Erschöpfter Menschen Selbstentäußerung

von Falk Schreiber

Hamburg, 23. Februar 2020. Das Saallicht flackert. Mit großem Getöse hebt sich der Vorhang im Hamburger Schauspielhaus, es wird gehämmert, gesägt, geklopft, in einer Ecke sprüht eine Flex Funken, Nebel wallen. Viktor Bodo macht, was er besonders gut kann: Mummenschanz, Grand Guignol, Überwältigung. Voilà, Bodos zweite Hamburger Kafka-Inszenierung, nach der "Verwandlung"-Überschreibung Ich, das Ungeziefer vor fünf Jahren: "Das Schloss". Schon 2016 inszenierte Antú Romero Nunes den Stoff am benachbarten Thalia Theater als Besuch eines Reisenden in einem düsteren Dorf, wo ihm geballte Fremdenfeindlichkeit ins Gesicht gespuckt wird: Josef K. in Pegida-Land. Wenn dieselbe Vorlage in derselben Stadt in verhältnismäßig kurzer Zeit zweimal auf die Bühne kommt, dann will das gut begründet sein, dann braucht man einen ganz eigenen Zugriff.

Und Bodo verlegt den Fokus weg von der Dorfgemeinschaft, hin zum titelgebenden Schloss, das über dem Ort thront. Zwar wird der Protagonist ebenfalls nicht besonders freundlich aufgenommen, die Geschichte allerdings bewegt sich mehr oder weniger klar an Kafkas 1922 entstandenem Romanfragment entlang, in dem K. in einen nicht genau definierten Dienst als Landvermesser treten soll und sich schnell in der Bürokratie des Schlosses verstrickt.

Haus mit Zutrittsverbot

Kafka als Bürokratiealptraum zu lesen, das ist nicht der originellste Zugang, allein: Er funktioniert. Einerseits wegen des bis in kleine Nebenrollen perfekt besetzten Ensembles (Yorck Dippe als Lehrer! Jan-Peter Kampwirth als unzuverlässiger Bote!), andererseits wegen der Konsequenz, mit der Bodo seine Lesart durchexerziert: Die Bürokratie zieht sich als komplexe Struktur durch die Inszenierung. Selbst im Programmheft sind die Figuren mit liebevoll gestalteten Karteikarten abgebildet, nebst genauen Beschreibungen der jeweiligen Hierarchiepositionen. Wobei man sich auf diese Beschreibungen tunlichst nicht verlassen sollte.

DasSchloss 2 560 ThomasAurin uChoreographie gegen die Bürokratie? Carlo Ljubek als Landvermesser K. in Viktor Bodos "Das Schloss"-Inszenierung in Hamburg © Thomas Aurin

Carlo Ljubek spielt diesen verhinderten Landvermesser von Anfang an als Wrack, als einen, der erschöpft auf einer riesigen Baustelle (Bühnenbildnerin Zita Schnábel treibt der Story jedes Mittelgebirgsambiente aus, indem sie einen eindrucksvollen Unort schafft) einschläft, von der Tagesschicht unsanft auf das Zustrittsverbot hingewiesen wird und im Fortgang der Handlung immer weiter runterkommt.

Menschen ohne Tageslicht

Boden unter den Füßen gewinnt der nicht mehr, auch wenn er zunächst noch glaubt, die Handlung bestimmen zu können, indem er einzelne Figuren für sich nutzbar zu machen versucht: die Serviererin Frieda (Gala Othero Winter, mit der ihr eigenen Fähigkeit zur Selbstentäußerung), die ihm mittels Sex Zugang zum Schloss verschaffen könnte, die Gehilfen (Matti Krause und Jan Thümer), die womöglich gar nicht helfen, sondern ihm Steine in den Weg legen, der Vorsteher (Michael Weber), der sich durch Akten frisst und mit morphiumgetrübten Blick Hindernisse entdeckt, die jegliches Weiterkommen verhindern.

DasSchloss 1 560 ThomasAurin uCarlo Ljubek und Gala Othero Winter © Thomas Aurin

Ziemlich schnell wird klar: Das hat alles keine Zukunft. "Unsere angeblich so große Liebe, weißt du was – die entwickelt sich einfach nicht weiter", meint K. einmal desillusioniert zu Frieda, aber eigentlich hat er da schon verstanden, dass seine ganze Story sich nicht weiterentwickelt. Und deswegen schaltet die Inszenierung nach einer Weile auf Autopilot, macht knirschende Schlenker zum Schattentheater, zum Slapstick, zu einer virtuosen Musikminiatur an einem Schaltkasten, der zur Drummachine umfunktioniert wird. Was der Handlung zwar rein gar nichts bringt, aber Winter Gelegenheit gibt, zu handgemachten Beats reizend zu zucken. Toller Theaterzeitvertreib ist das, und viel mehr bietet Kafka bei Licht betrachtet auch nicht.

Endlich im Schloss

Tatsächlich endet das Romanfragment "Das Schloss" unvermittelt: Es wird angedeutet, dass K. nach einigen Tagen an seelischer Erschöpfung stirbt, gerade als endlich eine Nachricht vom Schloss eintrifft. Bodo spinnt die Geschichte noch ein paar Drehungen weiter: K. wird schon in fortgesetzt derangiertem Zustand zum Beamten Erlanger (Lina Beckmann als gottähnlicher Buchhalter) vorgelassen. Und Erlanger skizziert mehrere Schlüsse: Theater im Theater, Staatstheaterbürokratie vielleicht? Oder Pulp, eine Sexorgie mit anschließendem Lynchmord? Oder womöglich doch die Erlösung?

Die Inszenierung jedenfalls biegt in einen versöhnlichen Schluss ein: K. darf ins Schloss. Ljubek klettert bis an die Spitze der Gerüstkonstruktion, und dort rollt er sich zusammen wie ein kleines Kind. Endlich schlafen, endlich allein. Und Nebel wallt.

Das Schloss
von Franz Kafka
Regie: Viktor Bodo, Bühne: Zita Schnábel, Kostüme: Fruzsina Nagy, Musik: Klaus von Heydenaber, Licht: Susanne Ressin, Sounddesign: Gábor Keresztes, Dramaturgie: Sibylle Meier, Anna Veress.
Mit: Lina Beckmann, Yorck Dippe, Christoph Jöde, Jan-Peter Kampwirth, Matti Krause, Carlo Ljubek, Sasha Rau, Bettina Stucky, Jan Thümer, Michael Weber, Gala Othero Winter. Piano: Matthäus Winnitzki, Bass: Dirk Ritz, Cello: Niklas Hardt, Schlagzeug: Stefan Rager.
Premiere am 22. Februar 2020
Daher: 2 Stunden, keine Pause

www.schauspielhaus.de

 

Kritikenrundschau

Katja Weise schreibt auf ndr.de (online 23.2.2020, 9:32 Uhr), Viktor Bodo habe ein "fabelhaftes Gespür für das Groteske in dem angsteinflößenden Kafka-Universum". Immer, wenn "man fürchtet", es könnte "albern" werden, bekomme er die Kurve. Bodo verweigere sich "klaren Deutungen", verweise auf "Die Verwandlung" und den "Prozess". "Das Schloss" sei "großes Theater und tolles Kino". Da stimme einfach alles. Zudem agiere ein "wunderbares Ensemble" mit "Energie und Spaß an der Verwandlung", Carlo Ljubek zeige, wie "ein Mensch sich verlieren kann". "Unbedingt anschauen".

Bodó wisse die große Bühne des Schauspielhauses "eindeutig uneindeutig zu nutzen", schreibt Maike Schiller im Abendblatt (24.2.2020). "Tiefe, düstere Töne zittern unter den Szenen. (…) Die tatsächliche Bedrohung bleibt unkonkret, der Grusel wirkt umso stärker in der Vorstellung der Zusehenden." "Alle schleichen, klettern, marschieren und parlieren hingebungsvoll aneinander vorbei, es herrscht Hektik, oft Durcheinander, immer allerdings ist das Chaos ausgesprochen präzise orchestriert. Und das glänzend aufgelegte Ensemble beweist bis in die vermeintlichen Nebenrollen (...) und bis zur Erschöpfung seine Lust am Spiel, an der Körperlichkeit, der Verwandlung, am Slapstick."

Viktor Bodo schaffe immer neue Bilder, die mit ihrer skurrilen Phantastik und ihrem packenden Aberwitz die Atmosphäre der Vorlage ins Heute versetzten, schreibt Irene Bazinger in der FAZ (25.2.2020). "Die gewaltige Theatermaschinerie des Schauspielhauses Hamburg ist dabei bestens geölt und zaubert die schaurig-schönsten Geräusch- und Beleuchtungseffekte herbei, so dass der zweistündige Abend zu einer veritablen Geisterbahnfahrt wird." Bazinger schließt: "In seiner gekonnt aufwendigen Inszenierung macht Viktor Bodo „Das Schloss“ zu einer famos breitwandigen Studie über das Tollhaus einer Zivilisation, die vergessen hat, wozu sie da ist. Er bringt uns Franz Kafkas Werk näher, als es uns lieb sein kann."

"Viktor Bodós Inszenierung schaltet in all dem labyrinthischen Geplapper immer mal wieder blitzschnell in den Ulk-Modus. Das ergibt zwar immer Lacher, aber auch einen nicht nur produktiven Effekt. Der Rest des Textes nämlich mäandert im Grunde ziel- und sinnlos vorbei, als warte er nur auf die Witze des Regisseurs. Von so etwas wie einer interpretierenden Haltung ist gar nichts zu entdecken", so Michael Laages im Deutschlandfunk (24.2.2020). "Und merkwürdigerweise erscheinen auch die Darstellerinnen und Darsteller in diesem Wimmelbild bald wie bunt durcheinander wirbelnde Abziehbilder."

 

Kommentare  
Das Schloss, Hamburg: K.s vergeblicher Kampf
Viktor Bodos Inszenierung „Das Schloss“ nach F. Kafka hatte am Samstag im DT in Hamburg Premiere. Der unvollendete Roman entstand 1922. Er erzählt den vergeblichen Kampf des Landvermessers K. um Anerkennung seiner Existenz durch ein geheimnisvolles Schloss und dessen Vertreter. Das Schloss scheint durch einen riesigen, bürokratischen Apparat die Dorfbewohner zu kontrollieren und für sie unerreichbar zu bleiben. Die Dörfler leben in Angst vor einer nicht greifbaren, bedrohlichen Hierarchie, die von den Beamten des Schlosses ausgeht. Bei Übertretung der Vorschriften droht vermeintlich Schlimmes, obwohl vom Schloss nie erkennbare Sanktionen erhoben wurden. K.s Streben ist sich dem Schloss zu nähern. Doch sämtliche Anstrengungen scheitern. Anfangs voll Zuversicht, fühlt sich K. zunehmend ohnmächtig angesichts der Undurchschaubarkeit des Systems. Bodo inszeniert das Schloss als Integrationsversuch eines Fremden (Landvermesser K: Carlo Ljubek) in ein System überbordender Hierarchie- und Machtstrukturen. Er sieht aber auch die schwarze Satire auf Macht, Willkür und Überbürokratisierung von Staatsapparaten und verleiht der Inszenierung mit diesen Facetten schwarzen Humor und Lebendigkeit. Die Bühne von Z. Schnábel ist Dreh- und Angelpunkt der Inszenierung und die Bild gewordene bedrohliche Hierarchie eines bürokratischen Staatsapparates in der ein Fremder hoffnungslos verloren ist. Bodo zeigt in etlichen Szenen in welchem Ausmaß die Dörfler von paranoiden Vorstellungen besessen sind. Jeder und nicht nur der Fremde K., scheint im Verhalten der anderen und besonders in der der Behörde eine perfide Strategie zu vermuten; egal ob wahr oder unwahr. Bodo zeigt in eindringlichen Bildern eine Welt des Misstrauens, der Angst und Kälte. Bodo verdeutlicht, dass der Fremde in einer anderen Welt das Gefühl hat, dass ihm die fundamentale Anerkennung als Mitmensch verweigert wird. K (Carlo Ljubek) kämpft verzweifelt um diese Anerkennung, doch das Schloss betrachtet ihn nur als ungebetenen Gast, der sich in die Gemeinschaft einschleichen will. Es ist im Grunde der Kampf der Migranten in einem für sie fremden Land integriert zu werden. Bodo spielt mit den grotesken Widersprüchen und absurd-komischen Elementen des Romans und nutzt sie für Slapstick artige Szenen wie z.B. mit dem Sicherungskasten. Bühne, Kostüme (Fruzsina Nagy) und Musik (Klaus von Heydenaber; Musiker: Piano: Matthäus Winnitzki Bass: Dirk Ritz Violoncello: Niklas Hardt Schlagzeug: Stefan Rager) erinnern an Stummfilme der 20iger Jahre wie z.B. Nosferatu, insbesondere wenn auf weißer Leinwand die Akteure als Schatten im Gittergerüst der Bühne agieren. Das Ensemble (Lina Beckmann, Yorck Dippe, Christoph Jöde, Jan-Peter Kampwirth, Matti Krause, Sasha Rau, Bettina Stucky, Jan Thümer, Michael Weber und Gala Othero Winter) verleiht den Rollen absurd-komische Facetten, die mit bedrohlichen, angstbesetzen Stimmungen wechseln. Nachdem K. (Carlo Ljubek) sich bis zur vermeintlich höchsten Beamteninstanz durchgekämpft hat, wird ihm die Berechtigung zum Bleiben übergeben in Form eines Schlüssels und im gleichen Moment senken sich etliche Schlösser vom Bühnenhimmel herab. Der Kampf einer fundamentalen Unsicherheit gegenüber den Anderen und einem nagenden Zweifel am eigenen Wert und am individuellen Recht auf Anerkennung steht erneut bevor. Anerkennung als Migrant geglückt aber die Integration steht noch bevor. Nahezu aussichtslos. Bodo verortet das Schloss für mich in unserer Zeit, wo der Migrant den fast aussichtslosen Kampf um Integration in einer neokapitalistischen Gesellschaft wagt, ohne jegliche Garantie auf Gelingen. A. Camus postulierte, dass die Realität, die das Schloss schildert, nichts anderes ist als K.s Projektion, und K. der moderne Mensch, der überall nur Projektionen wahrnimmt und keinen Halt in der Realität findet: Er erfährt nicht die Welt an sich, sondernd in der Welt nur sich selbst. Auf diese Weise hält die Inszenierung das bereit, was der Regisseur und Zuschauer*in hineinlegt.
Das Schloß, Hamburg: NDR-Link
"Toller Theaterzeitvertreib ist das, und viel mehr bietet Kafka bei Licht betrachtet auch nicht." (Falk Schreiber)

Kafka überhaupt ? Kafka speziell im "Schloss" ?? Kafka, so wie ihn hier die Inszenierung erscheinen läßt ???

Davon einmal abgesehen, daß Franz Kafka hier nach eigener Ansicht für den Papierkorb geschrieben hat, für das Theater war es jedenfalls nicht konzipiert; insofern wäre es schon verwunderlich, wenn Kafka hier außer Theaterzeitvertreib nichts böte; nun, man sagte und sagt ihm allerlei Prophetie nach, wovon ich meist nicht viel halte im übrigen, aber seinen nicht abgeschlossenen Roman sah wohl auch er nicht auf einer Bühne, zumal einer so wuchtigen. Es bietet sich an, den Roman zur Hand zu nehmen, denn das ist etwa das, was Kafka uns so bietet (qua Bodo, der auch andere Werke Kafkas explizit zitiert, so etwa § 26 aus seinen Betrachtungen (Aphorismen), kommt noch die eine oder andere Nicht-Schloßzeile hinzu) ", die wir (wohl) auch nicht (nur) immer im Licht wandeln.

Wertvoll, um vom Bühnenaufbau und der Inszenierung sich ein erstes Bild zu verschaffen, wäre, denke ich, auch die Verlinkung der laufenden Bilder vom Vorbericht des NDR-Hamburg Journals (22.2.2020, 19:30 Uhr).

In "Szene Hamburg" findet sich zudem ein Interview, das Sören Ingwersen mit der Dramaturgin Sybille Meier führte..

Soweit heute ...: allseits einen schönen Sonntag !
Das Schloss, Hamburg: Zustimmung zum DLF
Zu den begeisterten, mindestens positiven, Besprechungen gesellen sich auch Sabine Oehmsen (SHZ, 24.2.) und Ruth Bender (KN-Online, 23.2.).
Obschon ich die Faszination für das "Zirkusreife" des Spieles (Sabine Oehmsen) oder jenes Spiel, welches "jedem Variete zur Ehre gereichen würde" (Irene Bazinger) -gerade auch in der Szene mit den Aufgabenzuweisungen durch den Lehrer- , sehr gut nachvollziehen kann, die eine oder andere Bildfindung schön ist und für sich genommen zu denken gibt (Lina Beckmann in der Badewanne z.B. ! - offenbar in einer Phase ihrer Karriere, wo es viel zu schaffen gibt für die Geschmacksnerven, nach dem Stachelbeervarenje desletzt nun die alte Seife Klamms-, schon ein starkes Bild zur Vergänglichkeit des Lebens und dem Hängen an den eigenen Erlebnissen in ihrem kaum zu tilgenden Hoffnungsdrang, eine "Geschichte von sich" (sinnvoll) auszuprägen oder gar abzurunden), der eine oder andere Lacher auch herzhaft ausfallen darf (der Lehrer, der die nicht vorgandene Schülerschaft nicht sehen muß, wenn er etwas an die Tafel schreibt),
und für meine Begriffe tatsächlich die Kurve kurz vor einer Albernheit immer wieder genommen wird, darin Stimme ich Katja Weise eher zu als Michael Laages, bin ich letztendlich in so einer Art Gesamtsicht eher bei der Kritik von Michael Laages. Warum ? Vor allem wohl, weil ich die Perspektivbrüche, die Victor Bodo immer wieder vornimmt, und mir tatsächlich als eine Art Inszenierungsäquivalent zum quasi "Coca-Cola"-Rezept des kafkaschen Erzählens (wie wissend)
begegnen (!?), die mit den Brüchen in Franz Kafkas Erzählung, seinen Skrupeln bei so ziemlich jedem Erzählschritt, den er dem Leben abzutrotzen scheint, nicht viel bis nichts gemein haben, sondern mir sogar -wie mit stolz- und durch die eigenen Einfälle geweiteter Brust- als Überwältigungstheater begegnen, von strotzender Lebendigkeit. Was bei Kafka also langsam und von innen her geschieht, seltsam und schier unerklärlich folgerichtig bei der hohen Abstraktion (soetwas wie "Lebensspiel" neben Wittgensteins "Sprachspiel" stellend), wirkt hier meist aufgesetzt, gewollt, leidlich willkürlich, und daß man als Zuschauer zunächst Baustelle, dann im Verlaufe des Abends davon immer weniger..., dann -wieder und wieder als Zusammenhalt des Abends- den groben Verlauf des Schloßromans etappenweise durchschmeckt, mehr inhaltlich als irgendwie mitleidend (siehe die Laageschen "Abziehbilder"), nach und vor angeblichen "Brüchen" in der (Erzähl-) Perspektive, sei es auch unterbrochen durch das eine oder andere Sprechen ins Publikum, durch Surreales (1.Pause) , Traumhaftes (die Schattenspielszene mit dem 1920er-Touch, ästhetisch gewiß gut gelungen) , plötzlich auch soll das Filmdreh sein, verklümpt mehr und mehr zu einer im Grunde nichtssagenden Masse, und deswegen kommen diese Brüche auch nicht in jeder Kritik überhaupt vor bzw. fristen dort ein Schattendasein (freilich ist es mit dem "Schloß"-Wortspiel nicht ganz so banal , wie es sich bei Herrn Laages liest, denn das aufgebrochene Schloß des Anfangs mag (Konjunktiv !) ja eines der hängenden des Endes uns werden, zumal das Kind "Klamm" heißen soll (Lehrer/Frieda ziehen es groß..., kein Wortspiel zum Lehrer Klamm, denke ich), so daß wir uns nach alter Camus-Tradition dann beim Nochmalschauenmüssen unter anderem Gesichtspunkt wiederfinden würden (siehe "Die Hoffnung und das Absurde im Werk Franz Kafkas" in Camus: "Der Mythos von)). Sisyphos). Daß wir fast alle in der Lage sind, unserer Nächsten , unserem Nächsten allerlei Komplikationen zu bereiten, verhält sich in etwa so zu den Komplikationen, die Kafka durch seine (und in ihr)
Erzählarbeit zäh erwirtschaftet, wie diese Adaption zu ihrer Romanvorlage. Ich stimme Herrn Laages ausdrücklich zu: Wieso denn nicht interpretieren, anstatt ziemlich künstlich (und kunstvoll mithin) lediglich sein Vexierspiel zu betreiben, künstlich zu verwirren, wo vermutlich hinreichend Gründe dafür bestehen, es redlich und sogar rechtschaffen anhand der jetzt-hiesigen Verhältnisse wie auch der menschlichen cponditio ganz allgemein, basal , schlicht und ergreifend zu sein ??
Das Schloss, Hamburg: Sieg des Schlosses
Das Schloss, denke ich, ist schon an sich unendlich mächtiger als ihr,
trotzdem könnte noch ein Zweifel daran sein, ob es gewinnen wird, das aber
nützt ihr nicht aus, sondern es ist, als ginge euer ganzes Streben dahin,
den Sieg des Schlosses unzweifelhaft sicherzustellen, deshalb fangt ihr
plötzlich ganz grundlos mitten im Kampf euch zu fürchten an und vergrößert
damit eure Ohnmacht.
Das Schloss, Hamburg: Richtigstellung
Hinsichtlich der Kritik von Ruth Bender muß ich, nachdem ich die Printkritik in den Kieler Nachrichten (ich denke, ich las das in der Mittwochsausgabe , also in der KN vom 26.2.) gelesen habe, meine Subsumption dieser unter die positiven Besprechungen mindestens relativieren, eigentlich wohl revidieren, denn sie ähnelt in ihrem Fazit ausgesprochen der Nachtkritik Falk Schreibers, Zitat der Schlußzeilen:
"Dieser Versuch mit Kafkas "Schloss" mag voller Effekte und Verspieltheit sein, die Inszenierung ist rekordverdächtig schnell und sehr musikalisch, putzmunter und sehr harmlos. Bedrohung, Gefahr und blanke Angst vor undurchschaubarer Macht sind hier nicht zu erahnen."

Und so mögen Sätze, beispielsweise wie #4 einen zitiert hat (er zählt zu den sogenannten vom Autor gestrichenen Stellen des Romanes und zum Olga-Amalia-Komplex -Amalia wird im übrigen durch die Inszenierung , warum eigentlich ??, ausgespart- .ist, streng genommen, natürlich Kommentar 4 in diesem Thread), Sätze, die sehr wohl als "Kern- oder (Spiel-) Leitsätze" einer Inszenierung dienen könnten, eben auch ziemlich (ungehört quasi) verpuffen oder auf recht unfruchtbaren Boden fallen.

Bei so einem Satz (wie dem in #4 vorliegenden) frage ich mich sogar desweiteren, ob Max Brod diesen in seine Dramatisierung des "Schloss"-Romanes eingelassen hat oder nicht; jedenfalls zählt Max Brod sicherlich nicht zu den Adressen, die mit einer dezidierten und interpretierenden Deutung gegeizt haben dürften (die deutsche Erstaufführung dieser Dramatisierung hat es bereits am 12.5.1953, im Schloßpark-Theater in Berlin gegeben -das auch schon so seine Zeiten hatte ...-); ich werde mir diese Dramatisierung demnächst versuchen lesend zu erschließen und ggfls. dazu äußern, sofern es die Inszenierung durch Victor Bodo (oder Viktor Bodo - das scheint immer mal wieder zu Wechseln) betrifft.

Da ich Franz Kafkas Aphorismen unter dem Titel "Betrachtungen über Sünde, Leid, Hoffnung und den wahren Weg" (welche zumeist in dem Band "Hochzeitsvorbereitungen auf dem Lande" -an dessen Anfang- eingelassen sind, vor den Oktavheften) sehr schätze (und mit § versehen gleichsam als HPO, "Hundsprozeßordnung", verstehe), freue ich mich, daß Victor Bodo in seinem Spielsinn diese in seiner Inszenierung mit auf den Plan gerufen hat, § 26 b "Was wir Weg nennen, ist Zögern" erwähnte ich ja bereits als einen expliziten Bezug (die Pointe ist ja gegen soetwas wie "Kafkas Rigorismus" lesbar, schließlich wird dieser Satz K. entgegengeschleudert, freilich wohl aus dem Bett des Sprachspieles fahrend, welches Kafka im Aphorismus spielte), andere, weniger explizite, Bezüge liegen allerdings nah. "Wenn es möglich gewesen wäre, den Turm zu Babel zu erbauen, ohne ihn zu erklettern, es wäre erlaubt worden.", lautet zum Beispiel § 18. "Turm zu Babel" war im übrigen auch eine meiner Assoziationen bezüglich des Bühnenbildes, auch Ruth Bender teilt diese in ihrer Kritik. Es spielt in die Aussagequalitäten, denke ich, dieser Inszenierung mit hinein, daß unsere technischen Möglichkeiten, die zT. selbst in der Inszenierung dargeboten werden, uns sehr wohl den detaillierten virtuellen Bau solcher Türme zu Babel, welche wir nicht erklettern müssen, gestattet.

Das Ende der Inszenierung scheint wie durch § 90 inspiriert geradezu:
"Zwei Möglichkeiten: Sich unendlich klein machen oder es sein. Das zweite ist Vollendung, also Untätigkeit, das erste Beginn, also Tat."
Ein wenig deutet jene Szene mit den Schauspielern, welche sich zu ihren Rollen, Arthur und Jeremias, verhalten, an - "kleine Rollen" bzw. "kleine Schauspieler" betreffend (diese Szenen sind keineswegs bloßer Ulk).

Tat: Du hast das Schloss zerstört !

Aber, man mag etwa § 105 und Amalia ähnlich vermissen in dieser Inszenierung wie die "überflüssigen Menschen" in der "Ivanov"-Inszenierung aus dem Monat zuvor; nun steht "Coolhaze" in den Startlöchern..
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