Sieben Türen - Elmar Goerden setzt Botho Strauß in einen leeren Keller
Klein, kleiner, am kleinsten
von Kerstin Edinger
Bochum, 18. Januar 2010. Es steht da, mitten im Publikum. Das Nichts. Ein schwarz gekleideter Mann, unauffällig, unbedeutend. Das Nichts hat einen Totenschädel in der Hand. Ein Selbstmörder stellt ihn zur Rede. "Du bist also das Nichts?" Ernüchterung beim Toten über das unspektakuläre Zusammentreffen im Jenseits. "Besser als Niemand!" entgegnet das Nichts.
Elmar Goerden würfelt die elf Mini-Dramen von Botho Strauß' "Sieben Türen" kräftig durcheinander; die Szene, in der es ums Ganze geht, setzt er an den Anfang. Wenn schon das Leben eine absurde Folge von Nichtigkeiten und Missverständnissen ist, hat der Einzelne auch danach nichts zu erwarten. Das Nichts – ein unbedarfter Jüngling, der eher langweilt, denn als moralische Instanz funktioniert. Die gibt es eh nicht, und Botho Strauß lässt uns auch in diesem Stück, das er 1988 geschrieben hat, keine Sekunde im Unklaren darüber, wie hoffnungslos unser tägliches Dasein ist.
Nach unten geht's, ins Leere
In "Sieben Türen" präsentiert er Männer und Frauen des unscheinbaren Alltagslebens, die permanent aneinander vorbeireden, die im Hier und Jetzt zwar fest verankert sind, sich aber immer an der Grenze zum Absurden und Unwahrscheinlichen bewegen. Sein Stück, das im Kleinen das Große zeigt, sein Mini-Welt-Theater des Missverstehens ist auch nach über 20 Jahren noch aktuell.
Elmar Goerden wählt für die sonst eher mit großem Ensemble besetzten Strauß-Stücke einen ungewöhnlichen Spielort. Er geht, ganz diabolisch, nach unten und spielt im vollständig leergeräumten kleinen "Theater unter Tage", gerade mal vor hundert Zuschauern. Er setzt auf wenig bis nichts. Und Elmar Goerden besetzt nur vier Darsteller, die er fast schon willkürlich die Rollen wechseln lässt, ob männlich oder weiblich, von Statur eher groß oder klein.
Die kleine Maja Beckmann spielt den Leibwächter mit den breiten Schultern, der einen Parkwächter bewachen soll. Evamaria Salcher gibt den Bräutigam, der nach der Hochzeit verloren mit seiner Braut auf Gäste wartet, die nie kommen werden. Die skurrilen Begegnungen werden in ihrer Skurrilität zwar verstärkt, aber dadurch nicht aussagekräftiger. Ein Effekt, der verpufft.
Dunkel ist's, und heiß
Die Darsteller sind zudem meist schwarz gekleidet, unauffällig wie das Leben, das sie leben. Gespielt wird auf einer kargen, fast archaisch anmutenden Betonfläche, umgeben von Säulen. Am kleinen Spielort ist es heiß und dunkel. Es gibt sieben Türen, aus denen die Darsteller treten, manchmal auch von Tür zu Tür irren. Sind es Eingänge, sind es Ausgänge? Vor allen Dingen sind es Optionen, Möglichkeiten des Lebens, die verlockend, aber keineswegs verheissungsvoll sind. Sie stehen nicht wie in Strauß' Textvorlage halb offen – bei Goerden sind die Türen meist geschlossen. Deutet Strauß in der halboffenen Tür noch die Sehnsucht an, die die Menschen nach dem einen richtigen Weg haben, macht Goerden keine Kompromisse. Bei ihm sind die Schotten dicht.
Konsequent hat Botho Strauß sein fragmentarisches Stück mit "Bagatellen" untertitelt. Eine Untertreibung, die das absurde Geplauder entlarvt und gleichzeitig darauf hinweist. Ein Understatement, das sich Botho Strauß erlauben darf. Elmar Goerden jedoch nicht. Er müsste im Kleinen das Große aufblühen lassen, damit sich die Sprache und vielschichtigen Wortspielereien in ihrer Gänze entfalten. Dramaturgische Wucht hat das Stück ja kaum, es lebt durch die kunstvollen Dialoge. Hier aber verhallen sie leider zu oft.
Schwer wird's, sehr schwer
Goerden und seinen Schauspielern gelingt es nur stellenweise, der Tiefe der Sprache nachzuspüren, der grotesken Tragik Raum zu geben. Einige Szenen, wie die Parkwächter-Szene oder die nachträglich von der Stockholmer Fassung übernommene Szene "Jeannine" machen vor, wie es gehen könnte. Das Timing stimmt, Zwischentöne werden mitgespielt, eine Gratwanderung zwischen Normalität und Wahnsinn.
Wenn Goerden zwischendurch aber zu dick aufträgt, verspielt diese Inszenierung ihr Potential. Der Friedensengel zum Beispiel, der das Streitgespräch zweier Verhandlungsführer wortlos passiert, oder das Nichts, das teuflisch hinkend den Raum verlässt, sind vollkommen überflüssige Bilder, die das feinstrukturierte Stück nicht benötigt. Das Stück, das locker und leicht wie ein Soufflé zu präsentieren wäre, um dann doppeldeutig und hinterhältig daher zu kommen, wirkt in der Umsetzung oft schwer wie ein Backstein. Und jene Glanzpunkte, die dieser Abend haben könnte, weiß er nicht zu präsentieren. Er endet als Bagatelle.
Sieben Türen
von Botho Strauß
Regie: Elmar Goerden, Raumkonzept: Thomas Goerge, Kostüme: Nadine Richter, Licht: Sebastian Otto, Dramaturgie: Holger Weimar. Mit: Maja Beckmann, Evamaria Salcher, Michael Lippold, Cornelius Schwalm.
www.schauspielhausbochum.de
Andere Botho-Strauß-Aufführungen? Bitteschön: Im April 2009 urinszenierte Dieter Dorn Leichtes Spiel am Bayerischen Staatsschauspiel München, Friederike Heller nahm sich Anfang Juli 2009 in Stuttgart jene Trilogie des Wiedersehens vor, die Stefan Bachmann im März zuvor am Wiener Burgtheater ebenfalls herausbrachte. Und Barbara Frey hat, im März 2008, am Deutschen Theater Berlin Groß und klein inszeniert.
Kritikenrundschau
Die Hölle als ewiger Smalltalk, als gesellschaftliche Unverbindlichkeit – heute würden solche Setzungen bei Botho Strauß "oft mythenüberladen, bildungsschwer und verbissen" wirken, schreibt Stefan Keim auf der westen (20.1.2010). In der Szenenfolge "Sieben Türen" indessen hätte er sie noch "mit leichter Hand und hinreißend zugespitzten Formulierungen auf die Bühne" geworfen. In der Inszenierung von Elmar Goerden bliebe zwar einiges unter seinen Möglichkeiten – "Die Schauspieler sprechen sehr leise, (...). Manchmal wirken sie schlaff und kraftlos, viele Szenen wehen lau vorbei, Pointen bleiben ungenutzt." –, aber die "Freude, diesen liebevoll und präzise formulierten Theatertext mal wieder auf der Bühne zu erleben" überwiege diese Schwächen. "Die Stücke von Botho Strauß altern nicht, ihr vielschichtiger Witz beschreibt und karikiert den Zivilisationsmenschen in unnachahmlicher Weise."
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"die Türen stehen nicht wie in Strauß' Textvorlage halb offen". Wie kommen sie auf dieses dünne Brett? Bei Botho Strauß heisst es "Die Szenen spielen vor einem Halbrund von Sieben Türen". Einverstanden, daß ein "Halbrund" und "halboffen" zwei grundsätzlich verschiedene Dinge sind? Sie können den Abend als mehr oder weniger gelungen kritisieren. So schlampig sollten Sie dabei allerdings nicht vorgehen, gerade wenn Sie sich auf Ihre (scheinbare) Kenntnis der Textvorlage berufen. Bitte um Stellungnahme. Mit freundlichen Grüßen,
H. Abendroth (Bochum)
Manchmal in Minuten mit Überlänge, scheint das große Huschhusch, unser alltägliches Leben, am Saum des Feuers zu tanzen. Dann sieht man nicht eine Tür, sondern es stehen derer sieben halb offen. (....) angesichts einer Arena von halb offenen, lockenden Türen ist Sitzenbleiben die beschlossenste Sache der Welt.
Viele Grüße K. Edinger
Mit unverdrossen freundlichen Grüßen,
H. Abendroth
Lars und Hildegard Becker (Essen)
Mit kleinlichen Grüßen,
H. Abenroth
Antwort der Redaktion:
Kommt schon, kommt schon. Wir können nicht immer so wie wir (und offenbar auch Sie) wollen.
P.S. Bei dradio.de ist übrigens nur ein Vorgespräch zu finden, keine Kritik. Desgleichen bei ruhrnachrichten.de. Uns bleibt nur derwesten.de (dpa nehmen wir nicht auf). Wenn Sie andere Informationen und Links haben: Her damit!
- wie fehlt er uns im selbstbezüglichem Gerausche der Nachwuchsdramatik! Wiederlesen, wieder aufführen!
Antwort der Redaktion:
Das habe ich mir gedacht, dass sich da sofort jemand draufsetzt, der Zensur wittert.. . Also: Dies hier ist eine unabhängige Seite, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, jeweils das Echo überregional prägender Medien mit abzubilden sowie mindestens eine lokale Stimme zu Gehör zu bringen. dpa ist weder das eine noch das andere. Sowieso halten wir das Autorenfeuilleton hoch und nicht den Agenturjournalismus.
Freundliche Grüße!
Petra Kohse
Antwort der Redaktion:
Ich habe strukturell argumentiert, nicht inhaltlich. Wir berücksichtigen sowohl, was die lokale Meinung über die Inszenierung prägt, als auch was überregional darüber gesagt wird. Wenn in der einzigen Lokalzeitung oder in der FAZ ein dpa-Bericht abgedruckt würde, würden wir ihn wohl zitieren. Unsere Presseschauen stehen nicht im Dienst einer vollständigen Dokumentation aller Besprechungen, sondern sollen den überregionalen und lokalen Diskurs abbilden. Und da interessiert nicht der dpa-Bericht über Hannover, der dann etwa in Leipzig und Oldenburg abgedruckt wird, sondern nur, was die (potentiellen) Besucher in ihrer eigenen Stadt zu lesen kriegen. Diejenigen, für die die Aufführung gemacht ist.
P.K.
Antwort der Redaktion:
Ist weder ein überregionales noch ein lokales Referenzmedium. Die Theaterzeitschriften und Blogs werten wir auch nicht aus. Dafür investieren wir viel Arbeitszeit, um lokale Berichte zu bekommen. Die sind nämlich oft nicht im Netz verfügbar.
Viele Grüße, P.K.