Warteraum Zukunft - Oliver Klucks wütendes Kleist-Förderpreis-Stück uraufgeführt
Mit Eisenstangen auf die Bürofinger
von Kerstin Edinger
Recklinghausen, 18. Mai 2010. Autor Oliver Kluck (Jahrgang 1980) muss im Alltag ein guter, ein stiller Beobachter sein. So leise und sacht wie er seinen Text entfaltet, so bestechend authentisch formuliert er seine Gedankenflüsse. Er schreibt schön, um dann hinterrücks auszuholen und dem Zuschauer verbal mit aller Wucht eins überzubraten. "Freundlich sein, grüßen, lächeln, nachfragen, zuhören, ihnen mit Eisenstangen auf die Fingergelenke schlagen, ihnen von hinten in den Nacken boxen, in die Knie treten."
Da schlummert eine Wut in diesem Autor über ein vereinnahmendes System, Wut über eine stille Akzeptanz und hingebungsvolle Unterwürfigkeit ans eigene Schicksal, die die Massen untätig und träge werden lassen. Sehr zu recht hat Oliver Kluck für seinen Text "Warteraum Zukunft", den das Hamburger Schauspielhaus nun in Koproduktion mit den Ruhrfestspielen Recklinghausen uraufgeführt hat, den diesjährigen "Kleist-Förderpreis für junge Dramatik" eingeheimst.
Die Gnadenlosigkeit der Generation Fleischtopf
Protagonist Daniel, ein 30jähriger Jungingenieur, hofft auf die große Karriere, die vermutlich nie kommen wird. Abitur, Studium, Doktorarbeit, eigentlich hat er alle Ansprüche erfüllt und doch will es mit der Beförderung nicht klappen. Derbe Sprüche und oberflächliches Geplänkel mit den Kollegen beherrschen den Büroalltag.
Während die Älteren ihre Schäfchen längst im Trockenen haben, muss Daniel sich noch anstrengen. "Generation Praktikum" gegen "Generation Fleischtopf"- Daniel darf nicht aufmüpfig sein, die Angst aus dem Raster zu fallen, ist zu groß. Und doch - "Du muss dich strecken, du musst mal was machen", zischt es Daniel ins Ohr. Zwischen Brotdosen und Aktenordnern deckt Klucks Text die Gnadenlosigkeit des Systems auf, die Boshaftigkeit, die hinter der glatten Fassade und der scheinheiligen Freundlichkeit steckt.
Regisseurin Alice Buddeberg arbeitet Klucks Selbstironie und die zynischen Momente gekonnt heraus. Sie lässt ihre drei Schauspieler die Rollen wechselseitig übernehmen, zwischen Ernst und Slapstick changierend.
Buddeberg und Bühnenbildnerin Cora Saller finden eine einfache und höchst praktikable Lösung, um die Möglichkeitsform der Revolte zu bebildern. Die Bühne ist mit riesigen Megaphonen drapiert, aufgesteckt auf einfache Holzkästen. Lautsprecher als Zeichen einer Protestkultur, die es längst nicht mehr gibt. "Man muss sich gerade machen, ich, ich muss mich gerade machen, die Früchte des Studierens müssen geerntet werden, die Saat wird eingebracht."
Auf den Trichter gekommen
In mausgrauen Anzügen exakt gleich gekleidet mit weiß geschminkten Gesichtern jonglieren die Darsteller mit den riesigen Megaphonen. Buddeberg lässt sie darauf klettern, darin liegen, hinein schreien, zischen, singen. Die Trichter dienen nicht nur als Requisit, auch als Aufnahmegerät von Wortfetzen und Geräuschemaschine, die Worte schlagen darin Kapriolen, wiederholen sich oder verhallen einfach. Sätze wie Sprachmüll, Bedeutungsloses neben Wichtigem.
Die Schauspieler harmonisieren perfekt, ihr Spiel greift ineinander. Sie agieren leicht und gekonnt beiläufig, um im nächsten Moment mit ihrem Spiel an Bedeutsamkeit zu gewinnen. Wo Kluck präzise und klar formuliert, schonungslos aufdeckt und hintergründig austeilt, setzt Alice Buddeberg komödiantisch noch einen drauf.
Wenn Daniel nach seiner scheinbaren Beförderung wie Comicfigur "Hulk" die Megaphone stemmt und laut brüllend mit "Ja" und "Yeah" über die Bühne stolziert, um im nächsten Moment zu erfahren, dass die Beförderung für die Abteilung in Rumänien gilt, da entfaltet sich eine Tragikomik, da wird die Euphorie gekonnt demontiert. Das System fällt so schnell in sich zusammen wie ein Luftballon aus dem die Luft gelassen wurde. Daniel müsste selbst aktiv werden, um etwas in seinem Leben zu ändern. Doch er traut sich nicht, den angewiesenen Weg zu verlassen. Stillstand auf voller Linie.
Alice Buddeberg gelingt es, Oliver Klucks Stück eine Leichtigkeit einzuhauchen, die es zwar manchmal an den Rand des Slapsticks führt, aber doch immer wieder zum nötigen Ernst zurückfindet. Ein kluger, ein hinterhältiger Abend voller Witz und Tiefsinn.
Warteraum Zukunft (UA)
von Oliver Kluck
Regie: Alice Buddeberg, Bühne: Cora Saller, Kostüme: Martina Küster, Dramaturgie: Stephanie Lubbe, Musik und Geräusche: Stefan Paul Goetsch, Licht: Andreas Juchheim.
Mit: Daniel Fries, Ute Hannig, Martin Wißner.
Koproduktion der Ruhrfestspiele mit dem Deutschen Schauspielhaus Hamburg
www.ruhrfestspiele.de
Mehr zu Oliver Kluck: Im Mai 2009 wurde sein "Prinzip Meese" beim Stückemarkt des Theatertreffens vorgestellt. Im Januar 2010 bekam er für "Warteraum Zukunft" den Kleist-Förderpreis für junge Dramatiker. Im Februar wurde "Das Prinzip Meese" im Studio des Berliner Maxim Gorki Theaters uraufgeführt.
Kritikenrundschau
In der Nacht nach der Premiere (18.5.2010, 23:18 h) trat Elske Brault in der Deutschlandradio-Sendung Fazit als erste kritisch vors Mikro: Ihr, so Brault, komme das Stück vor wie eine einzige lange "Beschwerdelitanei", sprachlich zwischen "den Leuten aufs Maul geschaut" und "Fäkalsprache"; die Familien, die in Erscheinung träten, wären solche, denen die "Super Nanny zu Hilfe eilt". Das Stück, findet Brault, sei halt schon "insgesamt ein bissel belanglos", zum Glück habe es Alice Buddeberg sehr "leicht" inszeniert und die Idee mit den Trichtern, auch den Soundtrack der Inszenierung durch die Schauspieler auf der Bühne live herstellen zu lassen, scheint, wenn man Brault richtig verstund, sehr gut und lustig aufzugehen.
In der Frankfurter Rundschau (25.5.2010) schreibt Stefan Keim: Oliver Kluck sei ein "leidenschaftlicher Anstoßerreger". Früher habe er Beschwerdebriefe geschrieben. Beim Dramatikersymposium "Schleudergang Neue Dramatik" sei er aufgefallen, "weil er nicht wie die anderen jammerte und Hausautorenstellen forderte". Kluck habe sich zu "einem Künstlerleben ohne Rücksicht auf Geld, Ver- und Absicherungen" bekannt. In "Warteraum Zukunft" werfe Kluck "einen unsentimentalen, witzigen und gnadenlosen Blick" auf die "Zumutungen der Arbeitswelt". Die Beschreibung des Büroalltags gerate in "die Nähe der Comedy". Kluck zeichne "Karikaturen, scharf und einfach konturiert". Das Stück sei "unverschämt unterhaltend", besonders aber werde es durch die "klare Haltung des Autors". Oliver Kluck sei "wütend", er wolle sich nicht "nur systemimmanent lustig machen". Der Tod des Radfahrers am Ende stehe für eine "ganze Gesellschaft der Gehetzten, die durch den alltäglichen Druck kurz davor sind durchzudrehen". Das habe Alice Buddeberg "genau verstanden und umgesetzt". Das "explosive Ensemble" des Deutschen Schauspielhauses Hamburg entwickele eine "gewaltige szenische Fantasie", schaffe "skurrile Klangsphären", verwachse "mit den Trichterlautsprechern zu seltsamen Wesen, spielt, singt und turnt, was das Zeug hält."
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