicht wirklich deutlich machen. Die Inszenierung bleibt so mittelmäßig wie es der französische Originaltitel „Médiocre et rampantes“ verheißt. Schon Regiekollege Philip Tiedemann ist vor gut einem Jahr mit einer Kasperletheaterversion am BE gescheitert, trotzdem setzt Hartmann auf Altbewährtes und die Kunst seiner Darsteller. Zur Klamotte taugt der Stoff allemal und so geben sich alle redlich Mühe, um den Wienern Mittelmäßigkeit und Verlogenheit par excellence vorzuführen. Am besten gelingt das noch Oliver Stokowski als von Sellicour geschasstem Schreiber La Roche. Er spinnt gekonnt die Gegenintrige. Immer wieder hat er nur beim bloßen Nennen des Namens seines Widersachers reinste Säurespritzer im Auge.
Die Jungen, Gerrit Jansen als verhinderter Dichter Karl Firmin und Yohanna Schwertfeger als seine Angebetete Charlotte, bleiben eher blass, der Rest spielt brav und kocht das durchaus vorhandene komödiantische Talent auf Sparflamme. Der Klamauk überwiegt und Maertens chargiert, näselt und grimassiert, dass das Wiener Publikum in wahre Begeisterungsräusche verfällt. Das Beste bleibt allerdings das Bühnenbild von Johannes Schütz, mit einer hohen weißen Faltwand mit verschieden großen Türen, durch die kleinste zwängt sich der niedere genügsame Beamte Fermin und an die Klinke der größten reicht Udo Samels Narbonne fast nur auf Zehenspitzen. Leider verläppert sich der Witz zunehmend und der Herr neben mir verfällt in einen seligen Theaterschlaf, der Glückliche. Die übrigen Wiener können dann nach den obligatorischen Pausenschnittchen beruhigt der Moral von der Geschicht beiwohnen und sich vergnügt auf den Heimweg machen. Wirkliches Mobbing geht anders.
Schalksnarren sind ein unnütz Hofgesind. - Friedrich Petri (1549-1617)
Das wusste auch schon William Shakespeare und so gab er seinen eh schon maladen Figuren meist noch einen lustigen Gesellen an die Seite, der zum Hohn der Herrschaft noch für kräftig Spott sorgte. König Lear musste sich mit so einem Schalksnarren herumplagen und als er dann dem Wahnsinn nahe ans Wüten ging, ging auch der Narr, nicht nur von der Leine, sondern lieber gleich stiften. Der Narr und der Mächtige, ein sich stets in Frage stellendes Paar, das die Ambivalenz von Macht symbolisiert.
Auch die hoch melancholische Fürstin Olivia aus Illyrien besitzt eben so ein Exemplar. Ihr Narr liegt vorzugsweise auf der faulen Haut und gibt gescholten nur patzige Antworten: „Weg mit der Lady!“. Den Schalk im Nacken, die Hand stets offen, gibt ihn Sven-Eric Bechtolf als abgehalfterten Entertainer, der schon bessere Tage gesehen hat, im abgewetzten Anzug und ohne Schuh. Immer auf der Reise zwischen zwei knauserigen Herren, zieht er einen Verstärker wie einen Rollkoffer auf dem Flughafen hinter sich her und kann gar wunderlich Geräusche damit machen, Lieder singen, die keiner hören will und zu Anfang weiß er sogar einen Schiffsuntergang damit zu bewerkstelligen.
Die Bühne ist ganz leer, nichts außer einem Klavier, um sich im Sturm daran festzuhalten. So entspinnt sich die Shakespearsche Story vom Stranden der jungen Viola, erst unsicher dann selbstbewusst und forsch hier Katharina Lorenz. Sie weiß ihrer Rolle am besten unterschiedliche Facetten abzugewinnen und die Zerrissenheit überzeugend darzustellen. Alle anderen üben sich in Narretei und selbstverliebtem Spiel. Dörte Lyssewski wirft ihr blondes Haar und schmachtet ihre Olivia nur so hin, Fabian Krüger als Fürst Orsino scheint sich vor lauter Langeweile in diese Frau verliebt zu haben, er weiß eigentlich irgendwann nicht mehr so genau warum und beharrt aus lauter Trotz, obwohl doch vor seiner Nase die als Cesario verkleidete Olivia von Liebe stammelt. Den Vogel schießen aber Nicholas Ofczarek und Michael Maertens als total verblödetes Ritterduo ab. Ofcarek hat man einen Stock ins Kreuz gesteckt eine Glatze verpasst und ein Glas in die Hand gedrückt. So stakst er dauerbesoffen über den auf die Bühne geschobenen Teppich und es fehlt tatsächlich nur noch der Tigerkopf, um darüber zu stolpern. Maertens spielt mit Lust den begriffsstutzigen Vollkoffer Bleichwang und das gelingt ihm auch in Rüstung ohne viel Mühe. Fehlt nur noch der Malvolio, und auch Joachim Meyerhoff reiht sich in den Reigen der Narren ein. Er grimassiert, gibt sich anzüglich und steht den anderen beim Slapstick in nichts nach. Das ist vorhersehbar und reizt zu so manchem Schenkelklopfer, das Publikum nimmt es dankbar auf.
Ein Teppich muss natürlich auch gesaugt werden und so hat Maria Happel als Zofe Maria wieder einen ihrer unnachahmlichen Auftritte, ein weiterer mit nicht enden wollendem Lachanfall wird folgen, wenn die List gelungen ist und Malvolio wie zu erwarten in gelben Strümpfen mit kreuzweis geschnürten Bändern auftritt. So stehen dann alle Spielarten des Narren nach Hans Sachs auf der Bühne und versuchen sich gegenseitig zu übertreffen. „Halts maul, Du Arsch“ wird zur Hymne des Abends. Die von Karsten Riedel auf Gitarre oder Klavier gespielten und wunderbar gesungen Sonette werden so an den Rand gedrängt. Matthias Hartmann lässt alle Narren an der langen Leine agieren, allein am Ende geht ihnen die Luft aus, Malvolio sitzt in der dunklen Kiste unter der Bühne und ewig lang gibt es eine Liveschaltung aus dem Untergrund auf Video übertragen. Dafür nimmt er uns dann alle zur Strafe in Sippenhaft. Nach 3,5 Stunden ist der Narrenspuk dann vorbei, die von Stéphane Laimè, der schon in Hamburg Jan Bosses Was-ihr-wollt-Version ausgestattet hat, mit Kitsch und Tand nach und nach zugemüllte Bühne wird wieder geleert. Aber alle sanfte Melancholie kommt zu spät, der Narr kann es nicht mehr richten, der Wiener hat sich bereits totgelacht. Illyrien wird so zum Billigausflugziel für Partygänger mit After Hour und Kulinarischen Schmankerln. Den Reiseführer gibt es im Programmheft dazu. Diese Süßspeise ist all zu deftig, aber passt scho!
Schalksnarren, Fliegen und Hunde finden sich zum Essen zu jeder Stunde. - Joseph Eiselein (1791-1856)
http://blog.theater-nachtgedanken.de/
shakespeare gespielt von hervorragenden schauspielerInnen, denen ihre künstlerische freiheit gelassen wird, ist ein rezept für einen theaterabend üppigster qualität.
wenn jemand keine süßspeisen mag und dennoch zum apfelstrudel greift wird daran keine freude haben. so blauäugig scheinen einige kritikerInnen weiter oben agiert zu haben.
die videoszene, als anspielung auf das kumpel-rettungsspektakel in chile genial, war etwas lang, besonders nach über 2 stunden in der überheizten burg, aber der rest war sehr, sehr unterhaltsam.
und auch das alberne hat nicht geschadet, es war doch mit großem können gebracht worden.
der soundtrek ist ganz besonders hörenswert, ich hoffe, den gibt#s auf cd.
wer gerne lacht, gehe in die burg, wen lachende menschen stören, der möge u-bahnfahren, da sitzen alle mit'm fad'n aug' und zelebrieren ihre in-sich-gekehrtheit.