Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui - Marc Becker lässt Bertolt Brecht zwischen einstürzenden Obststeigen spielen
Wer vom Faschismus nicht reden will, soll vom Blumenkohl schweigen
von Andreas Schnell
Bremen, 19. Juni 2013. Immer wieder gern zitiert wird sie, die Rede vom noch fruchtbaren Schoß, aus dem "das" kroch, wenn vor der rechten Sache gewarnt werden soll. Der Satz stammt aus dem Epilog des "Aufhaltsamen Aufstiegs des Arturo Ui" – in Marc Beckers Inszenierung, die gestern im Kleinen Haus in Oldenburg Premiere hatte, fehlt er indes. Stattdessen gibt es am Ende einstürzende Neubauten aus Obstdarren, hoch, sehr hoch gestapelt: das Ende der hochfliegenden Pläne des Arturo Ui, der bis nach New York gehen wollte.
Obstdarren im konsequenten Spätkapitalismus
Es ist eine alles andere als abwegige Idee, eben nicht nach den alten Nazis im neuen Deutschland zu suchen, sondern Brecht viel ernster zu nehmen, der bei Niederschrift des "Ui", also 1941, schließlich noch nichts von Kontinuitäten und derlei mehr wissen konnte.
Brecht nämlich, so führt es das Programmheft aus, verstand den Faschismus als "konsequenten Spätkapitalismus" und damit nicht als Gegenteil der freien Marktwirtschaft, die ja sogar konservativere Denker heute wieder Kapitalismus zu nennen wagen, sondern vielmehr als deren letzte Konsequenz.
Weshalb die fallenden Wolkenkratzer aus Obstkisten natürlich recht unzweideutig im Zusammenhang mit dem 11.9.2001 zu lesen sind, als doppeltes Sinnbild des Kapitals: weil es erstens im "Arturo Ui" um einen Karfiol-Trust, also ein Gemüsekartell, geht, und zweitens die Türme des World Trade Centers – Scharfsichtige können in den aufgetürmten Kisten Playmobilfiguren entdecken – den Attentätern als Symbol des amerikanischen Kapitalismus zum Ziel wurden.
"Schutz ist geil"
"Wer nicht für uns ist, ist gegen uns", lässt Becker seinen Ui dann auch mit US-Präsident Bush sagen. Das Grundsätzliche an Brechts Kritik, dass nämlich der Kapitalismus an sich die Tendenz zur faschistischen Radikalisierung hat, deutet Becker über die Sprüche auf den Transparenten an, die Uis Gefolgsleute aufstellen. Plumpen Anti-Amerikanismus kann man dem Regisseur dabei übrigens nicht vorwerfen: Die Sprüche auf den Plakaten preisen im besten deutschen Werbesprech Gewalt als Mittel der Politik: "Mit Sicherheit ein gutes Gefühl" oder: "Schutz ist geil".
Das Bühnenbild fügt sich dieser Konzeption: Es besteht aus Kistenstapeln verschiedener Höhe sowie zwei tiefer liegenden Ebenen, die nach und nach fallen und erzählt mit diesem Bild auch von der schrittweisen faschistischen Gleichschaltung durch die sukzessive Auflösung der getrennten Sphären von Politik, Wirtschaft und Justiz. Die politische Essenz wäre demnach: Es ist der faschistische Kern im Kapitalismus, der sich in Zeiten der Krise unter Mitwirkung der Kapitalisten durchsetzt. Was eine schlüssige Lesart ist.
Dennoch verlässt man das Theater ein bisschen unbefriedigt. Zwar ist Rüdiger Hauffe ein überzeugender Ui, sind seine Gefolgsleute, vor allem Givola (Goebbels) Denis Larisch und Giri (Göring) Klaas Schramm die grotesken Figuren, die einer "Historien-Farce", wie Brecht sein Stück nannte, angemessen sind. Auch ein paar wirklich hübsche komische Details gibt es (neben den Playmobilfiguren) zu entdecken, wie den hinreißend verspäteten Tod des Zeugen Fish oder das Absingen eines Einkaufszettels. Aber das sind eher sporadische Höhepunkte. Bei den erfolgreichen Bemühungen auf der politischen Ebene scheint leider ein wenig die Lust an der Farce verloren gegangen zu sein.
Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui
von Bertolt Brecht
Regie: Marc Becker, Bühne: Harm Naaijer, Kostüme: Alin Pilan, Dramaturgie: Lene Grösch.
Mit: Rüdiger Hauffe, Henner Momann, Denis Larisch, Klaas Schramm, Eva Maria Pichler, Thomas Lichtenstein, Thomas Birklein, Sebastian Herrmann, René Schack.
Dauer: 1 Stunde 40 Minuten, keine Pause
www.staatstheater.de
Zu Bert Brechts Aufhaltsamer Aufstieg des Arturo Ui gibt's auf nachtkritik.de auch einen Theaterbrief aus Seoul von Brecht-Experte Jan Knopf, der zugeschaut hat, wie Alexis Bug das Stück 2011 in der südkoreanischen Hauptstadt inszenierte.
Beckers Oldenburger "Arturo Ui" erschöpfe sich in einem ziemlich spröden Nacheinander, einer nett gemeinten, harmlosen Nacherzählung, so Johannes Bruggaier auf kreiszeitung.de (21.6.2013). "Derart nett ist sie, dass es beinahe nichts zu beschreiben gibt." Der Hauptfigur wie auch der ganzen Inszenierung hafte der Makel einer Unentschiedenheit an. "Es ist der Gegensatz von Bühnenbild und Requisiten, der Kontrast aus Aktualität und Musealität, in dem sich das Dilemma dieses Abends zeigt. Indem Regisseur Marc Becker zwischen mehreren Möglichkeiten der Textausdeutung schlingert, vergisst er, was er uns überhaupt erzählen wollte."
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