Sunday Screenings - brut Wien
Let's Flausch
von Theresa Luise Gindlstrasser
Wien, 21. Februar 2021. "Cotton Candy, Marshmallow, Kittens", setzt Claire Lefèvre mit ihrer Aufzählung ein. Mit der langen Liste ihrer "Favorite Things" perforiert Lefèvre mit sonorer Stimme das Lullaby-Dröhnen von Soundkünstler*in Zosia Hołubowska. Beide sitzen in geblümten gepolsterten Jacken am Bühnenboden vom Studio brut. Ich, im Einführungsgespräch dazu eingeladen es mir beim Videoschauen bequem zu machen, am Sofa zuhaus. So wie schon letzten Sonntag und am vorletzten auch. Weil: Unter dem Titel "Sunday Screenings" macht das brut Wien im Februar jede Woche eine Onlinepremiere, insofern bis jetzt drei. Lauter Filmversionen von im Winter abgesagten Live-Projekten, alle frei verfügbar bis zum Sommer.
"EWIGE 80er" von Machacek/Stotz: Witzige Welt
Als Erstes gab’s "EWIGE 80er" von Medienkünstler Jan Machacek und Musiker Oliver Stotz (hier nachzuschauen auf der Seite des brut Wien). Ein hemmungslos grobkörniges, allen 80er Jahre State of the Art auffahrendes Musikvideo. In den Hauptrollen Pac-Man, Margaret Thatcher, Ronald Reagan und ein vor Kulisse laufender, nicht vorwärts kommender Machacek. "By 1980 the dream was over", heißt es da. Und weil's noch keine neuen Träume gebe, leben wir heute immer noch im Damals oder zumindest in der Ewigkeit des Neoliberalismus.
Aber Machacek und Stotz machen das Beste aus ihrem Befund, nämlich zum Beispiel ein opulentes Medley, das mit "Take On Me" einsetzt und mit "True Colors" noch längst nicht endet. Papiercollagen, Animationen und Greenscreen-Effekte, alles in allem: sehr verspielt. Das 35 Minuten kurze Vergnügen ist auch deshalb so ein Vergnügen, weil es den Bildschirm als Bühne bedient. Beziehungsweise: Sich der Form "Musikvideo" bedient und das Publikum als vor sich hin streamendes anspricht. Corona als die Wiederkehr des Musik Schauens. MTV gab’s übrigens ab 1981.
"Beauty of mess..." von Soulimenko/Hoffer: Wacklige Welt
Ganz anders gehen die Performancekünstler*innen Oleg Soulimenko und Jasmin Hoffer ihre Filmversion von "Beauty of mess, trash and unknown desires" an. In dieser zweiten Onlinepremiere (hier nachzuschauen auf der Seite des brut Wien) entführt ein voyeuristisches Kameraauge das Publikum vom Sofa zuhaus in eine Welt der wackligen Nahaufnahmen. Soulimenko fummelt an seinen Socken herum, Hoffer schultert einen Staubsauger als Rucksack, Schnitt, Schnitt, Schwindel. Vertieft in die Möglichkeiten und Unmöglichkeiten diversester Materialien werkeln Soulimenko und Hoffer solipsistisch vor sich hin. Auch die mir aufgedrängte Voyeurinnen-Position vermag der Material-Impro keine Dramaturgie zu entlocken.
"peachfuzz": Weiche Welt
"peachfuzz" von Claire Lefèvre ist nun die aktuellste Premiere (hier nachzuschauen auf der Seite des brut Wien). Dieses exquisite Wort, "peachfuzz", Englisch für "Flaum", kommt in der Anfangs-Aufzählung der "Favorite Things" nicht vor. In flaumig flauschiger Atmosphäre unter lavendelfarbenem Licht lädt Lefèvre das Publikum ein, sich in Schaukelstühlen (auch "rocket chairs" gehören zu ihren "favourite things") niederzulassen. Für "peachfuzz" wurde nämlich ein Publikum vor Ort bespielt, das für diejenigen am Sofa zuhaus eine Stellvertreter*innenfunktion erfüllt.
Mit ihrer bisher unpoppigsten Arbeit bezieht sich die Choreografin Lefèvre auf den*die Künstler*in Lora Mathis und dessen*deren propagierte "Radical Softness", ein Plädoyer für Verletzlichkeit. Lefèvre zielt darauf ab, Sensibilität für kleine Gesten, Geräusche und Gedanken zu erwirken um die Menschen in Wohlfühl-Empathie-Watte zu wickeln. Auf dass Achtsamkeit werde, wo Härte war. Und weil da dieses Publikum unter rosa Decken in Schaukelstühlen vor sich hin genießt, die Texte, Bewegungen, Lichtstimmungen und Sounds so schön auf sich einwirken lässt, mach ich mit und fühl mich weich und müd. Dass es gut sei, wenn Körpertemperatur und Grad Celsius der Welt übereinstimmen, heißt es irgendwann. Ich will sagen: Fruchtwasser-Sehnsucht ist Opium. Aber für sowas Streitbares bin ich grad viel zu peach.
Sunday Screenings
EWIGE 80er
von Jan Machacek und Oliver Stotz
Idee, Video, Set-Design, Performance, Schnitt und Produktions-Leitung: Jan Machacek, Musik, Video, Performance, Video-Programming, Audio-Mastering und Schnitt: Oliver Stotz, Dramaturgie: Sabine Marte, Kamera: Victor Jaschke, Kostüme: Anke Philipp, Michaela Landrichter, Mitarbeit: Deborah Hazler, Frans Poelstra, Bauten: Rahmen Wallner.
Dauer: 35 Minuten
Beauty of mess, trash and unknown desires
von Oleg Soulimenko und Jasmin Hoffer
Konzept, Choreografie, Set, Performance und Video Editing: Jasmin Hoffer und Oleg Soulimenko, Gast Performerin: Marta Navaridas, Künstlerische Beratung, Set, Kamera und Video Editing: Alfredo Barsuglia, Dramaturgische Beratung: Claudia Bosse, Sound Beratung und Kamera: Samuel Schaab, Licht: Sveta Schwin, Kostüm: Larissa Kramarek und Nina Samadi, Outside Eye: Esther Vörösmarty und Lise Lendais, Video Editing: Elena Tikhonova.
Dauer: 40 Minuten
peachfuzz
von Claire Lefèvre
Konzept und Performance: Claire Lefèvre, Sounddesign: Zosia Hołubowska, Kostüm: Alex Franz Zehetbauer, Dramaturgie: Andrea Salzmann, Outside Eye: Jacopo Lanteri.
Dauer: 55 Minuten
www.brut-wien.at
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