Vorstellungsänderung: Der unheimliche Eindringling - Burgtheater Wien
Baby-Elephanten im Hochmoor
von Theresa Luise Gindlstrasser
Wien, 12. Mai 2020. Danke @turbotorbs! Ich halte mich an Ihren Vorschlag und betitle diese Kritik mit "Baby-Elephanten im Hochmoor. Wie das Burgtheater sein inneres Kind befreite und es allen auf die Nerven ging". Und wenn da oben eine andere Überschrift zu lesen steht, dann ist sie fake! Ich habe nämlich grade vier Stunden auf Twitter verbracht und weiß jetzt alles über Verschwörungstheorien. Oder zumindest über das Erhöhen der eigenen Reichweite. Weil #vorstellungsänderung zum trending hashtag wurde, wurde darunter nicht nur eine Theatervorstellung imaginiert, sondern auch manch Story zu Corona verlinkt. Ja, es waren nicht nur vier Stunden Twitter, es waren meine aller ersten. Und @burgtheater ist Schuld.
Wir zusammen
Angekündigt wurde der gemeinsame Besuch "einer Vorstellung, die es nur in der Vorstellung der Besucher*innen gibt": Eindrücke aus dem Foyer, von der Garderobe und natürlich auch aus dem Stück sollen den Abend über auf Twitter geteilt werden. Das Stück hieß "Der unheimliche Eindringling", war von George Hynter-Graham, Regie führte Via Zusamm. Soweit die Vorgabe. Und also haben "wir zusammen", mit logistischer Unterstützung des Abenddienstes, einen Theaterabend ertwittert. Inklusive Einlass ab halb sechs, verspätetem Vorstellungsbeginn, Pausenbrötchen und Applaus. Wobei "wir zusammen" nicht wirklich stimmt. Ich war mit sportlichem Scrollen und noch viel sportlicherem Zigaretten-Drehen in den sekündigen Pausen auf den nächsten Tweet vollauf ausgelastet. Insofern, lieber @mikelbower, hätte niemand die Nachtkritikerin erkennen können, weil die hat mal wieder nichts zum Gelingen der Vorstellung beigetragen.
Was? Der Elefant ist enterbt?!
— Kathinka (@kathinka_cares) May 12, 2020
Das ist nicht fair. Er hat so viel für Marie-Luise getan.. #vorstellungsänderung
Aber ich will es wettmachen und schreibe dafür jetzt umso fleißiger. Nämlich eine Kritik über einen "Theaterabend, der gar nicht stattfindet", zu einem "Stück, das gar nicht existiert", in einem "Theater, das gar nicht geöffnet haben darf". Also: In den Zeiten des Physical Distancing macht das Burgtheater Ernst mit der Publikumsbeteiligung und erklärt Theater zum Gesellschaftsspiel. Die Vorstellung, also die Theateraufführung, geschieht als Vorstellung, also als Imagination. "Wir zusammen" machen uns eine Vorstellung, nicht ausgehend von irgendwelchen vor uns hin gestageten Vorgängen, sondern andersherum: Indem wir vorstellen, steht's auf Twitter zu lesen und ist also kein Fake. Zu viel Meta? Dann now for something by Mavie aka @hoerbigerm: "Ich muss noch pinkeln. Ein Tropfen geht immer".
Die Liebe, die uns auf die Nerven geht
Das Theaterklo, die Schlange davor, das unruhige Warten auf die Pause – ein wiederkehrendes Sujet während der vier Stunden. Und ich glaube, das ist gar nicht neurotisch, das ist die Liebe zum Theater, die sich da verklausuliert artikuliert. Diese Liebe, die uns allen auf die Nerven geht. Zusammen mit dem dringend benötigten Spritzwein nach der Vorstellung, den hochtoupierten Frisuren, der Hustenzuckerl-Raschlerei und dem Adabei-Geraune vermissen wir das gestresste Pinkeln beim Klingelzeichen, vermissen wir die Institution, die so viel größer ist als Kunst. Ich vermisse den Moment, wenn das Licht ausgeht am Anfang und es leise wird im Saal.
Kurze Zusammenfassung des bisherigen Geschehens. 🐑🐘🐩🦗❤️🙌🌺🔭🍓 #vorstellungsaenderung
— Anke von Heyl (@kulturtussi) May 12, 2020
Nach so einem privaten Satz weiß ich nicht wie weiter schreiben, die Theaterkritikerin soll ja sagen was wie war, wie die Vorstellung war, und leise war die sicherlich nicht. Es gab Schafe, Elephanten, Hunde, Blumensträuße, Pyramiden, eine Maria, einen Franz und einen König. Aber die weitaus pointiertere Inhaltsangabe lieferte @kulturtussi – siehe Bild oben. Und natürlich gab es Promis im Publikum sowie @JulyaRabinowich: "Ich bin wirklich nur ganz kurz hier heute, in Schlafrock und mit verschmierter Wimperntusche. Hündchen wollte ins Theater. Ist ein erfahrenes Theaterhündchen. Wir stellen uns hier vor".
Schattentheater
So weit, so gut. Was aber hat es mit dem "unheimlichen Eindringling" auf sich? Wer ist das? Das Virus? Wäre Corona-Kunst angedacht gewesen und das Publikum hat sich eine völlig falsche Vorstellung gemacht? "Ich verstehs nicht", wurde auch einmal getwittert. Dem schließe ich mich hier an. Was ich schon verstehe: Dass Theater etwas ist, das wir zusammen tun. Auch dann bzw. ausdrücklich dann wenn es Schattentheater, wenn es Königs-neue-Kleider-Theater, wenn es Ich-seh-ich-seh-Theater auf Twitter ist. Applaus! Trotzdem gerne wieder in Sitznachbar*innenschaft und Live.
Vorstellungsänderung: Der unheimliche Eindringling
von George Hynter-Graham
Regie: Via Zusamm
Mit: Sarah Viktoria Frick, Maria Happel, Markus Hering, Mavie Hörbiger, Marie Luise Stockinger, Franz Pätzold und Dietmar König (die, mit Ausnahme von Mavie Hörbiger, alle nicht unter ihren Klarnamen zu sehen, zu hören oder zu lesen waren).
Für das Burgtheater twitterte: Anne Aschenbrenner
www.burgtheater.at
#vorstellungsaenderung
#vorstellungsänderung
Kritikenrundschau
"Ein charmanter Spaß für ein paar Twitter-Theater-Nerds. Es wird Zeit, dass die Bühnen wieder aufsperren dürfen", schreibt Anna-Maria Wallner in Die Presse (14.5.2020).
#LandausSchnellkritik, #vorstellungsaenderung
— Daniel Landau (@LandauDaniel) May 12, 2020
Der wohl erste Nicht-Theater Theater Abend, von (uns) allen selbst auf Twitter gestaltet, grandios 👏👏👏
Aber der Reihe nach, das Stück (nicht Stück?) „Der unheimliche Eindringling“, (nicht) geschrieben von George Hynter-Graham pic.twitter.com/naMQucSj6h
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