Die Marquise von O. - Am Akademietheater Wien inszeniert Yannis Houvardas Ferdinand Bruckers Bearbeitung der Kleist-Novelle
Halb historisch
von Kai Krösche
Wien, 19. April 2013. Die Frau von O. ist schwanger. Von wem, das weiß sie nicht. Dass sich der Hauptmann, der sie vor den im Haus des Vaters einfallenden notgeilen Soldaten rettete, während der Ohnmacht der jungen Frau selbst an ihr vergangen hat, kommt ihr erst spät in den Sinn. Vielleicht, es wäre nur allzu verständlich, will sie es auch nicht recht wahrhaben.
Die Ausgangssituation, die in Ferdinand Bruckners Neudichtung der Kleist'schen Novelle unmittelbar vorangeht, ist nichts weniger als eine Vergewaltigung; da macht es auch keinen Unterschied, dass die Frau von O. nach dem Erwachen aus der Ohnmacht in dem gutgebauten Hauptmann einen attraktiven Mann entdeckt; die Umstände, die zu ihrer Schwangerschaft führten, bleiben nichtsdestotrotz ein verwerfliches, wohl kaum zu entschuldigendes Vergehen.
Der Muff der Jahre
Natürlich, ganz so einfach ist es dann alles doch nicht. Der Hauptmann hat sich – jedenfalls behauptet er das – in die Frau von O. verliebt und türmt aus dem bevorstehenden Russlandfeldzug, um mit ihr abzuhauen. Allein, die Frau von O. will das nicht. Auch nicht, als er zum zweiten Mal zurückkehrt. Sie will auch nicht den ihr vom Vater als Ehemann aufgedrängten Gutsherren, nicht einmal dann, als der ihr anbietet, das fremde Kind unter seinem Namen großzuziehen. Allem gekränkten Männerstolz zum Trotz will sie eigentlich nur wissen, von wem das Kind ist, um die Schwangerschaft wenigstens akzeptieren zu können.
Um diesem Stoff im Theater den Muff der Jahre abzuklopfen, könnte man sich fragen, was uns die Dialoge über napoleonische Feldzüge und die damit verbundene Deutschland-Thematik heute noch sagen. Oder man müsste den Figuren auf die Seelen fühlen, den Mut aufbringen, zu bohren, bis man auf die Verzweiflung in Zeiten des Ausnahmezustands und auf die Abgründe der menschlichen Begierden stößt. So weit, bis es wehtut. Oder bis es einen wenigstens berührt.
Beethoven-Begleitung
Indem man das Stück jedoch einfach nur vom Blatt spielt, Wort für Wort, in halb historischen Kostümen, auf einer zwar ebenso schön ausgeleuchteten wie anzuschauenden Bühne (Johannes Schütz); indem man die Schauspieler einfach nur in dieses Rudiment eines Hauses mit lichtdurchlässigen Wänden stellt, dabei ein Streichquartett an entsprechenden Stellen im Text live Beethoven spielen lässt; indem man gelegentlich mal einen beunruhigenden Brummton einspielt, wenn der Hauptmann auftritt; die Schauspieler auch dann und wann mal an die Rampe treten lässt, lauter werden lässt und dann wieder leiser; indem man sogar hier und da einen Witz ausspielt, um den Ernst der Sache ein wenig aufzulockern; kurz: indem man eigentlich alles, handwerklich vollendet, irgendwie nach Lehrbuch richtig macht und dabei doch nichts wagt, schafft man genau das Gegenteil all dessen, was Theater kann, sollte, muss.
An den Schauspielern liegt es nicht, im Gegenteil. Allen voran Dorothee Hartinger in der Titelrolle zieht alle Register ihrer Kunst: Ohne die Züge ihres Gesichts merklich verändern zu müssen, variiert sie zwischen Spott, Ratlosigkeit, Verzweiflung und Verachtung; subtil gelingt ihr die Veränderung vom naiven Mädchen zur von Zweifel geplagten und doch selbstbewussten Frau. Selbst die im Text vom Hauptmann bemerkte Veränderung ihrer Augen sieht man ihr vom Parkett aus an – während sie am Anfang noch strahlen, wandelt sich der Blick zum Ende hin in erschöpfte Ernüchterung.
Unsicherheit hinter militärischer Pose
Peter Simonischek verleiht der Rolle des Vaters Übergröße, ohne jedoch seine Schauspielerkollegen gegen die Wand zu spielen; auch er vollzieht eine Wandlung – wenn er schließlich, am Ende des Stücks, das Haus verlässt, sprechen seine vor Enttäuschung zu glänzen scheinenden Augen Bände. Oliver Masucci gibt den Hauptmann als zwischen überheblichem Imponiergehabe und Selbstzweifel hin- und hergerissenen Getriebenen: Mal arrogant, mal verlegen lachend, stürmisch und plötzlich wieder reserviert entlarvt er die Unsicherheit, die hinter der militärischen Pose steckt. Die drei Szenen zwischen ihm und der Marquise sind das spannendste, was der Abend zu bieten hat.
Und doch können auch die starken Darsteller die Frage nicht wirklich beantworten, was das alles soll. So dümpelt die Inszenierung von Yannis Houvardas (künstlerischer Direktor am Nationaltheater Griechenland), bis zum Schluss in einem ratlosen Dazwischen.
Die Marquise von O.
von Ferdinand Bruckner
Regie: Yannis Houvardas, Bühne: Johannes Schütz, Kostüme: Anette Guther, Licht: Peter Bandl, Musikalische Leitung: Claus Riedl, Dramaturgie: Andreas Erdmann.
Mit: Dorothee Hartinger, Peter Simonischek, Andrea Clausen, Oliver Masucci, Dietmar König.
Dauer: 1 Stunde, 45 Minuten, keine Pause
www.burgtheater.at
Mehr Kleist? In letzter Zeit arbeiteten sich unter anderem Frank Castorf und She She Pop am Marquise von O.-Stoff ab.
Kritikenrundschau
Ronald Pohl schreibt auf derStandard.at, der Website der Wiener Zeitung Der Standard (19.4.2013, 22:47 Uhr): Dorothee Hartinger sei famos, die kluge Inszenierung von Yannis Houvardas "gewiss kein Fall für irgendwelche Trendbarometer", sie schmiege sich "mustergültig den seltsam schwebenden Dialogen" Bruckners an. Sie entführe in Traumgefilde, das sei ein "gar nicht so kleines Kunststück", ein "kluges Kammerspiel", ein "Glücksfall für das Akademietheater".
Norbert Mayer schreibt auf diepresse.com, der Website der Wiener Zeitung Die Presse (20.4.2013, 18:12 Uhr): Yannis Houvardas habe mit einem "tragisch gestimmten Ensemble" sowie einer "in ihrer Herbheit rührenden Hauptfigur" durch "Subtilität" eine "achtbare Interpretation" geliefert. Im Laufe des Abends schaffe es das Ensemble, ein "dichtes Beziehungsdrama zu flechten". Andrea Clausen gebe die Mutter "entrückt", sie wirke wie eine "künstliche Variation zur seltsamen Tochter". Dorothee Hartinger verkörpere die Marquise als eine "verwirrende Mischung von Verträumtheit, Zartheit und Stärke – das ist ein Kunststück". Oliver Masucci gebe dem Hauptmann eine "reizvolle Ambivalenz von Brutalität und Verliebtheit". Peter Simonischek deute die Trauer einer untergehenden Klasse an, er mache "Brutalität" und "Verschrobenheit" glaubhaft. In seinem Zusammenspiel mit Hartinger zeige sich, zu welcher Intensität diese Schauspieler fähig seien. Da sei die "sonst brave Wiederbelebung" des Bruckner-Stücks "ganz gelungen".
Eine "angenehm unaufgeregte Inszenierung und ein hervorragendes Ensemble in einem zu Unrecht kaum mehr gespielten Stück" hat Martin Lhotzky für die Frankfurter Allgemeine Zeitung (23.4.2013) besucht. Yannis Houvardas kürze "das Drama sanft dort, wo es nicht weh tut" und verzichte auf "platte Gegenwartsbezüge". Einzig bei der Figur des Hauptmanns "vertraut die Regie dem Text nicht", und also "brummt und dröhnt irgendwoher ein Basso continuo" bei seinem Auftritt. "Dessen hätte es nun wirklich nicht bedurft, um die Bedrohlichkeit, die von ihm ausgeht, zu verdeutlichen."
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Das Wien trotz allem wieder mal seine SchauspielerInnen feiert , ist fast schon rührend .
Mein Gott, was hält diese Stadt alles aus.
ich glaube dass es langsam Ziet wird mein Wahlabo zu kündigen!!!