Debatte um die Berliner Volksbühne - Eine kommentierte Presseschau zum aktuellen Stand der Diskussion
Warum hört der Streit nicht auf?
von Christian Rakow
Berlin, 19. September 2017. Mit der Berufung des Museumsleiters Chris Dercon auf den Intendantenposten der Berliner Volksbühne im Jahr 2015 entzündete sich eine Debatte um den damit verbundenen Strukturwandel des Hauses, die als Berliner Theaterstreit bundesweit bekannt wurde. Auch nach dem Spielzeitstart der Intendanz Dercon mit zwei Tanz-Marathons an der neuen Volksbühnen-Spielstätte auf dem ehemaligen Flughafen Tempelhof ist der Streit nicht beendet.
Ein Artikel im aktuellen Spiegel (Ausgabe 38/2017) schiebt jetzt die Diskussion weiter an. Das Wochenmagazin wertet die seit Anfang September öffentlich zugänglichen Haushaltsunterlagen über Stellenbesetzung und Finanzplan der Berliner Volksbühne aus und resümiert zuspitzend: "Chris Dercon, der neue Intendant der Berliner Volksbühne, treibt den Umbau des traditionsreichen Theaters in eine Abspielstätte von Fremdproduktionen konsequent voran."
widersprach Chris Dercon im Berliner Tagesspiegel: "Richtig ist, dass nicht wir, sondern Frank Castorf in den letzten Jahren sein Ensemble von 27 fest engagierten Schauspieler*innen auf 11 reduziert hat." Dramaturgie- und Regiestellen würden zudem, anders als vom Spiegel dargestellt, nicht abgebaut, sondern lediglich in die Programmabteilung verschoben.
Noch am ErscheinungstagZur Aufbereitung des aktuellen Debattenstands sei hier eine kommentierte Presseschau gegeben, mit einem stichpunktartigen Überblick dazu, was im "Berliner Theaterstreit" aktuell verhandelt wird und an welchen Punkten die Missverständnisse entstehen.
1. Was heißt hier Ensemble?
Der neue Stellenplan der Volksbühne sieht die Reduktion von ehemals 27 Ensemblestellen auf 12 Stellen vor. Gemäß Chris Dercons Erwiderung im Tagesspiegel wird hiermit nur ein Ist-Zustand der letzten Castorf-Jahre buchhalterisch festgeschrieben. Dazu bemerkt Ulrich Seidler in der Berliner Zeitung: "Es stimmt, dass Frank Castorf in den letzten Jahren nur noch elf der 27 Ensemblestellen besetzt hatte und mit den frei gewordenen Mitteln sein Ensemble durch Gäste ergänzte, die allerdings immer wieder bei Marthaler, Fritsch, Pollesch und Castorf selbst in diesem Theater auftraten − und jedem Zuschauer als Volksbühnenschauspieler galten, auch wenn sie keinen festen Vertrag hatten (es handelt sich z.B. um Spieler wie Alexander Scheer oder Georg Friedrich, Anm. chr). (...) Dass nun die unbesetzten 15 Stellen einfach gestrichen werden, ist mehr als buchhalterische Hygiene."
Chris Dercon will nicht nur Sprechtheaterakteure, sondern darstellende Künstler*innen unterschiedlicher Sparten für sein Haus gewinnen, erklärte er bereits bei seiner Vorstellung im März 2015. Der Aufbau eines Ensembles sei allerdings durch die kulturpolitischen Streitigkeiten behindert worden, hieß es bei der Programmpräsentation im Mai 2017. Bis dato hat das Team um Chris Dercon es versäumt, namentlich festzumachen, um welche Darsteller*innen herum das künftige Ensemble aufgebaut werden soll. Lediglich Frank Willens erklärte sich während der Vorstellung von Boris Charmatz' "A Dancer's Day" als dem Volksbühnen-Ensemble zugehörig.
Im Berliner Kultur-Ausschuss erklärte Dercons Programmdirektorin Marietta Piekenbrock am 26. Juni 2017 (hier das Wortprotokoll), man wolle an der Volksbühne mit "maßgeschneiderten Ensembles" bzw. "Stück-Ensembles" arbeiten. Diese Formulierung lenkt von dem in der Strukturdebatte in Frage stehenden Ensemble-Begriff ab: Während Piekenbrock in ihrer Definition das temporäre Zusammentreten von Darstellern für eine einzelne Produktion meint, spricht man von "Ensembletheatern" nur dort, wo Spieler regelmäßig in verschiedenen Produktionen auftreten und also eine personale Identität für ein Haus und seine diversen Stoffe stiften.
Lösungsmöglichkeit? Chris Dercon muss Darsteller*innen präsentieren, die regelmäßig auf den Bühnen am Rosa-Luxemburg-Platz und in Tempelhof stehen werden.
2. Ein Schreckgespenst: Die Volksbühne als "Event-Bude"?
Der polemische Begriff der "Event-Bude" wurde 2015 von Claus Peymann in die Volksbühnen-Debatte eingebracht. Sein sachlicher Kern bezieht sich auf die Spielplangestaltung: Als "Event" bezeichnet man im Theaterbereich ein Ereignis, das nur kurzzeitig am Ort verfügbar ist. Das Gegenteil davon ist das "Repertoire" aus Inszenierungen, die regelmäßig im Spielplan wieder auftauchen. Die Eröffnungsproduktion der Dercon-Volksbühne "Fous de Danse" und "A Dancers Day" hatten einen bzw. vier Aufführungstage und waren insofern temporäre Events, wie man sie aus freien Spielstätten wie dem HAU oder den Berliner Festspielen kennt. Dass die Arbeitsweise dieser Gastspiel und Koproduktionshäuser von der Dercon-Volksbühne übernommen würde, wiederholen Kritiker*innen seit 2015. Der neue Stellenplan sieht die Umwidmung der ehemals sieben Dramaturgien des Hauses in Produktions- und Dispositionsstellen vor. Solche Posten werden vor allem an Häusern benötigt, die bestehende Produktionen an die Spielbedingungen vor Ort anpassen müssen (Dramaturgien erstellen Spielpläne, sichten und erarbeiten Stoffe für Inszenierungen und begleiten den Probenprozess inhaltlich). Das Team um Chris Dercon hatte sich abseits der eigenen Produktionspläne um die Übernahme von Spielplanpositionen der Castorf-Volksbühne für ein kommendes Repertoire bemüht, aber die Rechte dafür nicht erhalten. Das Verbot von Übernahmen war Teil einer großen Verweigerung, mit der Castorfs Mannschaft Chris Dercon und seinem Team begegnete (Dercons Team wurde zeitweise der Zugang zur Volksbühne untersagt; für die erwartet schwierige Übergangsphase hatte Dercon 2016-2017 insgesamt 3 Millionen Euro Vorbereitungsetat extra erhalten).
3. Wird die Volksbühne zur "Abspielstätte"?
Der Spiegel-Artikel kritisiert im Begriff "Abspielstätte", den hohen Anteil an auswärtigen Produktionen im neuen Volksbühnen-Programm. Richtig ist, dass der bis dato veröffentlichte Plan der ersten Spielzeithälfte zahlreiche Übernahmen, Gastspiele, anderswo bereits erprobte Formate (wie das aus Rennes importierte Spielzeiteröffnungsformat "Fous de Danse") sowie Kombinationen von bestehenden Produktionen ausweist. (Der Autor Raban Witt hat das detailliert in einer Spielplanrecherche dokumentiert.)
4. Warum ist der Berliner Streit um Ensemble, Repertoire und Eigenproduktionsanteil wichtig?
Der Betrieb von Theatern im Ensemble- und Repertoiresystem ist international gesehen ein Alleinstellungsmerkmal der deutschsprachigen Theaterlandschaft. Die Produktionsform gilt als kostenintensiv und gerät an vielen Orten Deutschlands zunehmend unter fiskalischen Druck. Die Strukturfragen, die aktuell an der Volksbühne verhandelt werden, haben mithin Beispielcharakter. Die Frage ist, inwieweit sich der deutschsprachige Raum sein einzigartiges Theatersystem weiter leisten will oder wie vehement der Trend hin zu wenigen Produktionsstätten bei einer wachsenden Anzahl von Tournee- und Gastspielhäusern wie in England oder Frankreich geht.
5. Gibt es ein Demokratiedefizit bei der Berufung von Chris Dercon?
Intendantenberufungen erfolgen in der Regel unter Ausschluss der Öffentlichkeit durch die Träger der Häuser. Einige lassen sich bei der Bewerber*innensichtung von Findungskommissionen unterstützen. Ex-Staatssekretär Tim Renner, der mit dem Regierenden Bürgermeister und damaligen Kultursenator Michael Müller 2015 Chris Dercon ins Amt hob, formierte keine Findungskommission und folgte darin den Gepflogenheiten der Berliner Kulturpolitik. Zum Problem wird der intransparente, aber eben nicht unübliche Vorgang, wenn sich mit der Personalentscheidung eine tatsächliche Umstrukturierung des Ensemble- und Repertoirebetriebs an der Volksbühne verbindet. Mit ebendieser Kritik trat im Juni 2017 eine Petition auf den Plan, die die Überprüfung der mit der Personalie Dercon verbundenen Strukturentscheidung verlangt und im September 2017 mit bis dato über 40.000 Unterschriften dem Berliner Kulturausschuss vorgelegt wurde.
6. Warum lässt die aktuelle Berliner Kulturpolitik Chris Dercon nicht in Ruhe?
Schon in der Vorstellungspressekonferenz 2015 betonten die seinerzeit verantwortlichen Kulturpolitiker Michael Müller und Tim Renner (SPD) gemeinsam mit Chris Dercon, dass sie zugleich Tradition und Erneuerung der Volksbühne betreiben wollen. Im Klartext sollte die Volksbühne weiterhin Ensemble- und Repertoiretheater für Sprechtheater und Tanz aber auch "Plattform" diverser weiterer Kunstbereiche (Computerspiel, Film, Online-Theater, Konzerte) sein. Es wurde betont, dass der Plattform-Gedanke an die bisher gängige Praxis des Hauses anschließe, an dem stets eine Vielzahl diverser Veranstaltungen das Theaterprogramm ergänzte. An Castorfs Volksbühne wurden diese Veranstaltungen gleichwohl nicht zum Premierenplan des Hauses gerechnet (anders als jetzt bei Dercon). Mit Auswertung des Stellenplans deuten sich signifikante Widersprüche in dieser Aufgabenbestimmung als Ensemble- und Plattformtheater an. Ebendeshalb wurde die Neuformulierung "Plattform" im Berliner Kulturausschuss Anfang September von den Regierungsparteien Linke und Grüne betont kritisch diskutiert, obgleich die Bestimmung, wie der neue Kultursenator Klaus Lederer ausführte, der Umriss des neuen Profils bereits 2015 zur Prüfung vorgelegen habe. Grüne und Linke, die seit 2016 gemeinsam mit der SPD unter dem Regierenden Bürgermeister Michael Müller koalieren, haben sich vor der Wahl kritisch zur Berufung Chris Dercons geäußert. Kultursenator Klaus Lederer (Linke) wollte die Personalie Dercon nach der Wahl überprüfen, sah sich dann aber an die vertraglichen Gegebenheiten gebunden. Lederer wurde in den Abschiedsmonaten der Castorf-Volksbühne wiederholt im "Lüge"-T-Shirt der Castorf-Volksbühne gesichtet, auf der Abschiedsfeier des Hauses tanzte und sang er im Verbund mit den Castorf-Spielern.
7. Ist der Berliner-Theaterstreit gleichbedeutend mit "Mobbing" gegen Chris Dercon?
In einem vielbeachteten Artikel für die Süddeutsche Zeitung diagnostizierte Till Briegleb am 8. September 2017 ein andauerndes "Mobbing" gegen den Neu-Intendanten Chris Dercon. Diese "Hasskultur" sei Zeichen einer Selbstgerechtigkeit des feudalistisch organisierten Theaterbetriebs, in der sich der regieführende Künstler praktisch jeder demokratischen Schranken enthoben sieht. Das Anliegen der Volksbühnen-Petition (es ist übrigens bereits die zweite Online-Petition) stufte der Artikel im selben Atemzug als "populistisch" ein. Richtig ist, dass gerade in den sozialen Medien die Dercon-Öffentlichkeitsarbeit seit ihrer Geschäftsübernahme im August 2017 mit jedem neuen Posting auf Häme und Polemiken stößt. Ebenso richtig ist, dass Volksbühnen-Künstler*innen wie Jürgen Kuttner als scharfe Kritiker auftreten und darin die Haltung fortschreiben, mit der viele der bisher Verantwortlichen der Dercon-Leitung entgegentraten (hier der Link zu Kuttners Facebook-Seite, über die er seine Einlassungen im Wesentlichen verbreitet). Die Volksbühnen-Petition hingegen ist vorgebracht von Theaterwissenschaftler*innen und Publizist*innen. Sie ist eine Publikumsinitiative und taugt mithin nicht für eine Allegorie auf die Binnenverhältnisse des deutschen Theaterbetriebs. Der personalisierende Begriff des "Mobbing" verschleiert zudem die Strukturfragen, die an den Volksbühnen-Vorgang gestellt werden (siehe Punkt 1-4).
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Da ich das anscheinend überhört/übersehen habe, interessiert mich, in welcher Form/an welcher Stelle er das erklärt hat.
Lieber Konrad Kögler -
das war im Rahmen von „untitled (2000)“, einem Tino Sehgal-Solo, das Willens nackt neben unseren Picknickdecken getanzt hat. In einer Trisha Brown-Miniatur, bei der Ausführende zu gestischem Material improvisierend sprechen müssen, hat er, in Anspielung aufs Nacktsein, geäußert, er gehöre zum Volksbühnen-Ensemble, daher müsse er eben nackt tanzen, wenn ihm das aufgetragen werde.
Elena Philipp / nachtkritik
Zur Information und als Anregung, dem vielleicht noch einmal nachzugehen: in einer Wahlkampfveranstaltung, die der BFFS im Rahmen seiner "Stammtische" eingeladen hatte, erklärte Tim Renner, Bundestagskandidat der SPD, dass er sich sehr wohl mit einem sechsköpfigen Gremium über die Castorf-Nachfolge beraten hätte. Die Namen seien aus Sicherheitsgründen geheimgehalten worden.
Seltsam war außerdem, dass Renner in dieser Veranstaltung die Dauer des Dercon-Vertrages mit 3 Jahren angab, es sind aber 5, definitiv.
"Die Frage ist, inwieweit sich der deutschsprachige Raum sein einzigartiges Theatersystem weiter leisten will oder wie vehement der Trend hin zu wenigen Produktionsstätten bei einer wachsenden Anzahl von Tournee- und Gastspielhäusern wie in England oder Frankreich geht."
Groteskerweise ergeben sich ja aber aus Dercons Plänen keinerlei Einsparungen -- im Gegenteil, wie der Haushaltsentwurf darstellt, wird es an der Volksbühne weniger Aufführungen mit mehr Schließtagen und wesentlich weniger Zuschauern geben (was explizit so geplant ist: man geht von einem Rückgang von über 167.000 im letzten Castorf-Jahr zu 126.500 im Jahr 2018 aus!) -- das Haus wird dafür aber überhaupt nicht kostengünstiger in der Arbeit. Der Gesamtzuschuss pro Besucher steigt rasant von 126 auf 154 Euro pro Kopf; die Zuschüsse insgesamt sollen auch um mehr als eine Million Euro ansteigen.
Fazit: weniger Kunst, viel weniger neu entwickelter künstlerische Arbeiten, weniger Zuschauer -- also viel weniger "einzigartiges Theatersystem" -- kostet mehr als der ja wirklich einzigartige Status Quo.
Aber bitte noch einen eingeschobenen bzw. 8. Punkt zum Thema Budget für Tempelhof schreiben!
Was war denn da eigentlich los? Als ich Vorort war, habe ich mich gefragt, was macht die Volksbühne (VB) dort? Wo steckt das Vorbereitungsgeld? Was ist im Detail mit dem Entwurf von Diébédo Francis Kéré passiert? Wo ist davon die Umsetzung, von der im Vorfeld großkotzig die Rede war? Was ist mit dem Budget dafür im Detail passiert?!
Für alle, die nicht gekommen waren: Man konnte das alte Flughafengebäude von Tempelhof zum Teil betreten, man konnte auf dem ehemaligen Rollfeld nahe der Gates flanieren, man konnte an einigen Fressbuden seinen Hunger stillen und sah auch Chris Dercon dort, man konnte eine provisorische - aber doch recht kleine - Konzertbühne betrachten (war nicht da, als sie bespielt wurde), man konnte ein paar runde Kreise aus Tanzteppichen bestaunen (sahen aus, wie alte aus’m Fundus) – auf denen alle (?) tanzen konnten und man konnte in den Hangar 5 von Tempelhof durch einen Bauzaun reinschauen und sah schemenhaft in der Ecke einen kläglichen Teil des Entwurfs des berühmten Architekten – eine kleine provisorisch zusammengezimmerte Zuschauertribüne (angeblich zum Teil nur geliehen und für 300 000 EUR!?). Diesen Hangar konnte man zu der Zeit, als ich da war, nicht betreten. Hätte man ihn betreten können? (Das Tagesprogrammheft war diesbezüglich auch nicht aufschlussreich!) Beim bewachten Bauzauneingang saßen Mitarbeiter (?) vom Theater auf Gartenstühlen und starrten die Leute bei den Tanzteppichen an. Ab und zu kamen welche mit Essen raus. Der Hangar wurde anscheinend als Backstage-Bereich betrieben...
Sonst war da nichts! Im Flughafengebäude wurde nichts verändert - diente nur als Eingang zum Rollfeld und besagten Hangar, den man ja nicht betreten durfte – jedenfalls nicht, als ich da war. Mir geht’s gar nicht so sehr um das Künstlerische, die Tänzer und deren Arbeit,
sondern: Warum muss die VB gerade dort sein und was ist mit dem Budget für diesen Ort passiert? Gibt's da schon journalistische Recherchen?
Wir haben eine zu schützende Ensemble-Theaterlandschaft, WEIL sie weltweit ein Alleinstellungsmerkmal bildet. Sie gefährdet weder andere Möglichkeiten Theater zu machen noch ist sie durch solche ersetzbar.
Wer BEIDE Varianten Theaterstruktur möchte, muss BEIDE bezahlen. Wer nur eine will, muss die bezahlen, die immaterielles Weltkulturerbe ist. Weltwohl geht vor Landeswohl.
Wer nicht will, dass nur diese besondere Betriebsstruktur Geld bekommt, muss eigenständig darum kämpfen, dass auch seine eigene Betriebsstruktur Geld bekommt und nicht die vorhandene, schützenswerte einfach umwidmen. Das ist dann ein Betrug - eben auch einer am immateriellen Weltkulturerbe. Dercon übersieht merkwürdigerweise, dass hier eine ganze Betriebsstruktur zur schützenswerten Kultur in der Welt gehört - das müsste gerade ihm als prominentem Museumskurator eigentlich sein eigenes Vorgehen verbieten: Es ist eben NICHT damit getan, Beckett-Inszenierungen möglichst original museal zu wiederholen, sondern alles dafür zu tun - wenn man denn in DIESE Betriebsstruktur und ihre Finanzierungsdprozedere einsteigen will - sie auch zu schützen. Und es ist DIESEM speziellen Kulturauftrag in der Tat feindlich gesonnen, absichtsvoll eine Betriebsstruktur in eine andere Betriebsstruktur zu überführen und der bestehenden und beauftragt erhaltenswerten Struktur die finanziellen Mittel zu entziehen, mit der Begründung, dass es ja um das gleiche Thema - Theatermachen nämlich - gehen würde. Es mag ein Geschichtsbewusstsein von Dercon und dessen Team gegenüber dem Tanz geben und gegenüber z.B. Becketts Vorstellungen seiner Text-Umsetzungen - ein Geschichtsbewusstsein für die Entstehung des speziell deutschen Theaterensemble-Betriebes gibt es eindeutig nicht. Es ist d i e s e r jedoch das alleinstehende Kulturmerkmal, nicht der Betrieb der Festival - und Programmhäuser als Theater-Plattformen. Vielleicht werden auch sie eines Tages immaterielles Weltkulturerbe. Zusätzlich zum bestehenden. Wenn sie genug Alleinstellungsmerkmal anhäufen, wird das ganz gewiss der Fall sein. Irgendwann. Es ist ihnen zu wünschen. Noch aber ist es nicht so. Und solange das noch nicht so ist, bleibt es nun einmal im Fall der Volksbühne ein Raubzug unter Beibehaltung des Lächelns.
ein so feiner glasklarer artkel.
sehr schön
vielen dank auch an raban witt für die recherche und das aufdrüseln
vom programmheft vb/17/18.
und auch noch vielen dank an die kommentatoren,die position beziehen und fragen aufwerfen, die jetzt hoffentlich von dercon/piekenbrock genau so emotionsfrei beantwortet werden.
Aber wie gesagt, dazu will ich mich eigentlich nicht mehr äußern. (ist gut gelungen, ich weiß...) Ich ärgere mich nur über die mal wieder gepflegte Kunst des Weglassens. So wird richtig bemerkt, dass Fous de danse (das als einmalige Eröffnungsveranstaltung konzipiert war) und Dancer's Day punktuelle Veranstaltungen sind. Allerdings steht im Mittelpunkt letzteren die (Ur-)Aufführung eines Stücks namens 10000 Gesten. Und dieses ist sehr wohl ein Repertoirestück, das nach der Eröffnung des Haupthauses an dortiger Stelle regelmäßig gespielt werden wird. Dieses darf durchaus erwähnt werden, da es zu dem gemachten Punkt in direkter Beziehung steht.
Es ist mehr als zynisch Herr Rakow hier so tun, als hätte Herr Peymann den begriff Event in einer solch strukturumschreibenden Form eingesetzt. Der Begriff Event wurde als Diffamierung verwendet. Nichts anderes. Zu keinem Zeitpunkt las sich bei Peymann an irgendeinem Zeitpunkt Respekt vor den Arbeit von Produktionshäusern wie dem HAU, PACT Zollverein, Mousonturm, Kampnagel und anderen ablesen. Wie auch. Diese Häuser werden von ihm nicht betreten. Statt dessen beten diverse Personen solche Begriffe als leere Hülsen in die sozialen Netzwerke und eben eines Auszudrücken. Puren Hass.
Die deutsche Theaterlandschaft hat Alleinstellungsmerkmal. Dies lässt sich nicht generell als Qualitätsmerkmal heranziehen. Es hängt davon ab wer die Bühnen leitet und mit welchen Inhalten. Ob es nun Ensemblebetrieb ist oder in der Struktur der freien Szene angelegt - keines lässt sich über einen Kamm Scheren. Schade, dass sie dies weiter anfeuern. Am Ende dieser Diksussion fällt hintenüber, dass wir den Künstler*innen die neu in die Stadt kommen mit verschränkten Armen gegenüberstehen - fern ihrer Qualität.
Diese Hass-Unterstellungen und haltlosen Stigmatisierungen in Bezug auf kritische Äußerungen der neuen Volksbühnenleitung am Platz, dessen Namen nicht mehr genannt werden darf, gegenüber, die eigentlich fast ausschließlich komplett unbelegt erhoben werden und wie auch in Ihrem Fall erneut ganz ohne Text-Beispiele auszukommen scheinen, sind mittlerweile wirklich nur noch ganz, ganz schwer zu ertragen! Zwei Posts vor Ihnen behauptet jemand irgendwas von "xenophoeben Äußerungen" in der Jungen Welt - natürlich wieder ganz ohne Link... Wenn ich auf diesem Niveau urteilen würde, müsste ich Sie wahrscheinlich mindestens als "vollkommen verblendete Claus Peymann-Hasserin" betiteln..;) Mach ich aber nicht! Ich gehe übrigens sehr gerne ins HAU oder in die Kampnagelfabrik - Aber das ändert nichts daran, dass ich nicht bereit bin, "zur Tagesordnung überzugehen" und "dem Neuen eine Chance zu geben", wenn hierzulande dafür einer der verdientesten Theatermenschen aus seinem Posten gemobbt wird und die hiesige Theaterlandschaft auf diese schäbige Art um eine der wichtigsten Intendanzen der letzten 20 Jahre ärmer gemacht wird!
Werter Herr Krieger,
bitte regen Sie sich nicht so uff und wittern hinter jeder Zeile Tendenziösität. Der Herr Rakow hat sich viel Mühe gegebn, denke ich. Ist auch viel Arbeit. Was halten Sie davon, wenn wir sagen: Tegel sollte unbedigt offen bleiben, dann kann man dort 10000 Gesten als Repertoire-Stück aufführen, so wie Stars in Concert.
Wenn das die Wirkung von 25 Jahren Volksbühne ist, dann war diese Zeit ein 25-jähriger Irrtum.
Zu den Mobbingvorwürfen und der Kritik an der Härte der geäußerten Kritik: ich habe ein gewisses Verständnis dafür, dass sich manche über den Tonfall aufregen, der in dieser Debatte gelegentlich angeschlagen wird. aber zwei Dinge sollte man doch nicht übersehen:
Erstens finden diese Debatten in einem künstlerischen Kontext statt, der von der Freiheit und Radikalität lebt. Will Briegleb jetzt auch noch Herrn Peymann weichspülen? Die Kunst der Volksbühne unter Castorf war oft radikal, kompromisslos, rücksichtslos. Dabei auch oft humorvoll, ironisch, bewusst übertreibend. all das muss man doch in diesem Kontext immer auch mitspüren, dass es in diesen Auseinandersetzungen immer auch darum geht, sich zu messen, radikal Position zu beziehen.
Zweitens: Was in solchen harten, wortgewaltigen und oft verletzenden Auseinandersetzungen nicht geht, ist: auf die Schwachen einschlagen, die die keine Chance haben. Das kann man aber nun Dercon nicht gerade attestieren. Er wird wohl fürstlich entlohnt, er hat die Freiheit, den Job nicht zu machen, er hat Worte genug, sich zur Wehr zu setzen. Den muss nun wirklich keiner bei Kritik an seiner Arbeit in Schutz nehmen.
"Tanz ist tatsächlich das sauberste Mittel zur Säuberung aller Kulturfragen. Niemand versteht ihn, er ist unvernünftig, braucht keine Sprache und lässt sich mit jeder Folie bekleben. Tanz gucken ist doof gucken. Hegel erwähnt in seinen Ästhetikvorlesungen weder Ballett noch Volksreigen. Tanz ist die Sprachlosigkeit der Unmündigen." - jungeWelt, 13.9.2017. Vor einer Linken, die solche Plakate klebt, müssen wir uns fürchten.
Kann ich so nicht erkennen. Für mich nicht, für meine Umgebung nicht, für dieses Forum nicht. Ich freue mich auf Künstler/inne/n, die neu in die Stadt kommen. Vor allem wenn sie super sind.
Ich stimme Ihnen aber zu, dass die Kritik, die sich mit der Causa Renner/Dercon/VB verbindet auch in Richtung der aktiv Beteiligten unterhalb der Spitzenpositionen weiterwirkt. Das ist bedauerlich, aber was ist die Alternative? Renner/Dercons Handstreich bleibt doch ungeachtet von kommenden Künstlern zu kritisieren. Dercon stellt sich aus meiner Sicht nach wie vor voll ins Fadenkreuz (leider!). Wann hat er Lösungen abseits der Volksbühne öffentlich erwogen und/oder betrieben?? (Seitenaspekt: Kann man nicht sogar sagen, dass das Haus am Luxemburg-Platz viel zu unflexibel für sein entgrenztes Kunstverständnis ist?) Mithin ist er doch für seine Künstler/innen verantwortlich (wenn es die sind, die Sie mit "neu" meinten).
Endlich! Danke! Ich bin schon verzweifelt an der Berichterstattung ihrer Kollegen, denen außer Polemik und Ideologie - egal in welche Richtung - nichts mehr einfiel.
Aber: ein sachlicher Punkt fehlt. Vielleicht können Sie den noch ergänzen: hat Dercon bei seiner Bestellung geschummelt und so getan, als würde er das Ensemble- und Repertoiretheater im Prinzip fortführen, um dem bis dato existierenden Unternehmenszweck scheinbar zu erfüllen. Dann wäre die Politik betrogen worden. ODER: hat die Politik den Unternehmenszweck schon bei der Bestellung Dercons geändert. Da würde sich dann die Frage stellen, ob jeder Senator, der gerade mal im Amt ist, das administrativ einfach so tun kann. Dann wäre eine Debatte über die Kulturpolitik der SPD die Folge.
Dieser Punkt ist wichtig, weil er Dercon be- oder entlastet. Und daraus folgen demokratiepolitische Fragen: wenn Dercon das, was er jetzt umsetzt, von Anfang an klar gesagt hat, kann man ihm dies jetzt nicht vorwerfen. Sondern der Politik. Knapper gesagt: wer hat hier eigentlich die Verantwortung?
hat dercon die politik getäuscht (mit ensemble und repertoire)und einen extra schwammigen vertrag aufsetzen lassen (der geheim ist), der ihn unantastbar macht oder bestand ein "gemeinsamer" plan, der jetzt genauso - als zerstörung/verwandlung der vb zum gastspielhaus - eingesetzt wird?
das ganze opfer-täter-spiel wird genau durch die fehlende offenlegung emotional angefeuert und verhakt sich in nebenschauplätzen, wo beide seiten um die hoheit der opferrolle kämpfen. jedoch IST castorf weg und damit schon der klare verlierer = fakt ... dercon KÖNNTE - wenn er KANN durch leistung überzeugen - aber nach 2mille und 2jahren vorbereitung setzt er medial STÄRKER auf seine selbstgewählte rolle als mobbingopfer aller seiner kritiker ... ist DAS die zukunft, die sein pr-team immer gemeint hat?
@eine Besucherin: Das ist ein berechtigter Einwand, der auch in der Redaktion bereits geäußert wurde. Zwecks Verifizierung jenseits möglicher Kunst-Koketterie wurde bei der Volksbühne angefragt. Eine Ensemble-Vertrag für Frank Willens wurde NICHT bestätigt, die Antwortet lautet: "wir melden, sobald es im Laufe dieser Spielzeit Neuzugänge im Ensemble gibt", zit. Pressesprecher J. Ehmann. Beste Grüße, eph/d. Red.
Dieses Stück "ohne Titel (2000)" performte er schon im HAU bei Tanz im August 2013 und bei der Ruhrtriennale.
Die Akustik war während des Picknicks im Tempelhofer Hangar ziemlich schlecht (auf der Tribüne funktionierte das anschließend wesentlich besser). Die wenigen Sätze, die Frank Willens zwischendurch gesagt hat, waren deshalb schlecht zu verstehen, wenn man nicht gerade zufällig in der Nähe seines jeweiligen Standorts saß.
Unerwähnt bleiben Gossip-Highlights wie die unterirdische Rede von Klaus Lederer im Juli, folgend Frank Castorf. Lederer übergibt den ehrenwerten Volksbühne Helden Wein: 7 Männer und eine Frau stehen auf der Bühne – auch ein Bild das unvergessen bleibt.
Und Lederer spricht von WIEDERsehen.
https://www.youtube.com/watch?v=Fhb22kEkQRk
Fakt ist, Kunst kann bei diesen Rahmenbedingungen noch schwer gelingen, dafür schlägt sich ein Boris Charmatz extrem gut, die Volksbühne agiert ehrlich und öffnet sich. Beispielhaft im Gegenzug auch wie Herbert Fritsch an der Schaubühne scheitert, weil der hassgetränkte Abschied seine Arbeiten im Frühjahr/Sommer nochmals eine martialische Kraft gegeben hat. Und jetzt ist es halt doch auch belanglos - das Sprechtheater.
Sonnige Grüße in das Forum!
Ps. Ich bin ebenfalls erschüttert über Aussagen wie "Tanz ist die Sprachlosigkeit der Unmündigen", Junge Welt. Hier schlittern wir fernab jedem Kunstverständnis, jedem Geschichtsverständnis. Und leider wird das aktzeptiert, alles was DAGEGEN ist, ist willkommen. Es gibt keine KLAREN Forderungen der "Gegner". Außer natürlich ein Ensemble - das wäre natürlich der Ausweg aus allen Krisen.
Wenn ich mich auch nicht als 'Gegnerin' bezeichnen würde, so erlaube ich mir dennoch, hier klare Forderungen zu formulieren. In der Hoffnung, dass wir damit weiterkommen -- denn sie sind nicht neu und schon verschiedentlich formuliert.
1) Chris Dercon erklärt öffentlich, dass die Art des Vorgehens von Tim Renner problematisch ist.
2) Chris Dercon legt öffentlich dar, wie die Gespräche mit Klaus Lederer verlaufen waren, die letzlich im faktischen Status Quo endeten. (Lederer sprach in diesem Zusammenhang davon, dass Alternativlösungen für Dercon in Berlin erwogen wurden. Lederer behauptete auch, dass Dercon auch wesentlich am Label "Volksbühne" gelegen habe.)
3) Chris Dercon erklärt öffentlich, warum aus seiner Sicht keine andere Lösung (beispielsweise: er mit Team am Hangar plus weitere Spielstätten, ohne Bezug zur Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz) möglich gewesen ist.
4) Chris Dercon erläutert, ob für ihn Sprechtheater zentral ist oder nur ein Puzzleteil einer Plattform. (Letzteres ist sehr legitim, aber dann muss man die Standortfrage wieder stellen.)
5) Chris Dercon stellt fest, dass es falsch war, sich im Moment der aufflammenden Debatten an der rennerschen Entscheidung festzuhalten und nicht eine breitere, längere Debatte in der Stadt einzufordern (unter Beteiligung der Politik, der Bürger, der Theaterleute, seiner selbst, der Castorf-VB).
6) Chris Dercon erkennt an, dass der politische Prozess während und nach seiner Ernennung in 2015 ihm nicht gerade den Weg geebnet hat.
7) Chris Dercon sagt, wieviele physischen Repertoire-Stücke (ab 10 Vorstellungen mit wenigstens einer Vorstellung pro Monat) die ersten zwei Spielzeiten hervorbringen werden.
8) Chris Dercon sagt, wann die Schauspielstellen des Ensembles besetzt sein werden.
9) Chris Dercon legt seinen Vertrag (bis auf persönliche Daten) offen.
10) Chris Dercon erklärt, ob er eine Vertragsverlängerung anstrebt und wann diese ansteht.
11) Chris Dercon erklärt, wieviele Schließtage es in den ersten Spieltagen maximal geben darf.
Manches ist vielleicht teilweise schon geschehen, anderes sicher utopischer als jenes, aber Sie hatten ja nach klaren Forderungen gefragt.
@7., @17, @21. Der Artikel der "Jungen Welt" ist mit Bedacht in dieser Debattenschau nicht ausgewertet worden. Es geht um die Versachlichung der Diskussion.
@17. Werter Joachim Lux, ich muss gestehen, dass ich an Problembeschreibungen und Lösungsmöglichkeiten mehr interessiert bin als an Schuldzuweisungen. Aber jenseits der "bösen Absichten" gibt es m.E. noch eine dritte Möglichkeit: Die Unkenntnis in Fragen der Produktionsbedingungen an einem Ensemble- und Repertoiretheater wie auch die Fehleinschätzung des Stellenwerts der Volksbühne für die ästhetische, politische und mentale Lage in Berlin (und darüber hinaus). Das beträfe dann beide Seiten zugleich: die 2015 verantwortlichen SPD-Kulturpolitiker und das neue Volksbühnen-Leitungsteam, das seine Erfahrungen in anderen Betriebsformen (und anderen Kunstinstitutionen) gesammelt hat.
ich will Ihnen in diesem Fall wirklich nicht zu nahe treten, aber falls es jemals ein solch unseriöses Angebot gegeben hätte, dass Renner Dercon angehalten hätte, die Volksbühne in einen Gastspielbetrieb zu transformieren, dann wären immer noch beide, in dem Sinne verantwortlich, dass Dercon ja die Option gehabt hätte ein solches Angebot auszuschlagen. Oder würden Sie ein solches Angebot angenommen haben, nur um sich die Volksbühne als Intendant anzueignen? Sicherlich nicht.
Aber wahrscheinlicher ist doch, (die beiden sind einem ja in ihren Haltungen nicht unbekannt) dass sie in einem flotten Gespräch einmal kurz skizziert haben, wie man die Volksbühne in die „digitale Zukunft“ führen kann, so ganz im Kuratorenton gehalten, ohne die Folgen wirklich im Blick gehabt zu haben. Oder denken Sie wirklich Renner hätte so etwas formuliert wie: Komm Chris, halbiere das Ensemble, schaff diese dämliche Dramaturgie ab und feste Regisseure braucht es auch nicht mehr. - Nein. Sicherlich nicht. Ich denke, dass beide sich halbwegs sicher waren, dass Pollesch und Fritsch bleiben und eventuell sogar Castorf weiter inszeniert. Über einen Strukturwandel haben sie wahrscheinlich nicht gestritten.
Der ist ganz sicher auf dem „Mist“ von Dercon gewachsen, der zusätzlich verärgert und verletzt durch die Anfeindungen, nun anfängt seine sich allmählich herausbildenden Absichten umzusetzen, frei nach dem Motto, wenn die mich nicht wollen, ich brauche die auch nicht. Eine klassische Dynamik innerhalb solcher Streitereien. Es ist ja eine Sache die Dramaturgie abzuschaffen, aber wer sind den nun die Kuratoren und Innen, die Dercon bestellen will, die gibt es ja auch noch nicht. Zumindest wurde kein Gesicht vorgestellt. Das sieht alles nicht so planvoll aus, sondern er aus der Hüfte geschossen, auf Sicht gefahren.
Die ganze Zeit verhält sich Dercon so, als ob es in Berlin für die Theater so eine Art Reformstau gebe, den nur „er“ überwinden könnte, und bei dem die Vorgaben des Senats einzig und allein im Wege stünden, um Reformen umzusetzen. Und nun ist er gezwungen seinerseits einen „dernier truc“ anzuwenden, damit man endlich mit der „Revolutionierung“ der Berliner Theater vorankommt. Mit diesem Trick, alles und jeden Vorgang umzuetikettieren, versucht er seine Bedingungen zu umgehen oder auszudehnen soweit es eben geht. Leider hat er schon längst überreizt.
Und ganz besonders wichtig: Berlin braucht diesen „dernier truc“ nicht. Denn es hat schon Netzwerk Producer am Hau, an den Festspielen, in den Sophiensälen, im Radialsystem. Und mehr noch, diese Häuser sind nicht nur beliebt, sie werden auch mit öffentlichen Geldern gefördert und niemand stößt sich daran, dass sie Gastspielstrukturen ausgearbeitet haben, im Gegenteil.
Die Versuche in diesem Zusammenhang Tanz- gegen Sprechtheater oder gar Kuratoren gegen Dramaturgen auszuspielen sind geradezu lächerlich. In Berlin ist genug Platz für alle und Reformen werden geliebt und gefördert. Nur eben an der Volksbühne nicht, deren Betriebsstruktur ebenfalls festgeschrieben ist, denn diese Bühne brauchte keine Reform durch Dercon. Sie war stets in der Lage sich aus sich selber heraus weiterzuentwickeln. Ein Intendantenwechsel war langfristig angesagt, nicht aber ein Wandel in ein ein Gastspielhaus. Und sie sehen ja, die ersten Künstler sagen schon ab, ein russischer Filmregisseur, nun Kate Tempest. Davor habe ich Marietta Piekenbrock schon vor Monaten in einem Gespräch gewarnt. - Es reicht eben nicht die Klaviatur der Medien als Problemintendant zwei Jahre lang zu bespielen, man muss auch für die Künstler ein Atmosphäre schaffen, in der sie auftreten können und wollen, ein fruchtbaren, urbanen Boden für tolle Aufführungen bereitstellen. Aber das muss ich Ihnen wirklich nicht sagen, Herr Lux.
"Fakt ist, Kunst kann bei diesen Rahmenbedingungen noch schwer gelingen, dafür schlägt sich ein Boris Charmatz extrem gut, die Volksbühne agiert ehrlich und öffnet sich. Beispielhaft im Gegenzug auch wie Herbert Fritsch an der Schaubühne scheitert, weil der hassgetränkte Abschied seine Arbeiten im Frühjahr/Sommer nochmals eine martialische Kraft gegeben hat. Und jetzt ist es halt doch auch belanglos - das Sprechtheater."
Von was für schrecklichen - gar lähmenden - "Rahmenbedingungen" reden Sie denn, welche Herrn Decron angeblich so ein schweres Gelingen bescheren sollen und gegen die sich dieser so "tapfer" schlägt??? ...Dass er den Job eines Anderen, unter dessen Leitung die Volksbühne am Rosa Luxemburg Platz dreimal zum Theater des Jahres gekürt wurde, quasi auf dem Silbertablett präsentiert bekommen hat und das nicht ausnahmslos akzeptiert wird? Sorry, aber ein bisschen gut begründeten Facebook-Gegenwind wird man in dieser leitenden Position schon aushalten können müssen, ansonsten sollte man sich lieber bei der telefonischen Kartenreservierung bewerben!
@27 wäre die Volksbühne mit den Ansprüchen, die sie jetzt zu erfüllen hat, vor 10 jahren gemessen worden: Auf Gastspielreise hätten die Herren nicht dürfen, und Festivals wurden natürlich nie am Rosa-Luxemburg praktiziert. Rammstein? Das wäre bei Dercon reiner Wahnsinn, unter Castorf: "Was solls?" Die Ästhetik übertrumpft dann doch die Politik. Die Volksbühne hatte in den letzten Jahre (nach Trump) überhaupt keinen eigenständigen Lingo entwickelt - ganz glücklicherweise (nein, weil der böse Mann kommt und alles kaputt machen will) wurde das Haus voll und Standing Ovations waren das Maß der Dinge. Man besinnte sich selbst auf Konsens, weil man nicht mehr dekonstruieren wollte, und spielte Repertoire – also Klassiker (!) over and over. Endlich Mainstream. 2017: Mit Charmatz auf dem Boden rollen kostet mehr Überwindung als einen Castorf anzuschauen. Es ist verdreht, verlogen. Und ja, ich bin bestimmt auch verdreht und Lügen macht ja Spass!
Der Gegenwind ist aber REAL für einen Künstler, das kann man nicht einfach in einem Satz wegdiskutieren. Er spürt wie das Publikum unruhig ist, mit welchen Anspruch auf einmal Kunst geschehen soll. Das zerstört das gemeinsame Erlebnis. Bzw. helfen dann wohl nur die großen Gesten, nicht 10000, sondern: "FICKEN BETEN SAUFEN für die VOLKSBÜHNE" (Staub zu Glitzer). Voila!!
was heißt denn "EIGENE" wichtigkeit? klar gibt es eitelkeiten - doch wer behauptet, dass allein diese egomanien der debatten-ursprung sind, versteht nix von ensemble-arbeit. und genau DAS ist ja das thema - das verwischt und umgedeutet wird. es geht genau NICHT um das eigene allein, was auch nicht einfach so von außen geplant oder angeordnet werden kann - sondern eine innere haltung aller mitglieder ist - die durch vertrauen erarbeitet wurde - durch konflikte gewachsen ist und sich bewährt hat. und dann evtl. als theater des jahres von der öffentlichkeit gewürdigt wird.
Am 26.09. wurde ein einstündiges Radiointerview mit Chris Dercon (auf Niederländisch) ausgesendet. Die Aufnahme fand kurz vor der Besetzung statt.
http://radioplus.be/#/klara/herbeluister/02e135b9-4ffa-11e5-8f7e-00163edf48dd/096fed56-a354-11e7-81f8-02b7b76bf47f/
Ich habe einige Auszüge übersetzt:
17:45
(…) Es gibt viele Orte die diesen Austausch sehr gut praktizieren. Ich denke an Annemie Vanackere am HAU (..), ich denke an Thomas Oberender von den Festspielen, aber wir sind anders- warum? Weil wir den internationalen Künstlern auch eine einzigartige Produktionsplattform anbieten können, nämlich die einzigartige Produktionsplattform des deutschen Stadttheaters. (..) und das ist der Grund warum ich von der Tate Modern gerne zur Volksbühne gekommen bin. Ich habe erkannt, daß wir in Museen in Deutschland, aber auch in England, Frankreich (…) Tänzer, Theaterregisseure, aber auch Opernregisseure (..) gerne in den Museen arbeiten möchten, aber wir haben weder die Logistik, noch die finanziellen Mittel oder die Technik um dieses zu verwirklichen. Als das Angebot der Volksbühne kam dachte ich, daß ich hier die Dinge verwirklichen kann die an der Tate nicht möglich sind.
29:23
Ich denke heue ist die Idee des Schockierens, der Trennung, der Distanz zwischen Künstler, Werk und Publikum vorbei. Es gibt neue Konstellationen, Verbindungen, Verträge zwischen Künstler, Werk und Publikum. Ein interessanter Aspekt ist das Arbeiten in Räumen, bei denen der Unterschied zwischen Technikern, Künstlern und Publikum nicht mehr gelten. Ein anderer Aspekt ist, daß wir mit Stücken konfrontiert werden die sehr lange dauern (..) man kann ein- und ausgehen, und Fou de Danse oder Arbeit/Travail waren gute Beispiele; es gibt natürlich auch Luc Perceval mit seiner 11 Stunden Vorstellung auf der Ruhrtriennale (..) oder „Olympus“ von Jan Fabre.
Es gibt auch die Kritik an unserer Arbeit: „was Du machst macht doch auch schon Annemie Vanackere, die arbeitet auch mit Mette Ingvartsen, oder die Berliner Festspiele (..)“, ich denke das furchtbare deutsche Wort „Alleinstellungsmerkmal“ ist nicht mehr gültig, daß man sein eigenes Territorium abstecken muss (..) der Unterschied ist, daß wir mit der Volksbühne ein Haus anbieten können wo lange Zeit gearbeitet werden kann. Andererseitss haben wir Budgets die diese Menschen dringend gebrauchen können. (..) Ich denke Anna Teresa De Keersmaeker sieht mit ihren teuren Produktionen ein, daß nur Brüssel und isoliert in Brüssel arbeiten nicht mehr möglich ist. Darum sind Künstler auf der Suche nach Zusammenarbeit und das können wir anbieten mit dem fantastischen Apparat der Volksbühne.
35:00
Wir haben ein Budget von 20.8 Mio EUR, davon wird der grösste Teil an Lohn für 232 Mitarbeiter ausbezahlt. Das ist der Unterschied zwischen den viel flexibleren Strukturen in Flandern, in Belgien, bei denen Theater 70 Mitarbeiter zählen und die mit Gastregisseuren arbeiten können, oder Gastkünstlern, z.B. das Toneelhuis in Antwerpen. Der Großteil unseres Budgets verschwindet in diesem fantastischen Apparat. Das hat seine guten und schlechten Seiten. Es ist nicht so, daß wir mit dem Geld Künstler abwerben können, aber weil wir ein exklusives Produktionshaus sind, können wir eine andere Arbeitsumgebung anbieten. (..) In der bildenden Kunst brauchen Künstler Orte wie Kunstvereine, Kunsthallen oder Museen mit einer Sammlung, und das wird im Theater auch so kommen, daß Künstler hier mit dem einem Projekt zu sehen sind und dort mit einem anderen. Und hier hat Belgien, vor allem Flandern, einen Vorsprung durch eine flexiblere Struktur, mit leichteren Gesellschaften („Compagnie“) bezüglich der Besetzung von Technikern, oder technischen Gegebenheiten etc. Ich denke wir müssen unsere Arbeitsweise, unsere institutionelle Art, jetzt dringend prüfen.
Wenn die Volksbühne als Ensembletheater abgewickelt werden soll, dann bedarf es dazu einer offen Debatte. Das darf nicht Gegenstand privater Abmachungen zwischen Müller, Renner und Dercon sein.
und in der literatur brauchen künstler ... orte
und in der musik brauchen künstler ... orte
und beim film brauchen künstler ... orte
>>> echt jetzt - auch bildende und darstellende künstler brauchen orte- tztztz ... und kuratoren und institutionen, die deren (der künstler?) arbeitsweise "DRINGEND PRÜFEN"????? nach dem vorbild von "flexiblen compangnies" aus flandern?
ps. herr dercon, meiner meinung nach wursteln sie da was zusammen, was gerade in ihrem augenblicks-horizont rumflackert und dabei denke ich konkret an die "arbeits-und sozialpolitische" situation von über 200 langjährig angestellten mitarbeitern der vb (die ihr budget "belasten"), ihren baldigen öffentlichen auftritt zum thema "führen-motivation & haltung", den ausgesprochen mageren spielplan für das an sie verantwortete haus undundund ...
"Chris Dercon, Intendant der Berliner Volksbühne diskutiert beim #SZGipfel auch mit zum Thema Anders Führen - richtige Motivation & Haltung
Der @SZGipfel sucht Gründer-Vorbilder - Bewerben Sie sich heute noch für den #Gipfelstürmer Preis des #SZGipfel!"
http://rb.digital/2xKAgQm
jaja, das war alles vor der "flexiblen besetzungs-compagnie" ...
sie scheinen sich etwas zuzutrauen, was ich ihnen nicht zutraue, denn ich wüßte nicht aus welchem grund ... alle von ihnen gehörten worte passen nicht zu dem real-sichtbaren ... und in den kunst-und theaterbereich die polizei (als kommunikator, schlichter bzw. "institution") einzubringen kann ja wohl nicht gemeint sein ...
hängen sie irgendwo BILDER auf, lassen sie dazu tanzen, musizieren oder videos laufen ... die mitarbeiter der volksbühne sind keine bildenden künstler und tänzer ... sie sind ein hochspezialisiertes ensemble ALLER gewerke + die vb kein traditionsloses museum mit einem imageproblem, dem sie auf die sprünge helfen könnten ...
LERNEN - LERNEN - nochmals LERNEN ist ein anderer leitsatz als "geld regiert die welt" >>> dies wird vor allem am theater immer wieder GEPRÜFT
Gibt es das Dokument zum Ausdrucken oder als podcast zum Download?
Deshalb eine Beschreibung:
https://klara.be/podcasts-en-downloads
Finden Sie im ersten Absatz "Pompidou", das ist der Name des Programms, und klicken Sie auf das Wort. Damit öffnet sich das iTunes Menü des Programms.
Sendung 26.09. (aktuell unter Punkt 3)
"Adresse nicht erkannt
Firefox weiß nicht, wie diese Adresse geöffnet werden soll, da eines der folgenden (itmss) kein registriertes Protokoll oder in diesem Kontext nicht erlaubt ist.
Eventuell müssen Sie andere Software installieren, um diese Adresse aufrufen zu können."
Muss ich bei itunes angemeldet sein?
und jetzt auch noch das politisch-ideologische verbiegen von kunst in diffamierend altbackenes, welches eine angebliche "erneuerung dringend braucht" und deren zerstörerisches ergebnis in der gähnend leeren - deshalb installierten - NEUEN volksbühne beschwiegen wird, genau die täglichen 1,3 mill. euro für den ber
https://www.flughafen-berlin-kosten.de/
http://www.bz-berlin.de/berlin/umland/jeder-tag-am-flughafen-ber-kostet-13-millionen-euro
das hat mit demokratie, vertrauen, vernunft, verantwortung oder alleiniger dummheit nichts mehr zu tun und bei jedem wird sich in gedanken dafür ein passendes wort ganz von selbst finden ...
eine debatte wird nicht statt finden, der sind ideologen gar nicht gewachsen ... ich persönlich rechne mit noch mehr schweigen, noch mehr polizei, noch mehr teuren belanglosigkeiten und zunehmend überdimensionalen pr-aktionen für die beeinflussung von gedanken und gefühlen der menschen - zu ihrer selbstentfremdung, welche jedoch in einem bestimmten stadium - völlig (psycho)logisch - in wut umschlagen wird ... bzw. schon ist >>> nix mit debatte, sondern schüren von wut ... und die täter werden sich dann opfer nennen ...
mit einem kleinen unkostenbeitrag von 3.345,- euro erfährt man dann, ob man auch zu wort kommt + antworten erhält (oder nur lauschen darf)...sorry, das hatte ich vergessen oben zu erwähnen ...
" Am 18. November sitzt eben jener Chris Dercon (Foto links) auf der Adlon-Bühne und diskutiert beim SZ-Wirtschaftsgipfel über ein Thema, das zu seiner neuen Aufgabe in Berlin passt: „Anders führen - was können Manager von Führungskräften aus anderen Bereichen lernen?“
Dercon hat eine der schwierigsten Führungspositionen übernommen, die der internationale Kulturbetrieb derzeit zu bieten hat: Er soll als Nachfolger des legendären Frank Castorf der Volksbühne ein neues Gesicht geben."
https://www.sz-wirtschaftsgipfel.de/aktuelles/#3804-anders-fuehren
https://www.sz-wirtschaftsgipfel.de/teilnehmen/#teilnahmed
Wenn jemand kurz ein Minütchen hat... ich wäre sehr dankbar!
https://www.umfrageonline.com/s/39ff2c1