Das Knurren der Milchstraße - Bonn Park inszeniert in Bielefeld Bonn Park
Fannys Blick
von Kai Bremer
Bielefeld, 15. September 2017. Lange Zeit herrscht kein Zweifel, wer die beste schauspielerische Leistung an diesem Abend unter dem Dach vom Theater am Alten Markt in Bielefeld abliefert. Autor und Regisseur Bonn Park hat sich in "Das Knurren der Milchstraße", das den Werkauftrag des diesjährigen Stückemarkts beim Theatertreffen 2017 gewonnen hat, gleich selbst zur Figur gemacht: Die elf, zwölf Jahre alte Asaia Jucquois darf den 'wütenden Bonn Park aus der Zukunft' geben und souverän seinen Monolog sprechen. Das macht sie textsicher wie amüsant, weil ihre beiden geflochtenen Zöpfe an zwei heliumbefüllte Luftballons geknotet sind, so dass sie sich immer wieder sanft gen Decke heben. Schöner und sphärischer kann man den Weltraum – wir befinden uns in einem schrottigen Raumschiff, in dem Leitungen und Kabel von der Decke hängen (Bühne und Kostüme von Julia Nussbaumer) – nicht darstellen. Und als Asaia anmutig einige Ballett-Pirouetten zu tanzen beginnt und Henriette Nagel, die die Figuren weit weniger anmutig nachtanzt, mit irritierten Blicken straft, ahnt man, dass auch die Zukunft schöne wie komische Momente bereithalten wird.
"Nicht auch noch Mitmachtheater!"
Aber die beste Schauspielerin ist schließlich doch nicht Asaia, sondern Fanny. Auf der Bühne gibt Henriette Nagel inzwischen die 'gelassene Giraffe', indem sie unmotiviert in der Luft herumleckt, wie ein Känguru die Hände vor der Brust hängen lässt und die Zuschauer auffordert, sich einander zuzuwenden. Der ältere Herr rechts neben mir stöhnt: "Nicht auch noch Mitmachtheater." Fanny links neben mir aber, der ich mich nun zuwenden darf, Fanny ergreift meine Hände und schwört mir mit wundervoll innigem Blick uneingeschränkten Respekt. Zweimal fordert Henriette Nagel all die, denen Respekt gezollt wird, auf, die Person zur Linken zu ohrfeigen. Ich scheitere schon bei der Andeutung kläglich. Doch ändert das nichts an Fannys Blick. Selbst als ich statt der dritten Ohrfeige Fanny einen Kuss auf die Wange geben darf und auch dabei fast scheitere, hat ihr Blick noch diese milde Souveränität, die nur wirklich große Schauspielerinnen ausstrahlen. Angesichts dieser außergewöhnlichen Leistung bleibt mir nur, meinen Stift in die Hand zu nehmen und so zu tun, als ob ich furchtbar wichtige Notizen zu dieser Rückkehr ins Schultheater machen muss.
Dass das Stück insgesamt nicht viel zu bieten hat, ließ bereits der Stückemarkt ahnen. Die Uraufführung von "Das Knurren der Milchstraße" bestätigt das nicht nur, Bonn Park fällt zudem kaum etwas ein, um seinen Text zu retten. Die meiste Zeit stehen die vier hauptberuflichen Darsteller (neben Henriette Nagel die hervorragende Sopranistin Melanie Kreuter sowie Lukas Graser und Jakob Walser vom Bielefelder Schauspiel-Ensemble) vor dem Publikum und dürfen Parks skurrile Monologe (u.a. vom sich nach der Wiedervereinigung der beiden Koreas sehnenden Kim Jong-un und dem geläuterten und gleichwohl scheiternden Donald Trump) aufsagen. Sie erreichen immer wieder einmal Comedy-Niveau, etwa wenn Kim Jong-un Schweizerdeutsch sprechen darf, weil er in Bern zur Schule ging. Dem passt sich auch die Ausstattung an, wenn auf der Astronauten-Glaskugel-Glocke, in der Walsers Kopf steckt, als er den Trump gibt, ein blondes Toupet pappt. Auf die Monologe folgen mal hübsch vorgetragene Lieder aus Pop und Romantik, deren Texte irgendeine Assoziation zum vorhergehenden Monolog erlauben, mal harmlose Verballhornungen von irgendwelchen Songs.
Im Zweifel: Monologe
Über die szenische Lesung beim Stückemarkt meinte Eva Biringer: "Obwohl man es gerne mögen würde, nervt es." Bei der Uraufführung bestätigte sich das. Das liegt nicht zuletzt an Bonn Parks flacher Komik, die angesichts der gegenwärtigen Situation in Südostasien unangemessen erscheint, weil er im Unterschied zu beeindruckenden komischen Auseinandersetzungen mit Diktatur und selbstherrlicher Herrschaft (man denke nur an Chaplin, Tabori oder Benigni) deren Lächerlichkeit nicht mit Schrecken kontrastiert, sondern immer nur auf Monologe setzt.
Als es dann dunkel wird und sich einige Zuschauer recht schnell erhoben, feierte Fanny – wie nicht wenige im Publikum – nicht nur die Schauspieler, sondern auch Bonn Park und Julia Nussbaumer. Ich weiß nicht, warum sie das tat. Ihr Applaus wirkte ungemein authentisch. Entweder, sie ist wirklich eine außergewöhnliche Schauspielerin, oder sie war schlicht erleichtert, dass sie den untalentierten Totalversager zu ihrer Rechten gleich los sein sollte.
Das Knurren der Milchstraße (UA)
von Bonn Park
Regie: Bonn Park, Bühne, Kostüme: Julia Nussbaumer, Dramaturgie: Katrin Enders.
Mit: Lukas Grasser, Melanie Kreuter, Henriette Nagel, Jakob Walser sowie Asaia Jucquois.
Dauer: 2 Stunden, keine Pause
theater-bielefeld.de
In unserer Video-Interview-Reihe "Neue Dramatik in zwölf Positionen" spricht Bonn Park über Popkultur im Theater und über die Leiden der Jugend
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