Ein irrer Duft von frischem Heu - In Dessau inszeniert David Ortmann Rudi Strahls Lustspiel für Arbeiter und Bauern
"Halt die Klappe, Erich!"
von Matthias Schmidt
Dessau, 28. Juni 2013. Knapp 5 Jahre ist es her, dass das Alte Theater Dessau neu eröffnet wurde, aber irgendwie riecht es, wenn man die Treppen zur Studiobühne hinaufgeht, immer noch nach "neu", nach "renoviert", nach "hat die Zukunft vor sich". Wollen wir hoffen, dass dieser Geruch nicht täuscht, angesichts der tolldreisten Sparideen der Machtmänner aus Magdeburg. Dessau soll 2,9 Millionen Euro Landesförderung verlieren, ab 2014! Absurd ist das. Die Bedeutung der Theater für Städte wie Dessau wollen oder können diese Politiker offenbar nicht verstehen. In Dessau-Roßlau hat man die Zeichen verstanden: mehr als 2000 Menschen haben gestern Mittag Pflöcke eingeschlagen, Anker ausgeworfen und ihr Theater mit Seilen festgezurrt. Wasser unterm Kiel möchte man den Elbestädtern nicht wünschen, aber dies: dass die Seile halten mögen.
Auf dem Spielplan des Alten Theaters roch es gestern nach frischem Heu, was wiederum deftig nach Gestern riecht, denn damit war genau genommen nicht zu rechnen: dass Rudi Strahls Lustspiel aus dem Jahr 1975 – geschrieben, um mehr Arbeiter und Bauern in die Theater der DDR zu locken – noch einmal auf die Bühne zurückkehrt. Damals glückte die Idee: Allein am Gorki-Theater spielte man das Stück 13 Jahre lang. Wobei sich niemand ganz sicher war, selbst Peter Hacks nicht, der größere Komödienautor der DDR, ob neben Scherz auch Satire, Ironie oder tiefere Bedeutung zu diesem Erfolg beitrugen. Was man weiß, ist: Es wurde viel getrunken in der legendären Inszenierung, wie ja überhaupt in auffallend vielen DDR-Inszenierungen getrunken wurde.
In der Multifunktionswelt
So ist es auch in David Ortmanns Inszenierung. Rotwein und Klarer – es kreisen die Flaschen. Und je mehr sie lallen und entgleisen, Mattes, der Parteisekretär einer mecklenburgischen LPG, der Pastor Himmelknecht und Romeo Aventuro, der Gesandte des Vatikans, desto lauter wird das Lachen im Publikum. Spätestens von hier an ist schwer zu ermitteln, was von diesem Stück ins Heute zu retten ist. Außer eben der Tatsache, dass es ein großes Amüsement darstellt. Worum es geht, ist ebenfalls nicht einfach zu fassen. Sagen wir mal so: Ein Mann hat den Ruf, Wunder zu vollbringen, und deshalb schicken sowohl die SED als auch der Papst Gesandte in den Wohnort des Mannes, das mecklenburgische Kaff Trutzlaff. Toller Name, nebenbei gesagt.
Regisseur David Ortmann verlässt sich auf das Klamottige an Strahl. Er entscheidet sich ausdrücklich für die Komödie, wo es doch auch die Frage gäbe, was etwa passierte, nähme man den Text ernst. Dass der Katholik Romeo Aventura den Kommunisten Mattes Matthias, den angeblichen Wundertäter, als "göttlich begnadet" beschreibt, hat ja fast schon eine philosophische Tiefe. Nein, in dieser Inszenierung nicht. Sie bleibt pur, sucht keine Metaebenen, sampelt keine Gegenwart in die Geschichte. Hier werden lustige Klangeffekte eingespielt, wenn das Hoftor klemmt oder Angelika Unglaube, die im Auftrag der SED-Bezirksleitung in Trutzlaff weilt, in einen Kuhfladen getreten ist. Kalauer sind ausdrücklich erwünscht: der Mann aus Rom spricht, auf dem Plumpsklo sitzend, vom Heiligen Stuhl und der Papagei des LPG-Vorsitzenden heißt Erich: "Halt die Klappe, Erich!" Das ist alles sehr schön gemacht und gespielt, durchgehend flott, deutlich überzeichnet, komödiantenstadlartig. Ebenso wie die Ausstattung sich vielen hübschen Details verschrieben und die Mini-Bühne als eine quasi DDR-typische Multifunktionswelt aus Wohnwagen, Dusche, Bett, Heuschober und Hof aufgebaut hat.
Vor Liebe ins Heu
Doch wenn es um die DDR geht, so deckt der pure Spaß eher zu, was er einst freilegen sollte, wie wir zugunsten Rudi Strahls mal annehmen wollen. "Wunder über Wunder" entdeckt der Gesandte des Papstes und sagt, er komme aus dem Staunen nicht mehr heraus, aber so sei er eben, der Sozialismus. Was ist das? Ironie? Eine Doppeldeutigkeit, über die wir heute lachen, weil wir wissen, was sie meint? Oder weil wir uns erinnern, was sie damals meinte? Was letztlich nur zeigt, dass der DDR mit ihrem eigenen Humor schwer beizukommen ist, denn das wäre dann ja wohl Nostalgie. Das Stück mit seinen kabaretthaften Pointen scheint dafür jedenfalls sehr geeignet. Im Sommer soll es bereits als Ostsee-Strandtheater gespielt worden sein, aufgefüllt mit DDR-Schlagern. Nun ja.
Die Dessauer geben dem Affen Zucker, mit ulkigen Kostümen und einer Vielzahl von Gags. Wenn der Blitz einschlägt, dann knallt es, und das ist ja auch mal ganz schön. Und dann verlieben sich zwei Menschen, die Frau Unglaube und der Herr Matthias, und dann riecht es tatsächlich nach Heu, und vielleicht gehen sie ja auch zusammen hinein, und alles hat sein wohlverdientes Happy End.
Ein irrer Duft von frischem Heu
von Rudi Strahl
Inszenierung: David Ortmann, Bühne und Kostüme: Suse Tobisch, Dramaturgie: Sabeth Braun.
Mit: Jenny Langner, Peter Wagner, Gerald Fiedler, Thorsten Köhler, Christel Ortmann, Tina Rottensteiner, Felix Defer.
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, keine Pause
www.anhaltisches-theater.de
"David Ortmann ist der Spagat zwischen nostalgischem Retro-Abklatsch und heutiger "Rück-Sicht" gut gelungen. Unterhaltung und Spaß stehen mit dickem satirischem Anstrich und schelmischem Augenzwinkern im Vordergrund," schreibt Helmut Rohm in der Volksstimme (2.7.2013). Der Abend kann unter anderem mit " flotten Szenen mit Slapstick-Charakter, Dialogen, in aktionsreichen Handlungen könne man das Beziehungsgeflecht und die Auffassungswandlungen" beim Kritiker punkten.
"Was für ein Tag der emotionalen Extreme war der vergangene Freitag in Dessau," schreibt Kai Agthe in der Mitteldeutschen Zeitung (2.7.2013). "Am Vormittag fand vor dem Anhaltischen Theater eine Protestaktion gegen eine Tragödie statt, die hoffentlich nie zur Aufführung kommen wird: Theaterleute und ihr Publikum demonstrierten gegen die von der Landesregierung geplanten Einsparungen bei den Theatern in Sachsen-Anhalt und deren unabsehbaren Folgen. Am Abend dann die Komödie: Im Alten Theater hatte das Lustspiel "Ein irrer Duft von frischem Heu" von Rudi Strahl Premiere, so dass man einmal mehr an den wehmütigen Mutmacher-Spruch "The show must go on" erinnert wurde. Allerdings hat das Stück selbst bei aller Sympathie aus Kritikersicht doch seine Aktualität verloren.
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Gut. Neben dem "Tapferen Schneiderlein" und "Peter und der Wolf" gibt es auch einen irren Duft von Vorgestern. Natürlich auch eine "Iphigenie". Und danach?!
Keine Scham! Niemand schämt sich! - Vielleicht ein Motto der neuen Protestbewegung für staatliche Theater.
Doch, ich würde mich abgrundtief schämen, böte ich einen solchen Spielplan in Zeiten der Krise.
Niemand muss das "Tapfere Schneiderlein" retten, es war schon tapfer genug. Und "Peter und der Wolf" ist größer als jedes provinzielle Stadttheater.
"Iphigenie" übersteigt alles und braucht keine Protektion aus Dessau.
Sie verankern also "ihr" Theater in der Erde!?
Nein, diese Inhalte werden zu Recht finanziell vernachlässigt.
Für sie muss niemand mehr kämpfen. Sie haben sich längst von Dessau emanzipiert.
Dieser Osten klagt, jammert: Und ist einfach nicht mehr bereit in die gesellschafftlichen Verhältnisse konkret einzugreifen.
Und dafür wird er vollkommen korrekt abgestraft.
Natürlich muss ein Theater Relevanz haben, gerad auch bei diesem leichten Unwohlsein, was wir in Deutschland als Krise bezeichnen. Südlich der Alpen hätte man sicher gerne unsere Krise.
Ein Theater muss aber auch "irgendwie" populär sein, im sinne, dass es angenommen wird vom Zuschauer. Dessau-Roßlau ist sicher nicht das Eldorado einer intellektuellen Elite, die sich gerne Elfriede Jelinek und Heiner Müller im täglichen Wechsel ansieht, trotz Bauhaus und UBA (dessen Beamte in der Mehrzahl zum Feierabend den Zug nach Berlin besteigen).
Das ist Provinz reinsten Wassers, die auch noch mit einem der größten Säle in Deutschland gestraft ist.
Ich kann den Dessauern nicht übelnehmen, dass sie versuchen das Haus zu füllen, auch wen ich mir dieses Stück sicher nicht ansehen werde. (Und was ist eigentlich schlecht an Kindertheater?)
Übrigens birgt Ihr Beitrag einen gefährlichen Umkehrschluss: Sollte die Theaterfinanzierung künftig vom Spielplan abhängig sein? Auweia ...
Wut?! Schön wär's. Hinter meiner Haltung verbirgt sich wohl eher Ernüchterung. Denn da stehen sich ja zwei vergleichbare Haltungen gegenüber. Da ist einmal die vermeintliche Bedenkenlosigkeit der Politiker mit ihren Sparplänen, und ihr gegenüber steht die Unbekümmertheit eines Spielplanes, der sich über ein "Theater an sich ist gut" nicht weiter einlassen möchte. Zwischen beiden Haltungen besteht kein direkter Zusammenhang und doch ist es historisch gesehen kein Zufall, dass sie so fatal aufeinander treffen. Wie ich schon mal erwähnte, am Ende der gegenseitigen Anbiederung von Kultur und Politik steht ebenfalls eine Krise.
Ob diese Krise einer späten Pupertät meinerseits zuzuschreiben ist, daran hege ich begründete Zweifel. Jedoch ist dieser achtlose Spielplan auf seine Art schon verletzend und kränkend für Menschen, die wachen Auges durch die Welt gehen, da haben sie schon recht.
Nun, ich persönlich habe mich in meiner Kindheit eher mit der Natur und Tieren beschäftig, ich malte sehr viel und baute ständig mit meinen Freunden irgendetwas, erst später als Jugendlicher kam ich zum Theater und es war Anfang, Mitte der Siebziger Jahre eine echte Alternative zum Beispiel zum Fernsehen und vielem anderen, weil das Theater eine oppositionelle Kraft in jeder Hinsicht hatte.
Davon kann man in Dessau nicht mehr viel spüren und deshalb fällt es mir schwer mich dort zu engagieren. Das spricht natürlich nicht gegen den "Kleinen Muck" und schon gar nicht für eine Schließung, aber meine Haltung verweist darauf, dass sich, was Dessau betrifft auf beiden seiten etwas tun sollte, sowohl auf der Seite der Politik, die in ihrer Achtlosigkeit sich auf eine fatale Weise, der Bedenkenlosigkeit der Theatermacher angenähert hat und umgekehrt, denn so wie man in der Politik hin und wieder nur noch en suite Märchen spielen möchte, so kommt das Theater Dessau den Politikern auf halber Strecke dankbar entgegen, und dieser Vorgang ist fern jeder political correctness kritikwürdig. Da würde mir sicherlich auch Herr Bernhard zustimmen.