Mit Getöse, schrecklich groß

25. Juni 2022. Im Deutschen Theater Göttingen inszeniert Annette Pullen eine wilde Fahrt durch Leben und Werk Wilhelm Buschs auf der Basis eines Texts von Rebekka Kricheldorf und Hannah Zufall, und läßt seine Figuren diesen Dichter, Zeichner und zynischen Humoristen neu verhandeln.

Von Jan Fischer

"Pardauz! Schnupdiwup! Klirrbatsch! Rabum!" am Deutschen Theater Göttingen © Isabel Winarsch

25. Juni 2022. Eines duldet Lehrer Lämpel nicht: Verspätung. Eine "solche Verrohung der Sitten", informiert er das Publikum der Inszenierung "Pardauz! Schnupdiwup! Klirrbatsch! Rabum!", würde er nicht zulassen. Schließlich soll es nicht zu spät kommen zur 190. Tagung der Busch-Figuren im Deutschen Theater Göttingen – passend zu Buschs 190. Geburtstag in diesem Jahr.

Aber erst einmal darf es den Lämpellehrlingen folgen – vor der Tagung gibt es noch eine Ausstellung. Da gibt es zum Beispiel zu sehen, wie Busch einmal im Hofbräuhaus im Streit einen Käse an die Wand geworfen hat. Oder eine Szene, in der die drei Freunde Busch, der Maler Lindau und der Theaterkritiker Lenbach in einem Fotostudio ein Gemälde der drei Grazien nachstellen. Oder den alternden, an sich selbst zweifelnden Wilhelm Busch.

Ein Museum, in dem neben Bienen und einer Jacke auch die Wade der Prostituierten Anna ausgestellt ist, die Busch wohl besonders anziehend fand. Am Ende gibt es eine Szene, in der Busch auf seine langjährige Brieffreundin Marie Andersson trifft, Freigeist und Feministin. Danach kühlte die Beziehung merklich ab – wer wen abblitzen ließ ist historisch nicht belegt. Die Regisseurin Annette Pullen entscheidet sich in ihrer Inszenierung für eine feministische Lesart: Busch macht einen Rückzieher, weil Andersson ihm zu freigeistig ist.

Zweifelnder Zyniker, depressiver Dichter

Der erste Teil der Inszenierung führt durch die Eingeweide des Theaters: durch die Garage, Treppen herauf und herab und über Probebühnen, wo die jeweiligen kurzen Szenen aufgebaut sind. Wilhelm Busch wird hier als Figur dargestellt, die zeitlebens nicht mit ihrem Werk zufrieden gewesen ist: Von Selbstzweifeln geplagt, der "Geschichtenonkel" mit künstlerischen Ambitionen, die über die Bildergeschichten hinaus gehen – die er aber nie verwirklichen konnte. "Wenn Sie richtige Kunst sehen wollen, gehen Sie ins Museum", sagt der alternde Wilhelm Busch, bevor er sich in Merlot ersäuft. Es ist eine gespaltene Figur, die hier gezeichnet wird – ein zweifelnder Zyniker, ein kontroverser Konservativer, ein depressiver Dichter fröhlich-gemeiner, bisweilen bösartiger Verse.

BUSCH2 110Als sprach die Witwe Bolte, die das auch nicht gerne wollte .... © Isabel Winarsch

Das eigentliche Herzstück von "Pardauz! Schnupdiwup! Klirrbatsch! Rabum!" aber ist der zweite Teil, die Tagung, die im großen Saal des DT auf der Bühne stattfindet. Und da sind sie alle da, die Stars des Busch’schen Oeuvres: die fromme Helene, Lehrer Lämpel, Witwe Bolte, Hans Huckebein, Moritz (Max ist nirgends zu sehen), die versoffene Nebenfigur. Sie alle dröseln auf der Tagung in Redebeiträgen ihre Figuren auf: Die fromme Helene liest sich selbst als selbstermächtigende Figur ("Das Recht auf ein verpfuschtes Leben ist unantastbar"), Moritz versucht einen "Bund der bösen Buben" ins Leben zu rufen, Hans Huckebein singt ein Lied. Immer wieder schleicht sich auch der Struwelpeter in die fröhliche Schar, wird aber regelmäßig rausgeprügelt und Lehrer Lämpel versucht verzweifelt, den Haufen unter Kontrolle zu halten.

Wilhelm Busch neu verhandeln

Die Tagungssituation mit Tischen, Stühlen und Namensschildchen löst sich dabei Stück für Stück auf. Zunächst stehen begehbare Schränke auf der Bühne, in die immer wieder alle hinein- und wieder hinausgehen, die fahren aber irgendwann hoch und alle gemeinsam singen in einer riesigen Muschel ihre "Hymne", alles driftet in betrunkenes Chaos, während Frosch und Huckebein ein Lied auf Witwe Boltes verstorbenen Hühnern spielen und Lehrer Lämpel der frommen Helene gesteht, dass er es satt hat, "der Hüter der Impulskontrolle" zu sein.

"Ein Wilhelm-Busch-Bilderreigen" ist der Untertitel dieser letzten Premiere in dieser Spielzeit am DT Göttingen, in der noch einmal ein großer Teil des Ensembles zu Einsatz kommt. Geschrieben ist der Text von Rebekka Kricheldorf und Hannah Zufall, die damit versuchen, Busch für das 21. Jahrhundert neu zu verhandeln: Den schwarzen Humor, der so gar nicht in die Zeit passen will, aber auch die Selbstzweifel und Depressionen des Künstlers, die sich, wenn man sie so lesen will, in seine Figuren umgelagert haben.

BUSCH2 049Die Figuren verhandeln ihren Schöpfer und sich selbst: die Tagung im Zentrum des Abends © Isabel Winarsch

Das aber ist eine ganz schöne Menge – während der erste Teil mit einem klaren Fokus und bizarrem Humor sich auf die Busch konzentriert und dabei in geschliffener Sprache Realität und Fiktion vermengt, aber doch bei einer schlüssigen Figurenzeichnung herauskommt, zerfasert der zweite Teil zusehends in seiner Lust am Blödsinn. Nicht, dass dieser Blödsinn nicht Spaß machen würde – die flammende Selbstermächtigungsrede der frommen Helene, das Hühnerkonzert von Frosch und Huckebein. Dennoch fehlt ein wenig der Fokus.

Jeder Gedanke ein ganzer Abend

Zuviel soll hier verhandelt werden: Feminismus, die Frage nach schwarzem Humor, die Frage danach, ob all die Gewalt lustig ist oder nicht, die Frage, ob Max und Moritz die Produkte von familiärer Gewalt sind, die Psychologie der Figuren und inwieweit sich Rückschlüsse auf ihren Schöpfer schließen lassen, nur, um das gleich wieder wegzuwischen mit der Bemerkung, "Küchenpsychologie" bringe einen auch nicht weiter. Möglich, dass all das bröckeln soll, dass hier gar kein Fokus entstehen soll – schließlich ist es ein "Bilderreigen". Dennoch ließe sich aus jedem der Gedanken ein ganzer Abend konstruieren. Hier rauschen sie winkend vorbei und werden nie wieder gesehen. Das ist einerseits schade – andererseits aber auch beeindruckend verdichtet, und trotz der zweieinhalb Stunden ist der bröckelig-dichte Abend dann doch zu schnell vorbei.

 

Pardauz! Schnupdiwup! Klirrbatsch! Rabum!.
Ein Wilhelm-Busch-Bilderreigen von Rebekka Kricheldorf und Hannah Zufall

Regie: Annette Pullen, Bühne und Kostüme: Gregor Sturm, Musik: Michael Frei, Dramaturgie: Sonja Bachmann, Mona Rieken Mit: Lukas Beeler, Gabriel von Berlepsch, Gaby Dey, Bastian Dulisch, Florian Eppinger, Michael Frei, Rebekka Klingenberg, Roman Majewski, Marco Matthes, Volker Muthmann, Marina Lara Poltmann, Ronny Thalmeyer, Nathalie Thiede, Paul Trempnau, Gerd Zinck.
Premiere am 24. Juni 2022
Dauer: 2 Stunden 25 Minuten, eine Pause

www.dt.goettingen.de

 

Kritikenrundschau

"Generell haben die modernen Zeiten sehr viel Platz an diesem Abend", meint Michael Laages auf Deutschlandfunk Kultur (25.6.2022). Vor allem der "Kongress" im zweiten Teil dieses Stationen-Theaters sei "phantasievoll eingerichtet" und mit "viel Reflexion und Remmidemmi" darüber versehen, wie und ob das Werk Buschs noch zur Zeitgenossenschaft passe. Für einige Figuren haben Kricheldorf und Zufall laut dem Kritiker auch nicht "viel zum Spielen gefunden", doch besonders die anwesenden Tierfiguren seien stark. Der Abend zeige: Grade, wer über Busch lieber lache, sollte ihn fürchten.

"Die Uraufführung am DT fragt nach der Relevanz dieses genialen Sprachkünstlers und wegweisenden Zeichners. Zugleich ist sie eine Liebeserklärung an den Schöpfer vieler bekannter Figuren", schreibt Udo Hinz im Göttinger Tageblatt (25.6.2022). "Die Regisseurin Annette Pullen und die Dramaturginnen Sonja Bachmann und Monika Rieken haben das Stück als großartiges und witziges Überraschungstheater (...) inszeniert."

Eine "nicht unkritische Hommage" hat Ute Lawrenz gesehen und schreibt in der Hessischen Niedersächsischen Allgemeinen (27.6.2022). Die Inszenierung sei "oft unterhaltsam", aber die Konferenz in der zweiten Hälfte sei "überladen: wie ein Vulkanausbruch über Buschs Welt". "Schöne Einfälle für die Räume", "gelungene Kostüme", Musik und gutes Spiel lenkten aber ab von solchen Schwächen.

 

Kommentare  
Pardauz, Göttingen: Unverständlich gebrüllt
Das war fürchterlich und für uns Über80jährige ein gezeigtes Bild von Busch, das für uns schlicht unverständlich blieb. Für so etwas gehe ich nicht ins Theater. Warum wird auf der Bühne - hier ist das DT nicht allein - mehr gebrüllt und geschrien als distinguiert und verständlich gesprochen? Oft wird die Sprache einfach unverständlich und leise verständlich Sprechen ist wohl keine Option mehr für Schauspieler, was nicht an meinen Ohren liegt. Zum Schluß - hoffentlich lesen Sie das auch - noch eine Bemerkung zur finanziellen Organisation des Theaters:
Die Sitzordnung ist, was ich schätze - noch coronagerecht. Wäre es nicht wirtschaftlicher, wenn Sie beim Kartenverkauf die Leute fragen - Paare, Familien, ob sie zusammensitzen mögen und dann die Tickets nebeneinander verkaufen. Ich kann mir vorstellen, dass dadurch die Leerstände der Sitze um etwa ein Drittel vermindert werden und sich die Vorstellungen langsam wieder rechnen. Die Sitzeinhaltung müssen Sie ja dann auch nicht kontrollieren.
Mit freundlichen Grüßen Heinz Burghardt
Pardauz, Göttingen: Unkompliziertes Schachbrett
Da Plätze nicht immer brav Reihe für Reihe hintereinander verkauft werden, ist es wesentlich komplizierter mal 2 mal 4 mal 5 Plätze nebeneinander zu verkaufen und dann drum herum die Abstände einzuhalten - man weiß ja vorher nicht wie viele 6nd welche Gruppengrößen am Abend jeweils da sein werden - und dann sollen womöglich auch noch jedem Wünsche erfüllt werden "dieunddie Reihe" "bitte in der Mitte" "nicht in dieser sondern jener Preisklasse" das Schachbrett das wahrscheinlich in Gö noch genutzt wird ist schlicht das unkomplizierteste und günstigste System
Pardauz, Göttingen: Tag der offenen Tür
Im ersten Teil hatte man das Gefühl, dass man eher einem Tag der offenen Tür beiwohnt, als einer Theateraufführung. Im zweiten Teil fiel der Abend dann gänzlich auseinaner. Schade. Und in unserer Vorstellung sind nicht wenige Besucher gegangen. Leider endete für uns die Saison in Göttingen wie sie mit pop up begonnen hatte. Mit einer Enttäuschung! Das DT ist die wichtigste Kultureinrichtung der Stadt! Hoffentlich findet das Haus bald wieder zur alten Stärke zurück!
Pardauz, Göttingen: Schlechter Text
Wir können#3 nur zustimmen. Sind extra aus Kassel mit unseren beiden Kinder, 9 und 11, nach Göttingen gefahren, und wir alle 4 waren schon vor der Pause bedient. WAS FÜR EIN SCHLECHTER TEXT. Ganz zu schweigen von der Umsetzung. Die Kinder wollten nicht weiter nach der Pause und wir waren froh ihnen den Gefallen tun zu können. Von Rebecca Kricheldorf haben wir in Kassel schon Besseres gesehen. Das war jedenfalls gar nichts.
Pardauz, Göttingen: Brei
Eine Hinweis zu #4
Der Text stammt laut Besetzung von Rebecca Kricheldorf und Hannah Zufall. Also zwei Autorinnen + zwei Dramaturginnen. Zuviele Köche verderben den Brei oder den Text?
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