Frühlings Erwachen - Claus Peymann glaubt mit Wedekind an den Storch
Allzu viel Herz für die Pubertät
von Simone Kaempf
Berlin, 6. Dezember 2008. Anfangs gibt man dem Stück noch die Mitschuld an diesem Desaster. Nach der Pause weiß man, Claus Peymann ist ganz allein schuld. Natürlich ist der Text schwierig. Sperrig expressionistisch breitet Wedekind in "Frühlings Erwachen" das Schicksal dreier Heranwachsender in einer Atmosphäre tabubeladener Sexualmoral aus. Aber man kann das ganz von heute erzählen. Jüngst schaffte Nuran David Calis in Hannover ein rundum überzeugendes "Frühlings Erwachen", das das Schwärmerische des Stücks mit sehr genau beobachtetem jugendlichem Selbstbehauptungsdrang verband.
Abfall in die Schwarzweißmalerei
Wahrscheinlich hat auch Peymann in Wirklichkeit ein großes Herz für die Pubertätsnöte von Heranwachsenden – wenn nur sein Blick nicht so antipodisch überdeutlich wäre. Sich auf die Seite der Jugendlichen zu schlagen, bedeutet bei ihm, dass die Welt der Erwachsenen denkbar schlecht wegkommt: die Eltern sind klischeehaft als Pflichterfüller dargestellt; die Lehrer sind mehr Richter als Pädagogen, die zeigefingerstochernd den schuldigen Melchior zu sich bestellen. Genüsslich breitet Peymann diese Szene aus, in der der intrigante Direktor Sonnenstich (Axel Werner) mit Zylinder und Vatermörderkragen die Verbannung Melchiors und damit den Sieg falscher Moral durchsetzt.
Die Szene hat bei Peymann aber weder die Moral noch die Lacher auf ihrer Seite. Spätestens an dieser Stelle fällt die Inszenierung tief in die Schwarzweißmalerei ab: Hier die schwärmerischen Heranwachsenden voll kraftstrotzender Lebendigkeit, dort die gescheitelten Erwachsenen. Achim Freyers Bühnenbild trägt mit seiner allzu simplen Lösung seinen Teil dazu bei: Wenn die Stimmung düster wird, klappen die säulenartigen Türen auf schwarz, wenn es heiter-schwärmerisch wird, zeigt sich die weiße Seite.
Zur Zeit der Zöpfe und Kniestrümpfe
In dem kargen, zeitlosen Bühnenbild sehen die Anzüge mit den kurzen Hosen von Melchior, Moritz, Hänschen & Co. tatsächlich aus wie vor hundert Jahren, ziemlich alt also. Wie Pennäler, nicht wie Schüler reden sie dann auch, sprechen seufzend von den Hausarbeiten – Ludwig der Fünfzehnte! Sechzig Verse Homer! Erste sexuelle Gefühle gehen nur mit Gewissensbissen: "Ich hielt mich für unheilbar. Ich glaubte, ich litte an einem inneren Schaden", sagt Moritz. Altklüger redet Melchior über das Thema. Wendla (Anna Graenzer) strotzt dagegen vor mädchenhaftem Schwärmertum, eine, "die im Abendschein über die Wiesen gehen" will, "Himmelsschlüssel suchen den Fluss entlang".
Das expressionistisch Schwärmerische dürfen die Figuren bis zum Schluss nicht ablegen. Komplexere Einsicht bleibt ihnen verwehrt. Die Naivität etwa, mit der Wendla auch in den Schluss-Szenen noch an den Storch zu glauben hat, raubt den letzten Rest an Ambivalenz und lässt jenseits der Stereotype keinen Raum. Auch Sabin Tambrea als Melchior macht eine unglückliche Figur. Mit einem Ledertornister auf dem Rücken tritt er vor das Tribunal und wirkt eingezwängt wie ein ganz armer Tropf. Aber wie sollen die jungen Schauspieler auf der Bühne auch ihre Rollen komplex füllen, wenn kein Regisseur dabei hilft?
Weder agieren Melchior, Moritz oder Wendla hier am Leben entlang, noch wirkt die Historisierung als Verfremdungseffekt, noch folgt die Inszenierung einer erkennbaren Idee, wie man das Stück glaubhaft erzählen kann. Den archaischen Kern bewahrt man nicht, indem man optisch in die Zeit zurückkehrt, als die Mädchen noch Zöpfe und die Jungen noch Kniestrümpfe und kurze Hosen trugen.
Peinlich bis zum bitteren Ende
Immer ein wenig zu laut und übertrieben müssen die jungen Schauspieler jauchzen, lachen, schwärmen. Zumindest haben sie frische Energie zu vergeben, während die Zylindertragenden, grimassierenden Lehrer und ihre routinierte Überzeichnung oder die übereifrigen Mütter in den geschürzten Schürzen aus Peymanns Standardrepertoire stammen – und in dieser Schematik schon seit Jahren völlig ungefährlich bleiben.
Wie plump Peymann im dritten Akt aber die Erwachsenenwelt zu karikieren versucht, war nicht zu erwarten. Schon der Lehrerauftritt direkt nach der Pause zerstört binnen Minuten eine ernsthafte Auseinandersetzung mit ihren Motiven. An Moritzens Grab liefern sich Vater und Pfarrer Reden voll übertrieben ausgestellter Verlogenheit, und Manfred Karges vermummter Mann, der Melchior vor dem Tod bewahren soll, agiert als Mischung aus Zirkusdompteur, Supermann und Springteufelchen.
Das Gefühl unendlicher Peinlichkeit, das dieser Abend verbreitet, steigert sich dann aber noch im Schlussapplaus. Es genügte nicht, dass die jungen Schauspieler strahlend und jubelnd ihren Applaus abholten, Peymann schubst sie noch einmal mit so gönnerhafter wie degradierender Geste nach vorne, dass es zum Davonlaufen war. Und viele Zuschauer taten das in diesen letzten Minuten dann auch.
Frühlings Erwachen
von Frank Wedekind
Regie: Claus Peymann, Bühne: Achim Freyer, Mitarbeit Bühne: Heike Vollmer, Kostüme: Wicke Naujoks.
Mit: Larissa Fuchs, Anna Graenzer, Swetlana Schönfeld, Marina Senckel, Lore Stefanek, Laura Tratnik, Dejan Bucin, Alexander Ebeert, Boris Jacoby, Roman Kaminski, Roman Kanonik, Manfred Karge, Gerd Kunath, Christopher Nell, Alexander Ritter, Lukas Rüppel, Marko Schmidt, Martin Schneider, Veit Schubert, Andreas Seifert, Sabin Tambrea, Georgios Tsivanoglu, Peter Weiß, Axel Werner, Mathias Znidarec.
www.berliner-ensemble.de
Wir sahen uns "Frühlings Erwachen" auch in der Inszenierung von Felicitas Brucker in Freiburg an. Ins Berliner Ensemble gingen wir zuletzt für Thomas Schulte-Michels La Périchole und Peter Steins Der zerbrochne Krug.
Kritikenrundschau
Peymann versuche gar nicht erst, Wedekinds "Frühlings Erwachen" in die Nähe der Gegenwart zu holen, bemerkt Eva Behrendt in der Frankfurter Rundschau (8.12.). Stattdessen konfrontiere er es "mit einer noch ferneren Vergangenheit": Er inszeniere genauso Schwarzweiß wie es "die getuschten Bilderbögen des Satirikers" Wilhelm Busch sind, bloß "deutlich steriler als diese". Schwarzweiß seien auch die "Karikaturen bürgerlicher Doppelmoral und Verlogenheit" kostümiert, "die direkt aus ,Max und Moritz' entsprungen scheinen". Und Schwarzweiß seien "Peymanns Sympathien verteilt": Gegenüber dem "Horrorkabinett" der Erwachsenen könne das Jungvolk nur punkten, bei dem gelte: "Hauptsache, irgendwie jung". Unklar bleibe, ob der "schwärmerische Überschuss" von Moritz, Wendla, Melchior "aus dem leider ungebremsten Herzblut hoch motivierter Jungsschauspieler resultiert oder schon wieder absichtsvolle Überzeichnung ist". Allerdings spiele dies "in der totalen Künstlichkeit" dieses Abends auch keine Rolle: "Diese geschlossene Welt ist sich eh selbst genug, darin aber leider so biedermeierlich wie die Gesellschaft, über die sie sich lustig macht".
Nur "wilhelminischer Drill und Prüderie" seien heute passé, nicht jedoch "die Nöte des Pubertisten und Wedekinds feine Psychologie", meint Andreas Schäfer vom Tagesspiegel (8.12.). "Von heute" sei auf der Bühne allerdings "nichts und niemand. Unter dem Vorwand, ein zeitenthobenes Märchen zu erzählen, entrückt Peymann die Figuren in die Ferne des Kitsches" und lasse Jugendlichkeit simulieren. Er ersetze also "Dringlichkeit durch hohle Gesten des Inbrünstigen". Da er "vermeintlich auf Seiten der Jugend" stehe zeichne er zudem Eltern und Lehrer "als lachhafte Karikaturen". Man könne Peymanns Theater ein "Theater für Nichttheatergänger" nennen: "Man erfährt nichts, das aber gut ausgeleuchtet. Die Schauspieler dürfen nichts zeigen, das aber bewegungsintensiv.
Erst nachdem er ausführlich von Peymanns "wirkungsvoller Medieninszenierung" im Falle Christian Klar erzählt hat, kommt Ulrich Seidler von der Berliner Zeitung (8.12.) zu dessen "uninteressanter Theaterinszenierung", in der "in aller Ausführlichkeit und ohne jeden erkennbaren Hintersinn" das Geschehen nachgestellt werde. Figuren gebe es nicht zu sehen, "nur Schauspieler in Mühen und manchmal ohne Hosen" – umso quälender, weil sich die jungen Schauspielern "mit unbedarfter, heißer Hingabe in diese welt- und leblose Theatrigkeit" stürzten, während die älteren "mit handwerklicher Solidität das szenische Ideenvakuum" überspielten. Bei dem Schwarz und Weiß der Bühne, diene die Farbe Rot "als Leitmotiv der Sünde" – deutlicher könne eine Sprache nicht sein, "aber was will uns der 71-jährige Regisseur mit ihrer Hilfe sagen?" Was man hier über Sex erfahre, ist für Seidler jedenfalls sehr fragwürdig: "Dass nämlich ein Mädchen bei einer drei- bis vierstößigen Gewaltdefloration in sexuelle Erregung geraten könnte, wie es Peymann zeigt, zählt zu den dumpfsten 'Sie sagte Nein, aber sie meinte Ja'-Phantasien".
Ganz anders klingt alles bei Reinhard Wengierek von der Welt (8.12.): Diesmal sei "das alte, lange vermisste Peymann-Wunder" geschehen: Wedekinds "Kindertragödie", "diese insgeheim schon als altbacken abgetane Provokation aus wilhelminischer Zeit, haut uns unversehens vom Hocker!" Alles sei "seltsam wie hinter Glas in der Museumsvitrine" und springe uns zugleich "ganz gegenwärtig an", was "an der präzis subtilen Personenführung, am so spartanisch wie poetischen, so trefflich wie praktikablen Bühnenbild Achim Freyers" liege. Auch die "triftigen Kostüme" von Naujoks seien in schwarz oder weiß – "ein die gesamte Inszenierung beherrschender Farb-Gegensatz, der vieles bedeutet: Das Kindliche, Frühlingshafte und das Tragödische, Winterliche. Das Fleisch, der Geist. Die Realität und der (Alb-)Traum, das Fantastische. Die Einfühlung, das Kreatürliche, der Schrecken, der Ernst und die Distanz, das Groteske, der Ulk." Mit "bewundernswerter Sicherheit" finde Peymann eine Linie zwischen all dem, auf der er das Ensemble "sicher wandeln" lasse.
Auch Peter Hans Göpfert, der für die Berliner Morgenpost (8.12.) schreibt, ist angetan. Zwar sei Unbekümmertheit gewiss nicht Peymanns Sache, doch zeige er das Stück "in einem überwiegend heiteren Licht". Während die Erwachsenen "satirisch schraffiert" wirkten, würden die Jugendlichen "mit ihren ungelösten bohrenden Fragen, ihren altklugen Vermutungen mit lebhafter Natürlichkeit, bei ihren onanistischen Verklemmungen aber auch mit ironischem Blick gesehen". Und von eben dieser Frische lebe das Ganze. "Mag sein, dass Jugendliche längst andere Probleme (nicht nur) mit der Sexualität haben", bedenkt Göpfert, lobt dann aber doch, dass die Inszenierung "so heiter wie anrührend für Offenheit und Verständnis zwischen Eltern und Kindern" werbe. "Hier grüßt das BE das Grips-Theater".
Irene Bazinger in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (9.12.) lobt, ohne zu jubeln: "Siehe da – dermaßen in historischer Entrücktheit geraten, wirkt 'Frühlings Erwachen' plötzlich wieder frisch. Dies sei "mit Demut wie mit Augenmaß vom Blatt inszeniert", nie verlören Peymann und sein Ensemble "Sinn und Form, Rhythmus und Geschmeidigkeit", alles leuchte ein, und am Ende blieben keine Fragen offen: "Das ist das Verdienst wie die Schwäche dieser Aufführung: Sie geht zwar glatt auf, aber sie geht einem – bei aller Liebe – nicht nach."
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Oder aber die verständnislosen überforderten Eltern bzw. Großeltern, die in Routine erstarrten Lehrer und Aufsichtpersonen? Dann ist wieder die eingeforderte Jugendkultur nicht zum Ziel führend. Und dann wäre auch so manche Stilisierung hilfreich, weil "bittere Medizin" halt auf "Zucker" besser zu schlucken ist.
götterdämmerung des theatergurus peymann, der von der sonne der vergangenheit, der großen tage (tat, stuttgart, bochum) lebt wie stein & dorn.
forget it. onanie. keine sich anbahnende theaterrevolution. peymann in die gruft!
oder ins wachsfigurenkabinett. fine de partie. Dieser GutMensch, Peymann. Ich hab doch rebelliert, ich tue was für C. Klar, vermutlich dentale Sammlung wie in Stuttgart, StammheimAokTendenzen.
Fuck in all over now. Wer stoppt das Beamtentum der deutschen Theater? Schickt Peymann aufblasbare Plastikpuppen. Huch, wir waren mal Rebellen,. 68er Opas. Forget it. Stellt Kerzen auf für Peymann, Stein & Co.
Versteht denn keiner von diesen affigen, auf fast debile Weise "mit der Materie ringenden" Damen und Herren aus der Presse, daß Peymann auf eine höchst erfreuliche und uneitle Weise als Regisseur in den Hintergrund tritt, um schlicht ein großes THEATERSTÜCK auf die Bühne zu stellen..? Ohne die ganzen lächerlichen Verrenkungen, Streichungen und all das, was heute jedes Provinztheater an Modernität zusammenschustert.
Nun ja, heute gibt es in Feuilletons überwiegend nur riesige Artikel über lächerliche Event-Sternchen usw.. Grund: den meisten Medienmenschen ist eins längst abhanden gekommen: fundierte Literaturkenntnisse. Übergreifendes Wissen. Interesse an einer Sache selbst. (wie Junkies sind sie hingegen fixiert auf vermeintlich "Neues", ohne daß sie die inneren Vorraussetzungen hätten, ein solches wirklich zu erkennen)
Ich kann nur sagen: schmeißt die Feuilletons und Kritiken in den Müll, und geht statt dessen ins Theater.
Berlin,
9.12.2008
Ich finde dieses Forum auch deshalb so genial, weil hier selbst Menschen zu Wort kommen dürfen, die Peymann als uneitel bezeichnen oder den Job eines Regisseurs mit "ein Theaterstück auf die Bühne stellen..." umschreiben. Nebenbei wird den Kritikern allgemein und ausnahmslos unterstellt, sie hätten keine Literaturkenntnisse (die meisten Kritiker haben gerüchteweise Maschinenbau und Lebensmittelchemie studiert) und dann noch eine Revolution: "schmeißt" Kritiken in den Müll! Vielleicht ist ja alles nur ein Missverständnis: wenn Peymanns Jünger vom "Auf-die-Bühne-stellen" als Regietätigkeit sprechen, bleibt nur der Rückschluss, dass Peymann das vielzitierte Theatermuseum tatsächlich installieren will und zwar sein eigenes. "Einen Peymann Sehen" hieße dann ins BE gehen und nach ein paar Stunden geschafft von so viel Historie einen intellektuellen Espresso zu schlürfen... Aber mir dauert das zu lange, ich warte nicht gern, ich trinke lieber sofort einen Espresso ...
Wenn Peymann ein großes Stück schlicht auf die Bühne gestellt hätte, wäre dagegen kaum etwas einzuwenden. Aber es kann doch nicht damit sein Bewenden haben, dass er den Originaltext spielen lässt; das schließlich ist auch an jeder Schultheaterbühne zu leisten. Was Peymann nicht bietet - und das MUSS man kritisieren -, ist eine ernstzunehmende Darstellung der pubertierenden Jugendlichen mit all ihren Nöten, Hoffnungen und Obsessionen. Das hat erst einmal überhaupt nichts mit Aktualisierung oder Modernisierung zu tun, denn das Drama der Pubertisten ist zeitlos. Dieses Drama aber MUSS Peymann uns gefälligst zeigen. Stattdessen zeigt er uns kindisches Rumgehampel und inbrünstige Schauspielergesten kleiner Möchtegern-Hamlets. Es gibt Leute, denen das gefällt: Es sind vermutlich Leute, die sich den Inhalt des Stücks vom Leib halten wollen. Theater aber sollte ein Ort der Erfahrung sein, und nicht die Klippschule für verpasste Schullektüre.
Nur zur Klarstellung. Es gibt nichts gegen Kulturpflege und Dienst am Bühnenerbe auszusetzen, wenn es niveauvoll umgesetzt und als solches deklariert wird. Sehe ich bei Peymann aber nicht. Der stellt meiner Meinung nach Volksverdummung unter dem Deckmäntelchen von wortgetreuer Stückaufführung auf die Bühne, muss man ja auch nicht so viel nachdenken, alles Routine. Das Ergebnis sind belanglose Kulturrülpser. Ein Glück gibt es immer weniger Theaterbesucher, die nur deshalb bei solchen Veranstaltungen klatschen, weil sie endlich einmal den Wortlaut des Bühnentextes vorgetragen bekommen haben. Die nachkommende Theatergeneration hat den Bühnentext bereits vorher gelesen ... Eines muss man dem CP aber lassen: er versteht mit öffentlicher Meinung (mithin auch der Springerpresse) umzugehen, setzt auf das Meinungsbild der wortgetreuen Aufführung und schon klingelt die Kasse. Ein echtes Vorbild für den Kulturbetrieb, sollte also unbedingt bewahrt werden.
Das ist so ein fucking altes Argument, auf das man nur 100.000mal antworten kann: Woher wisst ihr denn, wie es von Wedekind gedacht war? Have you talked to him?
Aber okay, es gibt a sort of Konsens, wie texttreues Theater aussieht. Doch es gibt auch da noch eine große Spanne von Patrice Chereau und Luc Bondy, die Charaktere psychologisch stimmig und genau inszenieren, bis hin zu Claus Peymann, der halt Text aufsagen lässt, aber keine genauen Charaktere rendern kann. Es stimmt, was Behrens oben in 8. schreibt: "kindisches Rumgehampel und inbrünstige Schauspielergesten".
Beifall von der "Springerpresse" (das Wort stinkt ein bisschen, weil es nahelegt, es gäbe in solch unwichtigen Dingen wie Theaterrezensionen eine einheitliche Linie des Hauses Springer) ist Herrn Peymann schon lange nicht mehr peinlich. Im Gegenteil: Gerade die BZ ist doch sowas wie sein Verlautbarungsblatt geworden. Und schließlich ist er ja auch von CDU-Leuten wie Radunski und Pufendorf installiert worden, was Castorf damals zu der Bemerkung veranlasste: "Peymann ist das Hätschelkind der CDU" - übrigens im BZ-Interview. Es ist nicht alles immer so übersichtlich...
Es geht nicht um Dekonstruktion, aber doch um Haltung und Interpretation. Diese sind Herrn Peymann lässt Herr Peymann schon lange vermissen.
Auch sorge ich mich um die Zukunft Christian Klars, bei soviel Muff und Spießigkeit an diesem Haus. Das ganze eher etwas von Haftverlängerung zu Lebenslager Haft.
Ich möchte nicht missverstanden werden: Es spricht überhaupt nicht gegen Peymann von Radunski installiert worden zu sein. Nur sollte man dann eben nicht so tun, als wäre man immer noch ein Rebell.
Als Nicht-Rebell, als Konformist, könnte er sicher als Everybody’s Darling finanziell lukrativer bei so manchem Festival, in so manchem Staatstheater als hofierter, geküsster Gast in Erscheinung treten. Zu einer gesellschaftlichen Diskussion, zu Reaktionen käme es dabei aber selten, weil halt dann doch die Reibefläche fehlt. Also meiner Meinung nach: doch ein REBELL
Das Treffen am Wannsee, ein Frühstück, was aus der Revolution wurde.
1 Warum war Franz J. Strauss fürs Standgericht, Erschiessen der RAF Terroristen
2 Warum ist mein Ei im Glas so weich
3 Endlich kann ich Kaffee trinken auf dem Kuhdamm (J.Fischer!),
4 Petra Kelly-Warum mag Joschka Fischer mich nicht, ein Trauma mit Selbstmord.
5 Peymmann: warum wurde ich nicht Terrorist,
weil mein Vater ein Bremer Kaufmann war.
6 Klar I love my dreams.
7 Der Butler des Frühstücks Otto Sanders. Slapsticks
8 Mehr Beamte in die Dramaturgie!
9 Ein junger Dramatiker vom Dramatikerstammtisch, störend, wir möchten auch was vom Kuchen (Theatersubvention)
10 Wieviel Rente bekommt C. Klar ?
Am Ende droht Kelly mit Selbstmord, C. Klar sagt, dass selbst lebenslänglich Sinn macht. Alles sei Knast und Therapie. Petra, bitte bring dich nicht um. Das Leben ist so schön und farbig. Peymann sagt: Kunst kann den Menschen verändern!
softrevolution.com/ uliwahl
Ich möchte jedoch aus eigener Erfahrung einen sehr wichtigen Punkt dazu beitragen, dessen Beachtung Sie vor peinlicher Subjektivität bewahren könnte:
Niemand - ich schwöre ihnen NIEMAND - hat mit seiner Tätigkeit am Theater (in welchem Bereich auch immer) die Absicht, hinterhältig (und absichtlich!) Volksverdummung oder Selbstdarstellung zu betreiben. Wenn Sie glauben, dass Schauspiel-Anfänger mit ihren 20 Jahren schon so reaktionär denken und arbeiten, dass sie bewusst als [Zitat: "kleine Möchtegern-Hamlets] agieren, bescheinigen Sie sich selbst, so fern vom Theater zu leben, so wenig von theater zu verstehen, dass es - mit Verlaub - ein Wunder ist dass Sie den Weg in den Saal gefunden haben...
Wie einem eine Inszenierung gefällt ist doch eine ganz andere Frage, aber leider wird in diesen Foren (und in den Feuilltons inzwischen auch) immer alles schön miteinander vermengt.
Das sehe ich Ihnen alles nach. Wenn Sie noch nie an einer Theaterproduktion beteiligt waren, wissen Sie nicht, wie es ist, betriebsblind zu werden - das ist doch klar. Im Gegenzug sollten Sie aber über ihre Art und Weise des Kritikübens nachdenken.
Ich finde auch, das FE recht museal geworden ist - habe aber als ich ein Nachgespräch mit 300 Schülern (Dauer: 1,5 h!) besuchte gelernt, dass es hundertprozentig auch für Jugendliche funktioniert, die Resonanz war überwältigend!
Wenn ich Kritik an einer Sache übe, weiß ich, dass:
1. ich die Produktionsumstände nicht kenne.
2. NIEMAND mich absichtlich vergraulen will.
3. ich unten sitze und die Anderen spielen - nicht umgekehrt.
4. ich nicht persönlich und subjektiv werden darf weil ich nicht unglaubwürdig werden und Künstler negativ beeinflussen will.
Das ist meine Meinung.
da Sie sich auf einen Kommentar von mir beziehen, möchte ich Ihnen antworten. Ich schrieb unter 8., dass Claus Peymann uns "kindisches Rumgehampel und inbrünstige Schauspielergesten kleiner Möchtegern-Hamlets" zeige. Sie konstatieren mir auf Grund dieser Worte, "so wenig von Theater zu verstehen, dass es ein Wunder" sei, dass ich den Weg in den Saal gefunden hätte - da ich nämlich fälschlich davon ausginge, dass die Schauspielstudenten mich bewusst verdummen wollten oder Selbstdarstellung betrieben. Dazu möchte ich zweierlei entgegnen:
1. Ich habe gar nicht behauptet, dass sie bewusst als Möchtegern-Hamlets agieren. Ich glaube auch nicht, dass sie das tun, um mich zu vergraulen. Ich glaube schlicht, dass sie als Möchtegern-Hamlets agieren. Das ist nicht unbedingt die Schuld der Schauspielschüler, sondern vielmehr die Claus Peymanns, der sie dazu angehalten hat, als Möchtegern-Hamlets zu agieren. Und ich vermute, dass er das bewusst getan hat, weil ihm nichts Besseres einfiel. Hat er es nicht bewusst getan, ist er als Regisseur nicht sonderlich qualifiziert.
2. Dass Schauspieler niemals Selbstdarstellung betreiben, halte ich für ein sehr kühne und eigentlich unhaltbare These. Ich möchte jetzt keine Namen nennen, aber es gibt schon eine Menge Schauspieler, denen die Eitelkeit aus jeder Pore springt. Es gibt sogar eine Bezeichnung für diese Art von Selbstdarstellern: "Rampensau". Sollte ein Schauspieler sich als Rampensau verhalten, halte ich es für angezeigt, das auch zu benennen. Die Schauspielstudenten in Peymanns Inszenierung haben sich übrigens nicht als Rampensäue verhalten, im Gegenteil: es waren vorzügliche Talente darunter. Aber sie sind von einer kritikwürdigen Regie zu kritikwürdigen Ergebnissen angeleitet worden. Das muss man sagen dürfen.
Ihrer 4-Punkte-Liste stimme ich jedoch in weiten Teilen zu. Jedoch: Was folgt daraus, dass ich weiß, die Produktionsumstände nicht zu kennen? Für das Publikum spielt das keine Rolle, es hat gezahlt.
Und Ihr vierter Punkt ist zumindest in Teilen strittig: Ja, persönlich werden darf der Kritiker nicht, absolut d'accord. Aber wie soll er nicht subjektiv sein? Und: Ob man einen Künstler negativ beeinflusst, kann für den Kritiker nicht unbedingt das Kriterium sein, er schreibt ja nicht für den Künstler. Natürlich sollte eine negative Beeinflussung nicht das Ziel sein, aber auszuschließen ist sie a priori nicht - der Kritiker kann ja die Folgen seiner Kritik nicht komplett übersehen. Übrigens wird ja in manchen Fällen auch das Publikum (und der Kritiker) vom Künstler negativ beeinflusst. Wobei ich sicher bin, dass das nicht absichtlich passiert.
Aber man sollte, finde ich, den bedenkenswerten Kommentar Nr. 7 noch einmal diskutieren. Ich glaube zwar nicht, dass sich Kritiker generell vom Publikum entfernen. Doch in Fragen des BE tun sich gegenwärtig tatsächlich augenscheinlich Probleme auf. Das BE bedient sehr erfolgreich ein Interesse bei älteren wie jüngeren Zuschauern: die Sehnsucht nach möglichst zurückhaltenden, historisch kostümierten, verständlichen etc. Aufführungen, die gewissermaßen unsere Durchschnittserwartung von einer "Bühnenumsetzung" erfüllen.
Das ist ein legitimes Interesse, aber es begreift das Theater unter seinen Möglichkeiten. Eben deshalb wird dieses Interesse und das Theater, das es bedient, von Kritikern so stiefmütterlich behandelt. In der Kritik geht es weniger um Serviceleistungen für ein bestimmtes Spartenpublikum. Kritik dient immer auch der Frage, was das Theater an Besonderem für unsere Zeit hervorzubrinngen vermag. Und in dieser Frage, ja, muss sie sich manchmal auch vom Publikum trennen.
Mit dem BE verhält es sich gerade ein bisschen wie in der Literatur mit Erfolgsnummern à la Bernhard Schlink oder Dan Brown. Die liest man gern, und sie machen ihre Sache ja auch gut. Aber sie werden verschwinden so wie - sagen wir - Charlotte Birch-Pfeiffer oder August von Kotzebue. Sie verschwinden, weil sie den Romanformen nichts hinzufügen. Um interessante Inhalte auf allgemein verdauliche Weise einem Publikum aufzubereiten, dafür werden immer wieder Leute nachgeboren. Hingegen die Formen der Kunst neu zu durchdenken und damit auch das zu definieren, was eine Zeit ästhetisch Eigenständiges vollbringt, das ist eine Besonderheit, das ist Kunst. Und als solche verdient sie höchste kritische und interpretatorische Aufmerksamkeit.
Das führt mich zurück zum BE und zu der Frage: Ist das BE mit Abenden wie diesen derzeit eigentlich kritikfähig?
Bei der Kritik geht es nicht um Produktionsumstände, ob es ein Pissoir in der Nähe der Bühne für Bühnenarbeiter geht, oder nicht.
In der Kritik geht es um ästhetische künstlerische Analyse der Aufführung, hier spielt auch der Zustand des Theaters eine Rolle. Die Frage ist erlaubt, ob Theater noch Sinn macht, oder was es gesellschaftlich bringen soll und wo ist die Verortung des Berliner Ensembles?
Stückinszenierungen lassen durchaus Rückschlüsse auf den Regisseur zu.
Die zeitgenössischen Dichter bzw. Dramatiker sind Herrn Peymann nicht gut genug, ausser Handke und Bernhard natürlich. Deswegen lieber alte Kisten wie Frühlings Erwachen.
Herr Peymann schleicht sich immer in Vorstellungen der anderen Theater z.B. Schaubühne.
Geht meist vor Ende der Aufführung.
Wer Herrn Peymann aus der Nähe beobachtet wie er durch Berlin eilt, als sei er auf der Flucht, hat den Eindruck, dass er in sich selbst verliebt, oder eitel ist. Er schimpft dann ab und an auf das "Jugendtheater" der Schaubühne, was so klingt, als wisse er den Weg in die Zukunft des Theaters in Deutschland. Mit Narzissmus hat Frühlings Erwachen schon zu tun.
Früher war Herr Peymann einfach provokativer wie z.B. am Theater a. Turm, Stuttgart, Bochum.
Am Ende stellt sich doch die Frage: Warum zum zigtenmal Faust oder Frühlings Erwachen?
natürlich ist das BE kritikfähig. das muss es sein. und wenn es verrisse regnet, dann ist das gut so. und dann passiert hoffentlich bald genau das, was Sie beeindruckend simpel (das mein ich ernst) gefordert haben: durchschnittliches weg! mutiges und neuartiges her!
dann ist wahrscheinlich das publikum weg.
der kunst kann es aber darauf nicht ankommen.
peymann bringt uns nichts mehr.
zurück mit ihm an die burg!
...
'burg' passt auch besser zu ihm als 'ensemble'...
Ich glaube, Sie irren stark, wenn Sie das Provokative in Peymanns Theater-Performance mit Bochum beendet sehen. Das Provozieren als Hervorrufen von teilweise extrem emotionalen Reaktionen ist geblieben!
In Wien waren es klerikal und konservativ gebundene Lobbyisten, die unter gar keinen Umständen ihre für sich in Anspruch genommene geistige und moralische Dominanz in Frage gestellt sehen wollten. Ich erinnere mich da an das Entsetzen, das in "Clavigo" die kleinlich/spießbürgerliche Darstellung der Familie bei so manchem Zuseher auslöste. Oder aber die wütenden Proteste, dass T. Buhre in Breths "Zerbrochenen Krug" eine optisch gar traurig/lächerliche Figur abgab (da nackt). Gar zu lächerlich erschien da die Bürgerwelt! Und die schrie Rache!
Jetzt, meine ich, liegt die Provokation in der Verweigerung der Anerkennung geistiger und moralischer Dominanz der Kritiker bzw. der vorherrschenden Ästhetik. Und wieder schaukelt sich eine emotionale Schlacht auf, die beleidigt und beleidigend ihre Werte verteidigt. Diesmal sind es Kritiker bzw. modernistisch/neoliberalistische Lobbyisten, die auch in vielen Fällen die Dominanz ihrer Jugend mitverteidigen.
Der Kerl denkt sich doch nicht: wenn ich biederes Altbacken-Theater mache, provoziere ich aber ganz schön die Kritiker!
Jeder will geliebt werden. Auch Claus Peymann.
Er kann es einfach nicht besser.
Das mit der Verweigerung klingt wie eine schlechte Entschuldigung.
Oder geht es nur um Selbstdarstellung?
Herr Peymann ruht sich noch ein bißchen auf den alten Lorbeeren aus, und dann wird er Platz machen für Neues. Hatte Herr Hochhuth nicht schon Nachfolger vorgeschlagen? Klar, das tut weh, aber die eigene Geschichte aufarbeiten ist die bessere Lösung. Nicht so ein würdeloses Festklammern, das hat der Peymann eigentlich nicht nötig.
Insgesamt würde ich Erwachsenen aber von dem Abend abraten, das ist verschenkte Zeit, es gibt im BE bessere Stücke.
Gestern überwog (zumindest in meiner Sitz-Nachbarschaft) das Desinteresse der anscheinend zum großen Teil zwangsverpflichteten Schülerinnen und Schüler.
Frank Wedekinds Figuren sind grell überzeichnet und seine Sympathien klar verteilt. Die Eltern und Lehrer sind Karikaturen und Schießbudenfiguren, die keine Autorität mehr besitzen, sich aber weiter an ihren verknöcherten Moralvorstellungen festklammern.
Genauso stellt sie auch Claus Peymann auf die Bühne. Dem jungen Ensemble machen diese Rollen sichtlich Freude, auch wenn der ganze Abend etwas holzschnittartig in Schwarz-Weiß-Malerei verharrt, die sich konsequent bis zum Bühnenbild (Achim Freyer) und zur Lichtregie durchzieht.
Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2016/10/06/fruehlings-erwachen-claus-peymann-inszeniert-frank-wedekinds-satirische-tragoedie-am-berliner-ensemble/