Marry Me In Bassiani - Kampnagel Hamburg
Kopf ab, Emanzipation!
von Falk Schreiber
Hamburg, 7. August 2019. Das Bassiani ist einer der Gründe, weswegen die georgische Hauptstadt Tiflis seit einigen Jahren als Mekka des Nightlife gilt: ein Technoclub in einem ungenutzten Schwimmbad nahe des Hauptbahnhofs, der einerseits mit ausgesuchten Resident DJs an den aktuellen Stand elektronischer Musik andockt, andererseits hinreichend subkulturelle Credibility mitbringt. Ein Geheimtipp ist das Bassiani längst nicht mehr, schon vor drei Jahren bezeichnete der Guardian den Club als "the closest thing to Berghain (…) outside of Berlin", wobei sich der legendäre Status tatsächlich nur durch eigene Anschauung überprüfen ließe – im Bassiani herrscht strenges Foto- und Filmverbot. Nicht ohne Grund: Das georgische Nachtleben ist eine Keimzelle der Opposition gegen die konservative Politik des Landes, da ist es sinnvoll, wenn man nicht nachweislich als Clubgänger identifizierbar ist.
Die Enge der Traditionen
Das französische Tanztheaterkollektiv (La)Horde hat zur Eröffnung des Internationalen Sommerfestivals Hamburg das Stück "Marry Me In Bassiani" gemeinsam mit der georgischen Gruppe Iveroni erarbeitet: Gezeigt wird eine Hochzeit, die angesichts der Leichenbittermienen von Braut und Bräutigam erzwungen wirkt. Körper werden formiert, Tänzer performen Souveränitätsposen, hier Manspreading, dort gockelnder Schwerttanz, schließlich ein Taxieren des Frauenleibes als Einpassung in eine traditionelle Geschlechterordnung.
Allerdings ist diese Ordnung brüchig: Bald verweigern sich die Frauen den vorgegebenen Rollen, die am Bühnenrand (Bühne: Julien Peissel) stehende Reiterstatue wird geentert, und die Braut trennt dem Standbild den Kopf ab. Was politische Relevanz gewinnt, wenn man weiß, dass die Statue eine Nachbildung des ikonographischen Bildnisses von König Wachtang I. ist, dem mythologischen Stadtgründer von Tiflis – hier wird ein nationales Symbol geköpft, und mit ihm werden auch die einengenden Traditionen abgeschafft.
Eine ähnliche Funktion wie die Wachtang-Statue hat im georgischen Nationalismus auch der Volkstanz, der ab den 1920ern zunächst als Bollwerk gegen die sowjetische Einheitskultur forciert wurde und heute gegen die Globalisierung gerichtet ist. Entsprechend ersetzt in der zweiten Hälfte des Abends zunehmend wuchtiger Techno die traditionellen Rhythmen, bis sich schließlich das zunächst in formierten Volkstanzstrukturen gefangene Iveroni Ensemble divers über die Bühne bewegt, einer schreitend, eine wirbelnd, ein dritter schleppend, zu ohrenbetäubendem Four-on-the-Floor.
Ohne Loveparade-Naivität
"Marry Me In Bassiani“ ist also eine Emanzipationsgeschichte, und dass diese nicht im naiven Loveparade-Glauben an die weltumarmende Kraft der Electronic Dance Music stecken bleibt, liegt auch an der Tatsache, dass das Bassiani-Umfeld ein emanzipatorisches ist – 2018 demonstrierten Zehntausende in Tiflis gegen fortdauernde Drogenrazzien und die Festnahmen der Clubgründer.
Die Feier des Clubkultur kann also als Feier von freier Sexualität, als Forderung für das Recht auf Rausch und Entgrenzung gelesen werden, und als solche funktioniert "Marry Me In Bassiani" trotz der etwas blauäugigen Symbolik und der wenig innovativen choreografischen Sprache. Im Grunde ist der Abend Mainstream-Tanz, der mal folkloristische Images abruft, mal aktuelle Bewegungsrepertoires durchdekliniert und mal im klassischen Ballett wildert; weil die (La)Horde-Köpfe Marine Brutti, Jonathan Debrouwer und Arthur Harel aber auf die widerständige Kraft des Mainstream bauen, lässt man ihnen das durchgehen.
Kampnagel verspricht "Avantgarde, die nicht ausschließt"
Für das Internationale Sommerfestival ist dieser Eröffnungsabend jedenfalls ein Glücksgriff: Waren dem Festival in den Vorjahren die Eröffnungen oft als Lavieren zwischen Massentauglichem und Avantgardeanspruch nur halb gelungen, funktioniert hier die Mischung. "Avantgarde, die nicht ausschließt" versprach Kampnagel-Intendantin Amelie Deuflhard in ihrer Eröffnungsrede, und "Marry Me In Bassiani" erfüllt diese Losung als Entfesselung der Diversität im straighten Beat. (Und dass ein französisches Regieteam hier mit georgischen Tänzern ein Stück in Hamburg zur Uraufführung bringt, verdeutlicht zudem den internationalen Charakter des Sommerfestivals mustergültig.)
Einzig dass das Stück ein wenig zu sehr auf den Hipnessfaktor setzt, ist ein kleiner Wermutstropfen. Ja, das Bassiani ist ein Hypethema. Ja, (La)Horde sind das nächste dicke Ding im Tanzbereich, zumal Brutti, Debrouwer und Harel ab September das Ballet National de Marseille übernehmen. Ja, das ist hier alles sehr genau für eine trendsurfende Zielgruppe entworfen, und man könnte fragen, ob das nicht schon wieder eine Formierung bedeutet, gegen die man angehen müsste.
Aber vielleicht sind (La)Horde längst weiter – während des gesamten Festivalzeitraums bis zum 25. August ist jedenfalls noch deren theatrale Installation "The Beast" auf Kampnagel zu sehen, und die wirkt in ihrer apokalyptischen Schärfe fast wie ein Gegenentwurf zur fröhlich-hedonistischen Club-Opposition von "Marry Me in Bassiani".
Marry Me In Bassiani
von (La)Horde
Produktion, Konzept & Inszenierung: (La)Horde – Marine Brutti, Jonathan Debrouwer, Arthur Harel, Komposition: Sentimental Rave, Mix Traditionelle Musik: Bar Zalel, remixed von Zed Barski, Bühne: Julien Peissel, Bühnenbau: Les ateliers du Grand T (Nantes), Licht: Patrick Riou, Assistenz: Lily Sato, Outside Eye: Jean-Christophe Lanquetin, Repetitorin: Natia Chikvaidze, Inspizienz: Guillaume Allory, Sébastien Mathé, Tonregie: Jonathan Cesaroni, Produktionsleitung: Clémence Sormani, Produktionsassistenz: Léo Viguier, Verwaltung: Isabelle Chesneau.
Mit: Iveroni Ensemble (Ballettmeister: Kahhaber Mchedlidze), alternierend: Mari Bakelashvili, Gaga Bokhua, Tinatin Chachua, Natia Chikvaidze, Tornike Gabriadze, Iakob Gogotishvili, Tornike Gulvardashvili, Levan Jamagidze, Giorgi Khubaevi, Nika Khurtsidze, Khatuna Laperashvili, Kakhaber Mchedlidze, Neli Mdzevashvili, Anzori Popkhadze, Vaso Tchikaberidze, Tamar Tchumburidze, Natia Totladze, Lali Zatuashvili.
Uraufführung am 7. August 2019 auf Kampnagel Hamburg
Dauer: 1 Stunde 15 Minuten, keine Pause
www.kampnagel.de
www.collectiflahorde.com
Für Elisabeth Nehring im Gespräch für "Fazit" auf Deutschlandfunk Kultur (8.8.2019) bietet dieser Abend keinen Bogen, keine Spannung, keine Brechung und "keine interessante Bearbeitung des Materials". Man merke den Künstler*innen von (La)Horde an, dass sie nicht vom Tanz oder aus der Choreographie kommen. Ihr Einbau theatraler Elemente und Bewegungen sei "ziemlich lahm"; man erlebe "weihevolle Gänge" und den Abbau des Kopfes einer Reiterstatue in Zeitlupe. "Dahinter gibt es bestimmt eine Geschichte, die sich aber nicht wirklich überzeugend eröffnet."
Als "künstlerisch überwältigend, anregend und ergreifend" lobt hingegen Stefan Grund "Marry me in Bassiani" in der Welt (9.8.2019): "Große Tanzkunst, ein Sinnbild für die Welt im Wandel, nicht nur in Georgien".
Der Bogen von der Volkstanz-Tradition in die Gegenwart komme "irritierend pathetisch daher", schreibt Katrin Ullmann in der taz (9.8.2019). Trotz "unbestritten fantastischer Tänzer" komme von den inhaltlichen Ambitionen von (La) Horde "wenig rüber an diesem Abend". "Es ist ein Abend, der viel will und recht wenig erzählt."
Wenig einverstanden zeigt sich Till Briegleb in der Süddeutschen Zeitung (11.8.2019) mit "Marry Me in Bassiani“. Ansicht und Vorhaben klafften hier für den Kritiker so weit auseinander wie selten: "'Radikal zeitgenössisch' war bei diesem Volkstanzseminar in religiöser Geschlechtertrennung das letzte, was einem einfiel zu einem kreiselnden und luftsprungreichen Abbild patriarchaler Clangesellschaften.“
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Die tänzerische Leistung wäre im Rahmen einer privaten Hochzeit fantatstisch, aber die mangelnde Präzision in engen Ensemblechoreographien macht keinen Spaß und auch die Chroreographie selbst hört in der Formsprache bei Pina Bausch auf.
Aber wirklich ärgerlich ist Titel und Ankündigungstext: nichts an dieser Inszenierung verdient die Nähe zum queer-freundlichen CLub Bassiani, nichts an dieser Inszenierung ist queer, alles - vom tänzerischen Vokablar, über die Kostüme, bis zu den wenigen Nrahmenden Narrativen, repräsentiert altertümliche Geschlechterklischees, die an keiner Stelle erkennbar thematisiert, gebrochen, kommentiert, irgendwie verhandelt werden.
Und außerdem scheint es für mich die eindeutige Ausstellung eines besonderen, nicht-europäischen, exotisch-altertümlichen Volkstanzensembles von einem künstlerischen Team aus Europa. Wäre es eine folkloristische Tanzgruppe aus Afrika oder Süd-Amerika, würde man die koloniale Differenz vermutlich schneller sehen.