Garland – Schauspielhaus Graz
Hollywood-Wumms und Wüstenstaub
7. November 2021. Die Namen dieser tiefschwarzen Screwball-Komödie sind dem Leben von Judy Garland und dem Film "Der Zauberer von Oz" entlehnt. Der Inhalt dagegen ist total heutig. Die 1992 geborene Dramatikerin Svenja Viola Bungarten hat ein Stück über unsere Welt ohne Zukunft geschrieben, Anita Vulesica eine hitverdächtige Uraufführung inszeniert.
Von Martin Thomas Pesl
7. November 2021. Wer hätte gedacht, dass es noch neue Werke der Dramatik gibt, in denen etwas passiert? Die zu einer Zeit (jetzt, in der Klimakrise) und an einem Ort spielen, der gleichzeitig konkret und Metapher ist (Amerika bei Penig in Mittelsachsen). Mit Dialogen zwischen Figuren mit Nöten, die aber nicht nur reden, sondern einander fesseln und knebeln und mit Gewehren bedrohen? Stücke, denen dennoch der Beigeschmack weder von eskapistischer Unterhaltung noch von psychologischem Familiendrama anhaftet, weil sie Sätze wie diesen enthalten, schwitzend vorgetragen von einem überambitionierten Filmemacher? "Wie eine Krebspatientin, halb im Leben und schon halb im Sterben begriffen, schwebt die Erde im Sonnensystem. Eine Welt ohne Zukunft."
Die 1992 geborene Svenja Viola Bungarten nimmt fleißig an Schreibwettbewerben teil. Den Autor:innenpreis des Heidelberger Stückemarktes gewann sie dieses Jahr mit Maria Magda, im Lockdown gab es kurz darauf eine Online-Uraufführung durch das Theater Münster. Mit dem bereits 2019 fertiggestellten Text "Garland" hingegen hat Bungarten gar nix gewonnen. Den macht das Schauspielhaus Graz einfach so, schön extravagant, an seiner größten Spielstätte, und das mit Hollywood-Wumms, Drehbühne, aus dem Boden fahrenden Kulissen und Wüstenstaub. Erstaunlich, mutig und großartig.
"Garland" ist eine tiefschwarze Screwball-Komödie. Überdrehte Figuren, die Namen dem Leben des einstigen Kinderstars Judy Garland oder ihrem Debütfilm "The Wizard of Oz" entlehnt, liefern einander verbale Schlagabtäusche, während sie in einem apokalyptischen Teufelskreis dem Untergang entgegenrollen. Schauplätze sind ein Radiosender, eine gottverlassene Farm und eine Bundesstraße mit Tankstelle und "gigantischem Truck" – alles möchtegernamerikanisch und darin äußerst deutsch. Das ließe sich sogar über die herrschende Dürre sagen, derentwegen das Mais züchtende Paar Tante Em und Onkel Henri sich umbringen und ein Mädchen namens Dorothee Sturm in Schulstreik treten will.
Bitterkomisch
Auch Judy Garland selbst kommt vor, sie sucht ihre Tochter. Die heißt Lorna Luft (in echt!), und Judy wird ihr (im Stück) als wirklich sehr schlechte Radiomoderatorin auch begegnen, sie aber nicht erkennen – eine unausgesprochene Pointe. Eingangs interviewt Lorna den Filmemacher und Fernfahrer Salvatore "Toto" Brandt, der den ganzen Plot in seinem aktuellen Streifen vorweggenommen haben wird, bevor er sich auf die Suche nach seinem Bruder Gus macht, der wiederum nach obiger Dorothee fahndet.
Für Anita Vulesica, jene Schauspielerin, die sich zunehmend einen Namen als Regisseurin mit Sinn fürs Komödiantische macht, ist "Garland" die ideale Vorlage. Eigentlich hätte sie nur ihr Handwerk anwenden müssen, Figuren schärfen, Timing regulieren. Zusätzlich zieht sie für diese Uraufführung eine Metaebene ein und lässt Frieder Langenberger als Salvatore den manischen (Film-)Regisseur des Abends sein. Das liegt nahe und wirkt anfangs wie eine etwas platte Methode, die Aktumbauten zu überbrücken ("Wie lange dauert das denn noch?!" "Wisst ihr eigentlich, was so ein Drehtag kostet!?!"). Später jedoch gewinnt die Aufführung gerade dadurch an Schmäh, wenn Salvatore während des Spielens seinen Kolleg:innen Anweisungen gibt oder mit mehrfachen "Cut!"-Rufen Szenenwiederholungen erwirkt.
Auch die übrigen Spieler:innen haben sichtlich Freude an dem erfrischend anderen Stoff. Evamaria Salcher als tragische Judy Garland, deren Kostüme von Szene zu Szene abendgarderobiger werden, und Katrija Lehmann als Greta-Thunberg-Variation Dorothee ergänzen einander im Pathos, wie sie synchron bedeutungsschwere Züge von ihren Zigaretten nehmen. Salcher singt obendrein. Man schmölze dahin, wenn es nicht so bitterkomisch wäre.
Ein Hit – und lakonischer Kontrast – sind die Maisfarmer:innen, gespielt von der österreichisch-schweizerischen Schauspiellegende Beatrice Frey und dem Grazer Lokalmatador Rudi Widerhofer. Mit dem Leben abgeschlossen habend hocken sie erst auf ihrer Veranda, dann in dem engen, schiefen Anhänger, der als Studio dient, und sagen über die daneben sitzende Lorna: "Sie ist keine gute Radiomoderatorin."
Manch älteres Publikumsmitglied wird sich stirnrunzelnd gefragt haben, ob das wirklich alles sein muss. Ja! Denn in einem klug gebauten, originellen Plot und witzigen Dialogen bringt Svenja Viola Bungarten ein Gefühl der "Kinder der Krise", also der Generationen Y und Z, auf den Punkt. Sie legt es ironischerweise dem alten Onkel Henri in den Mund: "Heimweh, obwohl wir zu Hause waren".
Garland
von Svenja Viola Bungarten
Uraufführung
Regie: Anita Vulesica, Bühne und Video: Frank Holldack, Kostüme: Geraldine Arnold, Musik: Camill Jammal, Choreografie: Mirjam Klebel, Dramaturgie: Karla Mäder:
Mit: Lisa Birke Balzer, Beatrice Frey, Otto Kolleritsch, Frieder Langenberger, Katrija Lehmann, Evamaria Salcher, Lukas Walcher, Rudi Widerhofer.
Premiere am 6. November 2021
Dauer: 1 Stunde 50 Minuten, keine Pause
www.schauspielhaus-graz.com
Kritikenrundschau
Ute Baumhackl in der Kleinen Zeitung (8.11.2021) sah das "unwahrscheinliche Kunststück" gelingen: eine Klimakomödie. "Sorgfalt in Typenzeichnung und Pointensetzung sind dem Stück anzumerken; dass es von der eigenen Cleverness hinsichtlich Referenzbreite und thematischer Verschraubungen dann auch recht bezaubert ist: soll sein." Ein weiterer Grund für Bezauberung: Das Ensemble beweise sich einmal mehr als "wunderbar vielseitig und nuancenreich". Abschließend vermerkt die Rezensentin: "Ausdauernder Jubel."
Das Stück von Svenja Viola Bungarten sei "absonderlich", schlage "kurios-katastrophische Kapriolen und geht am Ende erstaunlich gut auf", schreibt Christine Dössel in der Süddeutschen Zeitung (9.11.2021) in einem breit angelegten Bericht über das Programm für zeitgenössische Dramatik am Schauspiel Graz. Das Stück "funkelt vor Witz, Verve und Originalität, und über die Stellen, wo es klischee- oder pathosbedingt zu knirschen droht, rettet die famos komödienstabile Inszenierung von Anita Vulesica nonchalant hinweg".
Genüsslich bediene sich Regisseurin Vulesica am Actionreichtum des Plots, schreibt Margarete Affenzeller in Der Standard (12.11.2021). Auf der Drehbühne von Frank Holldack schachtele sie diverse Schauplätze ineinander und gönne dem Publikum viele Details. Das Stück von Svenja Viola Bungarten schlage "aus der Verschränkung unterschiedlicher Geschichten und Gegenden, Fantasien und Wirklichkeiten wie verrückt Funken". Eine Klimatragödie als hollywoodeske Roadmovie-Komödie sei im zeitgenössischen Theater üblich, gelinge aber nicht immer so gut wie hier, so Affenzeller. Oder: "Hoffnung ist eine Genrefrage".
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„Garland“ ist im Stil der Hollywood-Screwball-Comedy geschrieben und von Anita Vulesica, einer der besten Komödiantinnen des deutschsprachigen Theaters, die sich inzwischen stärker auf das Regiefach konzentriert, sehr routiniert inszeniert. Dennoch tappen Stücktext und Inszenierung in einige Klischeefallen, der bitterböse Humor des erfolgreicheren Nachfolge-Stücks „Maria Magda“ fehlte diesem früheren, zweiten Werk der Autorin Svenja Viola Bungarten noch.
Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2022/03/26/garland-schauspiel-graz-theater-kritik/