Forever Yin Forever Young - Deutsches Theater Berlin
Und irgendwann wuchert Unkraut
1. April 2023. Der Liedermacher Funny van Dannen entwirft in seinen Songs einen Kosmos aus Melancholie, Humor und Gelassenheit. Tom Kühnel und Jürgen Kuttner übertragen diesen Kosmos auf die Bühne des Deutschen Theaters Berlin. Eine Großstadt-Revue von raffinierter Radikalität.
Von Falk Schreiber
1. April 2023. Unter den vielen sehr, sehr guten Songs des Berliner Liedermachers Funny van Dannen gibt es einen namens Okapiposter, der vielleicht nicht ganz so gut ist. Nicht ganz so gut, weil dem Text, der ein missglücktes Geburtstagsgeschenk beschreibt, ein wenig die Schärfe fehlt, die genaue Beobachtung gesellschaftlicher Verwerfungen, die van Dannens Texte sonst ausmacht, und auch, weil "Okapiposter" sich musikalisch zu sehr auf der Strophe-Refrain-Strophe-Struktur des Liedermacherhandwerks ausruht. Aber: Ziemlich gut ist der Song dann dennoch, weil ein missglücktes Geburtstagsgeschenk eben all den Schmerz in sich trägt, den das Leben bereithält. Und weil der Titel einfach auch ein schönes, poetisches Wort ist: Okapiposter.
Okapiposter an der Wand
In "Forever Yin Forever Young", einem Liederabend, den Tom Kühnel und Jürgen Kuttner um van Dannens Songs am Deutschen Theater Berlin gestrickt haben, wird "Okapiposter" nicht gespielt. Aber das Titelmotiv taucht dennoch auf: In Jo Schramms Bühne ist ein Ladengeschäft zu sehen, durch die Frontscheibe erkennt man ein Poster an der Wand, und dieses Poster zeigt ein Okapi, einen giraffenartigen Paarhufer. Dieses Okapiposter wird während des gesamten Abends nicht mehr erwähnt, aber die Tatsache, dass es an der Wand hängt, ist ein Hinweis darauf, wieviel Wert bei "Forever Yin Forever Young" auf die Ausstattung gelegt wurde.
Zumal Kühnel und Kuttner ansonsten auf den ersten Blick weniger an Ästhetik interessiert scheinen. Maren Eggert, Felix Goeser, Ole Lagerpusch, Jörg Pose, Kotbong Yang sowie Kuttner selbst singen eben Van-Dannen-Songs, dazwischen gibt es kurze Spielszenen, die teilweise an Songtexten entlang inszeniert sind, ansonsten passiert wenig in den rund zweieinhalb Stunden. Zumindest interessant arrangiert sind die Stücke: Live tritt van Dannen meist solo mit Akustikgitarre auf, auch seine Studioaufnahmen beschränken sich auf spartanische Arrangements. Hier aber sorgen Lukas Fröhlich, Jan Stolterfoht und Matthias Trippner für einen satten Sound mit E-Gitarre, Keyboards, Schlagzeug, Bass, Cello und Trompete, außerdem versuchen die Darsteller:innen gar nicht erst, den beiläufigen Gesangsstil der Vorlagen zu imitieren.
Manchmal sticht die Band der Hafer
Adele Tschüssikowski erklingt in Yangs Interpretation gleichzeitig als Rock'n'Roll, Swing und Rap, Yang und Eggert machen aus "Kapitalismus" einen beschwingten Crossover aus Reggae und karibischen Klängen, manchmal sticht die Band der Hafer und sie spielt etwas ganz anderes als vom Text vorgegeben, Michael Jacksons "Billy Jean" etwa oder Nirvanas "Smells Like Teen Spirit". Und auch wenn niemand der Inszenierung vorwerfen kann, dass sie sich mit diesen Bezügen um einen Coolness-Preis bewerben würde, ist das musikalisch interessant. Es ist nur keine besonders spannende Theater-Idee.
Die versteckt sich dafür in der Ausstattung. Bühnenbildner Jo Schramm hat eine großstädtische Sackgasse in die Kammerspiele des Deutschen Theaters gebaut, gesäumt von entstuckten Gründerzeitbauten. Im ersten Stock lässt sich vögeln, übers Kopfsteinpflaster lässt sich radeln, vor allem aber lässt es sich hier trefflich vor den Hauseingängen rumhängen. Man trinkt Schultheiss Pilsener und Fritz Limo, auch das ist ein Hinweis darauf, wie genau die soziale Gemengelage beobachtet wurde, die sich im Van-Dannen-Kosmos abbildet. Und dann redet man eben, man lebt in den Tag hinein, man singt auch mal ein Lied, Als Willi Brandt Bundeskanzler war, Nana Mouskouri (als sechsfache Mouskouri-Doppelgänger:innen) oder Die Zeit, in dem es heißt "Die Zeit bricht keine Herzen / Sie kann den Sinn nicht sehen / Die Zeit kann fast überhaupt nichts / Die Zeit kann nur vergehen".
Und während die Zeit vergeht, verändern sich die Werbeschilder über den Protagonist:innen, aus dem "Kino Intimes" (im Original in Friedrichshain) wird nach einem Schlenker in ein Weimarer-Republik-haftes "Eden Kabarett" ein Yoga-Studio, und irgendwann wird auch die "Urban Coffee Roastery" von Unkraut überwuchert sein. Diese Szenerie fängt die Van-Dannen-Stimmung gut ein, diese Mischung aus Melancholie, Humor und Gelassenheit. Eine Gelassenheit, die man sich allerdings nur leisten kann, weil man einen alten Mietvertrag hat und deswegen zuschaut, wie die Gentrifizierung gegen die Wand fährt. Die Klugheit dieser Songs liegt auch darin, dass sie um diese Privilegien wissen, und Kühnel und Kuttner übertragen diese Klugheit geschickt ins Theater. Sie scheinen ihr nur nichts hinzuzufügen.
Dann eskalieren die Darsteller:innen
Aber vielleicht geht man damit ja der Inszenierung auch auf den Leim? Vielleicht brauchen Kühnel und Kuttner das Revuehafte, das Schmissige, die Leichtigkeit, um das Publikum einzulullen? Und um dann radikal dazwischenzugrätschen? Yang singt Unruhe, "Wenn es wirklich keinen Grund gibt, die Nerven zu verlieren / Wer käme da auf die Idee, Unruhe zu schüren?", Eggert tut nur halb erfolgreich so, als ob sie dazu Klavier spielen würde, und plötzlich kippt der gesittete Chanson in wüsten Elektro, flimmern die Strobos, eskalieren die Darsteller:innen, zwei, drei Takte, dann geht es wieder zurück in die Liederabend-Konvention. Und da spürt man, wie diese kluge, unterhaltsame Inszenierung tatsächlich Unruhe schürt und in die Musik eingreift, mit einer Radikalität, die besonders raffiniert ist, weil man sie nicht einmal bemerkt hat.
Forever Yin Forever Young
Die Welt des Funny van Dannen
Regie: Tom Kühnel, Jürgen Kuttner, Bühne und Video: Jo Schramm, Kostüme: Daniela Selig, Musik: Matthias Trippner, Dramaturgie: Claus Caesar.
Mit: Maren Eggert, Felix Goeser, Jürgen Kuttner, Ole Lagerpusch, Jörg Pose, Kotbong Yang, Live-Musik: Lukas Fröhlich, Jan Stolterfoht, Matthias Trippner.
Premiere am 31. März 2023
Dauer: 2 Stunden 30 Minuten, eine Pause
www.deutschestheater.de
Kritikenrundschau
"Jürgen Kuttner, Tom Kühnel und die Kostümbildnerin Daniela Selig haben vor dem realsatirischen Hintergrund am Schloss Bellevue tatsächlich feinstes Gespür bewiesen für die schillernde Ausstattung ihrer zweieinhalb stündigen Funny-van-Dannen-Revue," schreibt Doris Meierhenrich in der Berliner Zeitung (2.4.2023) über die letzte große Premiere der Intendanz Ulrich Khuon, die aus ihrer Sicht "so etwas wie eine subversiv-affirmative Allroundparty samt Selbstfeier des Betriebs geworden ist."Das Regieduo Jürgen Kuttner und Tom Kühnel habe "den Riesenfundus dieser Textabbreviaturen aus dem bescheiden dahinplätschernden Barden-Milieu in eine kompakte, fast schon umfassende Erzählung der West-Berliner BRD-Geschichte gepackt."
"Unglaublichen Charme" bescheinigt Christine Wahl im Berliner Tagesspiegel (2.4.2023) dem Abend, "wie man hier im Zuge der als Revue getarnten Gesellschaftsananalyse der vergangenen jahre auch noch einmal sich selber feiert, ganz beiläufig, eitelkeitsfrei, fernab jedwedem Irgendetwas-Beweisemüssens." Das tolle Ensemble agiere in einem wunderbar lässigen "Modus des Vollbracht-, die-Dinge-hinter-sich-Habens mit dem berühmten lachenden und weinenden Auge gleichermaßen im Gesicht."
Einen Abend, der "verrückt erfunden wie schlicht gedacht ist", hat Patrick Bahners für die Frankfurter Allgemeine Zeitung (20.4.2023) am DT erlebt. "Mit entwaffnender Sorgfalt arbeitet die Truppe um Jürgen Kuttner das utopische Potential der Welt Funny van Dannens heraus, in der das Vertraute und das Befremdliche eins sind."
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Lohnt sich der Aufwand für nur wenige Vorstellungen bis Spielzeit-Ende, mögen sich viele bei der Premiere Ende März gefragt haben. Die neue Intendantin Iris Laufenberg hat mittlerweile bekanntgegeben, dass „Forever Yin Forever Young“ zu den Inszenierungen gehört, die weiter im Repertoire bleiben. Diese Revue scheint tatsächlich gut in ihr Konzept zu passen: statt monumentaler Dramen und wuchtiger Regiehandschriften von Sebastian Hartmann und Ulrich Rasche dominieren bei ihr die komödiantischen, kleineren Formen, gerne mit Ausflügen ins Skurrile bis Dadaistische.
Wie die DT-Spieler*innen in der ersten Hälfte an ihren Biertischen sitzen und die von einer dreiköpfigen Live-Band neu arrangierten Songs des Kreuzberger Liedermachers mit kleinen Spielszenen mixen, ist ganz hübsche Sommerunterhaltung. Die eingefleischten Fans singen mit leuchtenden Augen mit, aber so richtig springt der Funke in der ersten Hälfte noch nicht über. Nette Songs mit einer Prise Kauzigkeit und Antikapitalismus lassen sich an einem Sommerabend ganz gut konsumieren, war der Tenor am Getränke-Kiosk.
Auf Betriebstemperatur kommt der Abend in der zweiten Hälfte: in hoher Schlagzahl haut das Sextett eine tolle Nummer nach der anderen raus. Langer Szenenapplaus folgt auf das „Freundinnen müsste man sein“-Trio Felix Goeser/Ole Lagerpusch/Jörg Pose, oder den wunderbar-komischen Auftritt der sechsfachen Nana Mouskouri, der van Dannen 2010 eine Hymne widmete. Am Ende hielt es Sophie Rois nicht mehr auf ihrem Sitz. Sie sprang nach vorne und heizte mit ihrem Jubel während der Zugabe des Titelsongs die Stimmung weiter an. Mit ihrer Begeisterung beschallte sie später auch noch den DT-Vorplatz: für eine stimmgewaltige Volksbühnen-Diva natürlich eine der leichteren Übungen.
Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2023/06/08/forever-yin-forever-young-deutsches-theater-berlin-kritik/
Sucht man die kulturell Verdummten dieser Erde, Opfer der herrschenden Kultur (-Industrie), wehrlos aber sentimental, hier findet man sie. (Nichts zum Frauenanteil, der ist im Theater immer höher.)
Wir hätten in der Pause gehen sollen, dann hätten wir zwar die nette Nana Mouskouri-Parodie versäumt, hätten uns aber den steil abfallenden Schluss gespart. Besonders schlimm, wenn über die Zeit gesungen wird, nun, das einzige, was hier zu sagen ist, ist, sie vergeht mitunter zu langsam.
Bis auf den unterbrechenden Lärm mit Stroboskop in einem Lied, blieb das alles auf Schlagerniveau oder dem von Tanzmusik. Die wenigen Stellen, die der Eintritt und die Zeit Wert sind, hören wir zu Beginn, als es um die Folgen einer Schilddrüsenunterfunktion geht, und vor allem, als einmal der Kneipenwirt, kein Kiez-Klischee ohne diesen, ungehindert Blöd- oder Unsinn erzählt, ich erinnere mich dunkel daran, dass eine Schwalbe höher fliegt als zwei halbe, aber das kann auch anders gewesen sein, aber nichts gegen Blödsinn, der sich nicht, wie im „Rest“ des Abends als (Tief-)Sinn springt und als Flachsinn landet. Eine Ansammlung von kleinbürgerlichen(!) Klischees, Sentimentalität, Emotiönchen und Rebellentum im Rahmen des von der SPD (und den obigen Medien) erlaubten. - Wo ist einer, der die „kleinen Ladenmädchen“, die ins Theater gehen, ins Visier nimmt und das auf der Höhe der niedergehenden Zeit?
Funny war hier wenig, gut dass es nach dem Theater wenigstes regnete oder habe ich mich da in der Zeit, der doch alles egal ist, nur mir nicht, geirrt?
Irgendwie klingt das, als hätte man sich vorher nicht informiert, was das für ein Liederabend ist. Wenn man schon im Vorfeld wüsste, dass einem Funny van Dannen nicht zusagt, dann würde man auch nicht in einen ganzen Liederabend des Künstlers gehen, oder? Irgendwie bin ich ratlos ob dieses erratischen Kommentars und würde ihn dennoch gerne verstehen...