Zockerlust analog
von Matthias Weigel
Berlin, 22. März 2013. Ein lustiger Zeitvertreib ist, einen Satz bei Google Translate auf Mandarin übersetzen zu lassen, nur um ihn gleich danach wieder auf Deutsch zu übersetzen. Bei diesem ersten Satz kommt dann beispielsweise heraus: "Ein interessanter Zeitvertreib, auf Mandarin Übersetzung eines Satzes gezwungen, und Google Translate haben wieder in Deutschland." Hat schon nicht mehr so viel mit dem Ausgangssatz zu tun.
Monkey Island 0.0
Genau so funktioniert auch das Genre, das die freie Gruppe machina eX erfunden hat. Computerspiele übersetzen die unendlichen Möglichkeiten unserer physischen Welt in eine vorgegebene Auswahl an virtuellen Möglichkeiten. Man kann ein Männchen hier und da hin steuern, aber eben nur dort, wo es vorgesehen ist. Und wenn man so eine virtuelle Übersetzung wieder in die reale, physische Welt zurückübersetzt, kommt dabei das heraus, was machina eX machen: analoge Point-and-click-Adventures, quasi Monkey Island 0.0.
Dieser Form bleibt die Gruppe machina eX, die sich in Hildesheim gegründet hat und seit letztem Jahr am Düsseldorfer FFT vom Doppelpass-Fonds der Bundeskulturstiftung gefördert wird, bisher auch treu. Nach Science-Fiction-Stories wie bei Wir aber erwachen... oder 15.000 Gray haben sie sich nun im Berliner Hebbel am Ufer an die Königsdisziplin gewagt: ein Abend zum amoralischen Bankertum namens "Hedge Knights". Aber was soll so eine Gruppe noch beitragen zu diesem Thema, zumal gefühlte zwei Jahre zu spät?
Im Büro der Bösenanalysten
Zusammen mit der Börsenanalystin Denise betreten die Zuschauer (also Spieler) das Wolkenkratzerbüro des Spekulanten August Mohr und seiner neureichen Brutalo-Frau. Nach gemeistertem Vorstellungsgespräch wird man sofort mit Long- oder Shortpositionen und Leerverkäufen konfrontiert; der Crashkurs sorgt für Finanzmarkt-Halbwissen, mit dem man für Denise schon bald die erste Lebensmittelwette auf Reis abschließt. Irgendwie beschleicht einen das dumpfe Gefühl, dass das da draußen oft nicht viel anders abläuft.
Die szenischen Intermezzi nehmen im Vergleich zu früheren Arbeiten mehr Raum ein, was der Komplexität des Themas und der Storyline angemessen ist. Außerdem muss weniger gekniffelt und kombiniert werden, aber dafür sind mehr Entscheidungen zu treffen: Wer wird ans Messer geliefert, welche Figur darf aus dem System ausscheren, sollen die Zocker belohnt werden? Die Fragen werden im fröhlichen Spielmodus nicht etwa als moralische wahrgenommen, sondern zunehmend als Spielexperimente: In welchem Fall passiert mehr, welche Entscheidung hat die krasseren Auswirkungen?
Zahlenspiele und Gruppenprozesse
So findet das machina-eX-Genre in diesem Fall zu seiner inhaltlichen Bestimmung: Im Sog des Games treten moralische Fragen zu Gunsten der Zockerlust in den Hintergrund, so wie es den Börsenspekulanten ja auch um den Zahlen-Kitzel geht und nicht darum, konkrete Werte, Lebensmittel oder Existenzen zu vernichten – wenngleich es in Kauf genommen wird. Eben solche Ego-Trips konnten in den Adventure-Games von machina eX schon öfters erlebt werden, nur dass sie in diesem Fall auch ihre inhaltliche Kohärenz haben. So gewinnt die Game-Installation eine weitere politische Ebene – neben der, die sie durch die teils höchst interessanten Zuschauer-Gruppenprozesse immer schon hat.
Spannend wird nun zu sehen sein, wie die Gruppe weiter mit ihrem Genre umgeht. Der Spagat zwischen konsequenzbefreitem Spiel und der gleichzeitigen Aktivierung einer (politischen) Haltung beim Zuschauer wurde gerade erst eingeläutet.
Hedge Knights
von machina eX
Skript und Performance: Anna Fries, Laura Naumann, Yves Regenass, Künstlerische Leitung und Produktionsleitung: Laura Schäffer, Technische Leitung: Jan Philip Steimel, Interaction Design: Robin Krause, Lasse Marburg, Video und Produktion: Nele Lenz, Sounddesign: Matthias Prinz, Bühnenbild: Franziska Riedmiller und För Künkel, Kostüme: Elisa Pelkmann.
Dauer: 1 Stunde 15 Minuten, keine Pause
www.hebbel-am-ufer.de
www.machinaex.de
Mehr über Computerspiele auf der Bühne und über die Arbeit von machina eX: in Christian Rakows Untersuchung Computerspiele und Theater – Wie die neue Medienkunst die Bühnenwirklichkeit verändert.
Die lernende Schwarmintelligenz der maximal zehn Zuschauer rätselt sich von einer Millionen-Entscheidung zur nächsten, beschreibt es Doris Meierhenrich in der Berliner Zeitung (25.3.2013). So irreal dieses Hasardspiel auch scheine, man bekomme eine Vermutung davon, "dass es realistischer wohl auch real nicht zugeht".
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