Freiheit in Krähwinkel - Milan Peschel inszeniert mit Nestroy den Kehraus am Schauspielhaus Bochum
Bye Bye Bochum
von Martin Krumbholz
Bochum, 26. Mai 2018. Achtung, nur acht Vorstellungen! Das heißt, jetzt nur noch sieben. – Nestroys "Freiheit in Krähwinkel", im Revolutionsjahr 1848 entstanden und tatsächlich ohne Zensur aufgeführt, bis die Zensur wieder eingeführt und dem Spektakel ein Ende gemacht wurde, ist eine sogenannte "Posse mit Gesang", die die Revolution feiert, die Reaktion verlacht und unter Strauß-Märschen und Jubelgeschrei den Vorhang fallen lässt.
Der Schauspieler und Regisseur Milan Peschel benutzt Motive und Bruchstücke daraus für eine Posse mit ein wenig Gesang, die das Theater feiert (und das Schauspiel Bochum im Besonderen) und danach fragt, was "Freiheit" hier und heute bedeuten kann. Denn dies ist die letzte große, in den Kammerspielen stattfindende Premiere der Interimsintendanz von Olaf Kröck, bevor das Ensemble sich auflöst und Neuem Platz macht. Was kann man Besseres tun, als so einen Abschied mit einem übermütigen, anarchischen, tolldreisten Jubel-Spaß zu feiern? Deshalb: siehe oben.
Die Schauspielerin Kristina Peters, die Nestroys Part des rebellischen Journalisten Eberhard Ultra als buchstäbliche Hosenrolle übernimmt (die Hose ist rot, Kostüme von Nicole Timm), fragt gleich in ihrer Eröffnungs-"Improvisation", was es denn für eine sonderbare Idee sei, den österreichischen Nationaldichter Johann Nepomuk Nestroy ausgerechnet im Ruhrgebiet aufzuführen, wo doch kein Mensch Österreichisch spricht oder versteht; das führt, brandaktuell, zu einer "Hommage" an den Kollegen Fabian Hinrichs, der bekanntlich schlichtweg befand, Schauspieler heute würden sich mit preußischer Disziplin dem Kunstterror ihrer Regisseure unterwerfen. Schauspieler, so nun Peters/Ultra, verblödeten mit der Zeit unweigerlich, da sie ihren eigenen Kopf der unbeschränkten Freiheit der Regisseure opferten.
In großer Form
So ein selbstreferentielles Spiel wäre nicht ungefährlich, wäre Peschel nicht selbst Schauspieler und würde er nicht tatsächlich mit großem Erfindungsgeist jenes "Erwartungskaleidoskop" in Gang setzen und unterwandern, von dem Peters spricht, die übrigens, wie alle ihre Kollegen, an diesem Abend zu großer Form aufläuft. Der Österreicher Nestroy rückt dabei ein wenig in den Hintergrund, während ein gewisser Holländer (nämlich derjenige, welcher in Bochum das Szepter übernehmen wird) gewissermaßen als Schattenregent über allem und zwischen den Zeilen thront. Das ist nun mal das gute Recht der Erniedrigten und Beleidigten: sich mit Anspielungen schadlos zu halten und obendrein für einen Mordsspaß zu sorgen.
Erinnerungen
"Veel plezier" heißt auf Holländisch "Viel Spaß", und so ähnlich lautete in Bochum vor längerer Zeit schon mal ein Spielzeitmotto: Das Herz mit den Sonnenstrahlen – war es nicht das Logo des weiland Intendanten Leander Haußmann (1995 – 2000)? Und dann dieses große, einschüchternde Fotoplakat mit dem glatzköpfigen und bepelzten Ulrich Wildgruber als Hamlet, 1973 oder 1977 muss das gewesen sein. Und Rosel Zech als Hedda Gabler. Und Deep Purple’s Sweet Child in Time passt perfekt dazu, der jaulende Song überwölbt sehr schön die live gespielte "Weltraumorgel" von Daniel Regenberg, die den Abend minimalistisch begleitet.
Vielleicht kann man solche Referenzen nur genießen, wenn man einen Teil der glorreichen Bochumer Theaterzeit miterlebt hat, aber es ist um so schöner, dass Peschel empathisch in diesen Kosmos eintaucht, da der Berliner selbst ja kaum ein Teil dieser Geschichte ist. Die beteiligten Schauspieler, die jetzt allesamt in die Freiheit entlassen werden, sind es auch nur bedingt; aber ganz und gar ist dieser finale Abend ein Abend der Spieler. Und an den Kollegen Hinrichs gewandt möchte man sagen: Vielleicht "funktionieren" sie gar nicht mal tadellos, von preußischer Disziplin ist jedenfalls wenig zu bemerken, um so mehr von ausgelassener Spielfreude. Und hier fungiert der Regisseur offenbar als einer, der’s erlaubt. Die Slapsticknummer von Mark Oliver Bögels Bürgermeister, der seinen Zylinderhut wegschießt, indem er ihn einfangen will, und das hundertmal hintereinander, ist gar nicht mal hundertprozentig ausgefeilt, beweist aber grandios, dass sich steigernde Komik gelegentlich mit Redundanz zu tun hat. Das ist ja auch das Prinzip von "Murmel Murmel", das genüsslich zitiert wird.
Wie es ihnen gefällt
Und am Schluss, ja, wird’s ein wenig sentimental. Aber eigentlich lag dieses Sentiment, nur verborgen unter dem überbordenden Humor, dem ganzen Abend zugrunde. In einer gruppendynamischen Schlussrunde zitiert jede(r) seinen Lieblingsmonolog, von Shakespeare, Kleist, Schiller über Hauptmann und O’Neill bis hin zu wer weiß wem noch. Hier wächst zusammen, was nicht zusammengehört. Und beweist einfach nur, wie schön das Theater denn doch ist. Schluchz und winke-winke.
Wie gesagt: nur acht Vorstellungen. Johan Simons kommt zur vierten.
Freiheit in Krähwinkel
von Johann Nestroy.
Regie: Milan Peschel, Bühne & Kostüme: Nicole Timm, Musik: Daniel Regenberg, Licht: Denny Klein, Dramaturgie: Annelie Mattheis.
Mit: Michael Kamp, Bettina Engelhardt, Juliane Fisch, Kristina Peters, Mark Oliver Bögel, André Benndorff, Martin Weigel, Dennis Herrmann, Matthias Eberle, Roland Riebeling, Daniel Regenberg.
Dauer: 2 Stunden 45 Minuten, keine Pause.
www.schauspielhausbochum.de
Nestroys Stück werde in Milan Peschels Inszenierung "schnell bis auf ein paar Versatzstücke der Handlung skelettiert" und schließlich ganz beiseite gelegt, bemerkt Ulrike Gondorf bei Deutschlandfunk Kultur (27.5.2018). Statt "Freiheit in Krähwinkel" werde "hier nämlich Anarchie im Theater erkämpft": wie im Nachhall auf Fabian Hinrichs’ Theatertreffen-Rede laute die revolutionäre Parole "weg mit den Regisseuren, die alles besser wissen wollen". Erstmal habe das "mitreißenden Schwung und sympathischen Witz", schreibt Gondorf, es gebe einige "unsterbliche Clownsnummern" zu besichtigen und Extempores à Nestroy selig. Doch während dieser mit seinen spontanen Einlagen die Zensur düpiert habe und ins Gefängnis gegangen sei, drehten die "Bochumer Freiheitskämpfer … ihre Pirouetten um die eigenen Befindlichkeiten". Das werde, je länger der lange Abend dauere, "immer eitler, beliebiger, banaler", so Gondorf. "Statt einem Stück sieht man eine bunte Kleinkunstrevue, in der jeder seine große Szene bekommt". Statt eines Theaterabends sah sie "eine Abschiedsparty unter Kollegen".
Witzig, anarchisch, auch nachdenklich sei der Abend, "mit vielen Verweisen auf die fast 100-jährige Geschichte des Bochumer Schauspielhauses", schreibt Ronny von Wangenheim in den Ruhr Nachrichten (27.5.2018). Mit großer Freude am Spiel, unzähligen Ideen und mancher Slapstickeinlage feierten die Schauspieler ihren Abschied. "Am Ende wird es sentimental. Minutenlang applaudieren die Zuschauer ihren Schauspielern. Die feiern noch auf der Bühne mit einem Bier und nehmen Abschied. Sie müssen hier raus."
Dass Regisseur Milan Peschel, wie das Programmheft erklärt, Nestroys Stück überschreibe, sei "nur eine hochtrabende Formulierung für einen freien, selbstgerechten Umgang, der den Text fleddert und aufpeppt", so Andreas Rossmann in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (29.5.2018). Die Vorlage gerate zum Vorwand für einen bunten Abend, der "assoziativ und zunehmend beliebig Szenen und Nummern, Kostümklamauk, Mitspiel-Mätzchen und Stummfilmkomik, Allotria und Action Painting aneinanderwitzelt". Kurz: "Nestroy-Verluste". Abschiedsschmerz? Nö. "Eine Interimsspielzeit klimpert aus. Das Schauspielhaus Bochum ist reif für einen neuen Anfang."
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