Robin Hood - Schauspiel Wuppertal
Mehr Mut zu Weihnachten
von Max Florian Kühlem
Wuppertal / online, 26. Dezember 2020. These: Für die Familienstücke, die alle Winter die Spielpläne der Stadttheater dominieren, die so genannten "Weihnachtsmärchen", gelten ähnlich konservative Regeln wie für Opern-Inszenierungen. Die Abstimmung über ihre Einhaltung erfolgt mit den Füßen beziehungsweise Reifen, denn es sind ja ganze Busladungen voller Schüler*innen, die damals, als es noch kein neuartiges Corona-Virus gab, monatelang zu den Vorstellungen gebracht wurden, um zu sehen, was die Bühnenmaschinerie hergibt und um die Saison-Bilanzen zu polieren. Henner Kallmeyer hat in Wuppertal jetzt also viel damit gewagt, aus Robin Hood eine Frau zu machen.
Was offenbar nicht funktioniert …
Um zu erkennen, warum es ein Wagnis ist, Familienstücke mit neuem Garn zu spinnen, lohnt ein Rückblick ins Jahr 2018, an den Anfang von Johan Simons Intendanz am Schauspielhaus Bochum. Nicht nur das Ensemble, das Kellertheater oder die Kammerspiele, auch das Weihnachtsmärchen wollte sein Team neu und anders denken und umsetzen: "Alle Jahre wieder" war eine Stückentwicklung, deren Text Regisseurin Hannah Biedermann gemeinsam mit ihrem Ensemble erfand. In einem abstrakt gehaltenen Bühnenbild ging es ohne die üblichen Show-Effekte um die Rituale des Feierns, die Familien aus unterschiedlichen Kulturkreisen ausüben.
Problematisch war offenbar, dass das Stück nicht nur keiner bekannten Handlung folgte, in die sich die um Weihnachten herum offenbar noch konservativer gesinnten Theaterbesucher*innen wissend entspannen konnten. Sondern dass es eigentlich gar keine konsistente Handlung aufwies, eher eine lose zusammengefügte Szenenfolge. Die in Bochum erscheinende Westdeutsche Allgemeine Zeitung urteilte: "In diesem Jahr ist alles anders: Die aktuelle Produktion für Klein und Groß kommt als intellektuelle 'Stückentwicklung' statt als warmherziges 'Märchenspiel' daher. So ist es nicht wirklich verwunderlich, dass die ungewöhnliche Inszenierung nicht durchgehend auf Gegenliebe stößt."
... und was doch
Tatsächlich war das nach Meinung vieler Besucher*innen misslungene Familienstück, über das Eltern sagten, dass ihre Kinder ihm kaum folgen könnten, schnell Stadtgespräch. Die Busse blieben bald aus und im Februar veranstaltete das Haus eine Podiumsdiskussion über Für und Wider der neuen Herangehensweise, um sich der Kritik zu stellen. Ein weiteres Jahr traute sich das Theater, auf eine – wahrscheinlich lange im Voraus in Auftrag gegebene – Stückentwicklung zu setzen: "Die unglaubliche Geschichte vom kleinen Roboterjungen" mit Wissenschafts- und Ethik-Diskurs-Elementen und tollem Puppenspiel kam auch besser an. Aber offensichtlich nicht gut genug: Dieses Jahr hätte Michael Endes "Die unendliche Geschichte" auf dem Spielplan gestanden – mehr Kinderbuch-Klassiker geht in Deutschland kaum.
Der Regisseur und Schauspiellehrer Henner Kallmeyer wird um die hohen Gewohnheitsansprüche wissen, die an Familienstücke gestellt werden. Er hat schon etliche inszeniert, auch in Bochum, wo er seine Laufbahn begann. Dass sein "Robin Hood", den er auch selbst geschrieben hat, dieses Jahr überhaupt noch das Licht der Welt erblickte, liegt daran, dass das Theater Wuppertal die hausinterne Premiere ohne Publikum aufgezeichnet hat und am zweiten Weihnachtstag zum ersten Mal Ticketinhabern als Stream zur Verfügung stellte.
Ein Soundtrack wie in Hollywood
Als Bildschirm-Ereignis konkurrierte die Inszenierung da nicht nur mit Erinnerungen an farbenfrohe Inszenierungen der vergangenen Jahre wie "Der kleine Lord", "Räuber Hotzenplotz", "Pünktchen und Anton" oder ähnlichen Stoffen mit Live-Musik, Gesang und Bühnenmaschinenzauber. Sondern auch mit Fernsehmärchen wie "Drei Haselnüsse für Aschenbrödel" (dieses Jahr ganze 19 Mal im öffentlich-rechtlichen Programm) oder "Der starke Hans", die natürlich opulent mit filmischen Mitteln inszeniert sind.
Der Wuppertaler "Robin Hood" bietet so eine ambivalente Erfahrung. Den Erwartungen an eine Bildschirmerzählung kann eine abgefilmte Theateraufführung selbst mit mehreren Kameraperspektiven natürlich kaum standhalten, zumal unter Corona-Bedingungen. Kallmeyers Ensemble hält entweder Abstand oder setzt sich in unvermeidbaren Kontaktszenen die Maske auf. Die Mikroports sitzen den Schauspieler*innen deshalb auf der Stirn. Ein anderes Element kann dann allerdings doch mithalten: In der Inszenierung wird zwar – wahrscheinlich auch wegen Corona – nicht gesungen. Dafür trumpft sie mit einem orchestralen Soundtrack auf, den man in großen Hollywood-Produktionen erwarten würde. Der Wuppertaler Korrepetitor William Shaw hat ihn selbst komponiert und mit dem städtischen Sinfonieorchester eingespielt.
Kämpfe unter Corona-Bedingungen
So kommt es zu tollen Szenen, die vor allem von der Musik getragen werden: Als die in den Wald geflohene Prinzessin Robin von Locksley mit dem Taschendieb Mario die Kleider tauscht, überlegen beide, in welcher Umgebung Robins türkises Kleid, das nun Mario trägt, wohl eine gute Tarnung wäre. Unter dem Meer zum Beispiel. Ein Hornmotiv und säuselnde Streicher entführen dann mit Lichteffekten unter Wasser, die auf dem Bildschirm naturgemäß etwas verpuffen.Die Szene gehört zu den besten der Inszenierung, weil Kallmeyers Text hier assoziative, träumerische Qualitäten offenbart und dem Soundtrack Raum bereitet.
Auch an anderen Stellen, in denen die gut aufgelegten Annou Reiners und Martin Petschan als Robin und Mario interagieren, funktionieren der neue Text und die neue Geschichte. Mario ist Kallmeyers ganz anders angelegte, männliche Variante der Prinzessin Marianne, ein Dieb und Hochstapler, der sein Handwerk versteht: Um Waldbesucher zu überfallen, will er eine Prinzessin spielen. "Aber ich bin doch eine Prinzessin", protestiert Robin, die den Part selbst übernehmen will. "Das heißt aber noch lange nicht, dass du eine spielen kannst", entgegnet Mario.
Dass dieser "Robin Hood" am Ende doch nicht ganz aufgeht, hat mehrere Gründe: Die Bühnenkämpfe, die von Koryphäe Klaus Figge choreographiert sind, funktionieren unter Corona-Bedingungen mehr schlecht als recht. Die Geschichte, in der Prinzessin Robin den echten Robin Hood ablöst, weil sie von ihm lernt, ihr eigenes Potential zu entfalten, "an sich zu glauben", wird irgendwann etwas arg kalenderspruchartig. Und die starren Illusionstheater-Kulissen überzeugen am Bildschirm wahrscheinlich noch weniger als sie es live in einem Bühnenraum mit Publikum tun würden.
Robin Hood
von Henner Kallmeyer
Familienstück ab 6 Jahren
Inszenierung: Henner Kallmeyer, Musik: William Shaw, Musikalische Leitung: William Shaw, Bühne: Franziska Gebhardt, Kostüme: Silke Rekort, Bühnenkampf: Klaus Figge, Dramaturgie: Elisabeth Wahle, Regieassistenz: Johanna Landsberg, Inspizienz: Stefanie Smailes, Produktionsleitung: Peter Wallgram, Regiehospitanz: Carina Jungbluth.
Mit: Annou Reiners, Alexander Peiler, Martin Petschan, Kevin Wilke, Nora Krohm, Yulia Yáñez Schmidt, Silvia Munzón López, Tim Alberti, Aline Blum, Flora Li, Musiker*innen des Sinfonieorchester Wuppertal.
Online-Premiere am 26. Dezember 2020
Dauer: 1 Stunde, keine Pause
www.schauspiel-wuppertal.de
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