Burgporträts - Michael Laub stellt Großschauspieler, Kleindarsteller und Hinterbühnenprotagonisten vor
15 Minutes of Burgtheater-Fame
von Stefan Bläske
Wien, 26. März 2011. Sie habe ein ambivalentes Verhältnis zum Burgtheater und fühle sich verloren, erzählt eine weinende Petra Morzé. Sie werde jetzt sicher nicht über ihre Familie sprechen, stellt Mavie Hörbiger klar und faucht angriffsfröhlich und halbzugeknöpft ins Publikum. Sie habe keine Energie, sich auf neue Theaterformen und diese Arbeit von Michael Laub einzulassen, erfährt man von Christiane von Poelnitz. Die Burgschauspielerinnen gefallen sich in dieser sonst so gefälligen Inszenierung in Posen von Trotz und Trauer.
Ein Text ohne Text, und jedem seine Rolle
Einen möglichen Grund dafür erläutert Maria Happel (via Video). Für sie als Schauspielerin sei es nicht einfach, als sie selbst auf der Bühne zu stehen anstatt in einer Rolle, "keinen Text zur Verfügung zu haben". Beschwerden über fehlenden Text werden im Probenprozess dann freilich zum Text gemacht. Christiane von Poelnitz ist noch konsequenter und nimmt die Textlosigkeit wörtlich.
Sie bleibt einfach stumm. Im Hintergrund werden ihre abwehrenden SMS und E-Mails aus einer offenbar problematischen Probenphase projiziert, davor steht sie in gleißendem Licht wie eine dem Schwarz-Weiß-Film entlaufene Hollywood-Diva, die sich in verschiedene Posen wirft – und lacht. Eine Schönheit vorne, eine Querulantin hinten, der Mensch wohl irgendwo dazwischen, oder ganz woanders. Ausgerechnet dem Widerstand gegen diese Inszenierung erwächst ihr vielleicht spannendstes, weil spannungsgeladenes und mehrdimensionales Porträt.
Wenn sich niemand quer stellt, ist das Prinzip der "Burgporträts" freilich ganz einfach: Großschauspieler, Kleindarsteller, "Hinterbühnen-Protagonisten" und die "Unsichtbaren" verheißen Einblicke in das gewöhnlich Verborgene: Anekdoten und Geschichten rund um Burg, Theater- und Privatleben. Jedes Porträt soll mehr sein als ein Schnappschuss, aber weniger als Warhols "15 minutes of fame".
Ein Bild von einem Bild, und der Walzer der Liebe
Die Blicke hinter die Kulissen werden theaterkonventionell vor den Kulissen in Szene gesetzt, in einer Abfolge von knapp zwanzig frontalen Einzelporträts. Für jeden Auftritt wird eine Papierbahn vom Bühnenhimmel gelassen, ein Hintergrund-Prospekt wie im Photostudio. Die auf- und abrollenden Bahnen erinnern dabei immer auch an überdimensionale, noch zu füllende Textfahnen, an eine "Rolle".
Die Burg-Mitarbeiter spielen und porträtieren sich, sind sie selbst. Und doch müssen sie – derart als lebendes Tableau im viel zu großen Theatersaal ausgestellt – die Pose suchen. Wie überhaupt Menschen, die ein Objektiv auf sich gerichtet fühlen, leicht eine posierende Haltung einnehmen, sich schon vor dem eigentlichen Bild zum Bild verwandeln, den Körper abtöten (R. Barthes).
Michael Laub nun hat Billeteurin, Gebäudeverwalter und Kantinenwirt, hat Kleindarsteller und Komparsen ausgewählt, die selbst im "Cheese" und "Freeze" des photogenen Kameralächelns noch quicklebendig sind. Sie zeigen, was sie drauf haben. "Hungry Lion" lässt seine Muskeln tanzen, Karl Heindl macht eine Touristenführung auf japanisch, und Feuerwehrmann Wolfgang Klaus singt mit glühendem Herzen den "Walzer der Liebe".
Großauftritte der Kleindarsteller, und ein Stück Sportstück
An diesem Abend sagen alle "Ich" und erzählen mit Charme und Schalk – und auch ein bisschen Eitelkeit – von theatralem Treiben, Verkehrs- und Jugendsünden, Liebesglück und Trennung, Weltumrundung und Brustamputation. Manchmal ist das berührend. Häufig amüsant. Meist liebenswert. Und doch erinnern diese Selbstdarstellungen immer wieder auch an Kuriositätenkabinett und Talkshowbelanglosigkeit.
Eine ganz eigene, tänzerische Qualität indes bergen die Szenen der Kleindarsteller. Regisseur und Choreograph Michael Laub lässt sie ihre Aktionen aus alten Inszenierungen wiederholen, reißt diese Bewegungen damit aus ihrem Zusammenhang, macht für kurze Momente das einst Nebensächliche und Hintergründige zur Hauptsache. Dieses Ausschneiden und Herausbrechen kann verzerrend und gar denunziatorisch wirken, etwa wenn eine Kleindarstellerin ihre Rufe und Bewegungen in Einar Schleefs "Sportstück", ihrem pesönlichen "Hassstück", nach- und bloßstellt, das einst im Chor Kraftvolle nun solistisch veralbert.
Laubs Fokusverschiebungen können aber auch den Blick auf kleine Schmuckstücke freigeben. Das Sesseltragen der Bedienten, das Winken der Gäste vom Balkon, die gepflegte Konversation eines stummen Julius oder der Tanz des verwitweten Elefanten: ohne die Requisiten, Kostüme und Kontexte der entsprechenden Inszenierungen werden diese Kleindarstellerdarbietungen zur interessanten Bewegungsstudie und köstlichen Choreographie.
Von Hamburg zur Burg, und ein Porträt zum Abschied
Der Belgier Michael Laub hat über zehn Jahre und viele Länder hinweg Erfahrungen im Porträtieren gesammelt. Seit seinen "Portraits 360 Sek" 2002 am Hamburger Schauspielhaus unter Tom Stromberg hat er u.a. in Berlin, Istanbul, Rom und Rotterdam Porträt-Serien inszeniert. Im selben Zeitraum haben sich allüberall Experten des "Ich" und des "Alltags" auf die Bühnen gewagt, haben sich zahlreiche Künstler und Kollektive mit Fragen der Authentizität und Selbstinszenierung im Theater beschäftigt. Wer sich von Michael Laubs aktueller Arbeit in diesem Bereich nun neue Impulse erhofft hat, dürfte enttäuscht sein.
Wer indes bunte Bilderbücher, erfrischend harmlose Nummernrevues und den "Walzer der Liebe" mag, kann an den Burgporträts mit den vielen sympathisch lächelnden Gesichtern seine Freude haben. Nach Vorstellungsende fehlt allerdings ein Photograph am Ausgang des Burgtheaters, der auch von den Besuchern Porträtaufnahmen macht – damit der Theaterbesuch in Erinnerung bleibt.
Burgporträts
von Michael Laub nach einer Idee von Tom Stromberg
Regie und Konzept: Michael Laub, Bühne: Jochen Massar, Michael Laub, Kostüme: Moana Stemberger, Video: Astrid Endruweit, Licht: Nigel Edwards, Gerald Weilharter, Dramaturgie: Florian Hirsch, Astrid Endruweit.
Mit: Elisabeth Aref, Claudia Durstberger, Monika Höflinger, Mavie Hörbiger, Petra Morzé, Christiane von Poelnitz, (Irene Rottensteiner), Kinga Walus, Michaela Wimmer, Andreas Dampfhart, Thomas Gandon, Heinz Geissbüchler, Karl Heindl, Lion A. Kenechukwu, Wolfgang Klaus, André Meyer, (Valentin Rottensteiner), Sebastian Wimmer, Pablo-Miguel Konrad y Ruopp.
www.burgtheater.at
"Nein, das Burgtheater ist nicht nur eine riesige Maschine, sondern auch eine große Familie, vermeint man an diesem Abend zu spüren", schreibt ein angetaner Norbert Mayer in der Presse (28.3.2011). Laub habe sich "mit dem Haus am Ring als Gesamtkunstwerk-Sozialpaket befasst", und siehe: "Bewunderer des Theaters werden nach diesen intimen, rührenden, lustigen und peinlichen – also auch ehrlichen 20 Kurzauftritten noch mehr Achtung für dieses Haus empfinden. Es zieht offenbar lauter Charakterköpfe an, selbst hinter der Bühne. Der Abend ist amüsant und gelungen, weil er so raffiniert und auch menschlich ist."
"Zu recht artifiziellen Performances geraten die Auftritte der Ensemblemitglieder (inklusive dem stummen Beitrag der Jungen Burg, welcher zu bösartigen Interpretationen einlädt), viel unmittelbarer fallen jene der bisher weniger bekannten Mitarbeiter aus", meint Dorian Waller (28.3.2011) im Standard. Allen erzählten Episoden sei dabei gemein der Burgtheater-Bezug gemein: "Dass dieser freilich thematisch vorgegeben ist, muss dabei ebenso wenig belasten wie die Frage, wie weit Laub, der Gestalter von Rahmen und Rhythmus, manipulieren musste. Am Ende bleibt es ein trotz ernster Momente leichter Abend".
Laub habe "ein wunderbares Gespür für Menschen", schreibt Helmut Schödel in der Süddeutschen Zeitung (28.3.2011). "Zwar dürfen die Porträtierten selber entscheiden, wie sie sich präsentieren wollen, werden aber vom Regisseur ganz zu ihrem Vorteil in die richtige Richtung geführt. Schließlich ist der Abend auch eine Komposition aus Vortrag, Spielszenen und Gesang." Es handele sich bei Laub "um manipulierte Dokumente. Aber jede Dokumentation ist zugleich Manipulation. Es geht um herrlich-vergnügliche Versionen des Authentischen. Der Regisseur aber dringt immer bis zum Kern vor und bringt ihn bisweilen zum Schmelzen."
Hilde Haider-Pregler benennt in der Wiener Zeitung (28.3.2011) "den entscheidenden und problematischen Punkt der Produktion: Einerseits gewinnen die – unbedankt anonym bleibenden – Mitarbeiter/innen am Zustandekommen eines Theaterabends Profil, andererseits werden damit private Informationen öffentlich." Man stoße dabei immerhin "auf berührende persönliche Schicksale" und zudem nähmen die "sogenannten 'Kleindarsteller/innen' (…) die Gelegenheit zur Selbstinszenierung mit bemerkenswertem Elan wahr."
In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (29.3.2011) schreibt die etatmäßige Tanzkritikerin Wiebke Hüster, sehr angetan von Laubs Abend, über Heinzi den Kantinenwirt der Burg mit dem geschienten Handgelenk (vom missratenen Versuch bei der letzten Premierenfeier auf dem Tisch zu tanzen) und über die Billeteurin Monika Höflinger, die 1100 Toasts, die sie beim Heinzi verspeist habe. "Manchmal castet Laub ganze Städte, manchmal ein Theater. Der Probenprozess besteht darin, die Mitwirkenden zu befragen und, was sie berichten, so zusammenzufügen, dass ein Porträt der Person entsteht, immer in Bezug zu Laubs Obsession, dem Theater." Göttinnengleich erscheine Schauspieldiva Christiane von Poelnitz aus der Versenkung, "in einem weißen Abendkleid, das rote Haar schimmernd über den nackten Rücken fallend", und müsse lachen über die SMS, dass sie Suppe essen müsse und bei ihren Kindern sein und keine Zeit habe für Laub. Und: "Wer hätte gedacht, dass die Burg seit acht Jahren einen nigerianischen Wrestler zu ihren Komparsen zählen darf, einen Mann, der seinen Gegner mit den Zähnen am Gürtel packt und in der Luft zappeln lässt wie ein Kaninchen?"
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Laub sympathisiert meiner Meinung nach offensichtlich mit den um jeden Gehalt arbeitenden theaterhörigen Kleindarstellern und zeigt an diesem Abend die großen Namen eher als posende Models in Kurzauftritten.
Die meisten Österreicher werden wohl auch an Elizabeth T. Spiras "Alltagsgeschichten" erinnert werden. Die Beiträge im Burgtheater sind durch die Authentizität dem Fernsehformat einerseits überlegen, andererseits konnte im Film durch das Schneiden der Interviews eine höhere Intensität erlangt werden. Gleich sind beiden die Sensibilität und das liebevolle Präsentieren der Theaterleidenschaft und Begabungen. Keine Peinlichkeit kommt auf, keine Verständnislosigkeit. Ich bin gespannt wie sich der Abend im Repertoire bewährt, wenn das Erzählen zur Routine wird.