Nebraska - Theater Oberhausen
Bruce Springsteen lässt grüßen
von Max Florian Kühlem
Oberhausen / online, 15. Mai 2021. Dass der amerikanische Traum schal geworden ist, haben Theaterautoren wie Eugene O’Neill schon Anfang des vergangenen Jahrhunderts verstanden. Warum also heute wieder ein Stück darüber machen wie Wolfram Höll mit "Nebraska" für das Theater Oberhausen? Vielleicht weil sich die Erzählung, der westliche Kapitalismus zeichne sich dadurch aus, dass in ihm ein Tellerwäscher zum Millionär werden kann, äußerst hartnäckig hält. Sarah Wagenknecht zieht sie zum Beispiel in ihrem aktuell heiß diskutierten Buch "Die Selbstgerechten" heran, um zu erklären: "Wer daran glaubt, kann sich eigentlich nicht beschweren, wenn er sein Leben lang mit schlechten Löhnen abserviert wird, denn es muss dann ja an ihm selbst lieben, dass es mit dem großen Geld nicht geklappt hat."
This is not Detroit
Mary und Max sind Menschen, die sich nicht abfinden wollen mit einem Leben im Niedriglohnsektor oder in der Arbeitslosigkeit. Sie brechen auf, brechen aus aus der US-amerikanischen Provinz, wo die Fleischfabrik schon geschlossen hat und auch beim Autobauer bald die Tore zugehen. In den USA gibt es warnende Beispiele wie Detroit, die zeigen, was mit einer Stadt geschehen kann, die in großem Stil Industriearbeitsplätze verliert und den Strukturwandel nicht schafft: Die Folgen waren dort Entvölkerung und Verarmung. Als unweit von Oberhausen – nämlich in Bochum – der Autobauer Opel 2014 seine Werksschließung ankündigte, startete das Schauspielhaus Bochum deshalb sein Stadtprojekt "This is not Detroit", um den Strukturwandel auch mit Mitteln von Kultur und Diskurs anzustoßen und zu begleiten.
Das Thema passt also in die Region, keine Frage. Autor Wolfram Höll ist an der Region allerdings nicht besonders interessiert. Er bewegt sich in einem inneramerikanischen Kulturkosmos mit Bruce Springsteen als Leitstern. Als seine Protagonisten (die ziemlich bald zu Nebenfiguren werden) per Anhalter in den erstbesten schwarzen Cadillac mit Flossenheck steigen fordern sie den von Lise Wolle gespielten Fahrer auf: "Kennen sie Asbury Park? In die entgegengesetzte Richtung, so weit wie möglich!" Bruce Springsteen hat in Asbury Park, New Jersey, ziellos einen Teil seiner Jugend verbracht, sein erstes Album heißt "Greetings from Asbury Park, N.J.", sein sechstes "Nebraska". Im titelgebenden Song geht es (wie in Terence Malicks Film "Badlands") um ein jugendliches Paar, das real existiert hat, mit einem Cadillac quer durch die USA flüchtete und dabei Morde beging.
Referenz-Marathon
In Hölls Stück gibt es neben dem flüchtenden Paar, das in die Crime-Geschichte allerdings eher passiv hineingerät, auch einen verzweifelten Cop, der Joe heißt, wie im "Nebraska"-Song "Indian Runner". Und die Dialoge seiner Figuren sind oft um ins Deutsche übersetzte Springsteen-Songtitel gestrickt: "Ich bin geboren, um zu rennen.", "Ich will einfach nur Tanzen im Dunkeln.", "Kannst du ein Feuer entfachen?" Aber leider läuft sein Referenz-Marathon ins Leere, weil das Stück es weder schafft (oder überhaupt vorhat), das differenziert-gebrochene USA-Bild eines Bruce Springsteen zu zeichnen, noch Anschluss an aktuelle deutsche Diskurse sucht – obwohl Sahra Wagenknechts Versuch einer neuen linken Politik für aus allen sozialen Sicherungssystemen fallende Menschen sich zum Beispiel angeboten hätte.
Was "Nebraska" erzählt ist eher eine diffus an Quentin Tarantinos B-Film-Hommage-Kino angelehnte Geschichte; ein Krimi, dessen eigentlich nicht besonders komplexe Handlung immer wieder im Panorama schräger Figuren verschwindet und zwischen geraunten und gesäuselten Dialogen unnötig verkompliziert wird oder mit Bedeutung aufgeladen, die gar nicht da ist. Die Darsteller*innen laufen anfangs als blasse, untote Schönheitskönig*innen mit Krönchen und Cowboyhüten über die Bühne. Später dreht sich selbige mit ineinander verschachtelten runden Wänden (Marlene Lockemann) unter ihren Cowbowstiefeln und Sneakers.
übersatt
Die Kamera schwenkt auf einen Revolver. "Scheiße, der Typ hat ne Waffe". Der wahnsinnige Prediger aus dem Provinz-Radio nimmt Gestalt an, reiht sich mit dem eindringlichen Stakkato seiner Sätze ein ins Figuren-Karussell. Und bald hat man das Gefühl, das alles schon tausendfach gesehen zu haben. Eine Inszenierung, zusammengeschustert aus Amerikaklischees des deutschen Theaters, denn auch die Entzauberung des Amerikanischen Traums ist längst Klischee geworden. Das Pech der Regisseurin Elsa-Sophie Jach, die sich Wolfram Hölls eigentlich für ein Hörspiel entstandenem Text angenommen hat, ist neben dem unausgegorenen Text, der Poesie mehr behauptet als einlöst, dass sie im Lockdown einen Theaterfilm statt einer Aufführung produzieren musste: Leinwände und Bildschirme sind mit dieser Art Stoff schließlich noch übersättigter als deutsche Theaterbühnen.
Nebraska
von Wolfram Höll
Uraufführung
Regie: Elsa-Sophie Jach, Musik: Stella Sommer, Bühne: Marlene Lockemann, Kostüme: Elisabeth Weiß, Dramaturgie: Simone Sterr, Regieassistenz: Lisa Boeke, Bühnenbildassistenz: Johanna Senger, Kostümbildassistenz: Ina Vahitova.
Mit: Carlotta Freyer, Agnes Lampkin, Henry Morales, Luna Schmid, Julius Janosch Schulte, Lise Wolle.
Premiere: 15. Mai 2021 online
Dauer: 1 Stunde 20 Minuten
www.theater-oberhausen.de
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