Preisverfall, Hassinflation

von Andreas Schnell

Oldenburg, 17. April 2015. Die gute Nachricht: Die weißrussischen "Drei Tage in der Hölle" sind in Oldenburg im Tausch gegen schlappe 80 Westminuten erhältlich. Die schlechte Nachricht: Bei galoppierender Inflation kann sich das schnell ändern. Überhaupt gibt es in Pavel Prjaschkos "Drei Tage in der Hölle" eher schlechte Nachrichten. Nicht nur für Dima, die Hauptfigur dieses Stücks, das Elina Finkel in der Exerzierhalle in Oldenburg für das Staatstheater zur deutschsprachigen Erstaufführung bringt.

Die Warenwelt in Minsk, Weißrussland

Dima selbst bleibt dabei eigentümlich ungreifbar. Er taucht im Grunde nur in der dritten Person Singular auf, Menschen reden über ihn. Ist es der Erzähler? Wem die Stimmen gehören, die da sprechen, die die Geschichte von Mund zu Mund wandern lassen, wissen wir im Grunde nicht. Nur ab und an lässt Prjaschko Szenen entstehen. "Drei Tage in der Hölle" changiert zwischen prosaischer Erzählweise mit fotorealistisch präzisen Details und Textfläche. Mehr als über Dima erfahren wir über den Warenwert der alltäglichen Dinge im Minsk von heute. Sie sind im Grunde die inflationsbedingt wandelbaren Hauptfiguren in diesem Stück. In den Nebenrollen: die Minsker Buslinien, Handyläden, Kinos und andere Orte des alltäglichen Konsums. Womit wir wieder beim Preis wären, den alles hat. Eigentlich wie bei uns. Alles dreht sich ums Geld, beklagen denn auch einige. Wie bei uns. Und die Bilder, die hinten über die große Leinwand ziehen, zeigen, nun ja, eine winterliche Großstadt, die nicht notwendig in Europas letztem "Schurkenstaat" liegen müsste, was sie aber nunmal tut.

Hoelle 7 560 Karen Stuke uPostsozialistische Überlebenskämpfe vorm Plattenbau: das Oldenburger Ensemble
© Karen Stuke

Weshalb die Dinge ein entscheidendes bisschen anders liegen. Langsam arbeitet sich Prjaschkos Stück hin zum Kern seiner Geschichte, vermisst der Text die Kreise der Hölle, in der Dima landen wird. Von der alltäglichen Notwendigkeit, den Rubel vor dem Ausgeben dreimal umzudrehen, auf die Gefahr hin, dass er am Ende wieder ein bisschen an Wert verloren hat, über korrupte Polizisten und windige Sicherheitsleute, den Schwarzmarkt bis hin zu einer repressiven Politik, die alle Lebensregungen kontrolliert (was allerdings auch wieder ein bisschen an den entwickelten westlichen Staat denken lässt: Grundrecht Sicherheit) und ihre Alkoholiker in Besserungslager weit vor die Tore der Stadt verfrachtet, wo sie in unbeheizten Zelten interniert werden.

Körpertheater für große erzählerische Distanzen

Nun ist es Prjaschko eben nicht an emotionaler Betroffenheit gelegen, an Empathie mit Einzelschicksalen. Da sei der Text vor. Für den hat Elina Finkel eine durchaus interessante Form gefunden: In einem großen U sitzt das Publikum an Tischen wie in einem Seminarraum gegenüber einer Leinwand, hinter der das Ensemble hervortritt, sich zunächst in die Sitzordnung einfügt, aus der es immer wieder ausbricht, bis das Geschehen nur noch im Geviert in der Mitte des Raumes spielt.

Die Distanz, die erstens der Text zwischen sich und sein Personal, zweitens die Raumanordnung zwischen das Personal und uns legt, wird hier um eine Dimension erweitert: Finkel und die Choreografin Tabea Martin inszenieren ein Körpertheater, das nur punktuell szenisch im Sinne der Geschichte wird, nicht das Individuum kenntlich macht, sondern, mal als ohnmächtiges Anrennen gegen eine unsichtbare Mauer, mal als Knäuel, das immer wieder einen Einzelnen aus sich heraus quetscht, mal als Schlange, deren Kopf dem Druck von hinten nicht standhält, das stete Ringen des Individuums mit dem Kollektiv in abstrakter Form zeigt, als wäre es abgetrennt von dem, was die Figuren dieser Geschichte erleben. Vielleicht, weil sie sich eben nur mit den äußeren Erscheinungsformen wie den steigenden Preisen beschäftigen, anstatt deren polit-ökonomische Ursache zu ergründen. Lieber pöbeln sie gegen Juden, Päderasten und kulturlose Provinzler, die nach zwanzig Jahren in Minsk immer noch Dialekt sprechen. So sind sie – bekanntlich nicht nur in Weißrussland.

Am Ende kommen die Stimmen nur noch vom Band, das Ensemble hat sich auf einer Stuhlreihe vor der Leinwand platziert und verlässt einer nach der andren die Szene. Ein Mann, von dem wir annehmen müssen, dass er am Ende doch der arme Dima ist, erzählt, wie es im ZAPP, dem "Zentrum für Alkoholsucht-Prävention und Prophylaxe" geheißenen Freiluftknast zugeht. "Wenn es draußen minus 10 Grad ist, sind im Zelt minus 10 Grad." Licht aus. Was eine effektive Pointe ist. Aber als solche (uns geht's doch gut!) deutlich weniger wirkungsvoll als Prjaschkos konzentriert ausufernder Text.

 

Drei Tage in der Hölle
von Pavel Prjaschko
Deutsch von Stefan Schmidtke
Regie: Elina Finkel, Bühne und Kostüme: Thilo Zürn, Choreografie: Tabea Martin, Musik: Matthias Bernhold, Dramaturgie: Daphne Ebner.
Mit: Diana Ebert, Magdalena Höfner, Agnes Kammerer, Nientje C. Schwabe, Matthias Kleinert, Johannes Lange, Maximilian Pekrul.
Dauer: 1 Stunde 20 Minuten, keine Pause

www.staatstheater.de

 

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