Die Banditen - Sebastian Baumgarten befasst sich mit Jacques Offenbach
Börsen- und andere Bla-Bla-Blasen
von Andreas Klaeui
Zürich, 19. Juni 2010. Gut ist das Gegenteil von gründlich. Sebastian Baumgarten versetzt Jacques Offenbachs erstaunlich frische, erwartungsgemäß geistreiche Opéra-bouffe "Les Brigands" mit so viel zeitgeistigem Ferment und dramaturgischem Treibmittel, bis vor lauter Blasen weiter nichts zu sehen ist. Gegenstand der Offenbachiade – der Titel "Die Banditen" sagt es schon – ist die Finanzwelt.
Das könnte treffend sein, satirisch und witzig – Baumgarten verknetet es mit so viel als Bedeutungsschwere getarntem Diskurstalmi und gewalttätiger Überrumpelungsgestik, bis es ziemlich teutonisch dasteht. Kein Klischee ist ihm zu platt, kein Witz zu abgeschmackt. Ein Satz von genialer Frivolität wird triefend ausgedeutscht: "...man muss je nach gesellschaftlicher Position stehlen", meinte Offenbach leichthin; "Die Höhe der gestohlenen Summe bestimmt die gesellschaftliche Stellung des Menschen", dekretiert Baumgarten. Des Menschen! Gütiger Himmel.
Gegenlicht und Bühnennebel
So geht es weiter. Der musikalische Teil hat quasi nichts mit Offenbach, viel mit den sängerischen Möglichkeiten des Ensembles zu tun. (Dass man Schauspieler diesbezüglich allerdings nicht unterschätzen sollte, hat unlängst wieder Christoph Marthaler mit der Großherzogin von Gerolstein gezeigt.) Statt der spöttischen, subversiven Musiksprache Offenbachs muss man also mit Beschwichtigungs- und Durchhaltekitsch à la Zarah Leander rechnen – kein Missverständnis könnte größer sein.
Dazu ein paar Binsenwahrheiten über Banker-Blasen und virtuelle Persönlichkeit, und weil Rittmeisterhosen im Gegenlicht mit Bühnennebel so gut kommen (und weil bei Offenbach ein Page zufällig "Adolphe" heißt), irgendwie auch noch was über Faschismus. Dazu vorwiegend brachialer Humor und enormer schauspielerischer Überdruck, und während nahezu drei unendlich langen, unendlich lärmigen Stunden sitzt man immer matter am Rand, als hätte man sich auf ein Vereinsfest verirrt, noch nicht mal vor der Polonaise schrecken sie zurück.
Beim Einlass und in der Pause gibt es viel Gratis-Alkohol – es nützt nichts. Subversiver Witz ist was anderes. Von Charme gar nicht zu reden.
Die Banditen
Ausbruchsversuch mit Musik nach Jacques Offenbach
Regie: Sebastian Baumgarten, musikalische Leitung: Daniel Regenberg, Bühne: Barbara Steiner, Kostüm: Ellen Hofmann, Video: Stefan Bischof, Dramaturgie: Carl Hegemann, Janine Ortiz.
Mit: Sigi Terpoorten, Vivien Bullert, Miguel Abrantes Ostrowski, Matthias Breitenbach, Lotte Ohm, Samantha Viana, Thomas Müller, Jörg Koslowsky und dem Chor: Anne Blass-Ziegler, Tobias Bühlmann, Gabriella Colluto, Christine Egli, Benni Goldschmidt, Jasmin Nagy, Stefan Pfister, Lorenz Reinhart, Marcella Ressegatti, Raphael Ritz, Stephanie Ritz, Tiago Saxer, Fabian Schneiter, Claire von Ziegler.
www.theateramneumarkt.ch
Mehr Offenbach auf dem Theater? An der Komischen Oper in Berlin befasste sich Nicolas Stemann mit La Périchole. Christoph Marthalers Version der Großherzogin von Gerolstein kam im Dezember 2009 am Theater Basel heraus.
Sebastian Baumgartens Adaption von Offenbachs "Banditen" ziele darauf, "die Wirkungsmechanismen von Offenbachs Musik ins Heute zu übertragen", vermerkt Tobias Hoffmann in der Neuen Zürcher Zeitung (21.6.2010). Belastet werde dieser Versuch jedoch von dem "Teutonischen", das die ganze Inszenierung durchdringe: "Wer einen Rest von französischer Leichtigkeit erwartet, richtet sich besser darauf ein, dass Offenbach hier Rammsteine in den Lauf gelegt werden. Und die Polizei- und Soldatenaufmärsche wirken, bei aller Revuehaftigkeit, doch so klotzig, dass der originale 'Stiefelmarsch' seinen Witz verliert." Es seien dann "die drastischen, splatterhaften Effekte, denen Baumgarten einiges Raffinement abgewinnt, so in Stefan Bischoffs teilweise vom Ensemble live synchronisierten Videofilmen." Im Übrigen aber lasse sich "nicht erkennen, ob das Ensemble sich mit Verve in die vielfältigen Aufgaben wirft".
"Glotzt nicht so romantisch!", sage uns die Regie gleich zu Beginn unmissverständlich, schreibt Tom Hellat im Tages-Anzeiger (21.6.2010). Baumgartens Banditen "könnten - wenn sie nicht gerade ihrer blutigen 'Arbeit' nachgehen - Jungs von nebenan sein, philosophierende Machos, die gerne mal ne Zigarette anzünden oder über Aussteigerträume plaudern. Was sie neben ihrem schaurigen Beruf vor allem attraktiv macht, ist ihre überdrehte Coolness." Dass die Schauspieler als Sänger nicht sattelfest seien, "ist berufsbedingt und passte ausserdem zu den Charakteren. Ein Räuber mit lupenreiner Vokaltechnik? Eher undenkbar. Ein paar dunkle Flecken in der Stimme sind da schon besser. Mit Offenbachs Musik hatte das zwar wenig zu tun; wohl aber mit der revolutionären Sprengkraft des Komponisten." Alles schnurre "mit rasantem Tempo ab", und es sei "bunt, (...) verwirrend, und es ist Konzept."
"Wie zu Frank Castorfs besseren Zeiten hat auch dieser Abend in seiner sorgfältig proportionierten Abfolge von Krawall und Gerede, Gesangs- und Filmeinlagen, halblustigen Kalauern und banalen Witzchen eine geradezu musikalische Struktur", findet Wolfgang Fuhrmann in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (23.6.2010). Nichts nütze sich allerdings so rasch ab "wie der Verfremdungseffekt mehr oder weniger schlecht singender Schauspieler - weswegen Baumgarten dann den noch raffinierteren Verfremdungseffekt einsetzt, Samantha Viana in einer Nebenrolle als Baronesse von Campotasso plötzlich bezaubernd schön, aber auch viel zu kurz singen zu lassen." Souverän gehe Baumann mit den Mitteln der Berliner Regietheaterszene um, namentlich "plötzliche Schreianfälle und unvermutete Stimmungsschwankungen, Einsatz von neuen Medien, Schusswaffen und Fleischsalat, Einbeziehung der vorderen Sitzreihen des Publikums". Fuhrmanns Fazit: "Spricht man den geistigen Getränken zu und lässt sich nicht allzu sehr durch die Erwartung leiten, hier Offenbachs 'Banditen' zu sehen, kann man einen vergnüglichen Abend erleben."
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