Das Geisterhaus - In Wien greift Antú Romero Nunes für Isabel Allendes Gang durch die chilenische Geschichte tief in die Trickkiste
Schmerz, Blut und Liebe
von Kai Krösche
Wien, 30. Januar 2014. Von den 20ern bis in die 70er, quer durch 50 Jahre chilenische Geschichte bis hin zu Pinochets Militärdiktatur führt Isabel Allendes "Das Geisterhaus" den Leser anhand der Geschichte einer großbürgerlichen Familie rund um den Gutsbesitzer Esteban, dessen Glaube an eine konservative, bürgerliche und von Standesdenken bestimmte Gesellschaftsordnung nach und nach zu bröckeln beginnt. Der Roman ist dabei nicht nur ein Familienepos, sondern auch eine Geschichte über die Unvorhersehbarkeit politischer wie privater Ereignisse, über die Uneindeutigkeit politischer Ideologien und schließlich die Zerrissenheit eines Landes und seiner Menschen.
Einige Nachrichten an das All feierte, hat die vielen Seiten nun mit seinem Dramaturgen Florian Hirsch in einem kaum minder epischen, dreieinhalbstündigen Abend für die Bühne verarbeitet. Der Geschichte von Allendes Vorlage bleibt Nunes dabei weitgehend treu, verarbeitet auch Details in kleinen szenischen Andeutungen und erzählt ein halbes Jahrhundert Familiengeschichte an einem Abend, was ihm auf wundersame Weise überraschend verständlich und stringent gelingt.
Antú Romero Nunes, der sein Akademietheater-Debüt vor anderthalb Jahren mit einer bemerkenswerten Inszenierung von Wolfram Lotz'Schauspielerisch atemberaubendes Ensemble
Ignaz Kirchner und August Diehl treten, oft gemeinsam auf der Bühne, als der alte und junge Esteban Trueba auf. Selten war das Wort "verkörpern" passender als in Bezug auf Diehls Spiel – als junger Mann vor brutaler Vitalität strotzend, als seien die von ihm verübten Vergewaltigungen der Töchter der bei ihm beschäftigten Bauern ein Beweis seiner Männlichkeit, zeichnen sich in seine Körpersprache und Mimik nach und nach Verbitterung, Enttäuschung und schließlich das Gebrechen des Alters ein. Demgegenüber steht Kirchners Spiel, das ebenso die Körperlichkeit des gealterten Mannes beherrscht wie auch die eleganten Bewegungen und das Augen-Blitzen des jungen Mannes.
Den beiden einzigen Männern auf der Bühne steht ein schauspielerisch atemberaubendes Ensemble von sechs Frauen gegenüber: Caroline Peters, Dörte Lyssewski, Aenne Schwarz, Adina Vetter, Sabine Haupt und Jasna Fritzi Bauer wechseln, alle einander ebenbürtig, in rasantem Tempo die Rollen, springen durch Dutzende von Kostümen und Perücken, verkörpern Männer und Frauen vom Kindesalter bis zur Greisin und schaffen es, selbst die kleinste Rolle mit Leben zu füllen: Selten sieht man ein Ensemble in derartiger Harmonie miteinander spielen, agieren, leben auf der Bühne.
Eine Fülle ästhetisch perfekt inszenierter Bilder
Bei all dem brillanten Schauspiel, bei all den so wundervoll rund ineinander übergleitenden Szenen, bei allen überzeugenden raschen Rollen-, Orts-, gar Zeitwechseln: So sehr der Abend unterhält und mit seiner spannenden und spannend erzählten Geschichte nie langweilt, so überraschend selten packt er einen inmitten der Fülle ästhetisch perfekt inszenierter Bilder, dass es einen schüttelt, aufwühlt, bewegt. Zu Beginn verbaut sich Nunes so manche Chance durch die Neigung zur ironisierenden Überzeichnung; die Phase z.B., in der die weibliche Protagonistin Clara nicht spricht, als Stummfilm zu inszenieren, scheint vielleicht auf den ersten Blick plausibel, entpuppt sich jedoch, nicht trotz, sondern gerade wegen der perfekt choreographierten Albernheiten als allzu effektbewusster Gag.
Zwar gibt es sie, jene Szenen, die einen aufhorchen lassen; die Folterung von Estebans Enkelin Alba z.B. oder die Inszenierungen der verschiedenen Tode, vielleicht auch die zarten Augenblicke der mehr als platonischen Zuneigung zwischen Clara und Estebans Schwester Ferula, kurz: jene seltenen Augenblicken der drei im Text vielfach beschworenen Emotionen: "Schmerz, Blut und Liebe".
Die Tragweite der Fülle an Geschehnissen jedoch vermag der Abend erst im Nachklang zu vermitteln, erst nach den letzten, gestammelten Worten. Der alte Esteban, schon im Rollstuhl sitzend, wird zum Schluss seinen Glauben an den richtigen Lauf der Dinge verlieren: Nach beinahe jedem Wort verharrt er einen kurzen Augenblick, bemüht sich sogar im Angesicht der totalen Ausweglosigkeit um eine relativierende Rechtfertigung, versucht, das Vorgehen des Militärs als prinzipiell korrekt zu erklären. Nicht auf Gerechtigkeit pocht er, sondern auf Gnade: "Ich bin ein armer schwacher Mann, haben Sie Mitleid und suchen Sie meine Enkelin Alba, ehe sie sie mir stückchenweise per Post schicken." Erst als der drohende Tod per Brief in das Geisterhaus eindringt, der Hauch einer Erkenntnis: Scheinwerfer aus, lange Stille, vielleicht eine entsetzliche Ahnung.
Und dann doch wieder Applaus: Beifall für das Ensemble und eine Regie, der inmitten glatter Perfektion die Reibung verlorengegangen ist.
Das Geisterhaus
von Isabel Allende
Bühnenfassung des Burgtheaters von Antú Romero Nunes und Florian Hirsch unter Verwendung der Übersetzung von Anneliese Botond
Regie: Antú Romero Nunes, Bühne: Florian Lösche, Kostüme: Annabelle Witt, Musik: Johannes Hofmann, Sergio Pinto, Licht: Felix Dreyer, Dramaturgie: Florian Hirsch.
Mit: Caroline Peters, Aenne Schwarz, Adina Vetter, Sabine Haupt, Jasna Fritzi Bauer, Ignaz Kirchner, August Diehl, Dörte Lyssewski, Sergio Pinto.
Dauer: 3 Stunden 30 Minuten, eine Pause
www.burgtheater.at
Hartmut Krug schreibt auf dem Online-Portal des Deutschlandfunks (31.1.2014): Das Konzept von Nunes und seinem Dramaturgen Florian Hirsch, die Inszenierung aus lauter kleinen Szenen zusammenzupuzzeln, sei klug, gehe aber leider mangels "Spannungsbögen" nicht auf. "Statt zusammenfassende Sinnhaftigkeit zu stiften, verzettelt sich die Inszenierung in kleinteilige Ausmalerei." Die sechs Schauspielerinnen seien "formidabel", die beiden Herren "kraftvoll" (Diehl) und "wunderbar variationsreich" (Kirchner). Doch indem "Figurengestaltung vorgeführt" werde, werde das schon Bekannte demonstriert: "dass das Gezeigte etwas Gemachtes ist". Trotz "Familienszenen als Slapstick" oder "Kasperle-Spiel" oder "in Stummfilm-Manier" entstehe kaum Spannung aus der Reibung zwischen den Schauspielerinnen und den Männerrollen, die sie spielen.
Im Vergleich zu Nunes' Burg-Debüt Einige Nachrichten an das All wirke dieser Abend "mutlos und überfordert", so Karin Cerny in der Welt (1.2.2014). "Die Regie verliert sich in abertausende Details, reißt vieles an, anstatt es wirklich zu ergründen." Trotz der Zeit, die sich der Abend für den Stoff nehme, sei erstaunlich wenig Fleisch an den Figuren, die voller Klischees blieben. "Vielleicht hat der Regisseur einfach zu viel Respekt vor dem Roman. Er will verzaubern, große Gefühle zeigen, aber im Grunde macht er Theater wie aus Großmutters Zeiten: gefühlig, verplaudert und unkonzentriert."
"Nunes hat sich für eine märchenhafte Erzählweise entschieden, in der Slapstick und Tragik Hand in Hand gehen", schreibt Margarete Affenzeller im Standard (1.2.2014). Im ersten Teil verzettle sich Nunes in "ausuferndem Herumsteh-Erzähltheater", später als sich Spiel und Dialoge mehren, sickere auch der politische Kontext durch. "Das erzeugt Sogkraft." Nunes verstehe sich als Handwerker. "Davon hat man an diesem Abend - im Verhältnis zur Interpretation, zur gedanklichen Spur - geradezu zu viel gesehen."
Noch deutlicher wird Barbara Petsch in der Presse (1.2.2014): "Die flirrende Ambivalenz des Romans wirkt zerstört. Außerdem hält die Aufführung die Spannung nicht, sie sackt immer wieder ab." Statt Geister regierten hier Analyse und ausgeklügelte Komik. "Temperament, Exaltation? No." Immerhin: "Wer bereits entschlossen ist, sich dieses 'Geisterhaus' anzuschauen, weil es sein Lieblingsbuch ist, kann aber auf zwei Positiva zählen: feine Schauspieler, viel szenische Kurzweil für drei Stunden mit einer Pause."
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