La Révolution #1 - Wir schaffen das schon – Vier Regisseure inszenieren in Saarbrücken Joël Pommerats Protokolle der französischen Revolutionsjahre 1788/89
Amtsschimmel der Geschichte, Du hinkst!
von Reingart Sauppe
Saarbrücken, 13. Mai 2017. Mit einer Kollektivarbeit verabschiedet sich die Intendantin Dagmar Schlingmann aus Saarbrücken. Eigentlich wollte sie gemeinsam mit den vier Regisseuren Wolfram Apprich, Klaus Gehre, Marcus Lobbes und Christopher Haninger – allesamt Spezialisten für zeitgenössische Dramatik und dem Saarländischen Staatstheater als Gastregisseure verbunden – Joël Pommerats Textsammlung "La Revolution - Wir schaffen das schon" inszenieren und mit dem Revolutionslehrstück einen programmatischen Schlussakt an ihre 11-jährigen Intendanz im Saarland setzen. Schließlich ist man im Saarland Frankreich und der französischen Geschichte näher als anderswo. Der nach Bundeskanzlerin und Durchhalteparole klingende Untertitel "Wir schaffen das schon" passt übrigens auch als Motto auf Schlingmanns Intendanz an der Saar: Weniger revolutionär als evolutionär hat sie das Saarländische Staatstheater mit ihrem Ensemble beharrlich nach vorne entwickelt. Eines hat sie zum Schluss dann aber doch nicht mehr geschafft: Noch einmal selber Regie zu führen. Die Inszenierung der letzten Schauspielproduktion ihrer Intendanz überließ sie den vier Regiemännern allein.
Demokratisches Kunstexperiment
Joël Pommerats Text über die Geburtsstunde der Französischen Revolution speist sich aus historischem Quellenmaterial: Aus Protokollen, Briefen und Tagebüchern der Jahre 1788/89 rekonstruierte der Pariser Dramatiker mit dem großartigen Gespür für feine Ironie und subtilen Humor eine Chronik der scheiternden Monarchie mitsamt ihres politischen Apparates und des einsetzenden Volksaufstandes, der schließlich zur Revolution führte. Die auf 26 Szenen und dreieinhalb Stunden gekürzte Fassung teilten sich Apprich, Gehre, Haninger und Lobbes wie einen Kuchen. Jeder übernahm ein Text-Stück und inszenierte ihn als einen Akt.
Diese Konstruktion sollte mehr sein als eine revuepassierende Leistungsschau der Regiehandschriften am Saarländischen Staatstheater: Die Idee der "collective acts" war es, einen künstlerischen Pluralismus zuzulassen, der aus vier unterschiedlichen Herangehensweisen ein überzeugendes Ganzes erzeugt. Quasi als demokratisches Kunstexperiment. Dass die vier sich entschieden,den ausufernden und in seiner Aussage redundanten Text aufzuteilen und nur das Bühnenbild gemeinsam zu nutzen, war eine kluge Entscheidung: Denn während die Demokratie von Kompromissen lebt, ist Gruppenarbeit in der Kunst im Ergebnis oft nur gutgemeint statt gutgemacht. So aber entstanden vier Variationen zum Thema Revolution, die zusammen eine Art DNA scheiternder Systeme und politischer Umbrüche ergeben haben.
History-Doku, Pop-Art-Trash, Menuett, Medienrevue, Endspiel
So kreativ wurde die Spielstätte in der Alten Feuerwache des Saarländischen Staatstheaters selten genutzt: Als offener Raum, in dem das Publikum auf Zuschauertribünen mittendrin sitzt und nur Geländer Publikumsbereiche und Bühnenbereiche voneinander trennen.
Man sitzt quasi auf der Besuchertribüne des französischen Hofes, in dem Wolfgang Apprich ein Königspaar und den Adel im absurd-überzeichneten dekadenten Endzustand zeigt: Physisch wie geistig bewegungslose Karikaturen in ausufernden Kostümen.
Apprich hat die französischste Handschrift der vier Regisseure: Ironisch und spielerisch entwickelt er das Bild einer feudalen Gesellschaft, die abwechselnd mit wohlformulierter Ignoranz oder mit halbherzigen Absichtserklärungen auf die französische Schuldenkrise des Jahres 1788 reagiert. Der Unmut der Bürger wird aber nicht nur hörbar,sondern auch sichtbar. Die Kostüme rutschen von den Schultern bis schließlich nur noch nackte Reifröcke wie tote Skelette der alten Ordnung an der Kleidung hängenbleiben. Ein Volk beginnt sich seiner Fesseln zu entledigen. Ein aktualisierender Zeittransfer ist überflüssig: Assoziationen zur europäischen Schuldenkrise und der Reformunfähigkeit der EU stellen sich automatisch ein.
Unterhaltung ist alles
Den Zeittransfer ins 20. Jahrhundert liefert dafür Klaus Gehre mit seiner Pop-Art Version. Die französischen Royals hat das Volk offenbar im Revolutionsjahr auf den Mond geschossen, wo das Raumschiff La Bastille 1 zeitgleich mit Neil Armstrong landet. Das unbekannte Raumschiff stellt den großen Schritt für die Menschheit in den Schatten. Das Bodenpersonal interessiert sich nicht mehr für Neil, sondern nur noch für die französische Gesellschaft auf dem Mond. Begleitet von David Bowies Master Tom wird die Geschichte von 1789 zum Happening, das selbstverständlich auf Bildschirmen herangezoomt wird. Auch Master Trump hat einen kurzen Auftritt als Marionette. Aus amerikanischer Sicht ist der Abstand zur französischen Geschichte von 1789 so groß wie der Abstand zum Mond ... Muss man daraus was lernen? Nö, alles ist Unterhaltung und endet als pop-psychedelisches Musical à la "Hair" und "Jesus Christ Superstar".
Danach ist erstmal Schluss mit lustig. Christopher Haninger setzt auf formale Strenge: Die Debatte um Reformen und Bürgerbeteiligung wird zu den strengen Schrittfolgen des Menuett geführt. Form follows function: Erstarrte Gesellschaften zeichnen sich durch das Festhalten an Ritualen aus. Bis zur Pause ist diese Revolutionsrevue unterhaltsam und kurzweilig. Danach heißt es durchhalten.
Die französische Revolution wird zum Medienspektakel, das von einem Showmaster in silbernem Glitzerjackett moderiert wird und in dem die Revolutionsfigur Marianne als anzügliche Showeinlage auftritt und die olle Kamelle "Je t‘aime" haucht. Darauf hätte man getrost verzichten können. Auf die Idee, Geschichte als Medienshow zu inszenieren, kommt jedes Schultheater.
Was lernen wir aus der Geschichte? Nichts.
Danach herrscht Trostlosigkeit. Die historischen Protokolle werden in einer Amtsstube nur noch verlesen und abgeheftet. Marcus Lobbes Idee, die Realitätsferne von politischen System vor dem Zusammenbruch im Bild einer alles beherrschenden, verkrusteten Bürokratie zu fassen, ist zunächst einleuchtend. Ein alter DDR Wimpel erinnert an die letzten Tage des untergegangenen Sozialismus und den Amtsschimmel der Stasi. Ebenso beantwortet er die Frage: Was lernen wir aus der Geschichte? Nichts: Sie wird in diesem Büro, das auch ein Archiv sein könnte, nur noch verlesen, abgeheftet und zu den Akten gelegt.
Alles zwar eine schöne Idee, die Lobbes aber so langatmig wie ein Acht-Stunden-Büro-Tag in die Länge zieht. Eine geschlagene Stunde lang quält er das Publikum mit dem Vorlesen und Abheften der Protokolle. Bis man ermattet aufatmet, als am Schluss des Abends nur ein einziges Wort verkündet wird: Ende
Reform und Revolution fallen also an diesem Abend aus. Dafür zeigt sich das Schauspiel des Saarländischen Staatstheaters noch ein letztes Mal von seiner besten Seite und lässt sich zum Beatles Klassiker All You Need Is Love vom Publikum feiern. Das Experiment, vier Regisseure den Text von Joel Pommerat inszenieren zu lassen, ist geglückt. Sie haben aus dem Text-Konvolut der französischen Vorlage einen alles in allem intelligenten und unterhaltsamen Theaterabend geschaffen.
La Révolution #1 - Wir schaffen das schon
von Joël Pommerat
Regie: Wolfram Apprich, Klaus Gehre, Christopher Haninger und Marcus Lobbes, Bühnenbild und Kostüme: Wolf Gutjahr, Dramaturgie: Bettina Schuster-Gäb, Ursula Thinnes.
Mit: Sophie Köster, Gertrud Kohl, Yevgenia Korolov, Charlotte Krenz, Christiane Motter, Saskia Petzold, Nina Schopka, Marcel Bausch, Ali Berber, Cino Djavid, Christian Higer, Roman Konieczny, Klaus Meininger, Robert Prinzler, Heiner Take.
Dauer: 3 Stunden 30 Minuten, eine Pause
www.staatstheater.saarland
Mehr lesen? Im April 2017 zeigte Stefan Otteni in Münster seine Version von Pommerats Revolutionsprotokollen. Am Schauspiel Dortmund strickte Ed. Hauswirth aus dem Textmaterial im September 2016 seinen Revolutionsdiskurs Triumph der Freiheit.
Für Christoph Schreiner von der Saarbrücker Zeitung (15.5.2017) war es "verhängnisvoller Fehler, gleich vier Regisseure auf Joël Pommerats Revolutionsstück anzusetzen", denn das Stück brauche mit seiner Vielzahl an "Figuren und Positionen eine ordnende Hand". Wolfram Appich liefere zum Auftakt ein "eher biederes Konversationsstück“ ab und führe "solide, aber ohne Esprit und Schwung, in die Grundkonstellationen von Pommerats Plot ein". Klaus Gehres "abgedrehte Verzahnung von 1789 und 1969 (die Mondlandung der Amerikaner)" besitze "anfänglich großen Witz, dreht dann aber die absurdesten Pirouetten, um die Zeitebenen zu synchronisieren". Mit Christopher Haninger gewinne "das Stück dann zwar wieder mehr Bodenhaftung, erstickt dafür aber in statuarischen Gesten." Und auch Marcus Lobbes' "Konzentration auf den Text" im Finale wird für den Kritiker schnell quälend.
Theo Schneider schreibt auf der Website des SWR2 (17.5.2017): "Ein schönes Stück! Ein gutes Stück! Ein starkes Stück!" Das "richtige Stück zur rechten Zeit - aus dem historischen Gründungsmythos von Europa in der aktuellen Krise von Europa". Viel "kraftvoller, genauer, nützlicher und dramatischer" als das "Textflächengejammer von Jelinek und anderen Wut- und Schmerzensmüttern". Leider werde "das" in der Aufführung des saarländischen Staatstheaters nur "zur Hälfte umgesetzt". Die andere Hälfte werde "verspielt". Einem knapp zweistündigen "vorzüglichen Diskurstheater" folge der zweite Teil als "verspieltes Weltraummärchen aus der Filmtrickkiste des Medienlabors einer Oberschule". Und dann noch eine geschlagene Stunde als "Textrezitation vom Manuskript in einem alten Büro". Der Tipp des Radiomannes: "Gehen Sie hin. Und gehen Sie weg nach der Pause."
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