Zwischenfälle - Andrea Breth findet mit Cami, Charms, Courteline zur absurden Komödie
Zwischenmenschliche Komplikationen in allen Färbungen
von Georg Petermichl
Wien, 5. Februar 2011. Plötzlich steht es da, das beachtliche Ensemble von Andrea Breths "Zwischenfälle" im Wiener Akademietheater: Als Graustufenskala in Geschäftsanzügen, Business-Blazern, Bleistift- und Mini-Rock, sportlich – nicht allzu zugeknöpft (Kostüme: Moidele Bickel). Unter ihnen liegt ein Burgunder-farbiger Spannteppich, rundum hat sich das Beige von Wartezimmer-Lärmschutzwänden ausgebreitet, und alle haben Musikinstrumente in Händen: Vorne kratzt Johanna Wokalek an Cello-Saiten, hinter ihr bearbeitet Udo Samel eine Tuba, genau gegenüber hat Gerrit Jansen ein Glockenspiel geschultert, und in der ersten Reihe davor wartet Peter Simonischek auf den Einsatz für seine Klanghölzer. Andrea Clausen: Knopfharmonika, Corinna Kirchhoff: Geige, Roland Koch und Markus Meyer. Sie werden von Hans-Michael Rehberg dirigiert. Im Mittelpunkt: Elisabeth Orth mit ihrer Triangel.
Zehn wohlbekannte Körper, die im Engagement für die Musik beben. Super-konzentriert. Slow-motion. Und atonal. Denn was sie darbieten, tendiert mal in Richtung Wiener Walzer, dann zum Free-Jazz. Das klingt bizarr: Die deutsche Regisseurin Andrea Breth hat in Wien zur absurden Komödie gefunden.
Die "Zwischenfälle" sind deshalb eine rekordträchtige Burgtheaterproduktion: Über fünfzig Fragmente fügte Andrea Breths Dramaturg Wolfgang Wiens in einer Collage zusammen. Die Grundlage dafür stammt aus der Zeit der Dadaisten vor 1930 in Ausprägung der beiden Franzosen George Courteline und Pierre Henri Cami sowie dem Russen Daniil Charms.
Die zehn Darsteller schlüpfen dafür in etwa neunzig Rollen. Fast jeder Auftritt wird mit Zwischenapplaus bedacht, dieser Applaus ist immer wieder phänomenal. Und nochmals: Andrea Breth, bekannt als bierernste Klassikerinterpretin, hat zur absurden Komödie gefunden.
Menschliche Kommunikation, Entfremdung, Dialogschleifen
Das Bühnenbild gibt sich puritanisch. Mit all seinen durchbrochenen Zwischenwänden wirkt es, als hätte sich der wirre Verstand einen Weg in die Freiheit geschossen. Abseits davon befindet sich das Stück in den Goldenen Dreißigern. Jedes Telefon bedeutet zwischenmenschliche Komplikation. Die Koffer auf der Bühne sind Symbol der fortschreitenden menschlichen Entfremdung.
Die "Büroarbeit" wird genauso abgelehnt, wie "Freizeit" ein Mysterium darstellt. Ein paar Protagonisten nächtigen deswegen im Büroflur, andere zeigen Abneigung demgegenüber. Verkappte Zuneigung ist in diesen Fluren ebenso möglich wie totale Aggression. Etwas Sex and Crime, Romantik, Karrierismus, Märchen und andere Erzählkonzepte fegen durch das Environment. Hier, im global gedachten Wartezimmer, wird der Sinn des Lebens erzeugt, und im gleichen Atemzug wird er wieder verworfen.
Johanna Wokalek ist dabei jene Darstellerin, die den größten Wandel durchlebt: Von einem barbusigen Nachbarsweib im Fat-Suit, zur weinerlichen Braut zu einer Büroangestellten. Nebenbei brilliert Markus Meyer mit atemberaubenden Balletteinlagen. Das gesamte Ensemble arbeitet unglaublich präzise, es bereitet stundenlange Freude zuzuschauen: "Die Suppe" nennt sich jene Dialogschleife von Charms, die Elisabeth Orth und Udo Samel zu einem der Höhepunkte dieses Abends verarbeiten. Innerhalb von wenigen Minuten ändern sie kontinuierlich die Färbung ihrer Äußerungen. Für das Geschehen bleibt das einerlei, sie sind in einer Endlosschleife, geben sich aber kämpferisch: flötend, oder weinerlich, didaktisch, ein wenig grob, oder mitleid-heischend. Wunderbar.
Mehr Unsinn wagen
Das Publikum ist davon durch einen Gaze-Vorhang getrennt, der blitzartig aufleuchtet, wenn ein Szenenwechsel bevorsteht. Nach Breth lässt sich Humor scheinbar bestens hinter einer teiltransparenten vierten Wand fassen. So wie sie es im Mittagsjournal-Interview mit dem Radiosender Ö1 geäußert hat, sucht sie dabei nach einer "Traumdramaturgie". Breth meint dort: "Unter Umständen leben wir in einer Zeit, in der uns mehr der Unsinn zum Sinn führt."
Nach diesem Abend ist evident, dass Andrea Breth eine bemerkenswerte Hand für absurdes Theater besitzt. Man bewundert dabei die schnellen Wechsel zwischen den einzelnen Bildern: Effekte ohne jegliche Effekthascherei. Als Wermutstropfen kommt die Aufführung nach der Pause nicht mehr in Fahrt - Warum das so ist? Breth hat der bereits nach 20 Minuten ad absurdum geführten Bühnenrealität nichts mehr hinzuzufügen. Die Fragmente leben drei Stunden lang von der Schauspielleistung. Im Raum verpufft das Gefühl von Identifikation. Während sich die Atmosphäre durch den Gaze-Vorhang verbreiten kann, bleiben die Charaktere flüchtig und unbeständig. Schade. Gerne hätte man diesem großartigen Unsinn vertraut.
Zwischenfälle
Szenen von Daniil Charms, Georges Courteline und Pierre Henri Cami
Regie: Andrea Breth, Bühnenbild: Martin Zehetgruber, Kostüme: Moidele Bickel, Dorothee Uhrmacher, Musik: Bert Wrede, Dramaturgie: Wolfgang Wiens.
Mit: Andrea Clausen, Corinna Kirchhoff, Elisabeth Orth, Johanna Wokalek, Gerrit Jansen, Roland Koch, Markus Meyer, Hans-Michael Rehberg, Udo Samel, Peter Simonischek.
www.burgtheater.de
Mehr zu Andrea Breth gibt es im nachtkritik-Archiv.
Einen "irrwitzigen Katastrophenkomödienreigen" in der Regie der "Tragödienregisseurin" Andrea Breth hat Gerhard Stadelmaier von der Frankfurter Allgemeinen (7.2.2011) erlebt. Breth schaffe "Beziehungen, Verweise, Durchgänge im an sich Beziehungslosen. Die in die Welt Gesplitterten können sich nicht entgehen" und sind alle "Teil eines großen, zusammenhängenden Albtraums". Hier trete das Theater "über seine Grenzen – und entdeckt im wahnwitzig Vielen das große Eine: die Lust an traumhafter Weltdurchdringung". Stadelmaier ist entzückt, lacht, staunt. Alles hier sei "genial so gemacht, dass jeder 'Zwischenfall' auf einen größeren, schrecklicheren, tollwütigeren, abgrundsehnsüchtigeren Fall verweist, sozusagen die großen Akte (...) einer Tragödie (...). Was hier zu sehen ist, ist das ganz begreifliche, wiewohl unglaubliche Glück der Katastrophen: in Zwischensphären, Lach- und Schmerzräumen, die wir Alltag oder auch manchmal ‚Leben' nennen. Aber sehr gut wissen, dass dies nur ein Synonym für Wahn, Trug und Lug und Witz - und deshalb ein Trost ist. Kein Theaterabend der letzten Jahrzehnte hat dies so schlagend, so komisch, so gelächtersatt, leichterhand intelligent und wunderreich bewiesen. Diese dreiundfünfzig Kleinigkeiten der Andrea Breth sind größer, wirklicher und wahrer als alles, was sonst theatralisch so groß damit tut, der Wirklichkeit nahe zu kommen."
Ähnlich begeistert von dem "riesigen Theaterfest" ist Helmut Schödel von der Süddeutschen Zeitung (7.2.2011). Die "Texte voll schwarzen Humors", diese "scheinbaren Petitessen wurden schon zu Lebzeiten der Autoren als Schwergewichte erkannt". Breth stelle "das Lachen nicht nur als befreiend, sondern als letztendliche Konsequenz" vor. "In der Regel scheitern wir nicht im großen Stil; Nichtigkeiten pflastern unseren Weg mit Stolpersteinen, denn schräg ist die Welt und ein rechter Unfug." Die Figuren seien "Marionetten des Unsinns", der Abend "ein Fest genialer Schauspieler". Neben absurder Komik gebe es auch "ganz anrührende Momente". Die Szenen gelängen so "hervorragend", weil Breth "nie die schnelle Pointe suchte. Man lernt vielmehr, dass es eigentlich gar keine Pointen gibt, auch sie sind, wie das Lachen, letzte Konsequenzen." Bei dem "ausnahmslos hervorragenden Ensemble" und einem schlicht "grandiosen Wiener Theaterabend" wurden dem Kritiker dessen dreieinhalb Stunden nie lang. "Diese Aufführung, dramaturgisch betreut von Wolfgang Wiens, ist ein Glanzlicht dieser Burgtheater-Saison."
Bei Breth werde niemand "mit billigen, allzu billigen Scherzen abgefertigt, Schenkelklopfer" hätten hier nichts verloren, schreibt ein ebenfalls jubelnder Ulrich Weinzierl in der Welt (7.2.2011). Signum der Inszenierung sei "das Gesetz des Pokerface: Noch in Aberwitz und szenischem Nonsens wird keine Miene verzogen, damit die monströsen Miniaturen ihre volle Kraft entfalten können. Die meisten sind schlicht und einfach hinreißend" und ließen "den Saal vor Vergnügen quietschen und toben". Dabei lauerten "hinter der Heiterkeit (...) stets Gewalt und Brutalität, die umso verstörender wirken, je unverständlicher die Gründe scheinen". Gewiss handele es sich "um ideales Schauspielerfutter. (...) Doch überschreitet die Aufführung keineswegs die Grenze zu Klamauk und Schmiere. Das verdankt sich Präzision und Perfektion, in dieser Fülle kaum je zu bestaunen." Breths Trick bestehe darin, weder die Komödie noch die Tragödie "aus den Augen zu verlieren, es in einander zu spiegeln, beides zu überblenden". So gelinge ihr "eine Hymne an den Zauber, an die Unvergänglichkeit des Theaters".
Breth habe hier "ihr eigenes Klischee von der Bühne weggedrückt: Sie frönt - zum Schein - der Heiterkeit", so Ronald Pohl im Standard (7.2.2011). Dabei lasse sich "nichts Furchtbareres, die Würde des Menschen Beleidigenderes denken als die grotesken Episoden" von Courteline, Cami und Charms. Es habe "den Anschein, als wäre eine Katastrophe passiert, deren Auswirkungen nur nicht mehr zusammenhängend erzählt werden können." Der "herzerfrischende Abend" beschreibe den Alltag "als gewaltförmig". "Nach dem Ende der großen Erzählungen lauert, als kleinster gemeiner Nenner, der Terror. (...) Die Überwindung der Schwerkraft, die diesen stupenden Abend wiederholt in lichte Höhen hinaufreißt, bleibt ein Akt des Mutwillens. Andrea Breth lässt nicht mit sich scherzen. (...) Andererseits: Näher als in Zwischenfälle wird die mit ihrem Ensemble frenetisch Bejubelte dem Ideal der Schwerelosigkeit kaum rücken."
Auch Barbara Villiger Heilig von der Neuen Zürcher Zeitung (7.2.2011) hat einen "ingeniösen Theaterabend" mit "überragendem Ensemble" gesehen, "ein Feuerwerk aus Petitessen, Pikanterien, Patzern". Jeder Zuschauer könne in dem Reigen "seine eigenen Geschichten entdecken". Breth gehe vor "wie eine im falschen Moment abdrückende Fotografin. Ihre szenischen Schnappschüsse überraschen die Personen in unbeobachteten Momenten, die gemeinhin eher nicht dokumentiert würden. Ein Blick durchs Schlüsselloch, sozusagen." Leider sei es "völlig unmöglich, die flüssig dahinperlenden, subtil miteinander korrespondierenden (...) Glanznummern adäquat zu beschreiben". Breth betrete dabei "dunkle Zonen", "nicht nur, wenn's um Aggression, Gewalt und Macht geht - Pistolen knallen wiederholt -, sondern auch im zwischengeschlechtlichen Bereich". "Das Schönste an dieser Wundertüte voll menschlicher Magie ist das Unvorhersehbare im Theater des Lebens. "
Breth spiele, schreibt die etwas anders gewichtende Barbara Petsch in der Presse (7.2.2011), "mit vielen Formen des Entertainments. Sie schreibt eine Kulturgeschichte, beeinflusst von ihrer Generation", mit Liedern von Zarah Leander oder Juliette Gréco, mit Stummfilmfiguren wie von Keaton und Chaplin, dazu von Film und TV inspirierte Krimi- und Ohrfeigenszenen. Die Inszenierung sei "von einem atemberaubenden Reichtum an Einfällen, Assoziationen. Mit ausgestrecktem Zeigefinger weist Oberlehrerin Breth die Unterhaltungsstümper, die uns täglich ihren ach so perfekt gemachten Junk um die Ohren schlagen, ins letzte Eck." Der "didaktische Furor, der in diesem vordergründig leichten Gebilde steckt, ist auch ein Problem". Nicht-Breth-Kenner "dürften einige Szenen der für einen bunten Abend (...) langen Aufführung in ihrer epischen Breite und der Lust am Hauen mit dem Hammer auf denselben Fleck lähmend finden. Breth-Aficionados erleben den besten Spaß seit Langem." "Selbst Kritiker, von denen man sich kaum vorstellen kann, dass sie je schmunzeln, lachten herzlich."
Peter Michalzik von der Frankfurter Rundschau (8.2.2011) findet es "eine sehr schöne Idee", Charms, Courteline und Cami zu "verzwirbeln", sei doch das Komödiantische des 19. Jahrhundert durch Charms und andere "zu einem kosmischen Lachen, einem Verzweiflungs-, Absurditäts- und Weltlachen aufgeblasen und zugleich zusammengefaltet" worden. Charms' komische Einsicht sei auch die von Breth: "Selten sind wir Helden und spielen in Tragödien mit, oft dagegen stecken wir in der lächerlichen Vergeblichkeit des Alltags." Auf der Bühne "steht, haut und missversteht sich jene Art von Mensch, die man meist mit Artikel und ohne Vornamen nennt", und eben das mache die Sache pikant: "Ein Großmeisterensemble als Zwischenfall. Furztrocken und ungerührt vollziehen diese Könner des Komischen Tiefschlag und Blutbad, Komödienrolle und Rolle rückwärts." Vor der Pause sei das "lustig, aber auch nicht mehr". Nicht mehr als "Klamauk", "Klamotte". Szenenweise sei es einfach "der Humor von Loriot, der hier imitiert wird". Nach der Pause scheine Charms die Regie zu übernehmen, "es wird böse, es wird schmutzig, es wird nichtig".
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herr b. die szene beschreibt vater und sohn und der herr rehberger war das ausnahmsweise nicht. wären sie bis zum ende geblieben, hätten sie vielleicht bemerkt, dass der spagethettie-esser als einziger nicht nach vorne gekommen ist zum bedanken.
frau m. mir war es auch zu viel. aber zu viel bittere zeichen und zu hinterfragende szenen aus dem grauslichen alltag um uns.... niveaulos ist etwas anderes...
insgesamt also: viel zu denken nach einem abend, wo sich das publikum (das einem mehr und mehr unsympathisch wird, wegen der grotesken schadenfreude) vor lachen nicht einkriegt und man peinlich berührt unser umgehen und handeln nur hinterfragen kann.
generell möchte ich gerne sagen, dass es sich hier nicht um ein klassisches stück handelt und man als publikum dessen bewusst sein sollte, dass es sich um zwischenfälle oder einblicke handelt (frau h.) ... schliesse mich also frau W. an. grossartig!
Dass viele der Sketches sich natürlich für Hüttenabende bei Schülerskikursen eignen, wie ein Vorschreiber bemerkte, ergibt meiner Meinung nach einen idealen Ice-Breaker für das nach "Quai West" Breth fürchtende Publikum. Allerdings sind diese Szenen in einer derart atemberaubenden Präszision dargeboten, dass sie natürlich Laien-, Schüler-, Faschingsnarrensketsches schnell vergessen machen. Schon dieses atemberaubende Können der Schauspieler lohnt!
Die Länge des Abends (um nicht zu schreiben Überlänge) erinnert dann natürlich schon an die Intention der Regisseurin. Eine humorvolle Faschingssitzung soll es für das Publikum nicht sein! Es muss sich schon Herausforderungen stellen! Wenn ihnen (dem Publikum) dann einmal das Lachen vergangen ist, werden sie schon eher mit mir mitdenken. So waren die Sketches nach der späten Pause auch viel ernster und dünkler dargeboten.
In der Aufführung, in der ich war, wurde auch nur an wenigen Stellen laut gelacht - es war eher ein seltsames Gefühl, das Komik und Verwunderung, Erstaunen und Humor verbindet - ein wenig wie bei Marthaler. Da gibt es auch platte Körperkomik und Witze, die durch ewiges Widerholen eine ganz eigene Stimmung und Atmosphäre entwickeln.
Auch die Länge habe ich da nicht als Überlänge empfunden, im Gegenteil. Erstens habe ich unendlich gerne drei Stunden zugesehen, zweitens wäre es ein halbherziger Abend geworden, hätte man ihn gekürzt, der seine eigenen Ansprüche nicht eingelöst hätte. Die wunderbar musikalische Schlussszene etwa wirkt in ihrer langsamen Erlösung nur, wenn man zuvor die strauchelnden Figuren über eine so lange Zeit miterlebt hat.
Der Hinweis auf Hüttenabende ist da dann einfach nur seltsam - die Absurdität und Hintersinnigkeit der russischen Avantgarde kam noch bei keinem Apre-Ski gut an, oder unterschätze ich das da?
Und: Ice-Breaker braucht es hoffentlich wirklich keinen; aber es stimmt: Das Publikum schreit immer: Werktreu, ernsthaft inszeniert! Und wenn man ihnen dann - wie bei Quai West - eine ganz langsame, ernsthafte Inszenierung bietet, fehlt ihnen das Amusement, das leicht unterhaltende. Traurig.
Paar erklärende Worte, damit Sie nicht gar so traurig sind!
Warum Ihnen das Wort "Sketch", das mit Skizze oder Umriss übersetzt wird, unangenehm ist, kann wohl nur mit einem sehr persönlichen Erleben erklärt werden. Tatsächlich hat es qualitativ keinerlei negative Bedeutung.
Der von mir von einem Vorschreiber aufgenommene Hinweis auf Hüttenabende erscheint vielleicht Ihnen seltsam, weil Sie die kreative Freude an der Erfindung und Darstellung von Scharaden (darsgestellte Worträtsel) nicht ihr Eigen nennen. Negative Aussage hat auch dieses Wort nicht.
Und nun zuletzt zum Ice-Breaker, der gegenständlich eingesetzt wird, um zugefrorene Passagen zu öffnen. Vielen die "Quai West" vorzeitig verlassen haben, fehlte nicht so sehr das Amüsement als die Sicht auf die Darstellung.
Zum Hüttenabend: Ich glaube wirklich, dass das ein Missverständnis ist. Ja, man kann den Abend als Aneinanderreihung von kleinen witzigen Szenen verstehen; ich denke aber nicht, dass man ihm so gerecht wird. Hinter all diesen Szenen lauert immer auch ein Abgrund, eine Lücke. Gerade in den Charms-Texten wird ein Unbehagen spürbar, das nun wirklich über "kreative Scharade" hinaus geht und auf einen kaputten Welt- und Menschenzustand verweist, der sichtbar wird. Nicht umsonst heißt die letzte Szene ja "Vorraum zum Himmel", wenn ich mich richtig erinnere. Und da ist mir das Wort "Hüttenabend" eben zu naiv ...
Den Hinweis auf die "Sicht auf die Darstellung" bei Quai West verstehe ich nicht. Ich habe den Abend mehrmals gesehen - und ja, Breth ließ großteils in Dunkelheit spielen (Wenn sie das meinen), aber doch nicht aus Unvermögen oder weil das Burgtheater die Stromrechnung nicht bezahlen konnte. Aus dem Wechsel Hell-Dunkel entstanden doch sowohl inhaltlich als auch ästhetisch wunderbare Szenen und Bilder. Zumal: Das Stück spielt in einer Lagerhalle am Ende der Welt (?) - was haben Sie erwartet, strahlenden Sonnenschein? (Ja, polemisch - verzeihung!)
Ich habe nur die Premiere von "Quai West" gesehen und die von der 1. Reihe Galerie aus. Was angeblich bis zur etwa 7. Reihe Parkett in Konturen noch möglich war zu erkennen, blieb vielen Galeriebesuchern verwehrt. Der Exodus von dort in der Pause war heftig und mit ebenso heftigem Kopfschütteln begleitet.
Allerdings nahm niemand an, dass es aus Grund der explodierenden Energiekosten zu dieser Szenerie kam.
Dass das Stück in einer Lagerhalle in einem nicht mehr verwendeten Hafenbereich spielt, schließt eine Erkennbarkeit der Figuren nicht aus. Der Text, der leider nicht im Programm abgedruckt war, lässt mich wissen, dass auch Bernard-Marie Koltès mit fortschreitendem Geschehen strahlenden Sonnenschein erwartet hätte. Laut Regieanweisung ging nämlich dann die Sonne auf! Im Burgtheater hingegen stand leider die Zeit still!
Komplette Kritik: http://stagescreen.wordpress.com/