Viel Lärm um nichts - Thomas Birkmeir inszeniert Shakespeare mit Schmackes, aber ohne doppelten Boden
Schönes Spiel um schönen Schein
von Tobias Prüwer
Dresden, 9. April 2011. "Der Bock holt sich die goldene Gans". Don Juan bringt den Plot der Shakespeare-Komödie mit einem Satz auf den Punkt. Claudio, ein florentinischer Graf, will Hero, die Tochter des Gouverneurs von Messina Leonato, ehelichen. Er hat sich auf den ersten Blick in sie verliebt und eine üppige Erbschaft erwartet sie auch noch. Gottlob hat Shakespeare der Geschichte zwei Figuren beigegeben, die für ordentlich Schmackes sorgen. Leonatos Nichte Beatrice und der Edelmann Benedikt fetzen sich wie Hund und Katze – und sind doch füreinander wie geschaffen. Das allerdings müssen sie erst einmal merken. Bis dahin ist der Weg lang, aber Regisseur Thomas Birkmeir gestaltet diesen in Dresden so amüsant wie kurzweilig.
Everybody Loves Somebody Sometimes
"Man kann den eigenen Sinnen misstrauen, aber nicht dem eigenen Glauben." Und dem eigenen Herzen, möchte man Ludwig Wittgensteins Sentenz hinzufügen. Denn das ist der Kern von "Viel Lärm um nichts": Wie nehmen wir die Welt wahr und nehmen wir sie angemessen wahr? Nun konnte sich Shakespeare nicht in philosophischen Abstraktionen ergehen, schließlich wollte das Publikum unterhalten sein, und also goss er sein Spiel um die Wahrnehmung in eine komödiantische Form.

Birkmeir bleibt nah an dieser dran und kann damit gar nichts falsch machen. Furios arrangiert er den Auftakt. Kurz erklingt die Schnulze "Everybody Loves Somebody Sometimes" und Leonatos Gefolge wird eingeführt, dann seilen sich Don Pedro und die Seinen vom Rattern der Hubschrauberrotoren begleitet von der Decke auf die Bühne ab. Die ist hier besonders zu loben (Bühne: Christoph Schubinger): Hinten angehoben, wird sie zur schrägen Aktionsfläche und gibt den großen Raum fürs Spiel frei. Von mediterranen Fensterläden eingerahmt, enthält sie nicht viel mehr als ein paar Zitronenbäumchen und Kakteen, ist zurückhaltend und funktional, aber keinesfalls karg oder kalt gehalten. Die Kulisse bleibt den Abend über unverändert, nur durch den unterschiedlichen Einsatz von Licht (Jürgen Borsdorf) wird sie vielfach variiert – ein kleiner wie kluger Kniff von einnehmender Wirkung.
Der Widerspenstigen Zähmung mal zwei
Insbesondere in der ersten Hälfte besticht die Inszenierung durch einen eigenen Drive. Temporeich finden sich die Szenen auf den Punkt gebracht. Leider verlieren sich die pointierte Dramaturgie und das flotte Taktmaß während der späteren Akte etwas und gerade die melodramatischen Momente fallen zu steif und distanziert aus.
Das mag dem ungleichen Zusammenwirken der Schauspielenden geschuldet sein – ihre Qualität zeigt sich höchst unterschiedlich. Als farblose Göre Hero kommt Sarah Bonitz über schüchternes Zusammenschlagen ihrer Knie und Augenklimpern nicht hinaus. Leonato (Günter Kurze) wirkt eher wie ein Pantoffel-Pascha, denn Familienpatriarch. Den durchtriebenen Handlanger Don Juans nimmt man Eike Weinreich als piepsigem Borachio ebenso wenig ab wie den promiskuitiven Jüngling. Immerhin erzeugt er später als gebundener, geschundener und gefolterter Schmerzensmann gehöriges Mitleid. Mit brüchiger und leiser Stimme erklimmt die Kammerfrau Margarethe (Vera Irrgang) in affektierter Penetranz den negativen Gipfel der Inszenierung.
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Bravourös hingegen spielt Anna-Katharina Muck. Ihre bissige Beatrice ist nicht nur ein zornig-wortgewaltiger Hitzkopf, es gelingen ihr auch die Zwischentöne, die so manche Szene vermissen lässt. Und auch Ahmad Mesgarha beweist eindrücklich, dass die komödiantische Klaviatur allerhand Möglichkeiten bereit hält. Vom galligen Macker bis zum Liebesschwüre säuselnden Sarkasten vermag sein Benedikt zu begeistern. So gedeihen die Wortduelle des ungleich-gleichen Paares zu den Höhepunkten der Inszenierung. Hier zähmen sich zwei widerspenstige Wilde gegenseitig zum größten Vergnügen aller Schaulustigen.
Mafiosi, Barbiere und Heimchen?
Leider kommt die Inszenierung an mancherlei Klischee nicht vorbei und lässt auch einige Niederungen nicht aus. Dass die männlichen Protagonisten als Mitglieder verschiedener Mafia-Clans in dunklen Anzügen und noch dunkleren Sonnenbrillen auftreten und das Springmesser den Degen ersetzt, ist, nun ja: erwartbar. Immerhin ist das Stück im sizilianischen Messina angesiedelt. Dass in einer Szene, wo Don Pedro, Claudius und Leonato drei Barbiere geben, sie in vermeintlich schwulen Habitus verfallen und näselnd ihr "Töff, töff, töff" absolvieren, ist ärgerlich und peinlich.
Und Regisseur Thomas Birkmeir muss sich auch fragen lassen, warum er den Text zwar sprachlich modernisiert und stellenweise anspielungsreicher beziehungsweise zotiger gestaltet hat, am weiblichen Rollenbild aber so gar nichts verändert. Die selbstbewusst-starke Beatrice etwa hat partout nichts dagegen, dass eine Ehe damit verbunden ist, ihr den Platz am Herd zuzuweisen. Das ist ob ihrer imposanten Persönlichkeit wenig einleuchtend.
Überhaupt hätte die Inszenierung bei aller Unterhaltung eine Portion Doppelbödigkeit gut vertragen. Die Lacher sind auf der Ebene der seichten, mal anzüglichen Wortspiele angesiedelt: kriminelle "Exkremente" beispielsweise müssen da ausfindig gemacht und "archiviert" werden, wobei der Zeigefinger des Sprechers demonstrativ in die Poregion wandert. So poliert Birkmeirs schönes Spiel um den schönen Schein eher die Oberfläche dieser Komödie um Sinn und Wahrnehmung, als auf der Suche nach mehr auch an ihr zu kratzen.
Viel Lärm um nichts
von William Shakespeare
Neu übersetzt und eingerichtet von Thomas Birkmeir
Regie: Thomas Birkmeir,
Bühne: Christoph Schubiger,
Kostüm: Irmgard Kersting,
Dramaturgie: Robert Koall,
Licht: Jürgen Borsdorf.
Mit: Holger Hübner, Günter Kurze, Benjamin Pauquet, Matthias Luckey, Ahmad Mesgarha, Eike Weinreich, Tom Quaas, Henner Momann, Sarah Bonitz, Anna-Katharina Muck, Vera Irrgang, Lars Jung.
www.staatsschauspiel-dresden.de
Andere Inszenierungen von Viel Lärm um nichts: Jan Bosse war mit seiner Inszenierung vom Wiener Burgtheater 2007 zum Theatertreffen eingeladen. Ähnlich wie Birkmeir versetzte auch Jan Philipp Gloger den Stoff im Januar 2010 am Münchner Residenztheater ins Mafiamilieu. Und auch Karin Henkel frischte den Klassiker in Zürich im September 2010 mächtig auf.
Bei Thomas Birkmeir fühlt sich Tomas Petzold von den Dresdner Neuesten Nachrichten (11.4.2011) wie "in einen Film versetzt, der nostalgisch, ironisch und manchmal ziemlich abgedreht mit Motiven der fünfziger und sechziger Jahre spielt" und dabei durchaus "heutigen Moden und Marotten einen Spiegel" vorhalte. Seine Übersetzung komme daher, als sei das Stück "eben erst aufgeschrieben worden". "Kongenial" seien Bühne, Kostüme und Requisiten geraten. Muck und Mesgarha könnten "zur Hochform herausgefordertes Komödiantentum mit Gespür für reale Situationen verbinden". Zur "eigentlich tragischen Figur" werde hier Margarethe, "weil sie in absurder Verliebtheit durch die Szene irrlichtert". Die Inszenierung besteche durch einen "genau kalkulierten Rhythmus", "Schmiss und einen Ideenreichtum, der sogar das Erwartete zur überraschenden Wendung macht". Dazu komme eine "zugleich schwarzhumoriges und hyperkitschiges Finale", bei dem "wohl nur bei sturen Puristen ein Auge trocken" bleibe. Der Kritiker protokolliert "fast schon frenetischen Schlussbeifall".
Mesgarha verkörpere Benedikt "hinreißend", findet auch Rainer Kasselt von der Sächsischen Zeitung (11.4.2011). Daneben sei auch Quaas ein überragender Darsteller, der als Nachtwächter Holzapfel ein "schauspielerisches Kabinettstück umwerfender Art" auf die Bühne zaubere. Birkmeirs Inszenierung ist für ihn "modernes Intrigantenstadl und turbulente Kuppelshow mit kleinen Widerhaken". Der Regisseur habe "ein glückliches Händchen für gute Komödien", könne Schauspieler führen und schrecke nicht "vor Klamauk und ironisch gebrochener Klamotte zurück". Lediglich nach der Pause gebe es "einige Hänger", der Maskenball etwa werde "zum bloßen Kreischfest". Die meisten Szenen aber bringe Birkmeir "pointensicher mit viel Situationskomik rüber" und sorge "für bestes Unterhaltungsniveau". Das Lachen breche er wiederum "durch slapstickartige Einsprengsel von Gewalt und Gefühlskälte, Hass und Gier. Wenn er in der Komödie die tragischen Momente zeigt, ist er ganz bei Shakespeare".
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Verehrte Grüße
Elfriede Serter
Der Abend ist lustig, mehr aber auch nicht und davon fast noch zu wenig. Quaas, Mesgarha und Muck sind großartig, keine Frage. Einige andere blieben, da muss ich der Kritik zustimmen, zu blass (Bonitz, Luckey, Pauquet, Momann,...).
ach ja: das bühnenbild fand ich auch völlig unästhetisch und ohne sinn - sie war weder zurückhaltend noch funktional!
Finde die Vorstellung überaus absurd, dass Sie vor ihren Monitoren sitzen und Ihre Inszenierungen verteidigen, indem sie mit Fake Namen banale Loblieder erfinden.
Alles Liebe
Eli (Elfriede) Gauss
Sabine
Sabine
wenn man schlegel/tieck gelesen hat ist ja noch die frage, ob man dann weiß was der "eigentliche" autor überhaupt gemeint haben könnte als er das original schrieb. einfach shakespeare mal im original lesen und merken...da steckt schon die eine oder andere derbheit drin...und manchmal sind seine komödien halt auch etwas platt - unterhaltsam sind sie (gut umgesetzt) dennoch! (und das war kein kommentar zu der birkmeierschen variante, denn die kenne ich bis dato garnicht)
gut, ich habe verstanden was sie meinen...aber eigentlich interessiert mich gerade ein anderer autor oder vielleicht auch reiter...oder beides...jedenfalls ist das licht gerade sehr gut...wer sind Sie?
(…) der abend wirkt in sich nicht rund. und der rezensent sagt ja auch, wieso: shakespear'sche zoten schön und gut, aber so billig muss man sich beim publikum ja nun auch nicht wieder anbiedern. das geht auch geistreicher und gekonnter.
Die Probleme der Frauen hätte ich nicht gerne ständig, als ein freier Junggeselle. Aber ich sollte sie auch gerne haben, wegen
der Liebe zu den Frauen. Und ich habe zu viele ihrer Probleme nicht gerne. Wie kann man ehrlich Frauen dauerhaft lieben, wenn da über die Maßen nur jene Frauenprobleme sind.
Und im Grunde, ich gestehe es, habe ich die Frauen, habe ich mich und die Welt nicht wirklich verstanden.
So, und jetzt Amputationen.
Lieber Nazan,
hoffe, dass meine Meinung dir hilft.
Zeynep Celik
Ausserdem frage ich mich, warum in Shakespeares Komödie "Viel Lärm um nichts" eine (türkische) Zwangsheirat eingebaut wird - wo genau findet sich dieses Element von Zwang im Text? Und in Bezug auf Benedikt und Beatrice geht es doch vor allem um die Komik einer weniger romantisch verklärten als vielmehr geistig-intellektuellen Liebe, welche sich trotz oder gerade wegen aller sprachlich scharfzüngigen und (selbst-)ironischen Wortgefechte zwischen zwei Skeptikern am Ende doch durchsetzt. Wie passt dazu jetzt das Klischee eines türkischen Machos mit Heimchen am Herd? Aber trotzdem danke für Ihre Antwort.