Schaffen - Am Theater Oberhausen inszenieren Technocandy ohne Anti-Rassismus-Klausel einen Abend über die Diskriminierungen des Arbeitslebens
Depri in Deutschland
von Sarah Heppekausen
Oberhausen, 8. Februar 2019. "Und einmal, da stand ich kurz vor meiner Abschlussprüfung an der Schauspielschule. Und da sagte meine Jahrgangsleiterraupe zu mir, du wirst niemals an einem Theater engagiert werden, denn für ein kleines Theater bist du zu auffällig ... Nur ein sehr großes Theater kann sich ein Luxusprodukt wie dich leisten." Diese Textpassage aus Technocandys neuer Produktion "Schaffen" mag biografisch sein, muss sie aber nicht. Fakt ist, Banafshe Hourmazdi ist nicht nur Teil des Performancekollektivs Technocandy, sondern auch eins von 18 Ensemblemitgliedern am Theater Oberhausen, fest engagiert. Intendant Florian Fiedler setzt auf Diversität, auf kulturelle Vielfalt im Team und im Programm – dafür wird das Theater jetzt auch von der Kulturstiftung des Bundes aus dem 360°-Fonds gefördert. In Workshops wird in Oberhausen gegen rassistische, sexistische, diskriminierende Kommunikation und Strukturen am Arbeitsplatz gearbeitet.
Der Intendant will, die Verwaltung sperrt sich
Es ist schon grotesk, dass gerade dieses Theater über eine Anti-Rassismus-Klausel stolpert. Die gibt es seit Anfang des Jahres, konzipiert für Theaterschaffende von der Regisseurin Julia Wissert und der Anwältin und Dramaturgin Sonja Laaser. Darum geht es: Werden Produktionsbeteiligte rassistisch diskriminiert, muss das Theater reagieren und aufklärende Workshops anbieten. Andernfalls haben die Betroffenen das Recht, die Premiere abzusagen. Die Technocandys waren begeistert und forderten diese Klausel für ihren Vertrag. Auf den Eintrag warten sie allerdings bis heute. Nicht, weil die künstlerische Leitung sich weigert, sondern die Verwaltung. Intendanten machen Verträge eben nicht alleine. Für Florian Fiedler muss es ein Schlag ins Gesicht sein. Bei Deutschlandfunk Kultur sagte er: "Vielleicht braucht es auch einfach noch mehr Zeit, um das juristisch abzuklären. Vielleicht ist es aber auch eine Haltungsfrage." Oberhausen hätte als erstes Theater, das diese Klausel unterschreibt, ein Zeichen setzen können.
Dennoch. Die Premiere fand statt, auch ohne Klausel im Vertrag. Banafshe Hourmazdi, Golschan Ahmad Haschemi und Frederik Müller treten als Schmetterlinge auf. Transformation ist das Stichwort. Die drei haben es geschafft. Als flügelflirtende Verwandelte bezirzen sie ihr Publikum, auch mit Donuts. Oder sie erinnern sich an ihre Zeit als Raupe, an unbeantwortete E-Mails, an misslungene Dates, an Lohnungerechtigkeit, an sexuelle Belästigungen. Aus Trauer, Wut oder Verzweiflung hauen und treten sie dann auf große schwarze Sitzkissen ein (Bühne: Debo Kötting). Einen Flügelschlag später kippt die Stimmung ins Fröhlich-Tänzelnde, ins Absurd-Komische, ins Scheinbar-Demütige. Oder die drei stoßen an, mit Kaffee, der Droge der Arbeitenden. So schwirren die (großen) Themen und (heftigen) Gemütslagen gefühlschaosartig durch den Theatersaal. Skizzenhaft. Angedeutet. Haltlos. Was der Performance fehlt, ist eine verbindende Substanz, die Empathie möglich machen könnte und etwas mehr und anderes wäre als ein übergeordnetes Thema.
Momentaufnahmen aus dem Künstler*innen-Prekariat
Dabei sind die drei charmante Performer*innen: Frederik Müller als unsicherer, tröstlicher Singer-Songwriter, Golschan Ahmad Haschemi als langgelockte, mutige Karaokesängerin mit reichlich Wut im glitzernden Bauch. Und Banafshe Hourmazdi tritt einer unfairen Welt mit liebenswürdiger Lässigkeit und erfahrenem Trotz entgegen. Ausdauernd demonstriert sie Klopftherapie gegen seelische Schmerzen. Nur der Schmerz, der ist nicht spürbar. Vieles ploppt bloß worthülsenhaft auf, nicht mehr als ein weiterer Baustein im Textgefüge. Glücklicherweise nehmen die drei sich selbst nicht so ernst, plaudern davon, dass sie sich Infos für 'diese ganze Chose' auch bei Wikipedia geholt hätten.
Sie spielen mit Texten aus der Bibel ("Selig sind, die da arm sind, denn ihrer sind die Produktionsmittel"), dichten witzige Songverse ("Wir können dich zwar nicht bezahlen / Weh mir, oh weh, aber die Erfahrung ist doch auch was wert"), hauen den Hit "Depressiv in Deutschland" raus und kleben am Ende insektenartig plattgemacht an der Wand. Momentaufnahmen, die einiges insinuieren, aber wenige Denkräume eröffnen. Spielerische Leichtigkeit ist ja nicht verkehrt, aber "Schaffen" fehlt es an Wucht und Nachdruck. Da sorgt die Debatte um die Anti-Rassismus-Klausel für größere Aufregung.
Schaffen
Wer ohne Arbeit ist, werfe den ersten Stein
von Technocandy
Konzept und Regie: Golschan Ahmad Haschemi, Banafshe Hourmazdi, Frederik Müller, Bühne und Kostüme: Debo Kötting, Dramaturgie: Elena von Liebenstein.
Mit: Golschan Ahmad Haschemi, Banafshe Hourmazdi, Frederik Müller.
Premiere am 8. Februar 2019
Dauer: 1 Stunde 10 Minuten, keine Pause
www.theater-oberhausen.de
Von einem "Reinfall" spricht Jens Dirksen in der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (9.2.2019). "Viel guter Wille, wenig Können", gibt der Kritiker zu Protokoll. Dabei würden wichtige Dinge verhandelt: sexualisierte und rassistische Diskriminierung, allzu genormte Geschlechtlichkeit. Aber all dies werde verdeckt "von einer verblüffenden Laienhaftigkeit des Spiels, die man in einem Stadttheater nicht erwartet, nicht erwarten darf. Texte werden aufgesagt statt gesprochen, manchmal weggenuschelt. Der recht häufig eingesetzte Gesang ist deutlich zu ungeschult, als dass man ihn auf einer Bühne erklingen lassen sollte. Und dann war auch noch eine der beiden eingesetzten Gitarren schlecht gestimmt." In gewissen Phasen nahm der Abend dem Eindruck des Kritikers zufolge "Züge von psychotherapeutischen Übungen an."
Schön, dass Sie diesen Text gelesen haben
Unsere Kritiken sind für alle kostenlos. Aber Theaterkritik kostet Geld. Unterstützen Sie uns mit Ihrem Beitrag, damit wir weiter für Sie schreiben können.
mehr nachtkritiken
meldungen >
- 05. Oktober 2024 Zürich: Klage gegen Theater Neumarkt wird nicht verfolgt
- 04. Oktober 2024 Interimsintendanz für Volksbühne Berlin gefunden
- 04. Oktober 2024 Internationale Auszeichnung für die Komische Oper Berlin
- 04. Oktober 2024 Kulturschaffende fordern Erhalt von 3sat
- 04. Oktober 2024 Deutscher Filmregisseur in russischer Haft
- 01. Oktober 2024 Bundesverdienstorden für Lutz Seiler
- 01. Oktober 2024 Neuer Schauspieldirektor ab 2025/26 für Neustrelitz
- 30. September 2024 Erste Tanztriennale: Künstlerische Leitung steht fest
neueste kommentare >
-
Neumarkt Zürich Klage Unpassend
-
Kultursender 3sat bedroht Augen öffnend
-
Kultursender 3sat bedroht Link zu Stellungnahme
-
Kultursender 3sat bedroht Beste Informationen
-
Neumarkt Zürich Klage Kommunikation von Besetzung
-
Onkel Werner, Magdeburg Mein Eindruck
-
Glaube, Geld, Krieg..., Berlin Großer Bogen, aber banal
-
Penthesilea, Berlin Mythos im Nebel
-
Neumark Zürich Klage Take it or leave it
-
Neumark Zürich Klage Schutz?
nachtkritikcharts
dertheaterpodcast
nachtkritikvorschau
Die Rechtsanwältin weist auf ihrer Website darauf hin, das Besondere der Klausel sei, dass es einzig in der Entscheidung der mutmasslich Betroffenen liegt, was sie als rassistisch empfinden. Ich bezweifle, dass der Subventionsvertrag einer öffentlich geförderten Institution es zulässt, sich auf eine schwammige Klausel einzulassen, die gegebenebfalls hohe Kosten und Imageschaden verursachen kann, deren Anwendungspflicht aber einzig auf dem subjektivem Empfinden Einzelner beruht. Abgesehen davon kann diese Klausel eine Atmosphäre von Misstrauen und Denunziation schaffen, da ausdrücklich auch subjektiv als rassistisch empfundenes Verhalten gilt - das heißt, wenn jemand sich in der Kantinenschlange übergangen fühlt, mit seinen Probenbedingungen untufrieden ist - alles kann als rassistisch ausgelegt werden.
(...)
(Große Teile des Kommentars entsprachen nicht unseren Regeln, die besagen, dass hier keine Mutmaßungen und unüberprüfbaren Behauptungen veröffentlicht werden. Mit der Bitte um Verständnis und herzlichem Gruß, Esther Slevogt)
den klebt es einfach an jeden vertrag mit gästen dran.
sich prinzipiell von gästen diktieren zu lassen was eine rassistische handlung ist, heisst die deutungshoheit über das thema selbst an der garderobe abzugeben. erarbeitet einfach eure eigene haltung zu rassismus, schreibts auf. (...) es gibt ein antidiskriminierungsgesetz, auf das kann im vertragstext aufmerksam gemacht werden. (...)
(Teile des Kommentars entsprachen nicht dem Kommentarcodex und wurden deshalb gekürzt, Freundliche Grüsse aus der Redaktion, Esther Slevogt)
Erstens ist es absurd zu glauben, die Deutungshoheit über einen rassitischen Vorfall könnte bei irgendwem anderes liegen, als bei der betroffenen Person selbst. Das ist in einem Umfeld von strukturellem Rassismus quasi physikalisch unmöglich. Und zu denken, das Theater sei der einzige Ort in Deutschland, der frei davon ist, ist ebenso abwegig.
Zweitens geht es in dieser Klausel ganz offensichtlich nicht darum, wegen irgendeiner Beleidigung einen mehrtägigen Workshop zu veranstalten (obwohl auch das nicht nur falsch wäre), sondern es ist ja doch sehr klar definiert, was eine rassistische Äusserung/Handlung ist. Und ebenso absurd ist es davon auszugehen, dass sich eine von (oft täglichem) Rassismus betroffene Person aus Lust&Laune in die höchst unangenehme Situation bringt jemanden aus dem eigenen Arbeitsumfeld einer rassistischen Handlung/Äusserung zu beschuldigen.
Es ist sehr enttäuschend, dass offenbar in der Spannteppichetage nicht erkannt wird, dass dies die Gelegenheit gewesen wäre, als Theater Oberhausen ein sehr positives und wichtiges Zeichen in der Rassismusdebatte zu setzen. Und eine Kantine haben sie auch nicht.
Ich kann mich zu der Diskussion um die Rassismus-Klausel nicht äußern, da ich selbst nicht von Rassismus betroffen bin und da würde ich es den Künstlerinnen und Künstlern überlassen, die richtigen Umgangsweisen mit dieser Erfahrung in die Wege zu leiten..
Aber ich kann mich zum Abend äußern, den ich gestern erleben durfte. "Schaffen" ist m.M.n. die stärkste Stückentwicklung dieser außergewöhnlichen Truppe. Es schließt einen Zirkel ab, der sich von Rechtsradikalismus, zu unguten Männerbünden bis hin zur Heilung bewegt hat. Ich habe immer wieder schlucken müssen und war überrascht, wie sehr mich der Abend berührt hat. Ich hab im Publikum auch die eine oder andere vergossene Träne gesehen.
Ich freue mich schon auf zukünftige Arbeiten dieser drei Schmetterlinge.... Viele Grüße aus Bottrop.
ein Selbsterfahrungsjugendculb auf Schmetterlingsreise, was sind die Aussagen, was will der Abend uns mitgeben?
und dann auch noch schlecht gespielt.
es ist schade, es gab so viele schöne Inszenierungen am Theater Oberhausen, voller Kraft, Ideen und Anregungen, Herbert Fritsch , Simone Stone, Jürgen Kruse, und jetzt so ein Niveau ,
Es ist so schade, daß es jetzt wenige qualitative, kreative Inszenierungen gibt.
Das Theater Oberhausen, daß schon so tolle Theaterabende mir gegeben hat, hat sowas nicht verdient.
Ich weiß nicht was die Aufführung mir sagen soll, und was es für neue anregende Gedanken geben soll. Sehr bedauerlich und dann diese ganze Rassismus Diskussion, ist das nicht alles etwas übertrieben? Qualität zeigt sich anders.
Mein Beitrag 11 bezog sich auf @7. Und ich wiederhole: das stimmt nicht. Wie kann man behaupten, nur die betroffene Person selbst habe die Deutungshoheit über einen rassistischen Vorfall?! Das würde heißen, dass diese Person die „wahren“ Beweggründe eines jeden Menschen kennt, der ihr begegnet? Was für eine abstruse Behauptung! Ich bitte darum, den gesunden Menschenverstand einzuschalten.
Wenn Sie als weisser Mann das Stipendium oder die Rolle nicht kriegen, ist das mit grösster Wahrscheinlichkeit, weil andere besser waren als Sie. Die Erfahrung hab ich auch schon gemacht und das war hart. Wenn Sie am Bankschalter zurückgewiesen werden, dann weil Sie kein Geld mehr auf dem Konto haben. Das wiederum ist eine Erfahrung, die österreichische Akademiker wohl kaum machen.
Was aber nun von Rassismus betroffene Personen alles für Erfahrungen machen, kann und will ich Ihnen nicht aufzählen.
Aber ein wirklich ernstgemeinter Ratschlag von weissem Mann zu weissem Mann: lesen Sie dieses Buch, da steht alles drin, was Sie fürs Erste wissen müssen. >Noah Sow - Deutschland Schwarz Weiss<
Warum nun gerade Milo Rau zwar wirklich gute Arbeit macht, aber ein schlechtes Bsp in dieser Diskussion ist, müssen Sie selber rausfinden.
Für welchen Fall gilt die Klausel? Die Klausel gilt für den Fall, dass sich Mitarbeiter*innen eines Theaters gegenüber an der Produktion beteiligten Personen (z. B. Schauspieler*innen, Regisseur*innen, Bühnenbildner*innen etc.) rassistisch äußern.
Wann gilt eine Äußerung als rassistisch?
Eine Äußerung gilt als rassistisch, wenn sich eine an einer Produktion beteiligten Person von einer Äußerung durch Mitarbeitende betroffen fühlt, welche einen Bezug zu der in der Klausel verankerten Definition von Rassismus hat. Die Definition von Rassismus in der Klausel geht auf Artikel 1 UN-Rassendiskriminierungskonvention zurück. Eine Äußerung ist nicht rassistisch, wenn zwischen dem Vorfall und der in der Klausel verankerten Definition von Rassismus kein Bezug hergestellt werden kann. Sollten sich Theater und Betroffene*r über den Bezug von Äußerung und Rassismus streiten, könnte dieser Streit von Gerichten entschieden werden.
Was ist die Konsequenz einer rassistischen Äußerung?
Als Konsequenz einer rassistischen Äußerung ist das Theater verpflichtet, einen Workshop oder eine sonstige Maßnahme durchzuführen (nachfolgend Workshop). Welche Maßnahmen in Betracht kommen, definiert die Klausel nicht genauer und kann vom Theater selbst festgelegt werden. Die Klausel soll zunächst vielmehr die Mitarbeiter*innen des Theaters für das Thema Rassismus sensibilisieren.
Was passiert, wenn das Theater keine Maßnahmen ergreift?
In diesem Fall kann die an der Produktion beteiligte Person die Durchführung eines Workshops verlangen und kommt das Theater seiner Verpflichtung daraufhin vorwerfbar nicht nach, kann der/die Personen, die die Klausel in dem Vertrag aufgenommen hat, den Vertrag einseitig kündigen. Dies bedeutet jedoch auch, dass Theater jederzeit eine Kündigung verhindern können, das Kündigungsrecht also aufschiebend bedingt ist.
Sind einseitige Kündigungsrechte in Produktionsverträgen ungewöhnlich?
Nein, einseitige Kündigungsrechte sind in Verträgen zwischen Theatern und Kulturschaffenden nichts Ungewöhnliches. Es liegen eine Vielzahl von insbesondere Dienstverträgen vor, in denen sich vor allem Theater einseitige Kündigungsrechte – auch ohne Begründungsnotwendigkeit – vorbehalten.
Wird die Klausel bereits heute genutzt?
Ja, die Klausel wurde in der Praxis schon in Verträgen aufgenommen.
Bestraft die Klausel das Theater?
Nein. Die Klausel bestraft niemanden. Sie trifft auch keine Entscheidung darüber, ob sich ein Mitarbeiter strafbar gemacht hat. Das soll sie auch nicht. Für Strafen (im strafrechtlichen Sinne) sind die Gerichte zuständig. Und da gilt selbstverständlich die Unschuldsvermutung für Beschuldigte.
2. Warum haben wir uns an der Erarbeitung der Klausel beteiligt?
Wir betrachten Rassismus als ein strukturelles Problem unserer Gesellschaft und eine direkte Auswirkung unserer kolonialen Vergangenheit. Damit liegt dessen Bekämpfung unserer Meinung nach in der Verantwortung all jener Personen und Institutionen, die von diesen Strukturen – bewusst oder unbewusst – bis heute profitieren. Das Theater als zentrale gesellschaftliche Akteurin ist Teil dieses Systems und daher unserer Auffassung nach in der Pflicht, seine Position sowie die interne Organisation kritisch zu reflektieren.
Weiter: http://kanzlei-laaser.com/die-anti-rassismusklausel-hintergrund-und-zielrichtung/
Ironisch finde ich dann die Reaktionen, die mehr "Wucht" verlangen, es wird von einer Sehnsucht nach Konkretheit und ich kann nicht umhin mich zu fragen: wird hier von marginalisierten Körpern auf der Bühne erwartet, die Zuschauenden mit ihrem Schmerz zu entertainen? Spannend finde ich hier: Die Technocandies haben sich trotz fehlender Klausel im Vertrag auf die Bühne gestellt und den rassistischen Mechanismen getrotzt, die genau diese Vertragsklausel verhindern. Das hätten sie nicht tun müssen. Und dafür habe ich größen Respekt vor der Gruppe. Nicht nur deshalb. Auch wegen ihrer Sorge um sich selbst, sich nicht anzubieten, wie es hier von einigen erwartet wird. Wie es in kolonialisierter Kunst Gang und Gäbe ist. Die Prämisse: Die weißen, hetero cis Augen sollen zufrieden sein. Mir macht es nach dem Theaterbesuch immer wieder Spaß mich zu fragen: Wieso fehlt mir etwas? Wieso bin ich unbefriedigt? Liegt es vielleicht daran, dass ich daran gewöhnt bin, dass mir all meine Sehnsüchte und Wünsche als Teil der Dominanzgesellschaft erfüllt werden? Werde ich wütend wenn das nicht passiert? Das Stück bietet viele Anknüpfungspunkte auf unterschiedlichen Ebenen. Ich für meinen Teil freue mich, einen Teil meiner Wut auf das kapitalistische Ideal unserer Gesellschaft wiedergefunden zu haben. Dass auf einer Bühne Solidarität miteinander größer geschrieben wird als die Befriedigung eines weißen Blickes macht mich hoffnungsvoll für die Zukunft des Theaters. Ich wünsche mir mehr davon.
Am Thema Rassismus scheint man sich in Oberhausen ziemlich abzuarbeiten.
Das Stück sollte aber auch mal unabhängig von der aktuellen Diskussiion seine Wirkung entfalten dürfen.
ich danke Euch, dass Ihr mir eine Seite des Theaters gezeigt habt, an die ich schon fast nicht mehr geglaubt habe.
Für mich hatte Theater schon immer ein politisches Mandat, dass schwer zu finden ist, im Spannungsfeld zwischen Eliten-Ego, Diktate weißer & alter Männer, einer Ästhetik die gefallen & entertainen will & dem Erfüllen von Förderungsbedingungen. Mit „Schaffen“ habt Ihr mein Herz berührt, denn der Arbeitsmarkt & alle Endtäuschungen die mit dem Ideal „Arbeit“ einhergehen sind wichtige Themen in meinem Leben. Ich weiß, dass da draußen auch viele andere „Verlierer_innen“ der unzähligen, menschenunwürdigen Arbeitsmärkte sind. Sogar Ihr, wo ich immer dachte, wer am Theater arbeitet hat zwar keine wirtschaftlichen Sicherheiten oder Reichtum zu erwarten, aber Ihr müsstet doch wenigstens nichts mit dem Staub der alten Denkweisen „zu schaffen haben“ ;) & mit Menschen zu tun haben, die bunt, jung & glücklich sind. So schade, dass die (Arbeitsmarkt-)Realität wohl auch bei Euch zuschlägt. Am Ende geht es um Geld, egal, was das mit Menschen macht. Danke, dass Ihr dieses Thema aufgreift, wo gerade in Deutschland mit aller Macht versucht wird Arbeit als Universal-Machtinstrument zu halten.
Danke, dass Ihr uns sogar die Kaffeepausen ins Theater geholt habt, so lustig & traurig zugleich! Egal wer wo arbeitet, am Schönsten sind die Pausen, der Feierabend, die Wochenenden & der Urlaub, weil wir unsere Maloche ja so lieben. Ihr habt mich verwirrt, bin ich noch im Stück oder läuft tatsächlich der Pausen-Modus, es gibt ja Kaffee…? Ihr habt mich damit auf die Bühne geholt & so gab es keine Grenze zwischen uns, so ist es halt, am Ende müssen wir alle Kohle ranschaffen. Ihr habt bei all dem depressiven Deutschland, dem Ausrasten & zerstören wollen noch etwas bewahrt, das mir schon verloren gegangen ist: Humor. Noch nie musste ich so viel lachen, bei dem Thema Schaffen. Mein Lieblingsmoment: der letzte Strick im Kapitalismus & die Lösung, wie auch ich als unwerte Harzt-4-Empfängerin & Leistungsverweigerin an diesen heran komme: ich stehle ihn einfach! Ich werde in Zukunft auch bei jedem an der Wand geklatschten Insekt an Euch denken müssen, die zarten Falter im Strudel der Arbeit… & wenn ich auch nicht mehr kann, dann klau ich mir den Strick!
Danke auch dafür, dass Ihr Euch gegen den Strom des Unverständnisses für Rassismus-Probleme in Deutschland stellt. Es tut mir so leid, dass dafür Euer Stück zerrissen wird, dass Ihr diffamiert & beleidigt werdet. Das habt Ihr echt nicht verdient. Ihr habt mir mit der Diskussion neue Wege zu Denken gezeigt, auch wenn es bei all der Ernüchterung durch die miesen Reaktionen schwer fällt, das Potenzial der Klausel zu begreifen. Ich bin „Eingedeutscht“ & so ist es nicht leicht zu erkennen, dass ich keine richtige „Bio-Deutsche“ bin. Wer weiß was das heißt, kann auch einen anderen Blick auf unterschwelligen, etablierten Rassismus im Alltag haben. Allein zu wissen, dass die Definition tatsächlich individuell sein kann, beantwortet mir viele Fragen & löscht das Gefühl von Handlungsunfähigkeit, die ein AGG, unzählige Leitbilder & sonst welche „Lösungen“ versprechen & nicht halten. Die heftigen Reaktionen zeigen auch, dass hier alles vermischt wird. Die Klausel ist nicht das Strafgesetzbuch, ein Workshop keine juristische Sanktion, noch nicht mal abmahnungsfähig. Darüber reden geht nicht ohne Aufklärung & das erfordert Konfrontation. Schade, dass das nicht gesehen wird, sondern wieder nur irgendwelche Ängste kreiert werden, die davon abhalten, mal echt was zu verändern.
Bitte lasst Euch nicht davon unterkriegen, denn Menschen wie ich brauchen Euch & Eure Arbeit. Um nicht die Hoffnung zu verlieren & um gesehen zu werden. Bitte weiter schaffen ;)
Danke, Danke, Danke!
https://www.waz.de/staedte/oberhausen/theater-leitung-stellt-sich-in-rassismus-debatte-hinter-team-id216548799.html