Dunkelstein – Robert Schindels Stück von Frédéric Lion im Wiener Theater Hamakom in den Nestroyhöfen uraufgeführt
Licht und Dunkelstein
von Gabriela Hift
Wien, 1. März 2016.
1: Nie würde ich in die Gaskammer marschiert sein. Nicht so wie jene damals. Mit einer Kugel, baffbaff. Erst die SS, dann wir.
2: Ja, so hätten wir es damals alle tun sollen. Nicht wie die Lämmer zur Schlachtbank.
So kämpferisch geht das Stück "Dunkelstein" von Robert Schindel los, mit der Frage, die in den Jahrzehnten nach dem Krieg zu vielen unversöhnlichen Zerwürfnissen geführt hat: Hätten die Juden sich wehren müssen?
Geister im Jugenstilsaal
Das Vorbild von Dunkelstein ist Benjamin Murmelstein, der Wiener Rabbiner, der unter Adolf Eichmann die Auswanderung und Deportation der Wiener Juden organisieren musste und dann "Judenältester" und Lagerkommandant von Theresienstadt war. Hannah Arendt hat ihn in ihrem Buch "Eichmann in Jerusalem – über die Banalität des Bösen" als Mitschuldigen bezeichnet, Claude Lanzmann ihn in "Der Letzte der Ungerechten" portraitiert.
Gleich in der ersten Szene radelt ein Bursche mit fröhlichem "Heil Hitler! Ich bring die Mazzes!" über die Bühne. Tatsächlich sitzt man auf der Mazzesinsel, so hieß einst das Wiener "Judenviertel" in der Leopoldstadt. Hier in den Nestroyhöfen war vor dem Krieg ein jüdisches Vergnügungsetablissement mit Biergarten, Theater und der Tanzbar "Sphinx". Frédéric Lion, Regisseur des Abends, hat das charmante Haus als Theater Hamakom wiederbelebt. In allen Winkeln des Jugendstilsaals hocken die Geister einer Zeit, in der Wiener Schmäh und Jiddische Chuzpe noch praktisch dasselbe waren.
Holocaust und Brechtgardine
Das Stück ist ein Szenenreigen aus dem Leben verschiedener jüdischer Familien, vom Zeitpunkt seliger Ahnungslosigkeit bis zur Deportation, und aus der Zusammenarbeit zwischen Eichmann, der hier Linde heißt, und Dunkelstein. Vom Stil her ist es brechtisch, alles da: die Brechtgardine, ein Musiker (Lukas Goldschmidt), der ein fabelhaftes "Waltzing Matilda" in die Tasten haut, schöne Verfremdungen mit Masken, dann wieder anrührende Miniaturen, und Schauspieler, die das alles auch können. Michael Gruner ist ein aasiger, elegant schlenkernder Dunkelstein; einmal liegt er verdreht da wie ein Bild von Francis Bacon. Lilly Prohaska und Heinz Weixelbraun legen eine raue und irritierende Beziehung zwischen Gestapomann und Informantin hin. Florentin Groll ist als Kaffeehausbesitzer Gröschel, der jeden, der behauptet, Zwetschgenröster sei kein Kompott, mit Hausverbot belegt, aufs Liebenswerteste herablassend.
Mehrmals stehen alle in skurrilen Haltungen an der Rampe aufgereiht und pfeffern ein rhythmisch gesprochenes Couplet ins Publikum, der schräge Hüftschwung, mit dem Lilly Prohaska die Chose synkopiert, hat sensationellen Schmiss. Aber leider wird an diesen Stellen, gerade weil sie so virtuos sind, besonders deutlich, woran die ganze Unternehmung krankt: mit Schwung und Dringlichkeit wird da die Botschaft versendet: "Es gibt nichts, was man machen könnte! Alles ist egal!“
Das Stück weiß von Anfang an die Antwort auf die Frage, die es stellt: Dunkelstein hätte überhaupt nicht anders handeln können, als er es getan hat. Nun lässt sich mit einem Helden, der nicht handeln kann aber kein Drama machen. Die Brecht'sche Epik greift auch nicht, dazu müsste das Stück wenigstens die Möglichkeit einräumen, dass die Massen sich hätten organisieren können. Hätten sie niemals, sagt das Stück, dazu waren sie aus viel zu unterschiedlichen Schichten.
Die Figuren sind alle interessant, und man bleibt mit dem Gefühl zurück, dass ihr eigentliches Drama sich nach dem Ende des Kriegs und des Stücks abgespielt haben muss: Wie haben sie weitergelebt, mit den Demütigungen, die sie erlitten, mit der Schuld, die man ihnen aufgeladen hat?
Wer ein Leben rettet, rettet die Welt
Am Anfang predigt Dunkelstein: "Wer ein Leben rettet, der rettet die Welt!" Am Ende wird ihm in Theresienstadt ein Säugling übergeben und er findet einen Zettel, den eine Sozialarbeiterin für ihn versteckt hat: Das ist das Kind, für dessen Rettung sie immer gekämpft hat. Dunkelstein behauptet, das Kind habe Fieber, vermutlich Typhus, und befiehlt, es mit demselben Transport nach Wien zurückzuschicken. Dieses Kind nun ist der junge Jude aus der ersten Szene, das Alter Ego von Robert Schindel, der selbst kurz vor Kriegsende als Baby von einer jüdischen Sozialarbeiterin gerettet wurde. Dunkelstein hat also ein Leben gerettet – und somit die ganze Welt. Und dieses eine Leben sitzt da in der Premiere in der zweiten Reihe und lebt tatsächlich und freut sich.
Das ist ein ergreifender Moment, es ist unmöglich, nicht zur verstehen, dass es Robert Schindel am Herzen lag, Murmelstein zu rehabilitieren. Aber was ist aus dem jungen Juden geworden, der in der ersten Szene gesagt hat: "Das hätten wir alle tun sollen" (schießen)? Was aus dem jungen Kommunisten Schindel, der sich früher einmal nicht über sein Judentum definieren wollte? Das ist ein Drama, das man gerne sehen würde.
Dunkelstein
von Robert Schindel
Uraufführung
Inszenierung: Frederic Lion, Bühne: Andreas Braito, Kostüme: Caterina Czepek, Musik: Lukas Goldschmidt, Dramaturgie: Karl Baratta
Mit: Lilly Prohaska, Dolores Winkler, Florentin Groll, Michael Gruner, Alexander Julian Meile, Rouven Stöhr, Heinz Weixelbraun, Eduard Wildner.
www.hamakom.at
"Dunkelstein" sei "in einer sensiblen Inszenierung von Frederic Lion, zu der auch die Musik von Lukas Goldschmidt passt", zur Uraufführung gekommen, meint Norbert Mayer in der Presse (3.3.2016). Lion habe "dieses episodische, didaktisch bemühte Stück erheblich gekürzt (...) und sich auf das Wesentliche der Jahre kurz vor und nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich konzentriert." Michael Gruner als an die historische Figur Benjamin Murmelstein angelehnter Dunkelstein sei "fantastisch anzusehen in der Wiedergabe dieses mürrischen, zweifelnden, verzweifelten Mannes, der nach dem Krieg als Kollaborateur angefeindet wurde." "Dunkelstein" könnte auch als Rehabilitierung Murmelsteins gelesen werden.
Man zögere "angesichts der stofflichen Voraussetzungen, von einem Glücksfall zu sprechen", schreibt Ronald Pohl im Standard (3.3.2016). Und doch sei "nichts weniger als ein kleines Wunder passiert". In Lions "behutsam verfremdender Inszenierung" werde "man zum Lachen gereizt, gleichzeitig zu Boden geschmettert. Man darf zudem von der Entdeckung eines blitzgescheiten, mit Szenen und Sätzen jonglierenden Gegenwartsdramatikers berichten. Er lautet auf den Namen Robert Schindel."
"Wie kaum ein anderer Autor wäre Schindel in der Lage, eine differenzierte Aufarbeitung zu verfassen, schließlich ist seine Biografie eng mit diesem Thema verknüpft", meint Petra Paterno in der Wiener Zeitung (3.3.2016). Bedauerlicherweise aber nehme sich "der Autor zu viel vor. Er will mit dem Text gleichsam ein Panorama der verfolgten Wiener Juden zeigen, samt einer unmöglichen Affäre zwischen einem Gestapomann und einer kommunistischen Jüdin, und verliert dabei zunehmend den Erzählfaden." Regisseur Lion setze "die lose Szenenfolge (...) akkurat und etwas bieder um."
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