Gott des Gemetzels - Karin Beier inszeniert Reza, und das funktioniert mit und ohne Maria Schrader
Stört die friedliche Weihnachtszeit nicht
von Dorothea Marcus
Köln, 2. Dezember 2007. Weiß ist die Unschuld, grün die Hoffnung. Und beides ist untergegangen in der Welt von Yasmina Rezas "Gott des Gemetzels", das mit Sicherheit das meistgespielte Stück der Saison ist. Nun hat sich auch Karin Beier in Köln drangemacht, und die Kostüme, Plastikstühle und spärlichen Accessoires auf der Bühne von Thomas Dreißigacker sind in Grün und Weiß gehalten, jenen Farben, die die Welt retten könnten, aber in Wirklichkeit nur noch Pinselei sind auf dem Schlund der Gewalt, der sich in schicken Großstadtwohnungen ebenso auftut wie auf fernen Schlachtfeldern.
Die Reilles und die Houilles sind, wie wir sicher langsam alle wissen, zwei höchst zivilisierte Ehepaare mit brutalen Elfjährigen als Söhnen. Der eine hat dem anderen zwei Zähne ausgeschlagen, und die Eltern begehen ein Versöhnungstreffen, um ein Versicherungsformular auszufüllen. Ein Waffenstillstand, der eine heimliche Kriegserklärung ist, was die vier Gutmenschen aber rechtschaffen verleugnen.
Die Vase fliegt, in Scherben liegen auch zwei Ehen
Zum Glück gibt es noch die Kunst des zivilisierten Umgangs miteinander! seufzt Véronique selig. Das Folgende wird sie Lügen strafen. Bald spuckt Anwaltsgattin Annette den Versöhnungskuchen auf die prachtvollen Kunstbände der Gastgeberin, dann versucht ihr dauertelefonierender Ehemann den Pharmaskandal eines Medikaments zu vertuschen, das ausgerechnet die Mutter des Hausherrn einnimmt – bis Annette sein Handy ins Blumenwasser wirft. Aber das ist doch mein ganzes Leben! winselt er. Das bringt die Ehe- und Zivilisationsmisere schön auf den Punkt.
Immer schneller bilden sich neue Kriegskoalitionen, fliegen Handtaschen und Tulpen durch die Gegend, fallen sich die Ehepartner verbal und körperlich in den Rücken. Zum Schluss ist das Wohnzimmer verwüstet, und es liegen zwei Ehen in Scherben. Ein Boulevardkracher und gleichzeitig ein pessimistisches Stück über die menschliche Logik der Eskalation. Und darüber, dass kleine Verbrechen in der Familienzelle denen in der globalisierten Welt in nichts nachstehen.
Wohnzimmerkrieg in wechselnden Allianzen
Keine überflüssigen Elemente – kein Realismus! steht als Regieanweisung über dem Stück. Und was etwa in Bochum mit teuren Sesseln und Couchtisch missachtet wurde, ist bei Karin Beier befolgt: die Bühne ist eine Art schlicht-weißer Billy-Regal-Aufsatz von Ikea, die Stühle wirken wie aus dem Baumarkt. Ansonsten verstellt nichts den Blick auf die vier Schauspieler, die dem Publikum gerne auch mal auf die Pelle rücken.
Maria Schrader ist sehr glaubwürdig Véronique, die Darfur-engagierte Schriftstellerin. Ein Hausmütterchen und sozialkritische Bohemienne im grünen Kleid, für das Emotionale zuständig und nah am Wasser gebaut. Eine Friedensaktivistin, die die Welt in Täter und Opfer aufteilt, um das Böse bloß nicht relativieren – dabei mischt sie in ihrem eigenen Kuchen Äpfel und Birnen und heizt das Kriegsszenario mit moralischen Urteilen über den Sohn der Gegenseite immer mehr auf, im penetranten Bewusstsein des alleinigen Wahrheitsbesitzes.
Funktioniert in Köln wie überall im Lande
Michael Wittenborn als ihr Mann Michel lässt unter seiner Strickjacke den Choleriker und verhinderten Macho lauern. Vollmundig bietet er den Kaffee an, den Véronique klappernd heranschafft. Den Karrieremafioso Alain Reille spielt Markus John als kräftigen Bullen mit Anzug und gegeltem Haar, der in sein Handy brüllt, als sei er im ICE. Anja Laïs, die als Karrieretussi Annette in weißem Anzug grandios ist, steht von Beginn an unter Hochspannung. Mit betont verachtungsvoller Langeweile lacht sie immer wieder exaltiert auf, rutscht von einem Stuhl auf den andern und bringt die Dinge ins Rollen, als sie sich zu übergeben beginnt.
Karin Beier lässt das genüsslich naturalistisch nachbilden und tut ihr Bestes, um das Chaos stetig zu steigern: Stückchen fliegen in hohem Bogen, Véronique rutscht auf dem Erbrochenen aus, versprüht hektisch billige Parfümschwaden. Dann kommt der Alkohol ins Spiel und enthemmt die latenten Alkoholikerinnen Annette und Véronique vollends. "Ich fühle mich fast wohl", schluchzt Annette und hüpft auf einem Bein über die Bühne. Stühle und Tulpen fliegen, das weiße Wohnzimmer ist ein pittoreskes Schlachtfeld. Das ist sehr viel entschiedener, eskaliert chaotischer und temporeicher, als es etwa in Bochum im April zu sehen war – und vor allen Dingen greift es den Zuschauer frecher und offensiver an.
Lacht man, weil nicht mal Frieden in der Familie herrscht?
Zudem wird es von allen äußerst souverän gespielt, so kommt das Publikum zunehmend in Lachlaune. Und doch bleibt da dieses Unbehagen, dass es bei aller rhetorischen Brillanz genau das kritisiert, was es doch auch selber ist: ein Amüsement für und über politisch bewusste, jämmerliche Bildungsbürger. Bildungsbürger, die es noch nicht mal schaffen, in ihrer kleinen Familienzelle Frieden zu halten. Und wer es noch nicht mal im Kleinen schafft, wer soll da noch ernsthaft die Welt retten wollen.
Yasmina Rezas Stück ist also rein gar nichts für die Weihnachtszeit, aber andererseits stört es sie auch nicht nachhaltig. Ein kleines Feigenblatt fürs gute Gewissen, ein weiteres Mal perfekt serviert. Ein Zuschauerhit, der seinen Siegeszug um die Welt schon lange angetreten hat.
Gott des Gemetzels
von Yasmina Reza
Aus dem Französischen von Frank Heibert und Hinrich Schmidt-Henkel
Regie: Karin Beier, Austtattung: Thomas Dreißigacker.
Mit: Anja Laïs, Maria Schrader, Markus John, Michael Wittenborn.
www.schauspielkoeln.de
Kritikenrundschau
Christian Bos schreibt auf der website des Kölner Stadt-Anzeigers (2.12.2007) von 54 (!) weiteren Aufführungsverträgen für Rezas Gott des Gemetzels an deutschen Bühnen und fragt: "Braucht man das also auch noch in Köln?" Und antwortet "mit einem emphatischen Ja". Danach wächst sich Bos' Text zu einer der schon gewohnten Beier-Jubel-Arien aus: "Das Publikum fiebert im Kampf der Kulturbürger mit, als ginge es ums eigene Selbstverständnis. Ups! Geht es ja auch." Das funktioniere so gut, weil Beier eine Traumbesetzung zur Verfügung stehe. Keine "mögliche Gemeinheit" sei der Regisseurin entgangen. "Ihre Genauigkeit bei der Ensembleführung, ihr scharfes Auge für das Ballett des Sozialen schaffen Rasanz". Ein triumphaler Abend also, dessen "großer Erfolg beim Publikum sich von selbst" verstehe und der sich doch "keine falsche Verbindlichkeit" erlaube.
In der Online-Ausgabe der Kölnischen Rundschau (2.12.2007) jubelt Hartmut Wilmes mit. Jede Feder in Rezas "cleverer Eskalationsmaschine" habe Beier gestrafft, "jedes Rädchen geölt und jede Schraube poliert". "Perfekt schon" sei "das Ballett der abfälligen Blicke und Gesten", ein "virtuoses Ensemble" werfe sich "punktgenau ins Gefecht". Dass "Reza über publikumswirksame Bloßstellung kaum je hinaus" wolle und "ihr Personal schon weit vor der Zielgeraden erschöpfend entlarvt hat", überspielten "die glorreichen Vier" souverän.
Vasco Boenisch schreibt in der Süddeutschen Zeitung (5.12.2007): Das Schauspiel Köln habe dem "Eskalations-Edelboulevard" eine "vorweihnachtliche Moral" verliehen: "kein Friede auf Erden, ob in Darfur oder auf dem Schulhof, solange selbst zwei zivilisierte Ehepaare unfähig sind, Dispute auszudiskutieren". Die Ironie dabei sei: "Miteinanderreden schürt Konflikte, anstatt sie zu lösen." Wo Jürgen Gosch in Zürich "existentiell archaisierte", schreibt Herr Boenisch, Burghart Klaußner in Bochum "realistisch feinpolierte", sei Beiers Inszenierung "konzeptionell unklar, spielerisch uneins". Die "Wartesaalsterilität des Abends" scheine "Wirklichkeit nur zu persiflieren", doch dann gehe es "wieder psychologisch-ernst zur Sache".
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das Zeug für einen Saison-Knüller geben mögen - nur kommen vom Text oben (4. Parkett) 30-40% nicht richtig an, bis hin zur Schluss-Pointe. Vielleicht ist das bei der 10. Aufführung besser?
Mit der Kritik von Frau Marcus stimme ich überein, leider war Herr John etwas zu laut und polterig, ihm fehlte das Arrogante eines Anwalts wie von Michael
Maertens in Zürich gespielt.