Angstbeißer - Schauspielhaus Wien
Ich kann dir was Line
von Martin Thomas Pesl
Wien, 27. Februar 2020. Es wirkt fast erfrischend, im Theater einen Text zu hören, in dem niemand die Welt retten will. Die Prä-Greta-Generation, der Wilke Weermanns "Angstbeißer" angehören, findet noch eher Amokflüge als Flugscham aufregend.
Vormals verpaart
Der Titel verweist auf Hunde, die schnappen, wenn sie sich bedroht fühlen. Freilich bellen Topher, Sven, Sanne und Jamin eher als zu beißen. Die vier Mitt- bis Endzwanziger waren einmal jeweils untereinander verpaart, jetzt: nicht mehr so. Trotzdem hängen sie zwecks Drogenkonsums miteinander ab. Die Substanzen tun ihnen sichtlich nicht gut, Schlaflähmung, Paranoia, Mordfantasien. Zu sagen haben sie einander kaum noch etwas, stattdessen berechnen sie mit großer Ernsthaftigkeit, ob der Tür-zu-Knopf im Aufzug wirklich funktioniert oder nur ein leuchtendes Placebo ist.
Der 1992 geborene Weermann studierte Regie und zeigte am Staatstheater Kassel zuletzt den gelungenen Abend "I am providence", inspiriert vom Universum des Gothic-Schriftstellers H.P. Lovecraft: wenig Text, viel düster schwelende Atmosphäre. Die Uraufführung von "Angstbeißer" am Schauspielhaus Wien inszeniert nun nicht Weermann selbst, sondern Anna Marboe, Regie-Absolventin des Max-Reinhardt-Seminars.
Beckett trifft "Trainspotting"
Ihr hat er einiges an Text hinterlassen, sogar Dialog. Postdramatisch geht es trotzdem zu. Die vier Hauptfiguren erzählen dem Publikum abwechselnd im Präsens, was passiert und was sie sich dazu denken. So beschreibt Sanne etwa: "Jamin – mit so einem Jungs-Umkleide-Deo eingedieselt – scheitert beim Versuch, irgendwie ironischer drogenabhängig zu sein." Wüsste man nicht, dass "Angstbeißer" im Rahmen des Hans-Gratzer-Stipendiums 2019 gezielt für die Bühne geschrieben wurde, könnte man den Abend für die Adaption eines Romans aus dem Genre der Popliteratur halten.
Während immer wieder Bob Dylans "The Times They Are a-Changin'" Laune macht, scheinen sich die Zeiten eben überhaupt nicht zu ändern. Man geht immer noch in den Drogenclub, hat dabei aber nicht mal Geld für Klopapier (Zitat: "Keine Panik, ich kann dir was Line!"). Im Club geht es – mit Anspielungen auf Dantes "Göttliche Komödie" – zwar irgendwann ziemlich wild zu, wohl aber auch nur in den Köpfen der Figuren: eine Mischung aus Realität, Fantasie und Erinnerung. De facto passiert nichts: Beckett trifft "Trainspotting".
Die Regisseurin ist nochmal vier Jahre jünger (und womöglich dadurch auch hipper?) als der Autor. Sie ist klug genug, den Text genau zu arbeiten, verkennt dabei aber auch nicht seine Schwäche, den Mangel an dramatischer Entwicklung. In Sachen Sinnentleertheit setzt Marboe einfach noch eins drauf, indem sie zwischen Weermanns Dialoge lange, stumme Slapsticknummern, Ballettübungen, Fidget-Spinner-Wettbewerbe und Lachkrämpfe einbaut. Die sind sympathisch, teilweise sogar lustig. Den Text bebildern sie nicht, desavouieren ihn aber auch nicht, sondern unterstützen die Spieler*innen dabei, in ihrer lächerlichen Verlorenheit natürlich zu bleiben. Auf einer windschiefen Küchenzeile vor einer Kulisse mit blinzelnden Comic-Dinosauriern trägt das Quartett schrille Superheldenkostüme, was erstaunlich erträglich ist, weil keine comichafte Spielweise es doppelt.
Toaster und Entsafter für den Club
Besonders cool macht sich Ensemble-Neuzugang Jakob D'Aprile die Rolle des Chefironikers Topher zu eigen. Bei Til Schindlers Jamin scheinen die Drogen vor allem ein paar Gehirnzellen aufgefressen zu haben, bis er in einem überraschenden Ausbruch sogar richtig berührende Verletzlichkeit offenbart. Doch auch Simon Bauer, voller passiv-aggressiver Energie, und die in sich versunkene Clara Liepsch werden auf ganz unterschiedliche Weise der Aufgabe gerecht, im 21. Jahrhundert auf einen hippen Godot zu warten.
Dann ist da noch Sebastian Schindegger, dem die Kostümbildnerin Giovanna Bolliger offenbar erlaubt hat, sich irgendwas aus dem Fundus auszusuchen. Zu Beginn macht er es sich mit einer Augenklappe, einem Paar schwarzer Engelsflügel, einem Tee und einem Lichtpult prominent auf dem Dach der Comic-Küche bequem. Hin und wieder liest er eine Nebenrolle ein, etwa den Penner aus dem Treppenhaus, später versucht er tollpatschig, aus Toaster und Entsafter eine Soundinstallation für den Club zu bauen. Die übermäßige Aufmerksamkeit, die diese Randfigur erhält, wirkt wie eine Notlösung der Regie – das andere Extrem anstelle der kompletten Streichung. Freilich, mit etwas Wohlwollen – das man beim Zusehen vergnügt aufbringt –, könnte man auch sagen: Godot war einfach schon die ganze Zeit da.
Angstbeißer
von Wilke Weermann
Uraufführung
Regie: Anna Marboe, Bühne & Kostüme: Giovanna Bolliger, Clubsound: Markus Steinkellner, Licht: Oliver Matthias Kratochwill, Dramaturgie: Lilly Busch.
Mit: Simon Bauer, Jakob D’Aprile, Clara Liepsch, Sebastian Schindegger, Til Schindler.
Premiere am 27. Februar 2020
Dauer: 1 Stunde 35 Minuten, keine Pause
www.schauspielhaus.at
"Als schließlich alle, um Bodenhaftung bemüht, im Technoclub landen und der Tanz entfesselter Dinosaurier anhebt, kommt die Inszenierung zu ihrem Höhepunkt", schreibt Margarete Affenzeller in Der Standard (29.2.2020). "Zwischenzeitlich hatte sie entlang ihrer steilen Behauptungen auch dümpelnde Momente. Aber immer solche, die Staunen machen."
Weermanns Text wirke "wie eine Millennial-Slacker-Parodie, die sich das Cape eines Slasherfilms umgehängt hat. Das ist recht unterhaltsam, weil es mitunter so klingt, als wäre Sven Regener auf Liquid Ecstasy ausgerutscht, die Sprache hat eine pralle Humordynamik, die aber auch Zärtliches zulässt", schreibt Christina Böck in der Wiener Zeitung (28.2.2020). "Das Ensemble (...) bringt das mit gut austarierter Balance aus Ernst und Witz rüber. Und als Dinos sind sie wirklich sehr putzig."
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