Jona - Peter Hacks' Trauerspiel vom Untergang eines Staatswesens posthum uraufgeführt
Ort der Verrottung
von Regine Müller
Wuppertal, 6. November 2009. Dass Ersatzspielstätten und kleine Nebenbühnen reserviert sind fürs Experimentelle und Uraufführungen junger Autoren, ist man gewohnt. Dass aber eine Uraufführung von Peter Hacks, dem zeitweise meistgespielten deutschsprachigen Dramatiker nicht auf der großen Bühne, sondern im Ausweichquartier stattfindet, verwundert zunächst.
Als wäre das Wuppertaler Theater sich der Triftigkeit seiner Ausgrabungsarbeit nicht recht sicher gewesen, wurde die posthume Uraufführung des Trauerspiels "Jona" ins neu installierte "Kleine Haus" – man bespielt während der laufenden Sanierung das mit Vorhängen abgetrennte Foyer des Schauspielhauses – verlegt und in Kooperation mit der Folkwang-Hochschule Essen, Studiengang Schauspiel Bochum, mit Eleven des diesjährigen Absolventenjahrgangs besetzt.
System in Agonie
Doch das Zaghafte, eher Beiläufige dieser Uraufführung hat gute Gründe. Denn der unglaublich produktive Peter Hacks ist ein schwieriger, sperriger, aus der Zeit gefallener Autor. Mit voller Überzeugung übersiedelte er 1955 in die DDR, befürwortete Ulbricht, applaudierte zur Biermann-Ausweisung und war trotz seiner Kritik an der Honecker-Ära schließlich auch innerhalb der DDR-Intelligentia isoliert. Nach der Wende suchte und fand der "sozialistische Klassiker" keinen Anschluss mehr, dichtete aber unermüdlich weiter. 1986, als die dem Staatsbankrott entgegen taumelnde DDR langsam zu bröckeln begann, schrieb er das Trauerspiel "Jona", das im September 1989 (!) publiziert wurde.
Im Stil der klassischen Polit-Parabel greift Hacks den biblischen Jona-Stoff auf und stellt die Darstellung eines untergehenden Gemeinwesens in den Mittelpunkt. In Ninive, laut Hacks einem "Ort der Verrottung", vom berühmten Wal ausgespuckt, soll Jona prüfen, ob die bei Gott in Ungnade gefallene Stadt dem Untergang geweiht ist. Jona findet korrupte, verfilzte Verhältnisse vor und ein System in Agonie, das einzig noch den eigenen Machterhalt verfolgt.
In kunstvollen, durchaus ironischen, geistreichen und formal brillant gesetzten Blankversen beschwört Hacks mit Sätzen wie "Ninive will nichts als bleiben" ganz unverhohlen und mit resigniertem Blick die Verkrustungen der späten DDR. Im Mittelpunkt des fünfköpfigen Personals steht Prinzessin Semiramis, die mit dem befreundeten Staat Babel und dem verfeindeten Staat Ararat gleichermaßen taktiert und dadurch ihren Staat an den Rand des Abgrunds treibt.
Parolen, Tonkonserven, Textmuskelspiele
Gewaltige Wortkaskaden, souverän konstruierte Dialoge und formale Meisterschaft können indes Theorielastigkeit, Handlungsarmut und die Blutleere der Figuren nicht übertönen. Auf der Bühne stehen keine Menschen, sondern Textbewältiger. Was die karge und vergröbernde Regiearbeit von Marc Pommerening noch unterstreicht, statt zu konterkarieren. Unterwürfig texttreu lässt der Regisseur seine Darsteller mit hohem, oft leer laufendem Körpereinsatz die Verse mehr exerzieren als gestalten, ohne eine Aktualisierung in die Entstehungszeit zu wagen.
Erst nach der Pause werden Parolen der Wende-Zeit in Stellung gebracht und mittels Tonkonserve Hacks Intimfeind Heiner Müller in Erinnerung gebracht. In der drangvollen Enge des nur 130 Plätzen fassenden Raum und peinvoller Nähe zum Geschehen, wird in kargem Bühnenbild ansonsten unablässig und schweißtreibend drei kniehohe Stufen herauf und herunter geklettert und stets im hohen Ruf-Ton deklamiert.
All das gelingt den Eleven auf handwerklich anständigem Niveau, doch hat die grobschlächtige Regie für den Feinschliff wenig Hilfestellung geboten. Distanzlos und ironiefrei poltert der Abend als Text-Muskelspiel ohne höhere Einsicht umständlich und zu lang (zweieinhalb Stunden) vorüber. Er vereint den Charme mit der Not einer überambitionieren Werkstatt-Aufführung.
Jona
Trauerspiel von Peter Hacks
Regie: Marc Pommerening, Bühne: Jürgen Lier, Marc Pommerening, Kostüme: Dorien Thomasen, Dramaturgie: Sven Kleine.
Mit: Corbinian Deller, Kim Doerfel, Mona Kloos, Sebastian Zumpe, Marie Bonnet.
www.wuppertaler-buehnen.de
Mehr lesen zu den Wuppertaler Bühnen im nachtkritik-Archiv: Im Oktober 2009 inszenierte Claudia Bauer Brechts Im Dickicht der Städte. Auch das von Pina Bausch gegründete Wuppertaler Tanztheater gehört zum Drei-Spartenbetrieb der Bühnen, das mit Dominique Mercy und Robert Sturm seit Herbst 2009 nun eine neue künstlerische Leitung hat.
Kritikenrundschau
"Aha, ein Gegenwartsstück über die DDR im diesmal nicht historischen, sondern biblisch-mythologischen Gewand, wie es der Dramatiker so virtuos und sklavensprachlich-versiert über die Bande zu spielen versteht!" So beschreibt Andreas Rossmann in der Frankfurter Allgemeinen (9.11) Peter Hacks' posthum uraufgeführtes Stück "Jona", und konstatiert ein Problem: "Glanz und Elend der Augenzwinkerei: So geistreich und hintergründig das Stück auch ist, es bleibt in der Unverbindlichkeit seiner Anspielungen hängen." Zumal die Wuppertaler Bühnen dem Stück "eine Uraufführung dritter Klasse" bereiteten: "Denn sowohl es ins 'Kleine Schauspielhaus' abzuschieben (...) als auch es der Abschlussklasse der Folkwang-Hochschule als Reifeprüfung zuzumuten kommt ihm nicht zugute: Mit Tempo, Temperament und rasselbandigem Charme hat das junge Ensemble mit den Blankversen genug zu tun, als dass es ihre Ironie erfassen und in Andeutungskraft umsetzen könnte."
"Jona" sei ein "doppelt schwieriges Werk", erläutert André Thiele, Hacks-Vertrauter der späten Jahre und rühriger Siegelbewahrer, auf der Internet-Seite peter-hacks.de (7.11.): "Es ist sehr theoretisch und zugleich recht handlungsarm. Mir ist schleierhaft, wie man es auf der Bühne verstehen kann, wenn man es nicht zuvor gelesen hat. Das Hin und Her der Strategien, Diskussionen und Schachzüge ist verstiegen wie ein russischer Roman." Marc Pommerening jedoch habe eine "transparente, verstehbare" Aufführung vorgelegt: "Es beginnt als bessere Schülerinszenierung, hebt sich in den schweren Dialogen des zweiten und dritten Aktes zur großen Bühnenkunst, droht im vierten Akt im Klamauk eines Regieeinfalls zu zerschellen und rettet sich am Ende mit einer gekonnten Volte ins souveräne Abschlussspiel." Die Inszenierung sei, "vielleicht aus Mangel an Mitteln, wahrscheinlich aber aus gutem Verstand (...) am Wort orientiert, nicht am Effekt. Es werden manchmal zu viele Stühle zu laut herumgewirbelt, manchmal geht in den Kraftstrotzereien der jugendlichen Mimen ein Satz verloren, insgesamt aber vertraut man dem Dichterwort, das wird den Theaterleuten mit stimmigem Szenengelächter und freudigem Applaus gedankt."
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