Falscher Hase - Christian Schlüter verhilft David Gieselmanns abgründiger Komödie zur Uraufführung
Im Orbit der Realitäten
von Kai Bremer
Bielefeld, 5. Februar 2011. Wenn "Falscher Hase" angekündigt wird, ist klar, was kommt: Hackbraten, halb und halb, geeignet, um viele Gäste satt zu machen. Keine Überraschungen. Ähnlich verhält es sich mit Elisabeth Reimers Wohnzimmer, das auch keine Fragen aufwirft. Das beige-gestreifte Sofa in der Mitte führt wie der biedere Servierwagen sowie das Wandschränkchen – vermutlich Eiche-Rustikal – vor Augen: In diesem Wohnzimmer ist die Zeit stehen geblieben. Überraschend ist, wenn überhaupt, nur das Fenster an der Rückwand, das den Blick frei gibt in einen Raum, der offenbar leer ist, abgesehen von der Deckenlampe.
Auch bei Elisabeth Reimers weiß man gleich, woran man ist, wenn sie zufrieden lächelnd den Telefonhörer auflegt. Die ältere Dame in dem blauen Pulli und wadenlangen Rock ist mit sich im Reinen. Sekunden später klopft es kräftig, dann klingelt es: Ihr Nachbar, der Polizist Reinhard Peters, tritt ein. Frau Reimers habe mit dem Notruf telefoniert und sich über Lärm beschwert. Er, von seinen Kollegen informiert, erklärt ihr, das gehe so nicht. Schließlich lärme hier nichts und Anlass für einen Notruf sei Lärm eh nicht. Peters trägt zwar Dienstkleidung und hält die Mütze in der Hand, aber er ist schon in Pantoffeln. Zweifel kommen bei einem solchen Auftritt nicht auf: Dieser Ordnungshüter ist für die Komik zuständig, auch wenn er vorgibt, die Ordnungsmacht zu verkörpern.
Ist's Komödie?
Eine verschrobene Alte und ein Pantoffelheld in Uniform? Das ist eine Kombination, die das Publikum hoffen lässt, bei der Uraufführung von David Gieselmanns Komödie "Falscher Hase" am Theater Bielefeld auf seine Kosten zu kommen. Dem ist dann auch so. Einmal gibt es starken Zwischenapplaus, am Ende wird lang anhaltend geklatscht. Eine solche Reaktion ist bei zeitgenössischen Komödien nicht überraschend – man denke an Yasmina Rezas Erfolge.
Dem ersten Eindruck nach lebt auch Gieselmanns Stück von der Dialogführung und dem überraschenden Handlungsverlauf. Aber schnell erweist sich dieser Eindruck als Irrtum. Entscheidend für diesen falschen Hasen ist, dass permanent Erwartungshaltungen konterkariert werden.
Verantwortlich dafür ist im Stück Frau Reimers. Sie lässt ihren Nachbarn regelmäßig zweifeln, ob sie eine hilfsbedürftige Dame ist, die ein wenig Aufmerksamkeit zu provozieren versucht, oder eine, die ein Spiel mit der Erwartungshaltung ihres Gegenübers treibt, indem sie ein ums andere Mal das bisher Gesagte in Frage stellt. Wenn er ihr ihre Pillen reicht, da sie danach verlangt, stellt sie ihn umgehend zur Rede, ob er sich keine Sorgen mache, ihr gerade beim Selbstmord zu assistieren. Das ist perfide, und weil Gieselmann dem Publikum keine Chance lässt, Frau Reimers einzuschätzen, gerät die Realität Satz für Satz aus den Fugen.
Ist's Realität?
Die damit einhergehende Unsicherheit kann leicht in Klamauk abrutschen. Therese Berger hat die Bielefelder Uraufführung davor bewahrt. Sie spielt die Reimers nicht wie eine Type oder eine debile Frau, sondern immer wach und lebendig, mal verschlagen, mal einfühlsam-sanft. Sie steht im Kontrast zum monotonen Komödiengetue von Guido Wachter, der die Schultern hängen, die Arme wackeln und den Mund offen stehen lässt. In einer Inszenierung, der es um fehlenden festen Boden unter den Füßen der Wahrnehmung geht, wird so unfreiwillig eine Gewissheit eingezogen: alles nur gespielt.
Ins Gewicht fällt das deswegen nicht all zu sehr, weil Berger sogar die absurdesten Momente des Stücks gibt, als sei alles ganz normal. Selbst als Frau Reimers am Ende die Story auftischt, sie sei wiederholt von Außerirdischen entführt worden und habe ein paar Brocken Bajoranisch gehört, kommt das nicht abgedreht daher, nicht für den Deep Space Nine-Fan Peters und nicht für den weniger Science-Fiction-affinen Rest der Menschheit: Immerhin sind durch das Fenster in der Rückwand vorbeirasende Planeten zu sehen, als wäre das Wohnzimmer ein Raumschiff, das durch den Orbit geistert.
Regisseur Christian Schlüter treibt damit das Spiel über die Frage nach dem, was Realität ist, auf die Spitze. Zuletzt bleiben sogar Zweifel, ob es dramaturgische Schusseligkeit war, dass im Hintergrund die "Star Wars"-Fanfare (und nicht der Star Trek-Sound) erklingt, wenn Reimers und Peters "Deep Space Nine"-Bajoranisch sprechen, oder ob selbst die Realität des Science Fiction nicht mehr ist, was sie zu sein vorgibt.
Selbst hier also ein falscher Hase.
Falscher Hase, UA
von David Gieselmann
Regie: Christian Schlüter, Bühne und Kostüme: Annette Breuer, Dramaturgie: Claudia Lowin.
Mit: Therese Berger, Guido Wachter.
www.theater-bielefeld.de
Mehr von David Gieselmann: Ende 2009 wurde am Theater Bremen sein Stück Blühende Landschaften gezeigt, im März 2009 kam Die Tauben an der Berliner Schaubühne zur Uraufführung, das Schauspielhaus Hamburg präsentierte 2007 Louis und Louisa.
"Mehr davon bitte", schreibt Stefan Brams in der Neuen Westfälischen Zeitung (7.2. 2011) über die "sehr gelungene Uraufführung eines großartigen komödiantischen Stoffs von David Gieselmann." "Fein in Szene" gesetzt findet der Kritiker das fulminate Wortduell über die Gtrauzobnen von Lüge und Wahrheit. Doch nicht nur Regisseur Christian Schlüter, auch die beiden Schauspieler werden überschwänglich gelobt.
Begeistert zeigt auch sich Burgit Höttrich im Westfalenblatt (7.2. 20111) von Stück, Inszenierung und Schauspielern. Es sei ein triefgründiges Stück um Wahrheit und Lüge, über die Grauzonen von falsch, real und irreal. Besonders die Schauspielerin Therese Berger und ihr Partner Guido Wachter sorgten dafür, dass aus der abgründigen Komödie keine Klamotte werde.
Einen "kleinen, feinen Abend", aus dem man verwirrt komme und der lange zu Denken gebe, lobt auch Stefan Keim in der WDR-Sendung Mosaik (7.2.2011).Die Inszenierung sei ebenso lustig wie faszinierend, David Gieselmann als Komödienschreiber von den hiesigen Feuilletons nicht angemessen wahrgenommen.
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